Veröffentlicht: 28.06.2020
Seit guten zwei Wochen leben wir nun schon bei Andres und Anke. Nach wie vor genießen wir das Privileg auf einer winzigen Karibikinsel zu wohnen und statten der Unterwasserwelt tägliche Besuche ab. Doch auch mit den Einheimischen und deren Lebensweise kommen wir vermehrt in Kontakt.
Andres und der Nachbarsjunge Rafa halten uns auf trapp. An der Tagesordnung stehen Gesellschaftsspiele, Fußball, Schnorcheln, Angeln und nicht zu vergessen natürlich auch die täglichen Unterrichtseinheiten.
Aus dem Meer auf den Teller: Die Jungs haben uns schon beigebracht, wie man eine PET-Flasche zum Angeln nutzt, Fische fängt, putzt und letztlich köstlich zubereitet. In der Küche unserer Nachbarin haben wir gelernt, Baleadas zuzubereiten. Die mit Bohnenpampe, Ei, Frischkäse, Fleisch und Avocado gefüllten Teigfladen sind in ganz Honduras der absolute Renner.
Als „Andres neue Babysitter“ wurden wir schnell bekannt, was auf einer Insel in Briefmarkengröße zugegebenermaßen kein Kunststück ist. Durch die Kinder und Ankes Naturschutzprojekte haben wir inzwischen auch Freundschaften mit den Lehrern geschlossen, welche großes Interesse an unserer Reise zeigen. An Thanksgiving wurden wir in eine der winzigen Kirchen eingeladen, das Fest bei Gesang und Speisen im kleinen Kreis der Inselbewohner zu feiern.
Nachdem wir schon seit langer Zeit mit dem Gedanken gespielt haben Tauchscheine zu machen, bot sich hier und jetzt die perfekte Gelegenheit.
Anke zeigte sich äußerst flexibel als wir von unserem Vorhaben erzählten. So unterstützte sie uns nicht nur bei der Theorie, sondern gab uns auch die passenden Tage frei damit wir für die Tauchgänge zur Tauchschule nach Utila fahren konnten.
Dana wurde in der Grundausbildung, dem "Open Water Diver" darauf ausgebildet, nur mit einem Tauchbuddy tauchen gehen zu können. Ebenso wie die Theorie waren fünf Übungstauchgänge auf bis zu 18 Meter tiefe zu absolvieren. Primär ging es dabei um die Funktion und Handhabung des Equipments, dem situativ angemessenen Verhalten, der Kommunikation unter Wasser und der Freude an den neuen Eindrücken.
Bereits als Open Water Diver zertifiziert meldete sich Julian für den weiterführenden "Advanced Open Water Diver" an. Dieser beinhaltet die theoretische und praktische Spezialisierung in den fünf Themengebieten Tieftauchen, Navigation, Wracktauchen, perfekte Tarierung und Nachttauchen.
Beim Tieftauchgang ging es bis 30 Meter unter die Meeresoberfläche. In dieser Tiefe erreicht nur noch ein geringer Teil des Lichts den Meeresgrund, sodass dieser seiner prächtigen Farben beraubt ist - eine Welt aus Dunkelblau und Grautönen.
Allein für den Aufstieg ohne wichtige Sicherheitstopps würde man aus dieser Tiefe über zwei Minuten brauchen.
Am Meeresgrund vor Utila in ebenfalls fast 30 Metern Tiefe schlummert das vierstöckige Schiffswrack der Halliburton, ein Hochhaus unter Wasser. Doch ist die Geschichte des Frachtschiffs nicht tragisch: Wie eine Vielzahl der Tauchwracks dieser Welt wurde es präpariert und absichtlich präzise versenkt - ein mächtiger Anblick!
Aufgrund trüber Sichtverhältnisse war das gigantische Schiff nie gänzlich sichtbar, was den Tauchgang noch aufregender machte. In Spiralen wanden wir uns um das Wrack, durchtauchten den Bauch sowie die kleine Kommandobrücke, vorbei am Steuerrad des Schiffs.
