Veröffentlicht: 29.04.2019
Von Calafate fuhren wir erstmal nach Rio Gallegos, wo wir frühmorgens nochmals etwa 3-4 Stunden auf den Anschlussbus warten mussten. Sehr uncool. Im Busterminal trafen wir noch auf ein älteres CH-Päärchen, so dass wir uns wenigstens während des Gesprächs noch die Zeit etwas vertreiben konnten. Unglücklicherweise gabs am Terminal keinerlei Infrastruktur, man konnte nicht mal einen Kaffee trinken oder frühstücken.
Aber auch als der Bus kam, wurde es nicht angenehmer, im Gegenteil. Zunächst einmal gibt es hier unten keine Cama-Klasse mehr. Das heisst wir mussten uns jetzt zur Abwechslung auch mal wieder in die Semi-Cama-Klasse quetschen. Für einige Stunden geht das ja jeweils noch, aber es war eine lange Fahrt von Rio Gallegos nach Ushuaia. Hinzu kam, dass man ständig wieder aus dem Bus aus- und wieder einsteigen musste. Um nach Ushuaia zu gelangen, muss man nämlich ein kurzes Stück durch Chile fahren, und dazu muss man sämtliche Grenzformalitäten erledigen. Also Ausreise Argentinien – Einreise Chile – Ausreise Chile – Einreise Argentinien. Lustigerweise bekamen wir da den letzten uns noch fehlenden Stempel im Pass, den Chilenischen. Nachdem wir ja bereits schon einmal an der Grenze zu Chile waren, nämlich während der Uyuni-Tour. Aber auch diesmal würden wir, zumindest vorerst, nicht in Chile bleiben. Zwischen den Grenzübergängen mussten wir auch noch die atlantische Seite der Magellanstrasse überqueren. Brücken gibts hier nicht, Fähre heisst das Zauberwort. Im Hafen mussten wir dann alle aus dem Bus aussteigen und zu Fuss das Boot besteigen, um von der Punta Delgada nach Feuerland überzusetzen. Anschliessend wieder rein in den Bus und weiter ging die Fahrt. Insgesamt 18h waren wir unterwegs von El Calafate nach Ushuaia und es war definitiv eine der anstrengendsten Fahrten der gesamten Reise. Entsprechend schnappten wir in Ushuaia das erstbeste Taxi zum Hotel und machten den Rest des Tages bzw. Abends gar nichts mehr.
Am ersten Tag schliefen wir erstmal aus und besuchten Nachmittags das Museo Maritimo und Museo del Presidio. Das Museum ist im alten Gefängnis untergebracht und handelt zu einem grossen Teil von der Geschichte Ushuayas, die eng mit diesem Gefängnis verknüpft ist. Ushuaya wurde nämlich als Sträflingskolonie errichtet, um die Verbrecher aus dem Norden Argentiniens loszuwerden und weit abseits von der Gesellschaft unterzubringen. Die ersten hier ansässigen Sträflinge wurden 1906 aus einem anderen Gefängnis hierher verlegt und mussten zuerst einmal ihr eigenes Gefängnis selber bauen. Auch Militärgefangene und politische Gefangene wurden mit der Zeit dort festgehalten. Im Museum wird der harte Gefängnissalltag beschrieben. Schon die Anreise wahr brutal, die Häftlinge wurden an Armen und Beinen mit Eisen gefesselt, so dass sie sich kaum bewegen konnten und mussten so während der 4-wöchigen Reise unter Deck ausharren. Im Gefängnis mussten die Häftlinge arbeiten. Viele arbeiteten in den Wäldern als Holzfäller. Jeden Tag, auch im Winter, legten die Gefangenen und ihre Wärter 12km zwischen dem Gefängnis und dem Wald zurück. Häftlinge mit guter Führung war es später erlaubt, über Nacht in einem Camp im Wald zu bleiben, um ihnen den täglichen Marsch zu ersparen und dafür die Zeit für die Arbeit zu nutzen. So gewannen sie auch etwas mehr Freiheit. Bald wurden kleine Eisenbahnlinien gebaut, um das Holz aus dem Wald ins Dorf zu transportieren. Das Gefängnis hatte einen Bedarf von 30 Kubikmeter Feuerholz pro Tag!
