You-Me and Marco Polo
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Costa Rica

Veröffentlicht: 14.01.2023

Von Anfang an war Costa Rica eigentlich ein grosses Missverständnis. Sprichwörtlich. Denn als Christoph Kolumbus 1502 hier ankam, war er der festen Überzeugung, dass die Hügel nahe der Karibikküste reich an Goldadern sind, weshalb er sein frisch erobertes Gebiet «reiche Küste» taufte, costa rica eben. Der Haken an der Sache war, dass sich Kolumbus einmal mehr irrte. Denn Costa Rica ist wie die Schweiz zwar ein wunderschönes und inzwischen wohlhabendes Land, aber es verfügt über keinerlei Bodenschätze. Die Nachzügler aus Spanier merkten dies zur Freude der Ureinwohner relativ rasch, liessen Costa Rica links liegen und fokussierten sich auf andere Gebiete in Zentral- und Südamerika, die viel reicher an Gold und Silber waren. Für die Ausbeutung der Minen (ver-)brauchten die Spanier zwar viele Zwangsarbeiter aus allen möglichen Gebieten, da aber das heutige Costa Rica nur sehr dünn bevölkert war, scheuten die Spanier den logistischen Aufwand und liessen die Ureinwohner mehrheitlich in Ruhe.

Exakt 520 Jahre später setzen nun auch wir erstmals einen Fuss auf Costa Rica. Und man kann auch bei diesem Besuch behaupten, dass alles auf einem Missverständnis beruht. Denn Marco hat eigentlich gar keine Lust, Costa Rica zu bereisen («zu touristisch, zu amerikanisch, zu teuer»). Yumi hält dagegen, dass das Land sehr klein ist und wir die vielen Natur-Highlights (Regenwälder, Tiere, Strände, Vulkane, Wasserfälle) schnell und günstig mit einem Mietauto auf eigene Faust erkunden können. «Zudem haben wir in Bolivien keine Regenwälder besucht und in Costa Rica beginnt genau jetzt die Trockenzeit, das Wetter spielt also mit». Marco kann sich bei diesen guten Argumenten nicht wirklich wehren, darum: Ab nach Costa Rica!

Bei der Ankunft in Costa Rica trifft uns dann fast der Schlag: Es hat brutal viele Touristen im Land! Viele davon sind US-Amerikaner, die bei jeder Pseudo-Sehenswürdigkeit ein «Oh wow!» rauslassen. Wir sind kein bisschen besser und kommentieren jedes Preisschild mit «Läck isch das tüür!». Das liegt nicht an unserer falschen Wechselkurs-Berechnung, denn hier in Costa Rica sind die Preise überall auch in US-Dollar angeschrieben, sondern die Preise im Supermarkt oder im Starbucks (davon gibt’s hier jede Menge) sind tatsächlich vergleichbar mit der Schweiz. Leider kostet auch das billigste Mietauto hier mindestens 150-200 Franken pro Tag, weshalb wir unsere erste Reiseetappe mit dem Bus zurücklegen. Weil wir zuvor 3 Wochen im günstigen Bolivien unterwegs waren, schmerzen die hohen täglichen Ausgaben gleich doppelt. Dummerweise werden in Costa Rica auch die vermeintlich frei zugänglichen Naturschönheiten gnadenlos monetarisiert. So ist es hier völlig normal, dass für den Besuch eines Strands, eines Wanderwegs, eines Parks oder eines Wasserfalls Eintritt verlangt wird. Wir reden hier nicht von symbolischen Eintrittspreisen oder einer kleinen CO2-Abgabe, sondern von 20 bis 60 Franken pro Person und Sehenswürdigkeit…

Marco hatte also Recht: Costa Rica ist wirklich sehr touristisch, amerikanisch und teuer. Yumi hat aber genauso Recht, dass sich ein Besuch lohnt, denn selbst die kostspieligen Abenteuer sind das Geld wert und es fliesst nicht primär in die Taschen irgendwelcher Privatunternehmen, sondern unterstützt vor allem die lokalen Naturschutzorganisationen. Und von der intakten Natur Costa Ricas profitieren wir vom ersten Tag an mehrfach: Einerseits kann man überall bedenkenlos Hahnenwasser trinken, andererseits begegnen wir täglich irgendwelchen exotischen Tieren. Das fängt schon in unserem Strandhotel an, wo wir uns zu Beginn eigentlich erst mal ein paar Tage von Bolivien erholen und uns ein wenig «abkapseln» wollen. Das gelingt uns weitestgehend gut, ausser gegenüber den tierischen Landesbewohnern. So begegnen wir gleich am ersten Abend vor unserer Zimmertür einem Waschbären, der gerade seine Runde dreht. Das Frühstück am nächsten Morgen verbringen wir zusammen mit mehreren katzengrossen Leguanen neben unseren Stühlen. Und beim Joggen begegnen wir unter einem Baum einer Ara-Papageienfamilie, wo jeder Vogel von Schnabel bis Schwanzfeder fast einen Meter misst! Selbst der hoteleigene Golfplatz, der uns per se überhaupt nicht interessiert, ist ein absolutes Muss, denn er beherbergt in den umliegenden Bäumen Faultiere, Affen, Tukane und Kolibris, die hier in der freien Natur leben, uns aber gefühlt in einen Zoo versetzen. Wobei wir uns fragen, wer hier eigentlich gerade wen besucht, z.B. als wir beim Mittagessen einen Kapuzineraffen sehen, der in aller Seelenruhe zum Buffet geht und eine Banane mitnimmt :-)