Am faszinierendsten war jedoch der Nachttauchgang. Dana begleitete uns, um das Geschehen vom Boot aus zu verfolgen. Während die Sonne im Meer versank richteten wir das Equipment. Nach kurzem Briefing rollten wir rücklings ins Meer und ließen die Luft aus unseren Jacken. Das bereits schwarze Wasser verschluckte uns innerhalb von Sekunden.
Als wir in Richtung des Moon Holes, einer runden, vom Korallenriff umgebenen, Sandfläche absinken, muss ich an die Mondlandung denken. Fast schwerelos bewegen wir uns mit filigranen Bewegungen durch die Finsternis. Wir wissen nicht was uns umgibt, nur die Lichtkegel der Taschenlampen tasten sich wie neugierige Finger Stück für Stück durch die Dunkelheit. Man hat das Gefühl jeden Moment irgendwo anstoßen zu können. Die Sinne sind eingeschränkt und doch geschärft. Die Stille wird nur von der Luft gebrochen, die rauschend durch den Atemregler strömt und den Luftbläschen, die sich ihren Weg an die Wasseroberfläche bahnen.
Kleine Fische tanzen im Taschenlampenschein, im nächsten Moment schnappt ein größerer Fisch, aus der Finsternis kommend, nach der erleuchteten Beute. Andere Fische sieht man ganz ruhig in ihren Verstecken schlafen.
Wie winzige Rubine blitzen die Augen der nachtaktiven Schalentiere wie Shrimps, Lobster und Krabben im Taschenlampenschein leuchtend rot auf. Der Meeresgrund scheint von Hunderten dieser funkelnden Edelsteine gesäumt zu sein, irgendwie magisch. Quallen schweben schwerelos durch die Dunkelheit, man sieht wie kleine Blitze ihren Körper durchwandern. Wir setzen uns vorsichtig in den Sand und dunkeln unsere Taschenlampen ab. Unsere Sinne brauchen einen kurzen Moment um sich an die totale Finsternis zu gewöhnen, Zeit für ein Experiment: Durch kräftige Bewegungen unserer Arme stimulieren wir mikroskopisch kleine Algen, welche daraufhin in Neofarben aufleuchten. Nur nachts kann man Zeuge dieses einzigartigen, durch Biolumineszenz erzeugten, Unterwasserfeuerwerks werden.
Als wir nach einer dreiviertel Stunde wieder an die Oberfläche gelangen, ist alles still, der Mond scheint, das Boot wiegt sich sachte in den Wellen. Dana kommt an die Bordwand, sie hatte die Lichtkegel unserer Lampen aus der Tiefe immer wieder aufleuchten sehen. "Und? Wie wars?" - "Das muss man erlebt haben," lautet mein erstes Fazit.
Obwohl die Meere zwei Drittel der Oberfläche unseres Planeten ausmachen bleibt die Unterwasserwelt vielen Menschen verborgen. Beim Tauchen betritt man eine faszinierende Welt, voller Leben und mit eigenen Gesetzen.
Man begibt sich auf eine Safari, auf der man mit etwas Glück großen Meeresbewohnern begegnet. Jedoch entwickelt man auch schnell eine Faszination für kleine und gar winzige Lebensformen wie Korallen und deren Rolle im Ökosystem - es gibt so viel zu entdecken! Gerade als wir nach drei Wochen am selben Riff dachten, alles gesehen zu haben, begegneten wir neuen Arten, Farben und Formen.
Es scheint, als könnte man der Schwerkraft für die Dauer des Tauchgangs entfliehen. Man bewegt sich schwerelos in allen drei Dimensionen, mehrere Saltos und Schrauben sowie kopfüber zu schweben wird plötzlich möglich. Eine Bewegungsfreiheit fast so, als würde man fliegen.
Bei all dem Vergnügen wurde uns jedoch auch immer wieder vor Augen geführt, dass der Ozean nicht unser natürlicher Lebensraum ist und wir Menschen hier besonders verwundbar und im Zweifelsfall immer unterlegen sein werden. Wir haben gelernt wie wichtig es ist, sich seiner Rolle als Gast bewusst zu sein und die natürlichen Grenzen, die der Ozean birgt, zu respektieren.
