Veröffentlicht: 29.04.2019
Die Busfahrt von Bariloche nach El Chalten war die absolut Längste unserer ganzen bisherigen Reise, sie dauerte 22h! Die Distanzen in diesem Land sind wirklich absolut unglaublich. Bei einer 6h-Fahrt meinen die Einheimischen, es sei nur ein kurzer Weg. Aha. Hier rechnet man Distanzen definitiv in anderen Grössenordnungen als bei uns, wo man schon nur stöhnt beim Gedanken an eine 2h-Zugfahrt. Allerdings hat man es hier, zumindest bei entsprechender finanzieller Investition, auch einiges komfortabler als in einem 1.Klasse-SBB-Zug.
Um noch einmal auf ein früher bereits erwähntes Thema zurückzukommen: dies war sie also, unsere längste Fahrt auf der legendären Ruta 40! Und man muss sagen: zum Glück waren wir den grössten Teil davon am Pennen. Viele Leute haben uns ja vorgeschwärmt, von Patagonien, der wunderbaren Landschaft, der unendlichen Weite. Tatsächlich ist es weit hier, nämlich weit und breit nichts. Grösstenteils ist es flach und braun mit einigen grünen Büscheln. Mittendurch führt eine schnurgerade Strasse, und beidseits der Strasse gibts Zäune. Was daran spektakulär sein soll, ist mir schleierhaft. Das Interessanteste an der ganzen Sache sind definitiv die Guanakos und Nandus, die häufig entlang der Strasse, oder auch auf derselben anzutreffen sind. Manchmal hängen sie auch tot im Zaun, das ist dann weniger schön. Tatsächlich bietet Patagonien einige wirklich schöne Ecken, nämlich insbesondere diejenigen, die hier in unserem Blog erwähnt sind, und sämtliche Touris tummeln sich entlang dieses Gringo-Trails. Es gibt halt auch Gründe, weshalb sich alle Gringos an denselben Orten versammeln. Ansonsten gibt es nichts in Patagonien und die unbeschreibliche, endlose Weite hat man definitiv nach 5 Minuten gesehen.
Da wir übrigens schon mal beim Thema Guanakos sind, hier noch einige interessante Informationen zu diesen Tieren. Die Guanakos leben in Herden von mehreren Weibchen mit einem Alpha-Männchen. Wie bei vielen Tieren üblich, wird das Alpha-Männchen immer wieder von jüngeren Männern zum Kampf herausgefordert, um dessen Stellung in der Herde zu übernehmen. Interessanterweise läuft dieser Kampf so ab, dass die Konkurrenten versuchen, sich gegenseitig in die Hoden zu beissen, um sich gegenseitig zu kastrieren. Ziemlich raue Kerlchen. Kastrierte Männchen werden vom Alpha-Männchen nachher häufig in der Herde geduldet, da sie in Sachen Vermehrung mit den Weibchen keine Bedrohung mehr darstellen, und die Herde unterstützen können, indem sie beispielsweise Stellung als Wachtposten auf Hügeln beziehen können. Übrigens ist dieses Verhalten auch bei Vikuñas üblich.
Wir fuhren also nach Chalten, weil wir den Fitz Roy sehen wollten, eines der bekanntesten Bergmassive des ganzen Kontinents. Um den Berg zu sehen, braucht es allerdings Glück, da er die allermeiste Zeit wolkenverhangen ist. Die Region ist ausserdem ein beliebtes Wanderrevier. Wir hatten eigentlich keine grosse Lust zu wandern und wir hatten auch keine Lust tagelang in Chalten auf gutes Wetter zu warten, eigentlich wollten wir nur den verdammten Berg sehen, also entschieden wir uns, ein Hotel für eine Nacht zu buchen, unser Glück zu versuchen, und dann wieder abzuhauen.
