Wir reisen, also sind wir
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Honduras: Valle de Angeles & Parque Nacional La Tigra

Veröffentlicht: 01.05.2018

In den Parque Nacional La Tigra fuhren wir eigentlich in der Hoffnung, einen Quetzal zu Gesicht zu bekommen. Der Quetzal ist der Nationalvogel von Guatemala, ein farbiger Vogel mit langen Schwanzfedern und ein sehr scheues Wesen. Es braucht viel Glück um einen zu sehen, und die Chancen dazu stünden in Honduras einiges besser als in Guatemala, hatten wir jedenfalls gelesen.

Also fuhren wir von Danli in das Dorf Valle de Angeles, welches in der Nähe des Parkeingangs liegt. Das Dorf liegt an einem Berghang und ist ziemlich ausgedehnt. Um unser «Hotel» zu finden, welches in einer abgelegenen Wohnsiedlung inmitten eines ziemlich steilen Waldstücks lag, brauchten wir jedenfalls eine Weile und es war auch gar nicht besonders spassig mit dem Auto auf den steilen und engen Waldwegen herumzukurven. Zu diesem Zeitpunkt bildeten wir uns sogar noch ein, wir würden mit diesem Auto am nächsten Tag zum Parkeingang fahren. Taten wir dann nicht. Gottseidank. Ernesto nämlich, unser Gastgeber, meinte, es wäre schon möglich mit diesem Auto dorthin zu gelangen. Es habe jetzt ja nicht geregnet. Es sei halt steil, rutschig und eng. Aber eben, es sei ja trocken. Jaja, das sollte schon gehen. - Das klang mir dann doch nicht so wahnsinnig überzeugend, und ich hatte auch keine Lust, auf halbem Weg festzustellen, dass die Karre nicht den Berg hochkommt, nur um dann Gott-weiss-wo umdrehen und wieder zurückfahren zu müssen. Also entschlossen wir uns, Ernesto mit seinem 4x4 anzuheuern, um uns am nächsten Tag zum Parkeingang zu fahren und später wieder abzuholen. Gottseidank. Wir kommen später nochmals darauf zurück.

Zunächst einmal lud uns Ernesto allerdings ein, mit ihm zu Abend zu essen. Dazu fuhren wir ins Dorf hinunter, um ein paar Dinge einzukaufen, und hatten so auch noch die Gelegenheit, einen abendlichen Spaziergang durch das süsse kleine Dörfchen Valle de Angeles unternehmen zu können.
Anschliessend kochten wir zusammen. Es gab Anafre, ein typisches Gericht aus Honduras, bei welchem es sich um ein Fondue aus Bohnenmus und Käse handelt und welches mit Nachos gegessen wird. Dafür wird ein spezielles Keramikgefäss verwendet. Wir hatten dies schon vorher gegessen und mochten es sehr. Eigentlich ist es eine Vorspeise, aber mit etwas Wurst, Pico de Gallo und ein paar Bierchen dazu wurden wir alle mehr als satt.