Nachdem wir all diese Abenteuer hinter uns gebracht hatten, nahmen wir stolz wie Oskar unsere Tauchscheine entgegen. Von nun an dürfen wir überall auf der Welt als Divebuddies gemeinsam tauchen gehen. Schon am nächsten Tag machten wir uns auf, um die Meerestiefen, Seite an Seite, zu erkunden.
Wenn Ventilatoren am Meeresgrund liegen, Tütenfetzen wie Quallen durch das Wasser schweben und Flipflops an der Schnorchel Maske vorbeitreiben, muss man kein Meeresbiologe sein… um diesen Satz zu beenden.
Die voranschreitende Korallenbleiche sowie die zunehmende Vermüllung der Ozeane richten sowohl über, als auch unter der Meeresoberfläche, erhebliche Schäden an und offenbaren, wie fragil dieser paradiesische Lebensraum ist.
Spätestens seit bekannt ist, dass das Plastik nicht nur Landschaften und Lebensräume zerstört, sondern längst unsere Nahrungsketten infiltriert hat, muss von einer globalen Bedrohung die Rede sein. Natürlich sind die Informationen um diese traurige Realität nichts Neues, es am eigenen Leibe zu erfahren jedoch schon.
Dabei ist Honduras kein Einzelfall, das Müllproblem begleitet uns schon durch ganz Zentralamerika. Bequemlichkeit und eine „aus den Augen aus dem Sinn – Mentalität“ führen dazu, dass der Müll häufig achtlos in die Landschaft oder den Ozean geworfen wird. Viel von dem Müll, der am Meeresgrund und rund um die Inseln treibt, haben die Inselbewohner selbst zu verantworten. An stark betroffenen Küstenabschnitten konnten wir beim Müllsammeln wählerisch sein, da wir trotz großer Säcke längst nicht alles mitnehmen konnten.
Doch es gibt Hoffnung; Hoffnung in Form von Menschen wie Anke, die sich für den Schutz der Meere und letztlich auch des Lebensraum der Inselbewohner stark macht.
Mit dem Projekt „environmental hero“ ist die Deutsche um einem Sinneswandel bemüht. Für aus dem Meer geholte Plastikflaschen bekommen die Kinder Punkte, mit welchen sie Prämien erwerben können. Jeden Samstagmorgen werden die gesammelten Flaschen in der kleinen Inselschule gezählt und auf ein Boot verladen, erst nach getaner Arbeit geben die Lehrer den heiß begehrten Fußball frei.
Auch auf Utila selbst laufen ähnliche Projekte zur Aufklärung und Sensibilisierung der lokalen Bevölkerung, besonders die jüngeren Generationen sollen mit einem neuen Bewusstsein aufwachsen.
Bei der Verarbeitung des eigenen Plastikmülls versucht man sich hier an kreativen Lösungen. Beispielsweise wird der Beton, aus dem die Straßen gemacht werden, mit aufbereitetem Plastik angereichert. Auch wird dünnes Verpackungsplastik gereinigt und in PET-Flaschen gepresst, bis daraus solide „Plastikbricks“ entstehen, welche wiederum als Baustoff verwendet werden.
Natürlich sind das nur Teilerfolge und angesichts dessen, dass zu jeder Sekunde Unmengen an Müll in die Ozeane gelangen und mit jeder Welle neues Plastik an die Insel gespült wird, nur der bekannte Tropfen auf den heißen Stein. Jedoch machen die Inselbewohner erfolgreich auf sich aufmerksam, sodass auch auf lokalpolitischer Ebene der Stein ins Rollen gekommen ist: Seit August 2019 ist der Verkauf und Erwerb von Styropor, Strohalmen und Plastiktüten auf Utila und den umliegenden Inseln verboten. Damit gehört man zu den ersten Regionen der Welt, die solche Gesetze implementiert haben.
Auch Regierungsvertreter vom Festland zeigen Interesse und betrachten Utila gleichermaßen als Pilotenprojekt und Vorbild.
Um noch ein paar besonders schöne Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit zu schaffen, hat sich Anke für den letzten Tag unseres Aufenthalts freigenommen.
