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Happy end!

Veröffentlicht: 07.02.2021

Es ist Montag.

Nach dem Morgenkaffee stolpern wir in das Büro von Motor Tarrega, der Werkstatt, vor deren Toren wir das ganze Wochenende kampiert haben. Wir werden inzwischen von allen freundlich und auch eine Spur mitleidig begrüßt. El jefe persönlich nimmt sich heute unseres Problems an, nachdem er deutlich macht, dass er nur spanisch und katalan spricht. Ich beteure ihm noch einmal, dass wir nach Hause und arbeiten müssen, woraufhin er mit seinen Männern Kriegsrat hält. Das Ergebnis muss uns Yamal, der Deutschsprecher kundtun. Er erklärt uns, dass sie uns leider nicht helfen können, weil sie nicht über die notwendigen Diagnosegeräte verfügen und es könnte sich hier um ein elektronisches Problem handeln, bei dem sie möglicherweise mehr beschädigen als reparieren. Wir müssen in eine Renaultwerkstatt.

Auf unsere verzweifelten Blicke hin, nimmt sich Señor Chef persönlich unserer Sorgen an, greift zum Telefon und versucht, uns bei den Experten unterzubringen. Als Erstes spricht er mit der Werkstatt 100 Meter um die Ecke, aber dort gibt man sich spröde wie bisher: nur mit Termin und der nächste ist frühestens kommende Woche frei! Dann ruft der Padrón seinen alten Kumpel in Andorra an, der dort inzwischen eine Renaultwerkstatt führt. Und oh Wunder: er wird unseren Kangoo morgen unter die Lupe nehmen, wenn das Auto heute gebracht wird. Yamal überbringt uns die freudige Nachricht mit einem glücklichen Gesichtsausdruck und wir wollen schon in Jubel ausbrechen! Doch wie immer soll man den Tag nicht vor dem Abend loben, denn kaum sind die Worte ausgesprochen, rudert der Chef schon wieder zurück: der Abschleppdienst bringt uns nicht nach Andorra! Das ist Ausland, außerdem keine EU, das gibt Ärger mit dem Zoll und der Polizei, nein: wie werden keinen spanischen grúa finden, der uns dort hinbringt.

Wir sacken in uns zusammen, doch el jefe hat noch einen Trumpf: er ruft in Lleida an, dort ist eine große taller mit vielen Mitarbeitern und unendlichen Möglichkeiten. Wenn man uns helfen kann, dann in Lleida. Wir warten. Er ruft an. Irgendwann überlässt er das Telefon seiner Büroseñora, es klingelt, wir warten, das Klingeln ist auf Lautsprecher gestellt, wir warten, es klingelt. Nach scheinbar unendlicher Zeit gibt die junge Frau auf. Yamal muss uns erneut erklären, dass in Lleida heute Feiertag ist und nicht gearbeitet wird. Nur in dieser Stadt wird am heutigen Montag wahrscheinlich irgendein spezieller Heiliger oder weiß der Teufel verehrt! Also: mañana!

Wir trotten nach La Seu und denken bei Sonnenschein, Café con leche und Croissant für einen lächerlichen Preis. Und denken und denken. Schließlich ergeht der Beschluss, dass Susanne jetzt Mitglied beim ADAC werden muss, weil Zappa den Club schon mal verärgert hat. Also fülle ich den Online-Antrag aus, um im Notfall von den gelben Engeln im letzten Moment nach Hause verfrachtet zu werden. Denn wir sind am Fuße der Pyrenäen und jegliche sinnvolle Verbindung in die Nähe der Arbeitsstätte geht ab Barcelona. Und das sind scheinbar unüberwindliche 180km. Und siehe da: im nächsten Augenblick begrüßt mich der ADAC per Mail als neues zahlendes Mitglied und ich kann auf seine Hilfe zählen, ab mañana 00:00 Uhr.

Nun setzen wir unsere heutige Wanderung fort, kaufen Brot und waschen uns im Rio Segre, um unser Abendmahl an der N260 einzunehmen.

Es ist Dienstag.

Nach dem Morgenkaffee stolpern wir in das Büro von Motor Tarrega. Das Telefonat mit Lleida ist schnell erledigt, die Heiligen sind heute genügend verehrt, jetzt kehrt man zum Geschäft zurück. Si, wenn wir heute noch mit dem Auto kommen, wird es am Nachmittag auf den Seziertisch gehievt und diagnostiziert. Wir müssen das Unfassbare schnell verdauen, denn Lleida liegt 130km südlich von hier, nicht gerade ein Katzensprung! Ich habe Sorge, dass man uns beim ADAC sagt, man schleppt uns bis zur nächsten Werkstatt, vor einer stehen wir schon seit vier Tagen und die andere hat den nächsten freien Termin wahrscheinlich erst im nächsten Monat. Deshalb überlasse ich Zappa das Reden und gehe indessen unseren Müll wegbringen – die Tonne steht vor Renault…

