Wir reisen, also sind wir
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Bolivien: La Paz

Veröffentlicht: 07.11.2018

Da Bolivien eines der günstigsten Länder von Südamerika ist, hatten wir geplant, in La Paz einen 2-wöchigen Sprachkurs zu machen, um unsere Spanischkenntnisse etwas zu vertiefen. Leider ist das Angebot nicht sehr gross, und daher war es gar nicht so einfach, kurzfristig eine passende Schule zu finden, die verfügbare Lehrer hatte. Letztendlich gelang es uns, im Instituto Exclusivo zumindest Kurse für 7 Tage zu buchen. In umittelbarer Nähe der Schule fanden wir ausserdem ein Hotel, welches Studios mit 2 Zimmern, Mikrowelle und Kühlschrank anbot, und da wir für 10 Nächte blieben, konnten wir auch noch den Preis etwas runterhandeln. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit waren wir also wieder einmal länger an einem Ort und hatten sogar noch so etwas ähnliches wie eine eigene Wohnung zur Verfügung. Das haben wir zur Abwechslung wirklich sehr genossen. Etwas unglücklich war, dass die zuvor schon lose Türfalle inkl. des ganzen Mechanismus unseres Schlafzimmers eines Abends herausfiel, so dass wir mitten in der Nacht im Schlafzimmer eingesperrt festsassen. Trotz mehrmaligem Versuch, die angeblich 24-Stunden Rezeption anzurufen, konnten wir niemanden erreichen und es gab auch kein Fenster in dem Zimmer. Auch unser Hämmern gegen die Tür und Rufen blieb ungehört. Wir hatten nicht mal Wasser im Zimmer, und natürlich war auch das Klo ausserhalb. Irgendwann beschlich uns Panik und Jörg schlug kurzerhand die Tür ein. Interessanterweise wurde das ohrenbetäubende Poltern eher von anderen Hotelgästen gehört, die kamen, um zu reklamieren, als von den Angestellten des Hotels. Soviel also zu 24-Stunden-Rezeption. Tags darauf kam es dann zum Gespräch mit dem Hotelinhaber, der sich tatsächlich einbildete, dass wir die Hälfte einer neuen Tür bezahlen würden. Ja genau, soweit kommts noch!


Die Zeit in der Schule war sehr interessant und intensiv, meine Lehrerin Sonja hat in den 28 Lektionen sämtliche mir fehlenden Verb-Zeiten mit mir durchgepaukt.
Aber es blieb auch Zeit, um etwas über die bolivianische Kultur zu sprechen, und sie erzählte mir eine interessante Geschichte, nach der kürzlich der Präsident bzw. das Militär offenbar die Regierungsmedaille verloren hatte, da man sich die Wartezeit auf einen verspäteten Flug im Rotlichtbezirk vertreiben wollte, und man die Medaille währenddessen kurzerhand im schlecht gesicherten Fahrzeug in einem Rucksack auf dem Parkplatz liess. Einige Peruaner brachen anschliessend offenbar das Auto auf und klauten den Rucksack, gaben die Medaille dann aber später wieder zurück, nachdem die Sache öffentlich wurde und sämtliche Landesgrenzen gesperrt worden waren. Typisch für Bolivien sei, meinte meine Lehrerin, dass man die ganze Sache mit dem Bordell einfach mit einem derart technischen, hochtrabenden Begriff bezeichnet habe, den der grösste Teil der bolivianischen Bevölkerung gar nicht verstand, auch sie selbst habe den Begriff zuerst im Internet nachschlagen müssen.