So durften wir sie und Andres bei einem ehrenamtlichen Projekt begleiten, welches Tauchflaschen erforderte und uns erneut unter die Meeresoberfläche brachte: Um dem Korallensterben entgegenzuwirken, wurde am Meeresgrund vor dem Resort, für das Anke auf Utila arbeitet, ein Aufzuchtstation für Korallen angelegt.
Damit diese jungen, an Schnüren und Metallgittern befestigten, Korallenstücke gut wachsen, bedarf es regelmäßiger Pflege.
Mit Draht- und Zahnbürsten ausgestattet tauchten wir ab, um Koralle für Koralle von Algen zu befreien. Vor ein paar Jahren habe ich mal einen Bericht über ein vergleichbares Projekt in Jamaika gesehen, doch hätte nie zu träumen gewagt, das selbst mal erleben zu dürfen…
Nach 40 Minuten waren alle Korallen geputzt und die Tanks noch gut gefüllt, sodass Anke uns das Riff noch genauer zeigen konnte
Nachdem wir wieder aufgetaucht waren, durften wir noch für ein paar Stunden in dem luxuriösen Resort verbringen, ehe wir mit Boot weiter nach Water Cay fuhren.
Dort, zwischen den Palmen im weißen Sand, entfachten wir ein kleines Feuer um den frisch gefangenen Tuna zu grillen. Die Hängematten wiegen hin und her, die leichte Brise lässt die Palmenblätter rascheln. Jemand stellt perplex fest, dass heute der erste Advent ist. Wir greifen zu den Schnorchelmasken und lassen uns treiben, selbst Hund Suki kommt mit uns ins Meer – so lebt es sich als Rottweiler in der Karibik.
Bevor die letzte Nacht auf den Cays und somit der Abschied von Andres und Anke bevorsteht, führen uns die beiden nach Anbruch der Dunkelheit noch zum „Nachtschnorcheln“ aus. Leuchtend rote Meeresschnecken, Schrimps, Kalmare und eine giftgrüne Muräne – auch in dieser Nacht spielt sich ein farbenfrohes Theater in den Lichtkegeln unserer Taschenlampen ab.
Schweren Herzens packen wir in dieser Nacht unsere Rucksäcke. Unsere Zeit auf den Utila Cays war unglaublich, mehr Meer geht nicht! Letztlich bleibt nur zu sagen, dass das einzig Schlechte an unserer Zeit mit Anke und Andres war, dass sie nach drei Wochen zu Ende ging.
Die Weiterreise fühlte sich ein bisschen wie das Erwachen aus einem dreiwöchigem Traum an. Der Himmel hatte den ganzen Tag geweint als unsere Fähre mit dem letzten Tageslicht das Festland erreichen. Haben wir noch alle Wertsachen am Körper? Wie kommen wir sicher und zeitgleich günstig von A nach B? Wo finden wir noch einen Happen zu essen? Wo werden wir die Nacht verbringen? - Spätestens als wir in den Schlafsaal eines heruntergekommenen Hostels in La Ceiba einchecken, holt uns der Backpacker Alltag wieder ein.
Fernab von allem Trubel hatten wir bei Anke und Andres ein unbeschwertes Leben geführt, doch jetzt, back on the road, galt es wieder äußerst wachsam und vorsichtig zu sein. Wie wertvoll das Gefühl der Sicherheit ist merkt man erst, wenn es nichtmehr da ist.
Innerhalb nur eines Tages mit öffentlichen Verkehrsmitteln von der Karibikküste Honduras‘ bis nach Nicaragua zu kommen, gilt auch in den wenig frequentierten Backpacker-Foren als sportliche Leistung. Um jedoch nicht in einer der berüchtigten Großstädte San Pedro Sula oder Tegucigalpa zu stranden, nahmen wir eine kurze Nacht in Kauf und brachen bereits um drei Uhr morgens wieder auf. Wenn alles nach Plan laufen sollte, würden wir die nächste Nacht in Nicaragua verbringen.
Wir sehen uns auf der anderen Seite der Grenze, bis dann!
Saludos
D&J