Dabei war Arbeit ausserhalb des Gefängnisses an der frischen Luft und an der Sonne bereits ein Privileg, welches nur jenen zu Teil wurde, die sich benahmen. Die Häftline wurden den ganzen Tag von bewaffneten Wärtern umzingelt und überwacht.
Die Behandlung im Gefängnis war hart, Häftlinge mit besonders harter Strafe war es nicht einmal erlaubt zu lesen, Briefe zu erhalten, zu Rauchen oder Mate zu trinken. Sie erhielten auch nur die Hälfte der Tagesration zum Essen. Nicht-Gehorsam wurde hart bestraft, Isolationshaft wurde angeordnet, die Zelle durfte nicht mehr verlassen werden, das Essen wurde auf Wasser und Brot reduziert. Für leichte Vergehen gab es andere Strafen, wie beispielsweise stundenlanges draussen stehen, evtl. Mit ausgestreckten Armen oder Arbeiten in Fesseln. Für gutes Verhalten gab es hingegen auch Belohnungen.
Sämtliche Kommunikation wurde streng überwacht, die Häftlinge durften nur an Verwandte schreiben, die auf einer Liste standen. Zeitungen gab es ab und zu von den ankommenden Schiffen mit zweimonatiger Verspätung. Siedler aus dem inzwischen entstandenen Dorf sympathisierten manchmal mit Häftlingen, die im Ort arbeiteten, gaben ihnen Zeitungen oder versandten heimlich Briefe.
Das Gefängnis war niemals von einer Mauer umringt, es gab nur einen Metallzaun. Man ging davon aus, dass es unmöglich war, aus den Zellen zu fliehen, auch einen Tunnel durch den Steinboden zu graben war unmöglich. Und auch wenn, wo wollten die Flüchtlinge denn hin in dieser unwirtlichen Gegend? Tatsächlich gab es einige Ausbruchsversuche, aber die meisten wurden nach einigen wenigen Tagen wiedergefunden. Nur wenige wurden nie wieder gesehen.
Lange Zeit gab es kein Spital und keine medizinische Versorgung. Dies betraf nicht nur die Häftlinge sondern auch die Siedler im Dorf. Schwerkranke mussten von Navy-Schiffen auf den Kontinent gebracht werden, die aber nur etwa alle 2 Monate ankamen. Die meisten Kranken starben dann auf der langen Reise. Irgendwann gab es einen Arzt und eine Krankenschwester, die sich in einem Gefängnisflügel niederliessen. Erst 1943 wurde ein Krankenhaus eingerichtet, welches sowohl für die Häftlinge, die Gefängnismitarbeiter und die Siedler im Dorf zur Verfügung stand.
Viele Häftlinge begingen Selbstmord oder starben an Krankheiten wie Tuberkulose. Gab es in den ersten Jahren des Bestehens des Gefängnisses nur wenige Tote, wurden es im Laufe der Zeit immer mehr. In den 30er-Jahren wurden 1-2 Särge pro Woche durch die Siedlung auf den Friedhof getragen.
Man kann im Museum noch immer einen Flügel besichtigen, welcher im Original Gefängnis-zustand belassen worden ist.
Im zweiten Teil der Ausstellung ging es um berühmte Schiffsexpeditionen, die Entdeckung von Feuerland und Expeditionen in die Antarktis. Die jeweiligen Schiffe wurden vorgestellt, die Expeditionen beschrieben und die Widrigkeiten, mit denen die Crews zu kämpfen hatten.
