You-Me and Marco Polo
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Peru

Veröffentlicht: 06.03.2019

Als wir noch in Kuba sind und unseren nächsten Flug buchen wollen, fassen wir den spontanen Entscheid, einen Zwischenstopp in Mexiko einzubauen, denn die Direktverbindungen von Kuba nach Peru sind sehr teuer. So verbringen wir eine gemütliche Woche auf der Yucatán-Halbinsel Mexikos und befassen uns dort erstmals mit der Feinplanung für Peru. Wobei die Grobplanung bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur aus zwei Elementen bestand: Erstens wussten wir, dass es in Peru genug zu sehen gibt, um einen ganzen Monat zu reisen (Machu Picchu und so). Zweitens wussten wir, dass in Südamerika dann Sommer ist, wenn in der Schweiz Winter ist, also von Dezember bis Februar. Wir haben deshalb einfach mal den ganzen Februar für Peru reserviert. Doch bereits nach den ersten 5 Minuten Lonely-Planet-Lektüre am mexikanischen Badestrand kommt unsere Feinplanung ins Stocken: Wir lesen, dass in Peru von Dezember bis März Regenzeit ist. Weiter steht, dass der berühmte Inka-Trail, also der Wanderweg zum Machu Picchu, aufgrund der starken Regenfälle jeweils den ganzen Februar geschlossen bleibt. Unser einziger Trost ist, dass immerhin 10% der peruanischen Landesfläche – ein schmaler Streifen entlang der Pazifikküste – jeweils von der Regenzeit ausgenommen ist.

So freuen wir uns immerhin auf unsere erste Woche in Peru, die wir in der warmen und trockenen Hauptstadt Lima an der Pazifikküste verbringen. Denn unsere Koffer sind seit Beginn unserer Weltreise zu 80% mit Shorts, kurzärmligen Oberteilen, Flip-Flops, Badehosen und Bikinis gepackt. Nach ein paar Tagen in Lima merken wir allerdings, dass wir die Badesachen getrost im Koffer lassen können, denn das Meer und der Himmel laden nicht zum Planschen im Pazifik ein: Der «Strand» ist eine Ansammlung von faustgrossen, grauen Steinen, während parallel dazu zwei vierspurige Schnellstrassen verlaufen. Kommt hinzu, dass der Himmel permanent hochnebelartig bewölkt ist. Als wir die Einheimischen auf dieses komische Wetter ansprechen, erfahren wir, dass der Himmel hier immer so weissgrau daherkommt und Lima deshalb auch «Die graue Stadt» genannt wird. Na toll. Paradoxerweise regnet es hier aber trotzdem praktisch nie, weil Lima im Prinzip auf einer Wüste am Meer gebaut wurde und nach Kairo die trockenste Hauptstadt der Welt ist. Wenigstens können wir so bedenkenlos den ganzen Tag in unseren Flip-Flops unterwegs sein und damit eine Woche lang die Stadt erkunden.

Schnell merken wir dabei, dass wir mit Flip-Flops nicht sehr weit kommen. Lima ist riesig. Die Stadt erstreckt sich von Norden nach Süden über 60 Kilometer und zählt rund 11 Millionen Einwohner. Um von unserer Wohnung ins historische Stadtzentrum zu gelangen, müssen wir knapp eine Stunde im Taxi fahren. Erst jetzt wird uns langsam die spektakuläre Lage Limas bewusst, denn ein Grossteil der Stadt ragt auf steil abfallenden Felsen über dem Meer, als wären wir hier am Rand der Welt angekommen. Dabei ist Lima alles andere als randständig: Kulinarisch gesehen ist es ein Feinschmecker-Mekka und der Food-Hotspot Südamerikas. Über Jahrzehnte entwickelte sich mit jeder Einwanderungswelle – vor allem mit den Chinesen, Japanern und Franzosen – eine einzigartige «Fusion»-Küche. Zu den Highlights gehören Gerichte wie «Ceviche» (roher Fisch mit Zitronensauce, Chili, Mais und Süsskartoffeln), «Lomo Saltado» (Rind- oder Alpacafleisch mit Gemüse im Wok) und «Causa Rellena» (Kartoffelpüree-Lasagne mit Avocado und Poulet). Am dritten Tag tragen wir darum statt Badekleider Kochschürzen und besuchen einen peruanischen Kochkurs, wo wir nicht nur leckere Gerichte zubereiten, sondern uns viel Insiderwissen über die peruanische Küche aneignen. Zum Beispiel, dass es in Peru über 4000 unterschiedliche Kartoffelarten gibt. Man könnte sich in Peru also 11 Jahre lang von Kartoffeln ernähren, selbst wenn man jeden Tag eine andere Kartoffelsorte essen würde :-) Und wir lernen, dass die Inkas im heutigen Peru vor über 600 Jahren eine Technik zum Gefriertrocknen von Kartoffeln entwickelten. Wir probieren natürlich auch diese spezielle Kartoffel und staunen nicht schlecht, dass sie zunächst weiss und leicht wie Styropor ist, bevor sie 1-2 Tage im Wasser aufgeweicht wird. Danach hat man eine grosse und schwere Kartoffel in der Hand bzw. im Magen. So konnten die Inka-Krieger problemlos Proviant für mehrere Monate auf Mann tragen, ihre Gegner «aushungern» und ein Gebiet erobern, das sich vom heutigen Kolumbien bis Chile und Argentinien erstreckte.