Beim Abendessen unterhielten wir uns über Gott und die Welt und Honduras. Ernesto ist in unserem Alter und er erzählte uns, dass er eigentlich Maschineningenieur sei, aber nicht mehr auf seinem Beruf arbeiten wolle. Er habe dieses (wirklich sehr grosse und sehr schöne) Haus gekauft und auf dem Grundstück 2 Bungalows selbst errichtet, die er an Gäste vermietet. Ausserdem unterhält er weitere Bungalows in den Bergen, die er ebenfalls selbst gebaut hat, wo er den Touristen in Zusammenarbeit mit einem Kollegen auch Paragliding anbietet. Er gesteht sogar ein, dass er dies alles schwarz macht. In Zentralamerika lebe man nach dem Motto «Lieber um Verzeihung bitten, als um Erlaubnis». Tatsächlich hatten wir dies schon ein paar Mal gehört.
Honduras ist ein wahnsinnig armes Land. Schon während der Kolonialzeit wurde das Land ausgebeutet, die Spanier holten sich das Silber, die Engländer Mahagoni und andere Hölzer. Im 20. Jh galt das Land als Bananenrepublik, da es zu dieser Zeit von grossen US-Amerikanischen Obstkonzernen dominiert wurde. Man stellte fest, dass die fruchtbaren Böden und das gute Klima das Obstwachstum begünstigten und beschleunigten. 3 grosse US-Unternehmen (ua. Die spätere Dole) erwarben günstig riesige Ländereien für den Obstanbau. 1913 machten Bananen 66% des Exportgeschäfts von Honduras aus. Dies verhalf den ausländischen Bananenunternehmen nebst grossem Reichtum auch zu extrem grosser Macht in Honduras, die Politik wurde von ihren Interessen beherrscht. Für die Honduraner fiel vom Reichtum durch die Bananen allerdings nicht viel ab. Auch die Arbeitsbedingungen waren schlecht, bis ein zweimonatiger Streik von 25'000 Bananenarbeitern im Jahre 1954 schliesslich für einige grosse Verbesserungen sorgte. Gewerkschaften wurden anerkannt und die Arbeiter erhielten Rechte, von denen man in den zentralamerikanischen Nachbarstaaten noch nicht einmal gehört hatte.
Heutzutage stammt der weitaus grösste Teil des inländischen Ertrages aus Geldern, die von ausgewanderten Hondureños aus den USA an ihre Familien in Honduras geschickt werden. Dies trifft allerdings nicht nur auf Honduras, sondern auch auf andere zentralamerikanische Länder, wie beispielsweise Salvador, zu. Auch heute noch sind die grossen Agrarplantagen in der Hand ausländischer Unternehmen, wenn auch heute nicht mehr Bananen das wichtigste landwirtschaftliche Erzeugnis sind, sondern Kaffee. Der Tourismus gewinnt als Wirtschaftszweig immer mehr an Bedeutung und gemäss Aussage von Ernesto offenbar auch das Geschäft mit Call-Centern, ähnlich wie in Indien. Obwohl Schritte zur Industrialisierung unternommen wurden, beherrschen US-Konzerne alle gewinnversprechenden Industrie- und Dienstleistungsbranchen, schaffen damit verhältnismässig aber nur wenige Arbeitsplätze für die Einheimischen im Vergleich zu den einheimischen Kleinbetrieben, die nur etwa 40% der Industrieproduktion erwirtschaften, aber fast zwei Drittel der Industriearbeiter beschäftigen.
Ernesto erzählt uns, aus seiner Sicht seien die Hauptgründe für die Missstände im Land Armut, schlechte Ausbildung und Angstmacherei. Die korrupte Regierung, die zudem unter der Fuchtel der USA steht, würde diese Faktoren noch eher fördern als bekämpfen, um die Macht im Land behalten zu können. Etwa 70% der Bevölkerung in Honduras sei arm. Der Mittelstand mache etwa 25% aus, 5% gelten als reich. Als Beispiel führt er die Monokultur an, die überall in der Landwirtschaft hier zu Problemen führt. Das Land wird immer wieder mit denselben Nutzpflanzen bebaut, bis schliesslich alle Nährstoffe aufgebraucht sind und das Land verödet. Wenn man seine Familie ernähren muss, pflanzt man eben das an, was am meisten Profit bringt, langfristiges Denken ist mit knurrendem Magen schwierig. Ausserdem sind die Leute zu schlecht ausgebildet, Konzepte wie 3-Felder-Wirtschaft sind nicht sehr verbreitet. Oder noch schlimmer, in der Hoffnung auf ein schnelles Einkommen verpachten die Leute ihr Land zu einem Spottpreis an grosse Konzerne, die dann rücksichtslos Monokultur betreiben, grosse Gewinne einsacken, und weiterziehen, wenn das Land ausgelaugt ist. Den Bauern, die ihr fruchtbares Land auf eine dieser Weisen verlieren, bleibt nichts anderes übrig als wegzuziehen und ihr Glück in der Stadt zu suchen. Da sie aber meist über keine Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügen, um dort einen anständigen Job zu finden, enden sie in den Armenvierteln am Stadtrand, wo Gewalt und Kriminalität vorherrschen. Und so wird das ein ewiger Teufelskreis aus Armut, Verderben und Kriminalität.
Ernesto sagt, auch hier in seinem Dorf werde es bald soweit sein. Hier werde vor allem Zuckerrohr angebaut, ebenfalls in Monokultur. Aber die Bauern wollen einfach nicht hören, wenn man ihnen Ratschläge erteilen will, oder sie können es nicht, weil sie sonst schlicht und ergreifend zu wenig zum Leben haben. In ein paar Jahren werde das Land hier ausgedorrt sein, meint Ernesto.
Er erklärt, dass er das Glück habe, zur Mittelschicht zu gehören. Und er sieht es als Verantwortung dieser Schicht an, die Probleme im Land anzugehen. Die armen Leute können die Probleme nicht angehen, sie sind zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt, und die Reichen leben in einer anderen Welt. Aber die Mittelschicht sei ausgebildet, habe Mittel und könne etwas aufbauen und Veränderungen herbeiführen. Das sei der Hauptgrund, warum er selbst nicht mehr angestellt sein und als Ingenieur arbeiten wolle. Lieber möchte er ein eigenes Geschäft aufbauen, selbst etwas aufziehen, damit er mit der Zeit auch Arbeitsplätze schaffen und seinen Mitmenschen helfen kann.
Er erzählt, es sei ein übliches Bild in Honduras, dass Leute, die zu Geld kommen, nach und nach in ihren schönen Häusern hinter dicken Mauern und Stacheldraht verschwinden und sich abschotten, weil sie Angst bekommen vor Neidern. Man müsse etwas weitergeben von seinem eigenen Erfolg, sonst werde es nie besser für alle.