Als ich zurückkomme berichtet mir Zappa, dass die Dame am Telefon zugesagt hat, sich um einen Abschleppdienst zu kümmern und sich bald zurückmeldet. Wir gehen ein letztes Mal ins Büro von Motor Tarrega, um unsere Rechnung zu bezahlen, schließlich hat man hier einige Zeit unserer Räuberhöhle geopfert. Doch Señora schaut mich ratlos an und fragt den zuständigen Kollegen. Der hat eine Arbeitsstunde aufgeschrieben und zuckt mit den Schultern. Letztlich einigen sich alle, dass man uns nicht helfen konnte, wir also auch nichts zu zahlen hätten. Ich bin sprachlos und Zappa auch, als er dazu kommt. Es ist ja nicht so, dass man nichts unternommen hätte und geholfen hat uns fast die ganze Mannschaft! Nicht einmal Trinkgeld wird von uns angenommen und so fallen wir uns zum guten Schluss alle in die Arme und verabschieden uns mit einer kleinen Träne im Augenwinkel.

Als wir wieder vor dem Kangoo stehen, klingelt das Handy und der gelbe Engel vermeldet, dass er keinen Abschleppdienst findet, die Strecke ist zu weit! Hat sich denn wirklich die ganze Welt gegen uns verschworen? Haben wir uns zu früh gefreut und müssen wir noch einmal ins Büro von Motor Tarrega, weil wir noch eine Woche vor ihren Toren bleiben werden? Die junge Frau verspricht, nach einer näheren Renault-Werkstatt mit zeitnahem Service zu suchen und sich wieder zu melden.

Ich würde jetzt am liebsten Brot kaufen gehen, aber das dauert zu lange. Also warten. Nach einer weiteren nervenaufreibenden halben Stunde klingelt das Telefon. Der ADAC hat einen grúa gefunden, das kostet aber 540 Euro und der Club übernimmt nur 300 Euro…

Wieder en camino!

Jetzt ist das auch schon egal, her mit dem Abschleppdienst, wir müssen nach Lleida in diese wunderbare Werkstatt! Una hora später sitzen wir hoch im Wagen eines jungen Mannes, der uns durch unterschiedlichste Landstriche in die Stadt unserer Träume bringt.

Nach zwei Stunden Fahrt lädt er uns und den Kangoo ab und ist so schnell wieder verschwunden, dass wir ihm weder unseren Eigenanteil an der Fuhre noch ein Trinkgeld geben können. Gerade ist Mittagspause und so machen wir auch erst einmal Siesta. Wir sitzen vor einer riesigen Autohaus-Fabrik-Werkstatt, die in unserem Sprachgebrauch schnell die Bezeichnung Château-Renault erhält. Hinter uns rauscht der Verkehr auf einer vierspurigen Autopista und auf der gegenüberliegenden Straßenseite dröhnen zwei monumentale Getreidemühlen vor sich hin, Tag und Nacht, wie wir feststellen werden. Wir müssen uns anschreien, um uns zu verständigen, aber egal, die Lösung unseres Problems liegt nahe.

Château-Renault

Pünktlich um 15:00 Uhr öffnen sich die Tore, ich gehe zum Empfang und werde freundlich begrüßt. Man ist unterrichtet und Señor Martinez kümmert sich um unseren Patienten. Er geht mit mir zum Kangoo und auf ein geheimes Zeichen, wie durch Zauberhand gesellen sich vier schwarzgekleidete, muskulöse, attraktive, lächelnde junge Männer zu uns und schieben das Auto in die heiligen Hallen. Das Ganze erinnert mich fatal an die Borg, zu denen Captain Picard vom Raumschiff Enterprise auch bald gehören sollte und ich habe den Verdacht, unsere Räuberhöhle wird gerade assimiliert… Das wird nun ca. zwei Stunden dauern, erklärt mir Señor Martinez, der äußerst zuvorkommend ist, französisch mit mir spricht, was die Kommunikation sehr erleichtert und uns einen Kaffee anbietet. Doch nein, wir gehen erst mal Brot kaufen.

Nach dem Einkauf empfängt uns Señor Martinez mit einem Papierausdruck, auf dem eine Googleübersetzung uns erklärt, dass die Dieselpumpe defekt ist, das Ersatzteil morgen geliefert werden und die Räuberhöhle am Donnerstagmittag wieder abfahrbereit sein wird. Die Borg werden das Auto wieder auf den Parkplatz schieben, damit wir darin übernachten können, außerhalb der Reichweite der Alarmanlage. Señor Martinez verabschiedet uns mit den Worten, dass wir morgen Touristen sein dürfen und wünscht uns dabei viel Vergnügen.

Für uns steht aber zunächst eine Körperwäsche an, wir haben einen Weg an den Segre ausgekundschaftet und spazieren jetzt an den Getreidemühlen und der Brauerei San Miguel zwischen LKWs und Bierfässern zum Fluss. Heute wird kein so ruhiger Abend, denn die Getreidetrocknung der Mühlen bläst vor sich hin, der Verkehr dröhnt an uns vorbei und wir müssen immerzu auf der Hut sein, die Alarmanlage von Château-Renault nicht auszulösen. Davon abgesehen, dass wir den riesig klingenden Wachhund der kleinen Nachbarwerkstatt mit dem Türenklappen nervös machen.