Und wir hatten tatsächlich Glück: als wir frühmorgens kurz vor El Chalten im Bus erwachten, und die Vorhänge öffneten (wir hatten Plätze in der vordersten Reihe im oberen Stock) tauchte er direkt vor uns auf. Die Sonne schien, ein paar wenige Wolken gab es zwar, aber wir sahen ihn klar und deutlich: Fitz Roy. Da dieses Ziel also schon mal abgehakt war, hätten wir eigentlich auch gleich den nächsten Bus weiter nehmen können. Aber wir hatten das Hotel ja schon vorausgebucht und da wir nun schon mal hier waren, und wir im übrigen so früh morgens unser Zimmer auch noch gar nicht beziehen konnten (abgesehen von der Tatsache so früh morgens überhaupt schon wach zu sein), dachten wir uns, wir könnten die Gunst der Stunde (bzw. Des schönen Wetters) ja nutzen und die kurze 3km Wanderung zum Mirador in Angriff nehmen, den Jörg in der Karte gefunden hatte.
Obwohl wir nach der nicht enden wollenden Busfahrt ziemlich kaputt waren, zogen wir uns also schnell um und machten uns auf den Weg Richtung Mirador. Alle Welt war schon unterwegs und wir trafen unzählige Wanderer entlang des Weges an. Wir beeilten uns ein wenig, immer in der Angst, dass demnächst Wolken aufziehen würden, und die ganze Mühe umsonst gewesen wäre. Schliesslich gehören wir nicht unbedingt zu den Wanderern, die aus lauter Freude an der Sache wandern. Wenn wir schon die Mühe auf uns nehmen, wollen wir dann auch was tolles sehen!
Als wir beim Mirador ankamen, war der Himmel zwar tatsächlich etwas bewölkt aber wir hatten noch immer beste Sicht auf das Bergmassiv. Und die Aussicht war wirklich spektakulär. In aller Ruhe machten wir erstmal ein kleines Picknick, da wir ja noch gar nicht gefrühstückt hatten.
Als wir damit fertig waren, war es erst 11 Uhr. In Anbetracht der Tatsache, dass wir für den Rest des Tages keine weiteren Pläne hatten, und dass unzählige Wanderer hochmotiviert auf dem Wanderweg weiterzogen, dachten wir, es könnte ja nicht schaden, noch ein wenig weiterzugehen. Der Wanderweg „zum Fitz Roy“ war auf den Wegweisern mit 10km angegeben. Wir waren nicht ambitioniert, die ganze Strecke zurück zu legen, schliesslich hatten wir ja immernoch die Busfahrt in den Knochen, aber wir könnten ja jederzeit umkehren, wenn wir keine Lust mehr hatten.
Nachdem die ersten 3km zum Aussichtspunkt stetig bergauf gegangen waren, waren die nächsten 5 km relativ gemütlich, da es mehrheitlich eben war. Sehr gut. Wir gingen immer weiter und erreichten bei Kilometer 8 einen Campingplatz. Hier war dann angegeben, dass das restliche 2km-Stück sehr steil sei, etwa 500m Höhenunterschied. Aber genaugenommen war es gar nicht nötig, auf das Schild zu schauen, denn man konnte auch so schon gut erkennen, dass es nun weniger gemütlich weitergehen würde. Schon von weitem hatte Jörg auf einen schmalen Pfad, der in engem Zickzack einen steilen Hang hinauf führte, gezeigt und gemeint, das sei wohl der Wanderweg. Ich wollte ihm damals nicht glauben. Aber er hatte recht gehabt. Das war tatsächlich der Wanderweg.
Inzwischen hatte uns aber der Ehrgeiz gepackt, jetzt waren wir schon soweit gekommen, schon so nah dran, an was auch immer uns dort oben erwarten würde. Denn wir hatten ja keine Ahnung, wir hatten uns kein bisschen erkundigt, sondern waren einfach mal der Herde und ein paar verlotterten Wegweisern nachgelaufen. Aber die Herde lief weiter, wacker bergauf, also konnten wir schlichtweg auch nicht mehr umkehren. Mein Stolz hätte es nicht zugegeben. Spätestens etwa 1km und 250 Höhenmeter weiter, hätte ich meinen Stolz am liebsten vom Berg runter gekickt. Was für eine Plackerei. Das letzte Stück hatte es wirklich in sich, ich kann gar nicht beschreiben, wie mühsam es war, aber ich kannte während des Aufstiegs jedenfalls nur 2 Zustände: 1. komplett atemlos und kurz vor dem Herzinfarkt, 2. stehend, hechelnd und dabei vor mich hinfluchend. Ich hoffe, das reicht als Beschreibung. Nein, es war absolut nicht spassig. Es half auch absolut nichts, dass alle Wanderer, die schon auf dem Rückweg waren, sagten es sei nicht mehr weit und man hätte es fast geschafft. Falta poco. Diesen Satz hatte ich auf dieser Reise schon unzählige Male gehört, und meist in absolut derselben Situation.