Es erstaunt mich, mit welcher Nüchternheit und Objektivität Ernesto über die Situation reflektiert. Es ist hart, wenn man das Elend kommen sieht und mit offenen Augen hineinrennen muss, einfach weil einem die Möglichkeit fehlt, etwas daran zu ändern. Armut, Ungebildetheit und Angst sind schlechte Voraussetzungen in der Entwicklung eines Landes und es ist schwierig einen solchen Teufelskreis zu durchbrechen. Aber mir gefällt seine proaktive Einstellung sehr und seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, etwas zu bewegen und von seinem Erfolg etwas weiterzugeben. Ich denke auch, dass Solidarität ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist, auch in der Schweiz ist das Solidaritätsprinzip eine wichtige Basis für den Wohlstand Aller. Obwohl ich dann gleichzeitig etwas Mühe habe mit der Tatsache, dass er bisher alles schwarz abwickelt. Gerade die Steuern sind es ja, die für das Wohle aller bestimmt sind bzw. es zumindest sein sollten. Allerdings muss ich zustimmen, dass es in solchen korrupten Ländern irgendwie verständlich ist, dass die Leute versuchen am Fiskus vorbei zu wirtschaften, da das hart verdiente Geld der Leute immer wieder spurlos verschwindet, statt dafür eingesetzt zu werden, ihre Lebensumstände zu verbessern.

Vor lauter Quatschen war es spät geworden, das büssten wir dann am nächsten Tag, als wir uns auf den Weg zum Nationalpark machten. Wie gesagt, fuhr uns Ernesto zum Besucherzentrum und wie gesagt: Gottseidank. Der Weg war tatsächlich steil, eng und rutschig. Schon als Beifahrer im 4x4 bekam ich halbe Schweissausbrüche, ich mochte mir gar nicht vorstellen hier selber hinaufzufahren, und schon gar nicht mit der Kiste von Mietwagen! Und bei meinem Glück wäre mir mit Sicherheit noch einer entgegengekommen, keine Ahnung was man dann tut, zum Ausweichen gibt’s keinen Platz, genauso wenig wie zum Wenden. Die ganze Strecke rückwärts wieder hinunterfahren?! Gott bewahre! Aber Ernesto hatte Glück, niemand kam uns entgegen, und so kamen wir schliesslich beim Besucherzentrum an.
Der Ort wo sich das Besucherzentrum befindet, San Juancito, war früher eine Hochburg des Silberabbaus. In der Blütezeit der Stadt wurde sogar die US-Amerikanische Botschaft hierher verlegt, das Gebäude steht noch immer. Man stelle sich das vor, diese Botschaft lag wirklich am absoluten A*** der Welt und damals gab es noch keine richtigen Strassen hier, geschweige denn Autos mit 4x4-Antrieb. Heutzutage ist die Glanzzeit vorbei, die Silberminen wurden stillgelegt, der Ort verkam zu einer Geisterstadt.

Besucherzentrum ist eigentlich auch übertrieben, es handelt sich einfach um ein Wohnhaus in den Bergen, wo eine Familie lebt, die das Eintrittsgeld für den Nationalpark einkassiert und «Wanderkarten» austeilt (also eine Karte, die eine grosse grüne Fläche mit einer roten Linie und einigen Beschriftungen zeigt, ohne jeglichen Anspruch auf Details, Genauigkeit, Orientierungs-, Distanz- oder Höhenangaben oder ähnlichem). Im Reiseführer stand ausserdem, man solle hier einen Guide engagieren, da es im Wald gelegentlich zu Überfällen komme. Aber da war nirgends ein Guide, den man hätte anheuern können und die gute Frau, die das Geld von uns kassierte, meinte, das sei auch gar nicht nötig, es sei ganz leicht zu finden, schliesslich hätte man ja diese wahrlich raffinierte Wanderkarte zur Verfügung. Nun ja, wenigstens hatten wir in weiser Voraussicht auch gar nicht viel Wertvolles mitgenommen, ausser dem Feldstecher, da wir ja Vögel beobachten wollten, und einem Handy, um Fotos zu machen.
Wir machten mit Ernesto eine Zeit ab, wann er uns wieder abholen soll und schon wanderten wir los, Jörg und ich. Es war ein sehr angenehmer Wanderweg durch dichten Urwald, der grösste Teil war recht flach. Was für eine Wohltat nach der ständigen Vulkankletterei! Wir wanderten gemächlich etwa 2h zu einem grossen Wasserfall, der allerdings nicht besonders imposant war, besonders, da momentan ja Trockenzeit herrscht. Unterwegs stellten wir fest, dass wir schlichtweg nicht für die Vogelbeobachterei gemacht sind, jedenfalls nicht ohne Guide, der uns hilft. Wir sind wohl einfach zu laut und haben zu wenig Geduld für sowas. Und so gaben wir unseren Wunsch einen Quetzal zu sichten auch relativ bald auf und marschierten zum Besucherzentrum zurück. Obwohl unser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen war, war es ganz nett, durch den frischen und kühlen Wald zu wandern.

Am gleichen Abend mussten wir noch zurück nach Tegucigalpa zurückfahren, da wir das Mietauto zurückgeben mussten, und so verabschiedeten wir uns bald von Ernesto und machten uns auf den Weg.

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