Beispielsweise geht es um Ferdinand Magellan, der am 21. Oktober 1520 die nach ihm benannte Seestrasse entdeckte. Noch heute heisst die chilenische Provinz auf Feuerland „Magellanes“. Er war es auch, der dem pazifischen Ozean seinen Namen gab, nachdem er die Magellanstrasse durchquert hatte, und auf der anderen Seite eine friedliche See entdeckt hatte. Ebenso benannte er Feuerland, aufgrund der Rauchschwaden, die er sah, die von Feuern der Indigenen Bevölkerung herrührten. Magellan war mit 5 Schiffen und 266 Männern auf diese Expedition gestartet. Nur ein Schiff mit 17 Männern kehrte am 6. Dezember 1522 nach Spanien zurück.
Oder aber die Geschichte vom berühmten Piraten Sir Francis Drake, nachem die Drake-Passage zwischen Feuerland und der Antarktis benannt ist, eine der rauesten Seestrassen der Welt, genauso wie ihr Namensgeber.
Auch die Geschichten der vielen Schiffswracks, die um Feuerland anzutreffen sind, werden erzählt.
Ein Teil des Museum befasst sich ausserdem mit den Yamanas, den hier heimischen Eingeborenen. Nach Ankunft der Europäer starben die Yamanas beinahe ganz aus, weil sie sich nicht an die europäische Lebensweise gewöhnen konnten. Die Ernährung, eingeschleppte Krankheiten, die Ausbeutung der Ressourcen und der Kampf um Ländereien trugen dazu bei. Die Indigenas litten besonders an den Masern, die Kranheit reduzierte die indigene Bevölkerung bis ins Jahr 1884 um die Hälfte. Während es im Reservat im Jahr 1884 noch 1000 Yamanas gab, waren es 1925 nur noch 45. Die Yamanas waren Wassernomaden, lebten also grösstenteils auf ihren Kanus. Sie trugen keine Kleider. Um sich vor Kälte zu schützen, rieben sie sich mit Wal- und Seelöwenfett ein, wobei diese Tiere auch den Hauptbestandteil ihrer Ernährung bildeten. Die Neuankömmlinge brachten den Eingeborenen Kleidung mit, aber dies war keinesfalls ein Vorteil. Zum einen trugen die Kleider schon Krankheitskeime mit sich, zum anderen trockneten die Kleider trockneten langsamer, als die nackte Haut. Ausserdem wurden sie schmutzig, vorher hielt Regen und das Wasser die Menschen auf natürliche Weise sauber. Dadurch breiteten sich Krankheiten noch schneller aus. Auch wurden die Menschen zu einer sesshaften Lebensweise gedrängt, wodruch die unhygienischen Zustände weiter zunahmen, da die Yamanas sich dies einfach nicht gewohnt waren. Obwohl die Yamanas mehrheitlich auf Kanus lebten, konnten die Männer kurioserweise nicht schwimmen, da es nämlich Aufgabe der Frauen war, ins Wasser zu springen, um Fische zu fangen. Im Zuge der Besiedelung durch weisse Siedler wurden die Yamana anfang des 20. Jh fast vollständig ausgerottet, genauso wie die 3 anderen Eingeborenenstämme Feuerlands. Während die Bevölkerung im Jahr 1834 noch ca. 3000 Menschen betrug, waren es 100 Jahre später nur noch 50. In Europa bekannt wurden 4 Yamana, die im Zuge einer Expedition nach England verschleppt wurden, um sie dort zu bekehren und zu unterrichten, mit dem Ziel, dass sie anschliessend zu ihrem Stamm zurückkehren und das westliche Gedankengut an ihre Angehörigen weitergeben.
In einem weiteren Teil des Museum geht es um die Stadtentwicklung Ushuaias, um den Bau der Schule durch die Gefangenen und um architektonische Besonderheiten, wie beispielsweise die runden Dachfenster, die die alten Gebäude aufweisen. Auf einigen Luftfotografien kann man die Ausdehnung der Stadt über die Jahrzehnte beobachten, das war wirklich sehr eindrücklich.
Ein ziemlich makabrer Teil des Museums beschäftigt sich mich Gefängnissen aus aller Welt, darunter auch das KZ in Ausschitz und diverse Gefängnisse in den USA, wo noch immer die Todesstrafe vollzogen wird.