La Paz ist eine faszinierende und sehr lebendige Metropole, besonders von oben gesehen ist die riesige Stadt absolut beeindruckend. Um die beste Aussicht zu haben, besuchten wir den etwas versteckten Aussichtspunkt Tupac Katari, welchen wir letztendlich nur dank der Hilfe von Einheimischen inmitten von Wohnhäusern gefunden haben.
Aber leider wird auch der Kontrast zwischen arm und reich sehr deutlich hier. Besonders ins Auge fallen einem die überall in der Stadt umher streifenden Schuhputzer. Dieser Beruf ist hier so sehr stigmatisiert, dass die in dieser Branche arbeitenden Männer sogar ihr Gesicht vermummen, um nicht erkannt zu werden. Die wohlhabenderen Leute leben im und um das Zentrum der Stadt, während die Ärmeren in el Alto leben, einem Stadtteil auf den Klippen weit oberhalb des Zentrums, und jeden Tag den weiten Weg in die Stadt auf sich nehmen, um ihr Glück als eben Schuhputzer, Strassenverkäufer oder ähnliches zu versuchen.
Seit einigen Jahren gibt es in La Paz ein neues Verkehrsmittel: den Teleferico (Luftseilbahn). Bereits 7 Linien sind in Betrieb, 10 werden es am Schluss sein. Jörg und mir hat es wahnsinnig Spass gemacht, mit den Seilbahnen kreuz und quer über La Paz herumzufliegen, insbesondere da dies auch definitiv das übersichtlichste und sicherste Verkehrsmittel für Gringos ist. Im Gewirr der Stadtbusse kommt nämlich wirklich niemand draus. Aber auch abgesehen davon gefällt mir der innovative Gedanke sehr, Seilbahnen als Nachverkehrstransportmittel zu nutzen. Gerade der ärmere Stadtteil El Alto wird so effizienter mit der Innenstadt verbunden. Den Fahrpreis von 3 Bolivianos (ca. 0.45 Fr) pro Fahrt pro Linie finde ich allerdings für die lokale Bevölkerung etwas teuer, vor allem wenn man mehrmals umsteigen muss. Aber meine Lehrerin hatte mir erzählt, dass es Vergünstigungen gäbe, von denen unter anderem die Leute profitieren können, die die Bahnen für ihren Arbeitsweg benutzen.
Ursprünglich hatte es in La Paz nur die kleinen Stadtbusse gegeben, die überall verkehren. Diese hatten regelrechte Kartelle gebildet und konnten so eine riesige Macht über die Stadt ausüben. Wenn es beispielsweise Widerstand gegen eine geplante Fahrtpreiserhöhung gab, traten sie einfach in den Streik und legten damit den gesamten öffentlichen Verkehr in der Stadt lahm. Die allermeisten Menschen hier besitzen kein Auto und sind auf die Busse angewiesen, um zum Beispiel zur Arbeit zu kommen. Die Regierung wollte sich das nicht mehr gefallen lassen und suchte nach einer eigenen Lösung. Da es überall in der Stadt steiles Gefälle gibt (vor lauter bergauf und bergab marschieren braucht man hier definitiv kein Fitnessstudio mehr), und da es ausserdem unterhalb der Stadt viel Wasser gibt, kam eine U-Bahn nicht in Frage. Also entschied man sich für den Teleferico. Welcher übrigens aus Österreich und der Schweiz kommt, das muss ein riesen Auftrag gewesen sein.

Gleich in der Nähe unserer Stamm-Telefericohaltestelle entdeckten wir das Cafe 3-Besen mit passender HarryPotter-Deko, wo ich natürlich das lokale (und wirklich sehr leckere) Butterbier probieren MUSSTE.