Nach dem schnellen Kennenlernen der Flora und Fauna kommen wir mit der Zeit immer mehr mit den «Ticos», also den Einwohnern Costa Ricas in Kontakt. Ursprünglich waren es die Nachbarländer Costa Ricas, die sie Ticos nannten, weil sie im Vergleich zu anderen mittelamerikanischen Bürgern verhältnismässig viele Diminutive verwenden, also z.B. statt «chico» (klein) «chiquitico» (winzig) sagen. Inzwischen nennen sich die Einwohner von Costa Rica selber Ticos, weil das viel einfacher ist als der korrekte Begriff «costarricenses». Apropos korrekt: Was uns von Beginn an ins Ohr sticht, ist die englische Art und Weise, wie die Ticos Wörter mit «r» oder «rr» aussprechen, also z.B. «correcto». Statt runde rote Rüebli zu rollen (wie alle anderen Latinos), sprechen sie das R oft mit einem amerikanischen Akzent aus, z.B. wie im englischen Wort «rainbow». Das geht so weit, dass sie sogar das R in «Costa Rica» nicht rollen und genau gleich wie die Amis aussprechen. Und aus einem schönen, spanischen, gerollten «correcto» wird dann eben ein schräg-amerikanisches «cowrecto» :-) Zuerst denken wir, dass es sich hierbei um ein peinliches Möchtegern-US-Gehabe handelt, da viele Ticos Englisch können, hellhäutig sind und vielleicht für zweisprachige Amerikaner gehalten werden möchten. Später lernen wir, dass wir völlig falsch liegen. Die Ticos praktizieren das Nicht-Rollen angeblich seit vielen Generationen, lange bevor die ersten Amis die Schönheit des Land entdeckten und in Scharen den Weg hierhin fanden. Es ist einfach eine regionale Sprach-Anomalie. Allerdings eine, die uns immer wieder zum Schmunzeln bringt und die wir zur besseren Integration gerne ab und zu nachmachen :-)

Ein anderer Sprachfehler ist bei frisch gebackenen Eltern in Costa Rica anzutreffen. Nämlich dann, wenn sie ihren Kindern einen Namen geben, den sie irgendwo aufgeschnappt oder selbst erfunden haben. So begegnen wir während unserer Reise unter anderem Gretchen, Wilman und Yerfrison. Selbst die Nachnamen haben Schenkelklopfer-Potential, z.B. heisst die erste Präsidentin des Landes Laura Chinchilla. Die mit Abstand sympathischste Sprach-Besonderheit in Costa Rica ist aber eine andere, nämlich die übermässige Verwendung des Ausdrucks «pura vida» (wörtlich: pures Leben). Pura vida wird hier verwendet für Hallo, Tschüss, OK, Danke, Bitte… und sogar als Antwort auf die Frage, wie es einem geht. Der Ausdruck steht für die positive Lebenseinstellung der Ticos, die bekannt für ihre Freundlichkeit und ihr Lebensmotto sind, dass man jeden Moment geniessen und wertschätzen soll. Die positiven und friedlichen Vibes der Einwohner sind tatsächlich ansteckend und sogar tief in der Geschichte des Landes verankert. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg entschied die damalige Landesregierung das Militär komplett abzuschaffen und die freiwerdenden Staatsgelder stattdessen in Bildungs- und Gesundheitsprogramme zu investieren. An diesem Entscheid wurde bis heute nicht gerüttelt, weshalb Costa Rica im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern Lateinamerikas eine stabile Wirtschaft aufbauen konnte und nie einen Bürgerkrieg oder eine Diktatur erlebte.