Wir müssen in Peru glücklicherweise nie hungern; zu breit, zu gut und zu günstig ist das kulinarische Angebot. Für ein leckeres und sättigendes Menü mit Vor- und Hauptspeise inkl. Getränk zahlt man 2-3 Franken. Auch sonst sind wir überrascht, wie günstig man hier unterwegs sein kann, denn auch Bustickets, Übernachtungen und Touren kosten sehr wenig. Kein Wunder ist das Land bei jungen Backpackern so beliebt. «On top» profitieren wir davon, dass wir mitten in der Nebensaison unterwegs sind. Die meisten Reisenden, die wir kennenlernen, sind Peruaner, Chilenen und Argentinier, die gerade ihre Sommerferien in Peru verbringen. Und das sind im Vergleich zur Hauptsaison, wenn zusätzlich alle Amis, Europäer und Asiaten nach Peru reisen, einige Millionen Touristen weniger. So ziemlich jeder Tagesausflug, den wir machen, kostet darum pro Person nur 10 Franken inkl. Transport. Egal ob River Rafting im reissenden Fluss oder Sandbuggy fahren und Sandboarden in der Wüste… 10 Stutz – nada más!

Bei unserer Reise von Lima ins Landesinnere bestaunen wir nicht nur das niedrige Preisniveau, sondern auch die Vielfältigkeit des Landes und kommen zum Schluss: «Peru has it all!» Meer, Wüste, Schneeberge, Vulkane, Ruinen, Kolonialstädte, Canyons, heisse Quellen, indigene Kulturen. Alleine vor lauter UNESCO-Welterben wird es uns hier halb schwindlig. Kommt hinzu, dass wir den Grossteil unserer Zeit auf mindestens 2000 und zeitweise auf über 5000 Meter verbringen. Da auf diesen Höhen das Thermometer gerne unter 10 Grad fällt und wir keine Winterkleider dabeihaben, hecken wir eine gewiefte Strategie aus: Wir suchen in Perus Bergstädten Unterkünfte bei Familien, die auf AirBnB besonders gastfreundliche Bewertungen haben. Unser Plan geht tatsächlich auf und wir werden in Arequipa vom ersten Tag an wie Familienmitglieder behandelt, liebevoll mit Winterjacken, Wollmützen, Handschuhen und Schals ausgerüstet und machen uns dick eingepackt auf dem Weg zu den zwei tiefsten Canyons der Welt, die doppelt so tief wie der Grand Canyon in den USA sind.

Die Canyon-Landschaft im peruanischen Colca-Tal ist selbst für schweizerische Massstäbe spektakulär und unglaublich abwechslungsreich. Wir wandern an kargen Steinfelsen, Kakteen, Agaven, üppigen Wäldern und Palmen vorbei, erleben an einem Tag vier Jahreszeiten und sind sogar von der Fauna beindruckt, als wir von Angesicht zu Angesicht an einem Condor vorbeimüssen (Flügelspannweite: 3 Meter), der gerade mitten auf unserem Wanderweg einen Eselkadaver verputzt. Unsere geliehene Winterausrüstung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir unsere zweitätige Wanderung denkbar unvorbereitet in Angriff genommen haben. So eignen sich Marcos Hallen-Turnschuhe nur bedingt für den 4-stündigen Abstieg von 3300 auf 2100 Meter, während Yumi den Wasservorrat für die gesamte Wanderung eher knapp kalkuliert hat (1 Liter pro Person für 8 Stunden). Verschärfend kommt hinzu, dass wir nach der Hälfte der Strecke entscheiden, eine Abkürzung zu nehmen, welche sich als Umweg herausstellt und erst noch vorbei an jeglicher Zivilisation führt. So treffen wir erst am Ende des Tages – nudelfertig und dehydriert – wieder auf einen anderen Menschen. Der lächelnde, indigene Mann weiss unsere Not zu schätzen und verkauft uns zwei sauteure Wasserflaschen, die wir im Nullkommanix austrinken. Dieser befriedigende Moment flasht uns dermassen, dass unsere Kopf-, Knie- und Wadenschmerzen auf einen Schlag weg sind, wir im Halbkoma im Tal übernachten und am nächsten Tag ohne Probleme (dafür mit 3 Liter Wasser im Gepäck) locker wieder auf 3300 Meter raufspazieren :-)