Wir lernten aber auch die schlechte bzw. unangenehme Seite von La Paz kennen. Eines Sonntags machten wir uns auf Richtung El Alto, um dort die Feria (Sonntagsmarkt) zu besuchen. Der Markt an sich ist nichts besonders. Es gibt dort kaum Dinge von touristischem Interesse, hauptsächlich Haushaltsartikel, Autoersatzteile und sonstigen Plunder. Trotzdem war es ganz interessant, einen Einblick in lokale Gepflogenheiten zu erhalten, schliesslich schien die halbe Bevölkerung von La Paz zu diesem Markt zu pilgern, entsprechend voll besetzt war auch der Teleferico.
Als wir also so dahin schlenderten meinte Jörg plötzlich, er glaube es habe ihn jemand angespuckt. Natürlich kannten wir ihn bzw. hatten davon gelesen, vom Trick wo dich jemand anspuckt oder mit Senf bespritzt. Und während dir dann jemand freundlich ein Taschentuch anbietet, um dich sauber zu machen, wirst du ausgeraubt. Obwohl wir zwar im erstem Moment wirklich auch nicht an diesen Trick dachten, liefen wir im ersten Reflex tatsächlich erst Mal einfach weiter. Allerdings liess die Gruppe, die ins im Gedränge folgte, nicht locker, stupste uns immer wieder an, und machte uns auf die Spucke auf Jörgs T-Shirt aufmerksam. Es geschieht wirklich im Affekt, dass man anhält, und sofort waren wir umringt von einer Gruppe Senioren. Instinktiv stellte ich mich hinter Jörg, meine Bauchtasche und seine Tasche zwischen uns, aber ich hatte nicht an sein Handy gedacht. Tatsächlich war es nur ein kurzer Moment, in dem er seine Hand aus der Hosentasche nahm, um ein Taschentuch von einer Oma anzunehmen, und schwupps, das Handy war weg. Er merkte es in dem Moment als es geschah, drehte sich um und sagte: Mein Handy! Im gleichen Moment zeigte jeder in der Gruppe um uns herum in eine andere Richtung, so dass wir uns verwirrt umschauten. Und einen Moment später.....waren alle weg.....wie vom Erdboden verschwunden. Natürlich mitsamt Jörgs Handy.
Obwohl die ganze Sache natürlich sehr unangenehm war, es ist einfach nicht cool, wenn einem etwas weggenommen wird, war es doch rückblickend ganz interessant. Wie schnell die ganze Sache ging, man hatte überhaupt keine Zeit die ganze Situation gedanklich zu erfassen, man reagiert einfach im Reflex. Und genau diesen Reflex nutzt die Gruppe natürlich aus. Es war ausserdem überraschend, wie gross die ganze Gruppe war, die darin verwickelt gewesen sein musste. Und was uns am meisten schockierte war, dass es tatsächlich alles alte Leute waren. Der freundliche Grossvater von nebenan, die hutzelige alte Grossmutter, der man die Einkaufstüte in den Bus trägt. Wir hatten immer damit gerechnet von jungen, fies aussehenden Gangstern ausgeraubt zu werden, aber doch nicht von einer Gruppe alter Säcke! Nun denn, so hatten wir also minus ein Handy zu verzeichnen.
Auf der positiven Seite ist zu vermerken, dass wir ja auf solche Sachen vorbereitet sind. Wir haben immer damit gerechnet, dass so etwas mal geschieht, deshalb haben wir auch nie viele wertvolle Dinge dabei, und es war auch kein teures Handy. Ausserdem ging die ganze Sache relativ „freundlich“ und zivilisiert über die Bühne, es gab keine Drohungen und keine Gewalt, so dass man sich am nächsten Tag nicht mehr auf die Strasse trauen würde. Auch unsere Lehrerinnen in der Schule meinten am Montag beide, dass regelmässig sowohl Einheimische als auch Touristen bei der Feria in El Alto ausgeraubt würden, gerade am Wochenende zuvor sei einem Schüler das Portemonnaie mit sämtlichen Kreditkarten geklaut worden. Und wir befinden uns immerhin im Land Nr. 13 unserer Reise auf dem als so gefährlich verschrienen Kontinent Lateinamerikas, von daher ist ein gestohlenes Handy bisher kein schlechter Schnitt, würde ich sagen.
Trotzdem war uns die Lust auf die Feria erstmal vergangen, so dass wir uns bald auf den Rückweg machten.


Da wir nun ein neues Handy beschaffen mussten, machten wir uns tags darauf auf den Weg in die Handymeile. Es ist sehr typisch für Lateinamerika, dass es in grösseren Städten für alle möglichen Produkte eine eigene Strasse gibt, wo man diese zuhauf kaufen kann. Beispielsweise gibt es Strassen wo es direkt nebeneinander ohne zu übertreiben 30 Optikergeschäfte gibt. Wie die Geschäfte angesichts dieser Konkurrenz rentieren können, ist mir ein Rätsel. Man hat jedenfalls bei der Suche nach einer Brille die Qual der Wahl unter hunderten Brillen. Dann gibt es eine Schuhmeile, eine Lampenmeile, eine Computermeile, eine Werkzeugmeile, eine Coiffeurmeile, eine Hochzeitskleidermeile, etc.
Jedenfalls hatten wir schnell ein neues günstiges Handy aufgetrieben, welches wir bei nächster Gelegenheit einem Räuber schenken könnten, wenn es denn nötig werden sollte.