Als wir dann endlich auf dem Berg ankamen.....traf mich fast der Schlag. Denn wir waren noch nicht am Ziel. Es ging nochmal einen weiteren Hang hinauf, den man von unten allerdings nicht gesehen hatte. Das war doch wirklich nicht zu glauben! Aber wir gaben nicht auf und schleppten uns immer weiter, bis wir dann endlich wirklich auf dem Berg ankamen, von wo es zum Glück auch nicht mehr weiter ging.
Vor uns lag der kleine See „Laguna de los Tres“, und gleich dahinter das Fitz Roy Massiv. Wir waren so nah dran! Das Panorama war wirklich absolut atemberaubend. Und als ob das Schicksal uns für unsere Mühe belohnen wollte, geschah das Unglaubliche: kurz nachdem wir ankamen, klarte es auf und ungefähr eine Stunde lang war der Himmel strahlend blau. Kein Wölkchen war mehr zu sehen. Ok, das war wirklich, wirklich cool! Aber schaut selbst auf den Fotos. Man kann die Sache nicht würdig beschreiben.
Nachdem wir die Reste unseres Frühstücks verputzt, die Aussicht genossen und eine Million Fotos gemacht hatten, machten wir uns dann wieder an den Abstieg, inzwischen kamen nämlich auch schon die Wolken wieder zurück. Es war wirklich, als ob für uns ein Vorhang geöffnet worden wäre, nur ganz kurz, im absolut perfekten Moment.
Der Abstieg gestaltete sich ebenfalls als ziemlich anstrengend, vor allem angesichts des losen Untergrunds, auf dem man wahnsinnig aufpassen musste, nicht auszurutschen und den steilen Hang hinunter zu segeln. Ich war erleichtert, als wir endlich wieder auf der Ebene ankamen, allerdings auch ziemlich müde und reichlich unmotiviert, schliesslich standen uns noch immer 8km Rückweg bevor. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, dass sich der gute Jörg, der Navigator in unserem Team, unterwegs noch verlaufen würde, was uns zusätzliche 2km einbrachte! Freude herrscht! Aber ich verzieh ihm schnell, als er sich plötzlich umschaute und meinte, da sei ein Tier im Gebüsch. Und tatsächlich, da war ein Hirsch im Gebüsch. Und er trat sogar heraus, ganz nah bei uns, und frass Blätter von den Bäumen. Er sah uns, und die mittlerweile hinzugekommenen Wanderer, zwar leicht misstrauisch an, während er die Blätter abzupfte zerkaute, aber er haute nicht ab. Erst einige Tage später lasen wir vom Huemul, dem in Patagonien heimischen Hirsch, der allerdings sehr schüchtern und wahnsinnig schwer zu erspähen sei. Aber es musste so einer gewesen sein, ein Huemul. Zum zweiten Mal wahnsinniges Glück am selben Tag, wer glaubt denn sowas.
Es dauerte ewig, bis wir wieder beim Mirador, dann beim Eingang des Wanderwegs und schliesslich endlich, endlich zurück beim Hotel waren. Wir waren komplett hinüber. Inzwischen war es 21 Uhr abends geworden! Wenn mir einer gesagt hätte, dass ich nach einer 22h-Busfahrt spontan noch einen 13h- bzw. 22km-Fussmarsch hinlegen würde, ich hätte ihn laut ausgelacht. Aber ich habe. Wir haben. Wir waren ganz schön stolz auf diese Leistung!
Nachdem wir im Hotel angekommen waren, schälten wir die schmerzenden Füsse aus den Schuhen, assen etwas kleines und waren etwa 0.3 Sekunden später tief und fest eingeschlafen.
Man kann in der Gegend noch einige weitere Wanderwege begehen, aber wir hatten nach der Plackerei definitiv erst mal wieder für eine Weile genug des Wanderns. Schliesslich hatten wir ja gesehen, weswegen wir hergekommen waren. Und so hauten wir am nächsten Tag bei erster Gelegenheit und mit übelstem Muskelkater ab nach El Calafate.