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Polka, Knödel, Becherovka!

Veröffentlicht: 02.09.2025


Ein gewaltiges Rumpeln weckt mich aus süßen Träumen von Straßen, in denen Sliwowitz und Honig fließen. Der Lärm reißt mich aus dem wohlverdienten Nachmittagsnapping, ausgelöst durch eine heftige Windwalze, die die Ruhe vor dem Sturm endlich ablöst. 
Silvesterkarpfen

Der Pausenplatz am Angelteich bietet jede Menge Schatten und ein leises Lüftchen lässt die Hitze etwas erträglicher werden. Leider sieht das Wasser nicht sehr einladend aus. Wie fast alle Gewässer auf unserer bisherigen Tschechien-Reise wirkt es stark überdüngt und schimmert grünbraun. Doch die Zwetschgen fallen uns in den Schoß und schmecken herrlich und wir haben jede Menge Ruhe. 
Zwetschgen!

Irgendwann braust Opa Hundertjahrealt mit seinem roten Flitzer auf den Platz und schlendert mit seiner jungen Hündin an uns vorbei. Ich bin froh, dass "deutsch" auf tschechisch sehr dem Russischen ähnelt und ich mir das Wort gut merken kann. Also zeige ich auf uns beide und sage "Němec". 
Angelteich

Opa plaudert fröhlich drauflos: "Ich habe sechsundneunzig Jahre und gehe mit Auto!" Er zeigt auf seinen roten Schlitten und auf die Hündin, die er trainiert, das hat er schon im Sozialismus gemacht. Dann erzählt er noch jede Menge in seiner Sprache von Kamaradski, was wir aber nicht verstehen. Trotzdem sind wir ausgiebig beeindruckt und freuen uns mit ihm.
Mährischer Heiliger
Dann steigt er wieder in den Škoda und braust mit aufheulendem Motor noch zweihundert Meter am Ufer des Teiches entlang, das Durchfahrtsverbotsschild ignorierend, um die Hündin ins warme, grüne Wasser zu schicken. Doch vorher warnt er uns noch eindringlich vor dem kommenden Gewitter. 
Tschechische Straßen

Der Weg hierher hat uns aus dem Riesengebirge zunächst zur Oderquelle geführt. Diese liegt mitten im militärischen Sperrgebiet und der Zugang ist eigentlich nur am Wochenende gestattet. Wir missachten die gut sichtbaren Verbotsschilder und verstehen ihren Sinn demonstrativ nicht. Wir sind jetzt nicht knapp achthundert Kilometer gefahren, um an einem Montag unverrichteter Dinge wieder umzukehren.


Regeln auf dem Weg zur Oderquelle
Außerdem habe ich auch hier den Eindruck, dass es eigentlich niemanden sonderlich interessiert, solange alle Schranke offen sind und nicht mit scharfer Munition geschossen wird. Wie auch im übrigen Land scheinen Schilder eher Hinweise zu beinhalten. 
Kein Zutritt!

Wir wandern also in der Hitze des Tages im prallen Sonnenschein über gut befestigte Militärwege durch das Odergebirge und werden auf 634 Metern fündig.
Oderquelle
Ein Bohlenweg führt zu einer Schutzhütte, in der man der Quelle ein Monument in Form eines Brunnens gewidmet hat. Das Wasser selbst tröpfelt dahinter aus einem Loch und wird erst nach einigen Kilometern über den Truppenübungsplatz zu einem Flüsschen. Irgendwie unspektakulär. 

Aber mein Ziel der Reise ist damit erreicht. Ich wasche mir mit dem Nass den Schweiß von der Stirn und dann machen wir uns auf den heißen Rückweg. 