Wir überwanden auch unser schlechtes Gefühl (man soll ja sprichwörtlich nach einem Fall vom Pferd schnell wieder in den Sattel steigen) und fuhren einige Tage später nochmals nach El Alto. Diesmal um einen Yatiri zu besuchen, wobei es sich um einen Schamanen handelt. Obwohl wir beide nicht wirklich an solche Sachen glauben, fanden wir es eine witzige Idee, uns die Zukunft aus Cocablättern lesen zu lassen. Also suchten wir die kleinen Häuschen auf, wo die Yatiris üblicherweise ihre Dienste anpreisen. Zunächst einmal war es gar nicht so einfach, einen Yatiri zu finden, der Spanisch sprach, die meisten sprechen nur Quechua oder Aymara.
Die Zukunftsvorhersage des Yatiris war ausserdem nicht gerade unerwartet und ziemlich wage: uns würden sowohl gute als auch schlechte Erlebnisse bevorstehen. Aha. Eine wirklich bahnbrechende Erkenntnis. Selbstverständlich könne man dem Abhilfe verschaffen, indem man eine Messe für PachaMama (Mutter Erde) abhalten würde. Natürlich liessen uns Jörg und ich rein interessehalber dazu überreden, und so bereitete der Yatiri alles für die Zeremonie vor. Er häufte verschiedenste Dinge auf einem Tuch an, unter anderem Kokablätter, Wachs, Salz, Alkohol und Glitterfäden (von der letzten Weihnacht?) als Opfergaben für Mutter Erde, und wir mussten auf den Haufen draufpusten. Währenddessen sprach er immer wieder rituelle Worte und Gebete, segnete den Haufen Zeugs mit dem Kreuz Jesu Christi, faltete das Tuch zusammen, berührte damit unsere Köpfe und verbrannte dann alles zusammen im Ofen vor dem Yatiri-Häuschen. Anschliessend spritze er mit einer Flasche Alkohol an die Wand, offensichtlich um aus dem Alkohol erneut aus unserer Zukunft zu lesen. Gebieterisch und wissend nickte er mit dem Kopf, zeigte auf das Muster aus Alkoholspritzern an der Wand, und meinte, es habe gewirkt, und nun würde in jeder Hinsicht alles besser für uns werden. Jörg und ich erkannten zwar nicht wirklich, inwiefern man aus den Alkoholmustern irgendetwas derartiges lesen konnte, aber wir nahmen zur Kenntnis, dass wir von nun an nur noch Glück haben, grossen Reichtum anhäufen, für immer eine glückliche Beziehung führen und Kerngesund sein würden, und verabschiedeten uns vom Yatiri, der uns sogar noch seine Visitenkarte in die Hand drückte. Wahrscheinlich für allfällige spätere Reklamationen.
Anschliessend unternahmen wir noch eine Fahrt mit der dunkelblauen Linie des Teleferico, mit dem man über das ganze (riesige) El Alto Quartier fliegen kann.


Der bekannte Schamanenmarkt Mercado de Hechiceria in La Paz kann man getrost vergessen. Er mag vielleicht früher einmal interessant gewesen sein, heute ist er jedenfalls zu einem reinen Tourigag verkommen. Neben den Lama-Föten, Kräutern, Alkohol, Coca-Blättern, Talismanen und sonstigem esoterischen Kram bietet jeder Shop nebenbei auch noch Souvenirs an.


Wir besuchten in La Paz auch einige Museen.

Eines der interessantesten war das Museo de Instrumentos Musicales. Ausgestellt waren nicht nur unzählige Exemplare einheimischer Instrumente, sondern auch Instrumente aus aller Welt. Einige ziemlich unbekannte Instrumente waren sogar bereitgestellt, um selber ein wenig zu spielen, so dass die ganze Sache ziemlich interaktiv und spassig wurde. Das Museum war vom Charango-Meister Ernesto Cavour (Charango ist eine kleine Gitarre die ursprünglich aus Gürteltieren hergestellt wurde) gegründet worden, der als einer der bekanntesten Musiker Boliviens gilt. Jeden Samstag veranstaltet er zusammen mit Franz Valverde (Muyu-Muyu Gitarre) und Rolando Encinas (Quena Flöte) ein Konzert im Charango-Saal des Museums, für welches wir uns ebenfalls Karten kauften. Und ich muss wirklich sagen, ich war schon an vielen Konzerten in meinem Leben, aber dies gehörte definitiv zu den allerbesten, die ich je gesehen habe, und das für lediglich 3 Fr. Eintritt und in kleiner familiärer Runde. Die 3 Musiker gaben erstmal jeder ein paar Soli auf ihrem jeweiligen Instrument zum Besten. Anschliessend spielten sie alle zusammen und es kam deutlich zum Tragen, dass sie nicht nur alle wirklich Meister auf ihrem Instrument sind (Ernesto Cavour zb. kann die kleine Gitarre tatsächlich beidseitig spielen!), sondern auch, dass sie seit vielen vielen Jahren enge Freunde sind. Man hatte eher das Gefühl, Teil einer Jam-Session zu sein, als lediglich passive Zuschauer eines Konzerts. So gab es immer wieder auch komödiantische Einlagen und das Publikum wurde fleissig mit eingebunden, mitzusingen, zu klatschen, oder zu tanzen. Es war ein wirklich absolut herrlicher Abend und wir haben uns köstlich amüsiert.