Es ist Mittwoch.

Wir nehmen unseren Morgenkaffee heute mal im Auto, um den Kundenverkehr des Autohauses nicht zu sehr zu irritieren. Dann wandern wir nach Lleida, die ganze Nacht bestaunen wir die beleuchtete Kathedrale und jetzt soll es dort auch hingehen. Nach fünf Kilometern Pflastertreten belohnen wir uns mit Café con leche und Croissant zu einem lächerlichen Preis und dann geht es weiter zur einzigen Sehenswürdigkeit der Großstadt. Hoch über den Dächern von Lleida thront eine Kirche, die im Laufe der Jahrhunderte zu einer Festung umgebaut wurde. Einige Stunden verbringen wir hier im Sonnenschein, doch irgendwann ruft wieder der Segre zum Bade.

Über den Dächern von Lleida

In dieser Nacht gesellt sich ein Autotransporter mit nagelneuen Peugeots zu uns, Château-Peugeot ist gleich nebenan. So haben nicht nur wir die Alarmanlage im Auge.

Es ist Donnerstag.

Wir bauen die Räuberhöhle noch vor dem Morgenkaffee um und kaum sind wir fertig, stehen die schwarzen Borg auch schon neben dem Auto und schieben es weg. Gegen 11:00 Uhr ist es fertig (assimiliert?), erklärt uns Señor Martinez und wir gehen – nein, kein Brot kaufen, sondern noch einmal zum Fluss. Wer will schon stinkend seine Rechnung bezahlen?

Und siehe da, um 11:30 Uhr fährt er wieder, ich schiebe meine Kreditkarte ins Gerät, die freundliche Dame plaudert noch ein wenig mit mir übers Wetter, Señor Martinez zeigt uns Fotos auf seinem Handy vom brennenden Notre Dame in Paris und dann sind wir wieder on tour! Unfassbar, wir fahren! Nach einer Woche! Eine zenterschwere Last fällt von mir ab, wir haben sogar noch genügend Zeit für die Heimreise und schaffen auch noch Flohmärkte in Frankreich, kaum zu glauben!

Jetzt fahren wir erst einmal in den Nationalpark, auf dessen erstem Col wir hängen geblieben sind. Unterwegs bewundern wir die Landschaft, unsägliche Ausblicke, Berge, Täler und malerische Dörfer.

Und mal wieder habe ich das mit dem Brot nicht richtig gemacht. Das ist überhaupt das Problem, das Brot. Es ist entweder zu wenig oder zu viel, es wird hart und bröselig oder reicht nicht hinten und nicht vorn. Kaufe ich Frisches, wird zuerst das gegessen, weil das alte ist hart und bröselig, das Frische morgen auch. Wie ich es mache, es ist immer falsch! Auf dem Weg in den Nationalpark ist das Brot mal wieder so gut wie alle und wir sollten vorher noch welches besorgen, denn in den spanischen Bergdörfern ist ein Bäcker nicht selbstverständlich. Also fahren wir nach der Siesta in einen Ort an der N260, es ist 15:30 Uhr, aber kein Geschäft hat offen. Nur eine einsame ältere Señora versucht, an der Straße Gemüse und Eier zu verkaufen. Ich frage sie, wo ich Brot kaufen kann. Sie gibt mir aus zahnlosem Mund zu verstehen, dass das dauert, bis die Bäcker des Dorfes wieder öffnen. Und bietet mir ihr Brot an! In einer Tüte hat sie frisches, geschnittenes, leicht kaubares Weißbrot der örtlichen Panadería und verkauft es mir für einen Euro, sie kann sich ja später noch mal welches holen! Ich bin sprachlos und würde ihr am liebsten noch ein paar huevos abkaufen, aber daran besteht gerade kein Bedarf. Mit frischem, weichem Brot machen wir uns auf den Weg in die Berge und winken ihr zum Abschied zu.

Abschied von Catalunya

Überhaupt hat uns die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Unkompliziertheit der Katalanen mit diesem spanischen Landstrich versöhnt. Nach zwei Wochen Tour durch Katalonien waren wir nicht eben Fans dieser Region, zu viel Tourismus, zu viel Trockenheit, zu wenig aufregende Landschaft. Und die ewigen Forderungen nach La República catalana mit den unübersehbaren Symbolen in jedem Kuhkaff gingen mir schnell auf die Nerven. Und auch Antworten wie „Ich spreche auch nur katalan“ auf mein „Yo hablo muy mal español“  fand ich anfangs nicht gerade lustig. Doch als ein Mitarbeiter von Château-Renault mir entgegnet, dass ich mir keine Sorgen machen soll, er spricht schließlich auch kein deutsch, verstehe ich den Humor. Wir haben hier wunderbare Menschen kenngenlernt und das durch einen Serienfehler an der Kangoo-Dieselpumpe, muchas gracias, Renault!

Rückfahrt über Port la Nouvelle...
...und die einsame Ardèche im Oktober


Antworten (1)

Wolfgang
Eine beinahe schon kafkaesk wirkende Geschichte . . .👍

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