Ausserdem geht es noch um ansässige Pinguinarten, die Ausbeutung von Geothermie und den Konflikt um die Falklandinseln.
Das Museum ist ein richtiges Allerweltsmuseum wo alle möglichen Themen ziemlich unstrukturiert und ungeordnet behandelt werden. Es ist ausserdem nicht besonders interaktiv gestaltet, hauptsächlich gibt es Text und einige Bilder, sehr wenige Ausstellungsstücke. Trotzdem eignet es sich gut, um sich einen verregneten Nachmittag zu vertreiben. Genaugenommen reicht ein Nachmittag bei weitem nicht aus, um sich durch die bunt zusammengewürfelten Themen zu arbeiten.
Für den nächsten Tag hatten wir geplant, den Nationalpark Tierra del Fuego zu besuchen. Am nächsten Morgen stellten wir fest: es regnete noch immer in Strömen. Ausserdem war es arschkalt, es herrschten Minusgrade. Davon liessen wir uns aber nicht abhalten (schliesslich hatten wir auch die Tickets für den Touristenbus gekauft). Ausserdem waren wir für solche Unterfangen ja ausgerüstet. Also mummten wir uns in unsere Winter- und Regensachen ein und machten uns auf den Weg. Beim ersten Halt des Buses an der Poststelle „Fin del Mundo“ stiegen wir aus. Bei der Poststelle handelt es sich um einen klapprigen Holzverschlag auf einem Bootssteg mit einem kleinen Kohleofen und einem „Postschalter“, der von einem kauzigen alten Kerl bedient wird. Ushuaia gilt als die südlichste Stadt der Welt, obwohl sie das ganz genau genommen gar nicht ist. Genaugenommen wäre es nämlich Puerto Williams in Chile, aber dort hinzukommen ist ziemlich mühsam. Das war uns auch egal, denn wir hatten hier immerhin was zu feiern. Und zwar war es fast genau 14 Monate her, dass wir unsere Reise gen Süden in Cancun Mexiko gestartet hatten. In 14 Monaten waren wir also von Mexiko zum Ende der Welt gereist. (Natürlich an dieser Stelle nicht zu vergessen ist unsere wunderbare erste Etappe in Kuba und Kolumbien, die nicht Teil dieser 14 Monate war). Zur Feier des Tages und zur Erinnerung an diesen monumentalen Moment sendeten wir eine vollkommen überteuerte Postkarte (wir hatten leider nicht dran gedacht, eine Karte mitzubringen, und mussten uns dann dort eine kaufen) an uns selber von der Poststelle am Ende der Welt. Und wer zierte die Karte? Niemand geringerer als unser treuer Freund und Weggefährte, el Comandante Che Guevara. Alternativ hätte man auch noch Evita haben können.
Ursprünglich hatten wir geplant gehabt, erstmal von der Poststelle entlang der Küste zum Besucherzentrum zu wandern. Angesichts der Tatsache, dass dieser Weg gute 3-4h in Anspruch genommen hätten, entschieden wir uns allerdings dafür, eine Stunde in der warmen Poststelle auszuharren und auf den nächsten Bus zu warten. Gesagt, getan, und so schnappten wir den nächsten Bus zur Endstation in der Bahia Lapataia. Von dort marschierten wir dann zurück zum Besucherzentrum in immer noch strömendem Regen und immer noch Eiseskälte. Unterwegs gab es entsprechend absolut nichts zu sehen, nicht einmal Ratten verlassen bei solchem Sauwetter ihren Bau. Diese Aktion wird definitiv abgehakt unter der Kategorie „Dinge, die man beim Reisen tut, die man zuhause niemals freiwillig tun würde“. Unterwegs kamen wir bei einem Biberdamm vorbei, wo es keine Biber gab, und bei einer schwarzen Lagune, die überhaupt nicht schwarz war. Eine interessante Randnotiz zum Thema Biber: Die Tiere wurden hier angesiedelt, um aus ihnen Bibermützen herzustellen. Leider brach die Nachfrage nach solchen Mützen komplett ein und seither sind die Tiere eine enorme Plage für die hiesige Fauna. Insbesondere für den Lenga-Baum, der so langsam wächst, dass er Jahrhunderte braucht, um so gross zu werden, wie die Bäume in Feuerland anzutreffen sind. Und dann kommt ein Biber daher, und macht die Arbeit von Jahrhunderten in wenigen Minuten zunichte, indem er die Bäume fällt. Und so schnell, wie die Biber zu Werke gehen, können sich die Bäume nicht erholen. Durch die Biberdämme werden ausserdem grosse Gebiete komplett überschwemmt.