Im Museo del Oro werden einige noch hübsche Stücke aus Gold, Silber und Kupfer, ist aber nicht besonders spektakulär, besonders nicht, wenn man schon das Museo del Oro in Bogota besucht hat.
Im
Museo del Litoral geht es um den Salpeterkrieg, den Bolivien gegen Chile führte, und bei dem es Ländereien, unter anderem die Atacama-Wüste und den Meer-Zugang an Chile verloren hat. Obwohl es sich dabei um ein interessantes Thema handelt, ist das Museum aber nicht sehr sehenswert. Es gibt einen kaum verständlichen Film in Spanisch und einige alte Karten zu sehen.
Das Casa de Murillo ist mehr als langweilig, es handelt sich einfach um ein altes Wohnhaus, wo man alte Zimmer mit alter Einrichtung, alter Kunst und altem Plunder sehen kann.

Einigermassen interessant ist das Museo Costumbrista, vor allem der Teil über die Cholas.

Während der spanischen Kolonialherrschaft entwickelten sich verschiedene Gesellschaftsschichten, wobei vor allem der Vermischung der Indigenen Bevölkerung mit den Spaniern Rechnung getragen wurde. „Bessergestellte“ Indigene versuchten sich vermehrt von der untersten sozialen Schicht der Indigenen Bevölkerung zu distanzieren und brachten dies vor allem durch eine Änderung ihrer Kleidung zum Ausdruck. Sie verzichteten auf die traditionellen Trachten und passten sich dem spanischen Stil an. Die sogenannten Cholas trugen üblicherweise bauschige Röcke mit mehreren Unterröcken, Blusen, viereckige bestickte Tücher mit Fransen als Umhang, sowie 2 Zöpfe mit eingeflochtenen Wollquasten und auffälligem Hut. Interessanterweise folgen sie dieser Tradition noch heute und heben sich dadurch deutlich von der modernen Gesellschaft ab. Der aufgezwungene spanische Stil, der früher als modern galt, gilt heute paradoxerweise wieder als Indigen. Man sieht sie überall in der Stadt, die Cholas Paceñas, und eine unserer Lehrerinnen erklärte, dass die Frauen aus diesen Schichten regelrecht unter ihresgleichen verspottet werden, wenn sie diese Kleidung oder die Hüte ablegen, wenn dies beispielsweise nötig ist, um eine Arbeitsstelle anzutreten.

Eine etwas seltsame Tradition in La Paz ist das Cholitas Wrestling, also eine Wrestling-Veranstaltung, bei der die Cholas gegeneinander antreten. Üblicherweise finden diese „Kämpfe“ Sonntags nach der Feria in einer Mehrzweckhalle in El Alto statt. Obwohl wir uns nicht wirklich für Wrestling interessieren, entschieden wir uns aus Gründen der Horizonterweiterung diese Spektakel ebenfalls beizuwohnen. Da wir allerdings keinen freien Sonntag mehr hatten, besuchten wir eine Show am Donnerstag, wo die Kämpfe mehr touristischen Charakter haben. Und tatsächlich war das wohl das am sinnlosesten investierte Geld während dieser ganzen Reise. Mein Fazit ist zum einen, dass ich Wrestling insgesamt doof finde. Zum anderen waren die Shows derart schlecht inszeniert und vorhersehbar, dass die ganze Sache wirklich absolut lächerlich war. Die ersten beiden „Kämpfe“ wurden gar nicht von Cholitas ausgetragen, sondern von Kerlen. Erst bei den anschliessenden 3 kam „an den Zöpfen ziehen“ und „am Rock festhalten und im Kreis schwingen“ zum Zug. Der erste Kampf war ja vielleicht noch halbwegs witzig, aber die nächsten verliefen absolut identisch ab, ich weiss gar nicht wie ich es beschreiben soll, es war absolut schrecklich. Wie kann man sowas unterhaltsam finden? Ich wusste irgendwann gar nicht mehr wohin schauen vor lauter Fremdschämen, während Jörg neben mir in einer Tour grölte. Gott im Himmel, das Eintrittsgeld kannst du von mir aus behalten, aber bitte gib mir doch diese 1.5 Stunden meines Lebens zurück!


