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Böhmische Dörfer

Veröffentlicht: 09.09.2025

Wir schlittern auf Straßen, in denen weder Milch noch Honig, genauso wenig wie Sliwowitz oder Pilsner fließen.
Es handelt sich auch gar nicht um eine Straße. Wir sind gerade auf einem schmaddrigen Feldweg unterwegs, den der letzte kräftige Gewitterguss in eine glitschige Rutschbahn verwandelt hat. Ich kann von oben auf den kleinen Stausee blicken, zu dem wir unterwegs sind.

Tschechische Alleen

Die Sonne brennt vom blauen Himmel und lässt die Temperaturen schon am Vormittag in die Höhe schnellen.
Das Auto anhalten und den Ausblick genießen, verbietet sich jedoch, denn sobald wir stehen bleiben, versinken die Räder auf Nimmerwiedersehen in der dicken Lehmpampe. Also schlingert die Räuberhöhle Kilometer um Kilometer hoch über dem Gewässer.

Telĉ

Immer wilder wird die Fahrt und meine Panik nimmt unaussprechliche Ausmaße an. Schon wieder muss ich jammern: Ohnein – ohnein – ohnein! Wir werden den tiefen Abhang hinabstürzen, in Schlamm, Morast und Glibber untergehen, von den wilden Wildschweinen gesuhlt, gewälzt und untergetaucht und uns für immer in den einsamen Weiten von Tschechisch Kanada auflösen, zerfallen, verdunsten. Ohnein – ohnein – ohnein!

Tschechisch Kanada

Ich will auch gar nicht mehr in diesen blöden Stausee, man muss sich nicht jeden Tag waschen, Körperhygiene wird sowieso und immerzu maßlos überbewertet!
Als die Hinterreifen des Kangoo schon wieder gefährlich schlingern und das Heck beinahe über dem Abgrund pendelt, schlage ich die Hände vor das Gesicht, ich kann dem Schicksal nicht in die kalten, unerbittlichen Augen sehen.

Teufelsarsch

Ein letztes Aufheulen des Motors, dann verkündet der Held nicht ohne Stolz: „Oh Mann, auch hier ist das Wasser nur braune Brühe!“

Ich kann es kaum glauben, aber wir sind ohne Blessuren, Kratzer oder Beulen und sogar ohne das obligatorische Urlaubsfestfahren am Stausee angekommen.

Böhmische Felder

Ein Angler sitzt bewegungslos am Ufer gegenüber, eine Tretbootfamilie schippert in der Sonne, eine autonome Entenbrigade patrouilliert auf dem Gewässer.
Wir nehmen unser tägliches Bad, aber wahre Freude sieht anders aus. Bisher waren wirklich ausnahmslos alle Flüsse, Bäche, Seen und Teiche restlos überdüngt und veralgt, wodurch sich wohl nur der allseits begehrte Silvesterkarpfen darin wohlfühlt. Aber der Stink muss ab, zumal bei diesen sommerlichen Temperaturen. Denn entgegen aller Unkenrufe der WetterApp begleitet uns die Sonne auf dieser Reise.

Telč

Als sich zur Mittagszeit der Angler gegenüber, ganz entgegen meinen Erwartungen doch wieder bewegt, bitten freundliche Mitarbeiter des Wasserwerks darum, die Räuberhöhle aus der dichten Uferböschung an den Wegesrand zu fahren: „Auto – da – Wasser“. Erst jetzt wird deutlich, wie viele Fahrzeuge sich in den Büschen versteckt haben. Plötzlich tauchen rund um den See jede Menge PKWs aus den Zwetschgensträuchern auf! Vermutlich soll verhindert werden, dass Treibstoff oder Öl ins Wasser gelangen. Oder das eine oder andere Mobil ist schon mal mit der fragilen Sandklippe abgebrochen und im See gelandet.

Tschechisch Kanada

Vielleicht fragt ihr euch, ob wir das kleine Tschechien als Reiseland empfehlen können? Ein Abstecher lohnt sich auf jeden Fall!
Das Riesengebirge ist nicht weit, bietet unendlich grüne Alleen, bewachsen mit Eichen, Linden oder Kastanien, deren Romantik von keiner Leitplanke gestört wird. Und wenn ihr den nächsten Hügel erklommen habt, kann es sein, dass sich plötzlich ein weiter Blick auf die Schneekoppe eröffnet. Und das ist schließlich laut VisitCzechia das „tschechische Matterhorn“. Im Übrigen gibt es die tschechischen Dolomiten, das Böhmische Paradies und Böhmisch Kanada.

Schneekoppe!

Wir finden viele ruhige Landstriche, in denen der Tourismus noch sanft vonstatten geht. Die Menschen sind entspannt und sehr höflich und schnell bereit, zu Hilfe zu eilen, wenn Reisende mit den Gegebenheiten nicht zurecht kommen. Junge Leute sprechen sehr gut und beinahe fließend englisch. Und die ältere Generation kann sich oft an ein paar Brocken deutsch erinnern.

Radwegweiser

Kulinarisch können mich die Tschechen jedoch nicht überzeugen. Auch wenn der Lebensmitteleinkauf vergleichsweise preiswert ist, haut mich weder die eingeschränkte Käseauswahl vom Hocker, noch begeistern mich mit Speck gefüllte Knödel, riesige Kochschinken oder Mandelcreme, die sich nach dem Kauf unbarmherzig als Leberwurst entpuppt. 