Nach Stunden des absolut lustlosen Wanderns hauptsächlich entlang der Strasse (und vorbei an einem Camping-Platz wo tatsächlich einige Hirnrissige am zelten waren) kamen wir dann endlich beim Besucherzentrum an, und hatten endgültig die Schnauze voll. Dies müsste genügen, wir würden keinen weiteren Schritt mehr tun. Während wir auf unseren Retour-Bus warteten, kamen wir ins Gespräch mit 2 Franzosen, die mit ihren Velos von Kanada nach Ushuaia über 30'000 km gereist waren. Ebenfalls eine sehr eindrückliche Begegnung. Um nichts in der Welt würde ich mir sowas je antun wollen. Aber Respekt. Da ihnen inzwischen das Geld ausgegangen war, schenkten wir Ihnen den Rest unseres Wegproviants, worüber sie sich sehr freuten.
Als wir endlich wieder zurück in der Stadt waren, schauten wir uns noch ein wenig in der ziemlich modernen Stadt und am Hafen, mit den grossen Schiffen, um. Von den schneebedeckten Bergen, die Ushuaia umgeben, konnte man wegen des Nebels leider nicht sehr viel sehen.
Reisende besuchen Ushuaia hauptsächlich, um von hier aus ein Kreuzfahrtschiff in die Antarktis zu besteigen. Ursprünglich hatten wir das ja auch mal geplant, genaugenommen sollte es eines der grössten Highlights der Reise werden. Unterwegs entschieden wir uns dann irgendwann mal um, zugunsten einer Verlängerung der Reise um 6 Monate. Denn tatsächlich das kann man tun, mit dem Gegenwert einer solchen Kreuzfahrt: 6 Monate reisen. So teuer ist der Spass nämlich. Aber 3 Wochen nach Argentinien fliegen, um eine Kreuzfahrt zu machen, kann man schliesslich immer mal tun. Den Job kündigen, die Wohnung aufgeben, das Auto verkaufen, um 6 Monate zu reisen, das tut man allerdings nicht alle Tage. Von daher waren wir nicht traurig, dass wir dieses Mal keine Kreuzfahrt in die Antarktis antraten. Was auch bedeutet, dass wir sicher irgendwann nochmals hierher zurückkehren werden, ans Ende der Welt. Hoffentlich bei besserem Wetter.
Und damit schliessen wir unsere Zeit in Argentinien ab. Argentinien war für uns in der Hinsicht ein wenig langweilig, dass es sehr europäisch wirkt. Indigene Kultur wie beispielsweise in Bolivien oder Peru gibt es hier nicht mehr. In Buenos Aires hat man gut und gerne das Gefühl in einer europäischen Metropole zu sein. Abgesehen von Buenos Aires muss man Argentinien keinesfalls wegen der Städte besuchen, die geben nämlich absolut nichts her. Auch Museumsliebhaber müssen hier darben, die Museen sind allergrösstenteils fürchterlich. Aber das Land hat einige ganz grosse Highlights auf dem Kontinent zu bieten. Neben Iguazu wären da die viel-bereisten Destinationen in Patagonien, wo natürlich entsprechend auch jeder Knochen hin will. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: der allergrösste Teil von Patagonien ist langweilig, abgesehen von der grossen Weite mit weit und breit nichts. Aber die touristischen Spots haben es in sich. Man sollte sich daher von den Besuchermassen nicht abschrecken lassen, denn es gibt wirklich zauberhafte Ecken, auch wenn man dort halt nicht alleine ist.