Das definitiv interessanteste Museum in der Stadt war das Coca-Museum. Im Gegensatz zum Coca-Museum in Cusco war es zwar nicht besonders gut eingerichtet, es gab also kaum nennenswerte Ausstellungsstücke. Dafür gab es ganz schön viel sehr interessanten Text zu lesen, der einem in Broschürenform in die Hand gedrückt wurde.
Die Cocapflanze ist eine der ältesten domestizierten Pflanzen der Welt. Alle präkolumbianischen Zivilisationen der Anden hatten Zeugnisse der Verwendung des Coca-Blattes hinterlassen. Bereits 1499 gelangten erste Informationen über die Pflanze nach Europa. Die katholische Kirche denunzierte Coca aber schon bald als „teuflisch“ und so wurde es in den Kolonien verboten. Erst als man merkte, dass das Kauen von Coca-Blättern die Leistung der Mineure in der Silbermine von Potosi steigerte, liess man es bei den Einheimischen wieder zu, der Verzehr von Coca wurde den Minenarbeitern sogar befohlen. Und damit brachen die Einheimischen auch mit ihren traditionellen Ritualen zur Verwendung von Coca, es wurde zum Alltagsprodukt. Wie alles Wertvolle wurde auch das Coca von den spanischen Eroberern vereinnahmt und mit Steuern belegt (um noch mehr an den armen Minenarbeitern zu verdienen). Die Verbindung zwischen Bergbau und dem Coca reichte sogar so weit, dass der Preis der Cocablätter vom Preis der Mineralien abhängig war.
Erst 1860 wurde das Alkaloid im Coca namens „Kokain“ entdeckt, ab 1863 begann der (legale) Kokain-Boom, zuerst in Form des beliebten Coca-Weines Mariaru, später (1886) mit Coca-Cola. Kokain wurde ausserdem als Betäubungsmittel von Augenärzten und Zahnärzten verwendet und wurde zu einem der bedeutendsten Medikamente der modernen Pharmazie (auch heute noch spielen Derivate des Kokains eine Hauptrolle in der Anästhesie). Erst ab 1914 wurde Kokain verboten und ab 1950 regelrecht verdammt, mit der Begründung, dass Coca die Leistungsfähigkeit verringere und der Grund sei für die „mentale Zurückgebliebenheit“ und die Armut in den Anden. Genehmigt sind lediglich Pflanzungen von industrieller Bedeutung (zb. Für Coca-Cola, wobei das Cola heute natürlich keine aktiven Substanzen von Coca mehr beinhaltet, nur noch Geschmacksstoffe). Zur Zeit besitzen 36 Länder die Erlaubnis, Kokain legal herzustellen. Interessanterweise tragen wie zu Kolonialzeiten auch noch heute die Entdeckung der Anaesthetika, der spektakuläre Erfolg von Coca-Cola und die Millionengewinne im Bereich des illegalen Drogenhandels allein zum Wohlstand im Ausland bei, während die Anbauländer und ihr Coca für das Problem der Drogenabhängigkeit in der westlichen Welt verantwortlich gemacht werden. In den betroffenen Ländern ist die ganze Sache teilweise zu einem regelrechten Krieg ausgeartet, dem Coca-Krieg. Dabei fliessen im Zuge der Anti-Drogen-Strategie Gelder in Millionenhöhe aus dem Ausland (va. USA) in die betroffenen Länder, da die örtlichen Polizeien mangelhaft ausgestattet sind. (Die USA präsentieren 5% der Weltbevölkerung und konsumieren 50% des weltweit verfügbaren Kokains.) Im Bereich der Herstellung von Kokain gibt es ausserdem zwei weitere Felder, in denen Unternehmensgruppen legal agieren, die beide in der ersten Welt angesiedelt sind. Ohne sie wäre der transnationale Charakter des Drogenhandels kaum möglich: 1. Banken, die das Geld waschen. 2. Chemiefabriken, die die Substanzen zur Kokainherstellung produzieren und verkaufen. In den meisten Fällen gelangen die Substanzen direkt von den Herkunftsländern in die Kokainfabriken im Dschungel.
Die „Fabrikarbeiter“ die das Kokain herstellen werden aus der grossen Masse der Arbeitslosen und Armen der Städte rekrutiert. Sie gehören zur Gruppe der billigen Arbeitskräfte der 3. Welt, in Anbetracht des Risikos, der gesundheitlichen Folgen, der Arbeitsverhältnisse und der riesigen Gewinnspannen der Drogenhändler. Ihr Lohn beträgt etwa 5 USD pro Stunde, was in diesen Ländern gutes Geld ist. Es ist aber üblich, dass sie nicht mit Bargeld, sondern in Form von Kokain-Paste ihren Lohn erhalten. Nebst der Tatsache, dass sie damit selber als Drogenhändler in die Kriminalität gezwungen werden, erliegen viele der Arbeiter der Versuchung gegenüber der Paste und werden selber abhängig. Letztendlich arbeiten sie für ihre eigene Sucht und landen in einem Teufelskreis aus dem es kaum ein Entrinnen gibt.
Interessant in der Ausstellung ist auch der Vergleich des gesellschaftlichen und religiösen Rituale. In der westlichen Welt ist es der Alkohol, der zu gesellschaftlichen Anlässen selbstverständlich gereicht wird, während des christlichen Gottesdienstes in Form von Wein zusammen mit der Hostie. In der Kultur der Anden stellt das Cocablatt die Verbindung zum Göttlichen und zu den anderen her. Bei gesellschaftlichen Anlässen werden Cocablätter konsumiert, gegenseitig verschenkt und auch Mutter Erde werden während Ritualen die Blätter geopfert.
Im Museum werden ausserdem weitere Fakten zur Coca-Pflanze aufgezeigt und es wird verschiedentlich wiederlegt, dass die Coca-Pflanze die Leistungsfähigkeit negativ beeinträchtigt, im Gegenteil. So hilft sie nebst weiteren positiven Aspekten auch wahnsinnig gegen die Höhenkrankheit, das hatten wir bereits am eigenen Leib erfahren.
Es wird aber auch auf die Kokainsucht eingegangen, Suchtverhalten werden thematisiert und es wird aufgezeigt, wie Kokain auf das menschliche Verhalten wirkt und welchen Schaden die Sucht beim Menschen verursachen kann.
Was soll man dazu sagen? Es ist wirklich eine sehr komplexe Sache. In den Südamerikanischen Ländern, die wir bereist haben, ist das Coca wirklich allgegenwärtig. Busfahrer, Verkäufer und Wanderguides haben einen „Cocaball“ in der Backe, in jedem Hotel gibt es Coca-Tee zum Frühstück, man kann den Tee sogar in richtiger Teebeutel-Form in jedem Laden kaufen. Und obwohl die Lateinamerikanische Arbeitsmentalität aus europäischer Sichtweise tatsächlich häufig zu wünschen übrig lässt (zb. Wenn die Dame am Ticketschalter im Busterminal regelrecht auf der Theke liegt und mehr als widerwillig den Blick vom Handy hebt, um einem auf unfreundlichste und unmotivierteste Art und Weise ein Busticket zu verkaufen, und man währenddessen zwischen jedem Tippen auf der Tastatur auf 5 zählen kann), glaube ich nicht, dass das die Schuld von Coca ist. Wir selbst kauen immer mal wieder Blättchen auf Wanderungen, und es wirkt tatsächlich eher leistungssteigernd als -senkend. Man müsste sich wohl eher fragen, wie das allgemeine Arbeitstempo hier aussehen würde, ohne die Cocablätter. Nein, lieber nicht.
Natürlich bestreite ich nicht, dass das weisse Pulver Kokain ein Teufelszeug ist, welches schlimme Abhängigkeit bewirken und dadurch Menschen, Leben und Familien zerstören kann. Aber hier in den Anbauländern gibt es interessanterweise verhältnismässig wenige Kokainsüchtige. Es sind tatsächlich eher die Teile der Weltbevölkerung, denen es eher „zu gut“ geht, die davon betroffen sind.
Und aus Sicht der Leute hier baut man einfach ein Naturprodukt an, welches in weiten Teilen der Welt grossen Absatz findet. Wer kann den Bauern nicht verstehen, der Coca anbaut statt Kartoffeln, wenn man weiss, dass Kartoffeln nur einmal pro Jahr geerntet werden können, während Coca 4 Ernten pro Jahr bietet und überdies sehr pflegeleicht ist? Wer würde nicht dasselbe tun, wenn die Familie zuhause Hunger leidet?
Obwohl ich alle Menschen ehrlich bedaure, die der Suchtkrankheit anheim fallen, kann ich trotzdem auch nicht diese Menschen hier dafür verurteilen, dass sie eine Pflanze kultivieren, die seit tausenden von Jahren zu ihrer Kultur gehört. Und ganz ehrlich, ich werde meinen täglichen Coca-Tee zum Frühstück, der den üblichen (meist grässlichen) Kaffee schon vor Monaten abgelöst hat, wirklich wahnsinnig vermissen, wenn wir diese Region verlassen.