Aufgrund seiner Stabilität und politischen Neutralität wird Costa Rica auch als «die Schweiz Zentralamerikas» bezeichnet. Ein kurzer Faktencheck zeigt tatsächlich, dass Costa Rica keine statistischen Vergleiche mit der Schweiz scheuen muss. Von der Grösse und von der Einwohnerzahl her sind die Länder sowieso einigermassen vergleichbar (Costa Rica ist etwas grösser und hat etwas weniger Einwohner). Bei der einen oder anderen Statistik lässt Costa Rica die Schweiz sogar hinter sich: Zum Beispiel werden in Costa Rica 98% des Strombedarfs durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen abgedeckt (Schweiz: 69%) und fast ein Drittel der Landesfläche steht unter Naturschutz (Schweiz: weniger als 10%). Die Lebenserwartung liegt in beiden Ländern bei über 80 Jahren, aber Costa Rica kommt die seltene Ehre zuteil, dass hier eine von weltweit nur 5 «blue zones» liegt, also ein Gebiet, wo Menschen verbreitet über 100 Jahre alt werden (wie z.B. auch in Sardinien, Griechenland oder Japan). Was das lebensverlängernde Geheimnis der Ticos ist, wissen wir nicht, aber wir haben eine Vermutung: Sie lassen sich nicht stressen! Am besten kann man das beim Autofahren beobachten: Im ganzen Land bestehen die «Autobahnen» aus einspurigen Strassen, wo man maximal 80km/h fahren darf, aber meistens nur mit 50-60 km/h vorwärtskommt, weil die vollbeladenen Lastwagen nicht schneller fahren und sich alle Autos hintenanstellen müssen. So trotten die Ticos stundenlang gemütlich in ihrer Karawane und schlagen einfach bei der Routenberechnung von Google Maps jeweils 50% drauf, um pünktlich ans Ziel zu kommen :-) Der wahre Grund für die hohe Lebenserwartung liegt wohl einfach an der Ernährung der Ticos: Sie frühstücken wie Champions, indem sie täglich «Gallo Pinto» essen (Reis, Bohnen und Eier). Weil sowohl der Pazifik als auch der Atlantik nie weit weg sind, essen sie zudem am Mittag und Abend viel frischen und rohen Fisch. Generell ist alles, was ihre Wälder und Böden hergeben, ziemlich gesund, da Costa Rica seit Jahrzehnten erfolgreich auf Umweltschutz und Ökotourismus setzt.

Statt unser Leben in Costa Rica zu verlängern, riskieren wir es mehrmals zu verkürzen. Einerseits in der Disneyland-ähnlichen Abenteuergegend rund um den Vulkan «Arenal» im Norden des Landes. Ob River Rafting, Canyoning, Ziplining oder Bungee-Jumping: Hier kann man alles unternehmen, was das Herz eigentlich gar nicht so begehrt. Andererseits erleben wir unser grösstes Abenteuer unfreiwillig ganz woanders, nämlich in der Kaffeeregion von Turrialba. Bei der Autofahrt zu unserem Landgasthof, wo wir auf dem Weg zur Karibikküste eine kurze Nacht verbringen wollen, treffen wir eine fatale Entscheidung: Wir nehmen die von unserem Offline-Navigerät empfohlene Abkürzung und verlassen die asphaltierte Strasse 10km vor unserem Ziel. Es regnet und ist bereits ziemlich dunkel, als wir mit unserem Budget-Auto auf einer Schotterpiste bergab rollen, die immer steiniger und steiler wird. «Zum Glück müssen wir da nicht mehr zurück», spasst Marco, als wir zwischendurch noch einen Bach überqueren und fast stecken bleiben. 5km vor dem Ziel dann der Schock: Es geht nicht mehr weiter! Die «Strasse», oder das, was zu diesem Zeitpunkt noch von ihr übrig ist, endet hier bzw. ist durch eine Barrikade mit der Aufschrift «Kein Durchgang» versperrt. Na toll, wir sind gerade irgendwo im nirgendwo gelandet, es ist stockfinster und es gibt keine Häuser um uns herum. Immerhin hat Yumis Handy noch 10% Akku, aber das ist eigentlich egal, denn sie hat auf ihrem Prepaid-Abo sowieso nur noch Guthaben für einen einzigen Anruf. Umkehren ist nicht wirklich eine Option, da unser Auto nur Vorderradantrieb hat. Rettungskräfte zu alarmieren wäre etwas gar krass, da unsere Gastgeber uns ja vielleicht mit einem Offroader abholen und wir das Problem morgen bei Tageslicht lösen können. Also rufen wir doch am besten unseren Landgasthof an… wo war die Nummer nochmal? Ah ja, in der Bestätigungsmail… die wir nur mit Internet abrufen können, was wir aber nicht haben. Zum Glück finden wir in einem Reiseführer eine Telefonnummer von einem anderen Gasthof, den Yumi sogleich anruft, in der Hoffnung, dass uns die Frau am Hörer weiterhelfen kann. Kann sie aber nicht. Denn zum Entsetzen von Yumi versteht die gute Frau auch beim 3. Mal nicht, was bei uns gerade los ist und dass wir froh wären, wenn sie unseren Landgasthof kontaktieren könnte, bis plötzlich die Verbindung abbricht – unser Guthaben ist aufgebraucht. Es gibt also nur eins: Umkehren und zurück, notfalls auch ohne Auto. Es wird richtig ungemütlich, denn schon bei der ersten Steigung drehen die Vorderräder durch. Mit Not, Schwung, Dreck und Glück meistert unsere Klapperkiste den schwierigen Aufstieg irgendwie doch noch und nach über einer Stunde stehen wir wieder auf der asphaltierten Strasse, die wir am liebsten küssen würden :-) Als wir spätabends bei unserer Bleibe ankommen, versuchen wir unsere Gastgeber zu beruhigen, weil wir denken, dass sie sich bestimmt Sorgen gemacht haben wegen der Frau, die sich nach unserem Telefonat bei ihnen gemeldet hat. «Welche Frau?», fragen sie zurück, «bei uns hat sich niemand gemeldet. Aber schön, dass ihr doch noch gekommen seid – pura vida!»

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