Oderquelle

Leider ist das Odergebirge über weite Teile militärische Sperrzone und die Gegend bietet auch sonst nicht sehr viele Aufreger, weshalb wir die Tour durch das Land Richtung Westen fortsetzen. 
Noch ein Ausblick

Und nun stehen wir am Angelteich und die Windwalze einer beeindruckenden Gewitterfront rüttelt an den hohen Pappeln, die rund um die Räuberhöhle aufragen. Geweckt hat mich das tosende Knarzen und krachende Bersten eines gewaltigen Astes, der mit polterndem Dröhnen knapp neben dem Auto auf den Asphalt geknallt ist. 
Platz am Teich

Nicht nur Opa Hundertjahrealt, auch die Wetterapp warnt uns schon seit Tagen vor Blitz, Donner, Sturm und Wolkenbruch. Und deshalb haben wir rechtzeitig vorgesorgt und Regen- und Windschutz aufgebaut. Jetzt schauen wir in die sich biegenden Pappeln und ich bin ein wenig besorgt und hoffe, dass sie sich nicht ausgerechnet jetzt dem Sturm ergeben und reihenweise umknicken. 
Berg-Weiderich

Heute fahren wir nicht mehr weiter und ich gieße mir in aller Ruhe ein Glas Wein ein. Gerade als ich mir den guten Tropfen zu Gemüte führen will, durchzuckt ein blendend heller, greller Blitz den Abend und gleich darauf ertönt ein ohrenbetäubendes, markerschütterndes Krachen in unmittelbarster Nähe. Heidewitzka! 

Fast fällt mir vor Schreck das Glas aus der Hand. Wir schauen uns an und sind uns nun darüber sehr im Klaren, dass das Unwetter genau über unseren Köpfen stattfindet. Der Blitz muss gleich nebenan in einen riesigen Baum eingeschlagen haben. Noch ist der Regen nicht bei uns angekommen und der Held wagt sich noch einmal hinaus in den Sturm, um zu schauen, ob er vielleicht die Einschlagstelle erspähen kann. 

Dunkle Wolken!

Ich will ihn nicht gehen lassen, doch er lässt sich nicht halten und zieht in die Apokalypse. Überaus besorgt muss ich im Schutz der Plane mitansehen, wie der Wolkenbruch einsetzt. Tennisballgroße Regentropfen prasseln höllenlaut auf unsere mobile Behausung und drohen, monströse Löcher zu reißen. Ich male mir die schlimmsten Szenen aus, in denen der Held es nicht mehr schafft, durch die Sturzfluten zu mir zurückzudringen, vom Sturm hinweg gepeitscht wird und uns der Karpfenteich durch einen beispiellosen Tsunami mit einer Riesenmonsterwelle gnadenlos, unnachgiebig, kompromisslos verschluckt.
Mittendrin statt nur dabei...
Doch im letzten Moment, bevor die mittlerweile untertassengroßen Tropfen unsere Schutzhülle zu zerfetzen drohen, gelangt Monsieur atemlos wieder zu mir zurück. 
Im gleichen Augenblick durchbricht ein erneuter tagheller Blitz die Finsternis und ein überwältigendes, betäubend-gellendes Krachen ungeahnter Lautstärke in direkter Umgebung lässt mich erzittern und in die starken Arme meines Beschützers fliehen. Um uns herum toben Urgewalten und wir sind ihnen ausgeliefert. In dieser Hölle hilft nur noch der Faradaysche Käfig! Schnell klettern wir in den schützenden Kangoo, wo ich schlotternd und bibbernd das Ende des Ungemachs abwarte. 
Pause an der March

Bald ziehen Blitz und Donner weiter und der Regen trommelt uns in den Schlaf. Am nächsten Morgen ist der Himmel blau gewaschen und die Sonne strahlt uns aus reiner, frischer Luft entgegen. 
Mährische Allee

Der Wind hat die köstlichen gelben Zwetschgen vom Baum gepustet, deren leckere Säure so himmlisch an Zitronen erinnert. Wir sammeln ein paar für unterwegs, der Rest bleibt für heimischen Sliwowitsch.

Jetzt machen wir uns auf die Suche nach den Böhmischen Dörfern.

Antworten (2)

Maria
Ich habe herzlichst gelacht. Richtig schön geschrieben.

Kasi
🤩

Tschechien
Reiseberichte Tschechien
#tschechien#oderquelle#camping#minicamper#gewitter#zwetschgen