Ausserdem besuchten wir noch den Friedhof von La Paz. Die Anlage ist riesig und obwohl mitten in der Stadt sehr hübsch mit viel Grün angelegt. Der Friedhof ist voller riesiger Wände, worin die Verstorbenen beigesetzt werden. Jede Grabstätte hat eine mit einem Glasfenster besetzte Front, welche die Familien mit kleinen Grabsteinen, Blumen, Opfergaben, Erinnerungsstücken oder Spielzeug (bei Kindern) dekorieren. Jede Wand beinhaltet hunderte dieser Glasfenster und sehen wirklich sehr hübsch und farbenfroh aus. Reichere Familien besitzen sogar eigene Wänder für Ihre Mitglieder. Auch sonst wird der Unterschied zwischen Arm und Reich teilweise sehr deutlich. Einige Gräber sind sehr aufwändig gestaltet und mit Kacheln verkleidet, während andere sehr einfach und schlicht sind. An manchen klebt sogar eine Mahung, dass das Grab geräumt wird, wenn fällige Zahlungen nicht bis zu einem bestimmten Datum eingehen.
Wir waren zufällig an einem Sonntag auf dem Friedhof und das war wohl eher eine ungünstige Wahl, denn es herrschte gerade Hochbetrieb. Die Beerdigungszeremonien wurden beinahe im Akkord abgehalten, während der ungefähr 2 Stunden in denen wir dort waren, marschierten 4 Trauergesellschaften inkl. Sarg und Mariachi- oder sonstiger Musikgruppe an uns vorbei. Kaum war wieder eine Trauergemeinde vorbeigezogen, wartete schon die nächste vor der Kapelle, dass „Ihr Verstorbener“ an die Reihe kam. Irgendwie ein bisschen makaber. Gleichzeitig waren auch viele andere Leute auf dem Friedhof, um Gräber von Angehörigen zu besuchen, Blumen auszutauschen oder neu zu dekorieren.