Rohlík mit Mandelcreme

Gemüse scheint hauptsächlich aus Kohl zu bestehen und die Campingküche gestaltet sich auf dieser Tour eher einseitig.
Dafür wachsen überall Zwetschgen und Pflaumen, die wir fleißig sammeln. Auch die Auswahl an süßem Gebäck ist auf jeden Fall erwähnenswert, besonders die unterschiedlichen Mohnkuchen haben es uns angetan.

Mohnkuchen...

Wir entdecken zufällig dicke Steine in Böhmisch Kanada, finden auch die kleinen Weinberge in Mähren und essen in Telč das obligatorische Softeis, das man in jedem, noch so kleinen Dorf kaufen kann und scheinbar zur tschechischen Kultur gehört, wie das Bier und die Knedliky.

Softeis

Auf dem Reiseprogramm steht jetzt noch Český Krumlov.
Es ist schon seit längerer Zeit des Helden Traum, das Fotoatelier Seidel zu besichtigen. Die Möglichkeit bietet sich jetzt eher unverhofft, wird aber beim Schopfe gepackt, weshalb uns der Weg nun nach Südböhmen führt.

Fotoatelier Seidel

Das Museum ist im Jugendstilhaus der Seidels untergebracht und bietet beeindruckende Einblicke in die Geschichte der Fotografie. Das Atelier ist originalgetreu nachgebaut und veranschaulicht sehr intensiv die Arbeit der Fotografen in den Anfängen dieses Handwerks. 

Alte Holzkameras, Kostüme, Kanapees, bedruckte Tapeten, jede Menge authentisches Interieur aus Zeiten der Jahrhundertwende, die historische Dunkelkammer und ein umfangreiches Archiv auf dem Dachboden ziehen auch Menschen ohne Vorkenntnisse in ihren Bann.

Geradezu verzaubert von der Wirkung dieses wundersamen Ortes, der wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint, wollen wir uns die Altstadt von Český Krumlov, die von der Moldau umflossen wird, nicht entgehen lassen.

Im Geiste noch immer auf einem anderen Stern, erschlägt uns wieder einmal der Riquewihr-Effekt. Nur schnell um drei Ecken und plötzlich finden wir uns einem überbordenden Getümmel wieder. Touristen aller Nationen vereinigen sich. Asiatische Influencer filmen sich mit gedankenvollen Blicken auf den Fluss, Jugendgruppen testen ihre Budweistauglichkeit, Familien kämpfen sich durch Softeisschlangen, Pfadfinder pfeifen sich auf Fingern schrille Signale zu, Klassenfahrten packen ihr Gepäck auf Kanus und kentern auf der Moldau, Pärchen knutschen vor der bunten Kulisse, auf der Brücke ist gerade Schichtwechsel der Straßenmusiker.

Česky Krumlov

Ich bekomme wieder Schweißausbrüche und wir beschließen, genug gesehen zu haben. Der Parkautomat frisst unsere restlichen Kronen und dann nichts wie weg!

Schichtwechsel

Leider ist unser letzter Tag in dem kleinen Land von Misserfolgen getrübt. Das Bauernbarock in Holašovice, nicht weit von Budweis entfernt, ist durch Kirmesbuden des alljährlich stattfindenden Jahrmarkts verbaut, bei deren Anblick ich schon wieder in Schnappatmung verfalle.

Moldau

Also weiter nach Liberec, wo morgen ein Flohmarkt stattfindet, den wir begutachten wollen. Auf der Fahrt landen wir unbeabsichtigt auf einer mautpflichtigen Autobahn und das obwohl ich dem Navi eingetrichtert habe, dass wir diese umgehen wollen. Wir werden nicht richtig schlau aus dem System der tschechischen Bezahlstrecken und buchen nachträglich eine Vignette für schlappe 11 Euro und zehn Tage. Hätten wir mal gleich machen sollen…

Písek

Angekommen an unserem ausgewählten Platz für die Nacht in Liberec, werden wir von freundlichen Ordnern darüber informiert, dass hier gerade das jährliche Musikfestival Benátská! stattfindet und wir woanders schlafen müssen.

Písek

An der Straße zum Berg Ještěd, der mit etwas mehr als 1000m Höhe und einem auffallenden Fernsehturm über der Stadt aufragt, gibt es zwar einige Parkplätze, doch findet am morgigen Samstag ein Autorennen statt. Die Boliden haben ihr Lager auf halber Strecke und dröhnen schon mal die eine oder andere Probefahrt bergauf und bergab.
Zum Glück lässt der Rummel mit einbrechender Dunkelheit nach und wir können hier übernachten.

Flohmarkt in Liberec

Nach etwas mehr als 2300km Rundfahrt und einem Abstecher ins sehenswerte Görlitz kommen wir am Sonntag bei Wolkenbruch, Blitz und Donner wieder am heimischen Herd an. Wir haben uns ein paar Tütchen Kümmel und schöne Erinnerungen mitgebracht und es bleiben noch einige Attraktionen für die nächste Reise zu entdecken.

Neiße - Grenze zu Polen

Also dann: auf ein baldiges Ahoi!

2500 km durch Tschechien


Antworten (1)

Kasi
🍦😊

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