Auf dieser Höhe ist noch lange nicht Ende Gelände, denn wir ziehen kurz darauf weiter nach Cusco. Diese Stadt liegt auf über 3400 Meter über Meer und ist etwa gleich gross wie Zürich. Cusco war einst die Hauptstadt des Inka-Reiches und bedeutet auf Quechua (also in der Inka-Sprache, die heute zweite Amtssprache Perus ist) «Nabel der Welt». Hätten die Spanier bei ihrer Ankunft im 16. Jahrhundert nicht alle Häuser und Tempel platt gemacht und tonnenweise Goldverzierungen aus Cusco gestohlen, hätten wir die Namensgebung vielleicht noch nachvollziehen können. Leider konnten die Spanier aber nicht viel mit der Kultur und Religion der Inkas anfangen und benutzen die steinernen Überreste der zerstörten Stadt, um katholische Kirchen und Kolonialhäuser darüber zu bauen. Die Inkas, die inzwischen ausgestorben sind, konnten sich zwar nie für die Vernichtung ihres Reiches rächen, aber immerhin sorgte die Natur für ausgleichende Gerechtigkeit: Denn während die neuen Gebäude der Spanier bei Erdbeben immer wieder zusammenkrachten, blieben die Resten der Inka-Stätten dank ihrer cleveren Bauweise stehen. So auch die weltbekannten Inka-Ruinen von Machu Picchu, die von den Spaniern zum Glück nie entdeckt wurden. Erst ein amerikanischer Archäologe stiess 1911 auf diese kleine Inka-Stadt, die zu diesem Zeitpunkt zwar schon lange unbewohnt, aber immer noch zu 80% intakt war. So ist Machu Picchu heute – neben der Styropor-Kartoffel und der Quechua-Sprache – wohl das grösste Vermächtnis der Inkas in Peru.

Zwecks Akklimatisierung bleiben wir eine ganze Woche in Cusco und entwickeln dabei unsere eigenen Theorien, warum die Inkas ausgestorben sind und warum Machu Picchu nie von den Spaniern entdeckt wurde. Wir lesen zwar, dass viele Inkas an europäischen Krankheiten starben, sogar bevor überhaupt ein Spanier einen Fuss auf peruanisches Gebiet setzte. Das macht Sinn, denn zu jener Zeit konnten sich die neuen europäischen Krankheiten von der Nordküste Südamerikas aus schneller übertragen als sich die Spanier in den Anden ausbreiten konnten. Andererseits fängt man sich in der Kälte Cuscos sehr schnell eine fiese Grippe ein: So ist unsere AirBnB-Wohnung zwar topmodern ausgestattet (unser Gastgeber Antonio ist ja immerhin Architekt), aber eine Heizung oder gut isolierte Fenster suchen wir dort vergebens. Als Folge davon ist es in unserem Schlafzimmer gerade mal 15 Grad «warm», während im Badezimmer, wo die Fenster erst gar nicht geschlossen werden können, sogar 10 Grad herrschen. Während Antonio mit den Schultern zuckt und mit seiner Daunenjacke in der Wohnung herumläuft, ist für uns klar: Die armen Inkas sind hier in Cusco wahrscheinlich alle erfroren! Auf der Suche nach einer wärmeren Unterkunft und bei der Erkundung der Stadt stellen wir zudem fest, dass die Inka-Nachfahren unglaublich schlechte Wegbeschreiber sind. Wenn z.B. ein Peruaner sagt: «Da vorne geradeaus und dann rechts», kann das in Wahrheit bedeuten, dass man einen Kilometer geradeaus und bei der fünften Kreuzung rechts abbiegen muss. Wenn ein Einheimischer hingegen keinen blassen Schimmer hat, wo man hinwill, bekommt man umso präzisere Angaben: «Da vorne links um die Ecke, dann geradeaus, dann rechts und gleich wieder links nach halbrechts…» – Das bedeutet im Klartext: «Keine Ahnung wo du hinwillst, aber du konntest dir eh nicht alles merken, was ich dir gerade gesagt habe.» Einen plausibleren Grund, warum die Spanier Machu Picchu nie entdeckt haben, gibt es für uns nicht :-)