Was haben wir in La Paz sonst noch so getrieben? Genau, da war ja noch die Sache mit dem Visa. Nach unseren bisherigen Erfahrungen mit Visa-Verlängerungen hatten wir extra 2 Nachmittage nach der Schule eingeplant, so für alle Fälle. Wie sich herausstellte, wäre dies allerdings nicht nötig gewesen, es war noch nie so einfach unsere Aufenthaltsbewilligung zu verlängern wie hier. Wie sich herausstellte, stimmt es zwar, dass Schweizer bis zu 90 Tage im Land bleiben dürfen, trotzdem vergeben die bolivianischen Behörden die Stempel immer nur in Tranchen à 30 Tage. Wir fanden uns also im Oficina de Migracion in La Paz ein, stellten uns in die Warteschlange, sagten dann dem Beamten, dass wir 30 Tage länger bleiben wollen, und zack! Stempel im Pass und fertig. Keine Fragen, keine Kosten, gar nichts. Er wies uns noch daraufhin, dass wir, wenn wir auch noch die restlichen 30 Tage haben wollten, den Stempel auch in Potosi, Sucre oder Santa Cruz abholen könnten. Alles Gute und auf Wiedersehen!


An unserem letzten Abend in La Paz kauften wir Karten für die Peña Huari, wo wir uns ein leckeres Abendessen genehmigten und währenddessen eine traditionelle Musik- und Tanzshow genossen.


Obwohl es mal wieder ganz schön war, 2 Wochen am selben Ort zu sein, und uns La Paz eigentlich ziemlich gefallen hat, war es trotzdem an der Zeit für uns, weiterzuziehen. Auf nach Cochabamba!






Antworten (1)

Manuela
Also das sich mega interessant i dere Stadt. Mir hends vorallem die Telefericos ato.......das muess doch es erläbnis si.🙂

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