Viele Latinos anderer Länder haben uns gesagt, dass die Argentinier arrogant seien. Und tatsächlich hat man diesen Eindruck ein wenig, besonders in Buenos Aires. Bei genauerer Betrachtung ist es allerdings weder Arroganz noch Unfreundlichkeit, eher eine Kühle und Unnahbarkeit, die man ja auch in Europa den skandinavischen Ländern nachsagt. Man wird als Ausländer nicht gerade überschwänglich willkommen geheissen, aber man ist überall akzeptiert und wird zumeist auch respektvoll behandelt.
Der Tourismus ist weit entwickelt im Land, es gibt auch viele einheimische Touristen, besonders in der Hochsaison im Januar und Februar. Entsprechend ist es dann auch überall etwas teurer, was aber besonders für Patagonien gilt. Dafür darf man auf etwas Englisch hoffen, wenn man der spanischen Sprache nicht mächtig ist. Aber auch für spanisch-sprechende ist Argentinien zu Anfang eine Herausforderung, bis man sich an den starken Dialekt, besonders in und um BA, gewöhnt hat. Doppel-L = sch, dies ist das auffälligste Merkmal.
Es ist ausserdem ziemlich sicher im Land, was man definitiv auch an den Teils riesigen und pompösen Overlander-Karrossen festmachen kann, die von Touristen aus Europa hierher verschifft werden, und durch das ganze Land kreuzen. Von kleinen alten Hippie-VW-Bussen über Toyota Landcruiser bis hin zu riesigen umgebauten Lastwagen, die alle Schikanen bieten, ist hier alles dabei. Nervenkitzel kann man in dieser Hinsicht also nicht erwarten, besonders abenteuerlich ist eine Reise durch Argentinien dank der guten Infrastruktur, der Sicherheit und des Überflusses an Produkten und Gütern unserer Meinung nach nicht.
Man muss sich auf jeden Fall auf sehr lange Fahrten gefasst machen, wenn man das ganze Land bereisen will. Und Richtung Süden nimmt die Busqualität definitiv ab, Cama-Klasse gibt es kaum mehr und nur noch 1-2 Firmen bedienen diese Strecken, so dass man auch von den angebotenen Abfahrtszeiten sehr eingeschränkt ist, und teilweise länger voraus buchen muss. Wie schon einmal erwähnt, werden überall die Argentinischen Busse gelobt. Das muss man ganz klar dementieren. Ausser man steht auf einen trockenen Keks und einen lauwarmen Tee zum Frühstück und das für den mehr als doppelten Preis als anderswo. Andere Länder haben in Sachen Busreisen definitiv mehr zu bieten, siehe dazu mein Exkurs über Busfahren in Südamerika im Kapital Ciudad del Este in Paraguay.
Momentan ist eine Argentinienreise für Europäer vergleichsweise günstig, dies aufgrund des ständig schwächeren Argentinischen Peso im Verleich zum Dollar. Gut für die Reisenden, schlecht für die Bevölkerung, die unter der starken Inflation sehr zu leiden hat. Mit der vorherrschenden Kreditmentalität wird sich das aber auch nicht wirklich schnell bessern.
Alles in allem hat es uns hier gefallen. Ungefähr 9 Wochen haben wir in Argentinien verbracht. Wenn meine Zählung stimmt, sind wir unglaubliche 8x in Argentinien eingereist, was es mit Abstand zum meist-bereisten Land der ganzen Reise macht. Besonders aufregend war unsere Zeit hier nicht, aber hinsichtlich Flora und Fauna hat das Land viel zu bieten, es gibt traumhaft schöne Gegenden und ist besonders für Naturliebhaber und Wander-Fanatiker (und Overland-cruiser mit ihren fahrenden Heimen) definitiv zu empfehlen. Nos gustó.