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Erste Woche in Calaanan

Veröffentlicht: 26.02.2023


Auf der Reise von Zürich nach Cagayan de Oro verlieren wir oft das Gefühl für die Tageszeit – Abreise am Mittag in Hombrechtikon, dann Zwischenlandung in Dubai in der Nacht, Ankunft in Manila am Nachmittag und in Cagayan de Oro um halb zehn am Abend des nächsten Tages. Und immer mal wieder ein Essen im Flieger, das dann mit Frühstück, Mittag- oder Abendessen betitelt ist. Aber alles klappt und einmal mehr hat unser Alter seine Vorteile! Bei der knappen Transfer-Zeit in Manila können wir von den kurzen «senior citizen» Warteschlangen profitieren; auf den Philippinen ist man schon ab 60 Senior!

In der ersten Arbeitswoche packen wir schon Vieles an: Natürlich ist etwas vom Ersten auf unserer Traktandenliste Thata zu besuchen. Da sie nun keine Chemo mehr machen kann (sie ist zu leicht und zu schwach dafür), erhält sie hormonelle Medikamente, kann aber nun wieder selbstständig einige Meter gehen und sieht zwar sehr dünn aber dennoch besser aus als bei unserem letzten Besuch. Auch hier gibt es Lieferengpässe bei den Medikamenten und weil der Hauptverteiler das Krebsmedikament nicht mehr vorrätig hat, muss sie für die letzte Dosis, die noch zu finden ist, bedeutend mehr bezahlen. Die nächste Injektion im März sollte dann aber wieder vorrätig sein.

Das Batulong Center befindet sich am Rande einer Wohnsiedlung, gerade am Anfang des Umsiedlungsorts. Die Eigentümerversammlung hat anscheinend beschlossen, dass die Wohnsiedlung wegen vieler Diebstähle durch Tore und Gitter gesichert wird. Grundsätzlich finden wir das gut (er wurden ja schon unsere Hunde vergiftet von potentiellen Einbrechern), aber nun wurde unsere Zugangsstrasse, auf der die Kinder zum Mittagessen kommen, komplett mit Stacheldraht blockiert. Unser erster Besuch beim Grundstücksmakler war ergebnislos, das heisst, er sagte, er habe nichts mit dieser Entscheidung zu tun. Vermutlich hatte er damit Recht, aber er war sehr herablassend und unfreundlich und fragte provokativ «sind denn die Kinder, die zu euch zum Mittagessen kommen, aus der Wohnsiedlung»? Ich sagte dann, «natürlich nicht, denn es sind ja arme Kinder, die Hilfe nötig haben»! Der nächste Besuch war beim Präsidenten der Eigentümerversammlung und schon der erste Eindruck – freundlich, herzlich, kommunikativ – machte die schlechte Erfahrung mit dem anderen Herrn wett. Wir hatten ein super Gespräch und nun ist ein Treffen mit allen Betroffenen geplant, an dem wir die Kosten für ein besseres Tor diskutieren. In Zukunft sollen die Betonblöcke mit dem Stacheldraht verschwinden und ein stabiles Tor aufgestellt werden, das tagsüber für Fussgänger offen ist.

Wie immer machen wir Hausbesuche bei neuen Batulong-Familien. Da unsere Mitarbeiter schon im Januar viele neue Batulongkinder aufgenommen haben, sind es diesmal nicht ganz so viele, dafür liegen die Häuser sehr verstreut und zum Teil auf Hügeln – bei 36 °C einen steilen Fussweg hinaufzugehen kann dann schon schweisstreibend sein. Die Hütte oben ist klein und spartanisch eingerichtet, es gibt keinen Strom und kein Wasser. Sie besitzen eine Taschenlampe, die man mit einem kleinen Solarpanel aufladen kann, das ist alles. Kein Fernseher, kein Handy – nichts! Der Vater wurde (angeblich von bewaffneten kommunistischen Revolutionären) angeschossen und ein Geschoss der Schrotflinte steckt in seinem Kopf und kann auch nicht entfernt werden, verursacht aber Kopfschmerzen. Wir werden helfen, wo wir können: die 4 Kinder bekommen täglich ein Mittagessen bei Batulong und die Mutter darf zum Kochen kommen, wann immer sie will (und dann mitessen). Zu Hause haben wir noch weitere Solarpanels und wir hoffen, für den Herbst weitere Handy-Spenden zu bekommen.

An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle Handyspender, die uns ein altes Gerät gegeben haben– alle Telefone sind schon verteilt! Falls jemand noch ein altes Handy hat (egal wie alt, es muss einfach funktionieren, wenn möglich mit Ladegerät), wären wir sehr froh darum. In unserem Fall der Familie oben am Hügel gab es eine Terminänderung der Elterninformation und so musste eine andere Batulongunterstützte in der Nähe den Hügel hinaufgehen, um die Info weiterzuleiten. Die Kommunikation mit den Batulongfamilien ist sehr wichtig und ein Handy für eine Familie fast unverzichtbar.

Batulong besteht seit 15 Jahren! und am besten sieht man dies an von Termiten zerfressenen Dokumenten. Eigentlich wollte ich nur eine Kartonbox mit den Infopapieren zu ehemaligen Batulongstudenten reparieren, aber als ich sah, dass alles schon von Termiten besiedelt worden war, entschieden wir, nur noch die wichtigsten Akten zu behalten, alles auszusortieren und den Rest wegzuwerfen. Zu dritt- die Sozialarbeiterin, Hauswartin und ich – waren wir 2-3 Stunden beschäftigt, die Papiere zu separieren. Fünf Boxen mit Altpapier/Karton warten nun auf die Entsorgung und nächste Woche werden die Akten in einem Plastikbehälter verstaut. Für mich waren mit den Personenblättern ehemaliger Kinder und Jugendlicher auch viele Erinnerungen verbunden und Cherry Mae fand sogar ihr eigenes Personenblatt aus der Zeit, als sie als Studentin von Batulong unterstützt wurde.