Unser netter Gastgeber Antonio überrascht uns übrigens nicht nur mit seiner kalten Wohnung, sondern auch mit seiner mageren Winterkleider-Spende: Wir können von ihm «nur» zwei dicke Winterjacken, eine Wollmütze und ein paar Handschuhe ausleihen (den Rest braucht er wahrscheinlich selber, um nicht in seiner Wohnung zu erfrieren). Also müssen wir doch noch einen Kleiderladen aufsuchen, um uns dort mit weiteren Handschuhen, einem Schal und einem Stirnband aus hochwertiger Alpaca-Wolle einzudecken. Die Investition von insgesamt – richtig geraten – 10 Franken hat sich aber mehr als gelohnt, denn damit wandern wir tags darauf auf über 5000 Meter über Meer, auf den sogenannten «Regenbogen-Berg». Dabei handelt es sich um eine der neusten (und gefährlichsten) Sehenswürdigkeiten, denn bis vor wenigen Jahren war der Berg meist schneebedeckt und weitestgehend unbekannt. Durch die Klimaerwärmung und die Schneeschmelze treten jetzt aber die darunterliegenden, spektakulären Farbverläufe aus rotem Eisenoxid, pinkem Mangan und gelbem Schwefel hervor und bilden eine surreale, farbige Berglandschaft. Im aktuellen Lonely Planet wird der Berg mit keinem Wort erwähnt, in den Touri-Büros in Cusco wird er aber überall und prominenter als Machu Picchu beworben. Bei der sauerstoffarmen Wanderung, die auf 4600 Metern beginnt, überholen wir zu unserem Erstaunen zahlreiche Peruaner, die offensichtlich Mühe auf dieser Höhe bekunden. Was allerdings noch erstaunlicher ist, ist die Tatsache, dass sie wenig bis gar nichts über die Gefahren der Höhenkrankheit wissen. Zu allem Übel befinden sich unter den peruanischen Ausflüglern auch zahlreiche Kinder, die von ihren verantwortungslosen Eltern auf die Wanderung mitgeschleppt werden. So treffen wir am Rande des Wanderwegs immer wieder auf Kinder, die weinen oder sich übergeben müssen. Kurz vor dem Ziel wird ein Kind sogar ohnmächtig und stürzt – zum Glück auf der Seite des Wanderwegs – den Berg hinunter, wo es anschliessend medizinisch versorgt und abtransportiert wird.

Diese Selbstüberschätzung bzw. «Alles-ist-möglich»-Einstellung der Peruaner hat vielleicht seine Wurzeln in einem jüngeren Ereignis der Geschichte. Vor 1,5 Jahren, in der Nacht vom 15.11.2017, geschah nämlich etwas Historisches: Die Erde bebte für einige Minuten – und ganz Peru freute sich darüber. Was ist passiert? Die peruanische Fussball-Nationalmannschaft hatte sich soeben erstmals seit 36 Jahren wieder für eine Fussball-WM qualifiziert. Einer unserer Gastväter, Tom, erzählt uns, dass ganz Peru diesen Abend angespannt vor dem Fernseher verbrachte. Das Hinspiel zwischen Neuseeland und Peru endete 0:0, das Rückspiel fand in Lima statt. Die ansonsten von Stau und Lärm geplagte Millionenmetropole glich einer Geisterstadt. Während der gesamten 90 Minuten standen alle Zuschauer im Stadion permanent auf ihren Sitzplätzen. Dann schiesst der Volksheld Jeferson Farfán das erlösende 1:0 und macht sich unsterblich. Während Tom für uns diesen unvergesslichen Abend Revue passieren lässt, bekommt er sofort wieder Gänsehaut und zeigt uns zahlreiche Youtube-Videos, die den Moment und den Geräuschpegel in Lima einfingen, als das 1:0 fiel :-) – hier zwei Kostproben: https://www.youtube.com/watch?v=VLZBjoIabiw / https://www.youtube.com/watch?v=8_R0cjHobiQ&t=389s

Unvergesslich sind auch unsere 4 Wochen in Peru, vor allem weil wir rückblickend betrachtet riesiges Wetterglück hatten und kaum verregnet wurden. Nach all den Bergen, Höhenmetern und Kleiderschichten haben wir aber wieder Lust auf Wärme, Meer und Badekleider – am besten in Kombination mit einem saftigen Steak und einem guten Glas Rotwein… Uruguay & Argentinien, wir kommen! :-)

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