Manchmal vergessen wir, wie die Zeit auch bei Batulong läuft: da kommt eine unserer Studentinnen ins Büro, um Schulmaterial zu holen: eine junge Frau, die uns aber sehr bekannt vorkommt. Sie ist in der 9. Klasse und als sie ihren Namen sagt, klickt es: es ist die kleine Bhea, die jeweils ins Büro kam und mit einer süssen hohen Stimme fragte «kaufen Sie Erdnüsse?» Schön, wenn sie nach 7 Jahren immer noch Batulong-«Kinder» sind und wir hoffen, dass Bhea auch noch die nächsten 7 Jahre bis zum Abschluss des Colleges bei uns bleibt.

Eines unser grossen Sorgen in der letzten Zeit ist Marivic – einige erinnern sich vielleicht an die mit Schizophrenie diagnostizierte Mutter, die wir 2014 angekettet in einem Raum gefunden haben. Sie hat 4 Kinder, die alle von Batulong unterstützt werden, und lebt bei ihren Eltern. In den letzten Jahren waren ihre Medikamente gut «eingestellt» und Marivic führte ein ziemlich normales Leben. Aber seit letztem Herbst hat sie Rückfälle (man vermutet, dass sie die Medikamente unter der Zunge versteckte und dann entsorgte) und alle Versuche, ihren Zustand wieder zu stabilisieren, scheiterten. Ideal wäre ein weiterer Aufenthalt im «house of hope», eine Einrichtung von Nonnen, um sie zu begleiten und die Medikamente einzustellen, aber es gibt schon gar keine Warteliste mehr, weil die Institution jetzt schon überbelegt ist. Die Eltern (zwischen 50 und 60) scheinen überfordert oder unmotiviert zu sein, ihrer kranken Tochter ein würdevolles Leben zu bieten. Unserer Sozialarbeiterin, die den Fall nun betreut, wurde gesagt, dass Marivic nur dann eingesperrt wird, wenn niemand zu Hause ist, damit sie nicht davonläuft. Unser Kontrollbesuch hat diese Aussage leider nicht bestätigt: die ganze Familie war zu Hause, aber Marivic in ihrem ca. 4m2 kleinen, fensterlosen Verschlag eingesperrt. Wir glauben, dass Marivic normal intelligent ist, aber ihr Verhalten ist dennoch unkontrollierbar und sie hat leider der Familie gegenüber oft aggressive Ausbrüche. Als wir mit ihr ein Foto machen wollen, geht sie als Erstes zu einem Papier, das auf einem Tisch liegt (die Hausaufgaben der Tochter) und kritzelt darauf herum, dann setzt sie sich einen Motorradhelm auf und ist bereit für ein Foto. Später erfahren wir, dass sie von zu Hause davongelaufen ist und die Tochter musste die Mutter suchen.

Vor zwei Wochen hatte Marivic einen Check-up beim Psychiater und sie erhielt auch eine Injektion (weil sie zunehmend aggressiv war). Wir sind leider mit unserem Latein auch ziemlich am Ende, aber wir wollen die Situation der Frau verbessern. Eine Idee ist, durch bauliche Massnahmen (ein schöneres Zimmer mit einem Fenster (mit Gitter), Tisch und Bett sowie Dinge zur Unterhaltung (Stifte, Papier, eventuell Handy) das Leben von Marivic abwechslungsreicher zu machen. Dazu braucht es ein Treffen mit den Eltern – wir hoffen, dass wir erfolgreich sind damit. Eine weitere Idee wäre, eine Betreuungsperson zu finden, die Marivic am Mittag zu Hause abholt und mit ihr zum Batulongcenter fährt für ein Mittagessen und Sozialkontakte und sie dann wieder zurückbringt. Voraussetzung ist, dass Marivic nicht aggressiv ist – sonst muss der «Ausgang» wieder gestrichen werden.

Wie glücklich können wir uns in der Schweiz schätzen, dass wir Institutionen haben, die uns bei psychischen Problemen auffangen. Die Situation auf den Philippinen entspricht vielleicht der bei uns vor 100 Jahren.

Viel Freude macht uns unser Team im Moment: Keno hat sich super als Manager gemacht und die Zusammenarbeit mit ihm ist unkompliziert und produktiv. Er ist ein Glücksfall für uns! Cherry Mae’s Kind musste die letzte Woche mit hohem Fieber ins Krankenhaus gebracht werden, ist aber wieder okay. So haben wir sie bist jetzt erst am Freitag wieder gesehen, wir freuen uns aber, dass sie weiterhin bei uns arbeiten möchte und wir hoffen, dass sie noch lange bleibt.

Am Samstag treffen wir uns mit Raymond: vor 15 Jahren arbeitete er als Attaché auf der philippinischen Botschaft in der Schweiz und weil damals die Visums-Sticker verspätet waren, erhielten wir das Visum erst am Tag unseres Fluges! Im Vorfeld gab es Telefongespräche mit ihm und wir erfuhren, dass er bald zurück nach Cagayan de Oro reisen werde, wo wir ihn später das erste Mal trafen. Er kommt vom selben Ort wie Thata und ist mir ihrer Schwester zur Schule gegangen. Seine Arbeit hat ihn in der Zwischenzeit nach Nigeria und Mexiko geführt, aber jetzt, nach ca 14 Jahren, konnten wir ihn wieder treffen!

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