Veröffentlicht: 19.09.2025






































Regen trommelt lautstark auf das Wohnwagendach und weckt mich aus Träumen von Straßen, in denen Crémeux und Riesling fließen.
Es handelt sich um das Motto unseres Reisejahres 2025.
Dabei haben wir auf Anraten der Wetterfrösche unsere Route geändert und den ursprünglichen Plan, über Metz und Nancy an Mosel und Marne entlang in Richtung französischen Süden zu gondeln verworfen, weil für diese Region ergiebiges Schauerwetter vorhergesagt wird.
Na klar, die dicken Wolken bleiben an den Ballons der Vogesen hängen und regnen sich an deren Westseite ab.
Doch weit gefehlt! Um uns zu foppen, ziehen sie in einem weiten südlichen Bogen um das Mittelgebirge herum, erwischen uns eiskalt am Sonntagmorgen an den Elsässischen Weinbergen und verhageln die sorgsam geplante Flohmarktroute.
Und das, nachdem wir, kaum den Rhein überquert, vom angesteuerten Schlafplatz flüchten müssen. Ein Technofestival macht mit dröhnend-berstenden Bässen, die die Nasenflügel schnarren und die Hosenbeine vibrieren lassen eine geruhsame Nacht undenkbar.
Nun stehen wir am Fuße des Bollenberges und wundern uns während der wohlverdienten Mittagspause über die rege Betriebsamkeit an dem scheinbar gemütlichen Plätzchen.
Kleine Weinbautrecker mit Anhänger poltern an uns vorbei. Deutsche Rentner rasen elektrisch angetrieben bergan. Französische Halbstarke mit Migrationshintergrund fegen auf Elektrorollern ins Dorf. Kleine Weinbautrecker ohne Anhänger donnern Richtung Weinberg. Gestresste Väter versuchen, ihren schreienden Hosenscheißern das Fahrradfahren beizubringen. Drei Hunderunden kreuzen ihre Wege, wobei immer wieder erstaunlich ist, dass kleine Vierbeiner die Großen ankläffen und sich auch in Unterzahl wichtig machen. Große Weinbautrecker mit Anhänger rattern zur Mittagspause. Mehrere Joggerinnen drehen ihre Runden. Vier Weinbaukleinbusse, vollgestopft mit Erntehelfern brausen mit Affenzähnen in die Mittagspause. Gefolgt von weiteren drei großen Weinbautreckern mit und ohne Anhänger.
Schon wieder fliegen deutsche Rentnerehepaare auf millionenschweren E-Bikes Richtung Vogesengipfel. Und zwei Nordicwalker versuchen ihr Glück beim Geocaching.
Ergänzt wird das Ganze durch das ohrenbetäubende Duett aus dem Geknatter der Motorsensen ohne Schalldämpfer und dem kleinen Weinbautrecker ohne Auspuff.
Die Glocken der Kirchen der beiden angrenzenden Dörfchen läuten, natürlich nacheinander zur Mittagspause und dann ist plötzlich Ruhe.
Wow. Wir sind völlig geflasht von der unerwarteten Hektik und noch dabei, die Unruhe zu verarbeiten, da geht das Ganze wieder Retour.
Die Erntehelfer werden zurück in den Weinberg gekarrt, die Trecker mit und ohne Anhänger folgen auf dem Reifen.
Die E-Biker, Joggerinnen und Hunderunden müssen an ihren Ausgangspunkt zurück - der kleine Spitz kläfft noch mal die großen Schäferhunde an - die E-Roller-Kids sausen lautlos zurück zur Schule und der genervte Papa zieht den kreischenden Sohnemann auf dem Dreirad zu Oma.
Jetzt wollen wir in aller Ruhe den Bollenberg entdecken, über den mystische Sagen und Legenden in Umlauf sind.
Hexen treffen sich seit keltischen Zeiten hier zur Lichtmess und brauen aus seltensten, magischen Pflanzen okkulte Zaubertränke. Mit Reisigbesen fliegen sie über sonnenbeschienene Weinberge, verfluchen gierige Bauern, belohnen fleißige Mägde, bestrafen gemeine Stiefmütter, verarzten kranke Kinder, verzaubern herzlose Schwiegersöhne.
Geheimnisumwitterte Menhire stehen auf dem Gipfel und bewirken rätselhafte Wunder. Angeblich sollen Berge versetzt und Wasser in Wein verwandelt worden sein.
Einzigartige Kräuter wachsen auf unerforschten Magerrasenwiesen.
Der Spaziergang zur "Hexenkapelle" versetzt uns mit einem überwältigenden Ausblick über den Rhein zum Schwarzwald bis zu den Ausläufern der Schweizer Alpen in unerwartetes Staunen.
Pralle, reife Trauben in weiß, rot und rosé - ist das eine neue Züchtung? - lachen uns im Weinberg an und verführen uns zum Mundraub: saftig, zuckersüß, sonnenaromatisch, unwiderstehlich.
Madame Vignoble kontrolliert in kniehohen, knallgrünen Gummistiefeln am nächsten Abzweig den korrekten Ablauf der diesjährigen Lese und mustert uns argwöhnisch abschätzend.
Schnell lassen wir möglichst unauffällig die klebrigen Hände in den Hosentaschen verschwinden und beenden die kleine Wanderung diskret pfeifend.
Wir entdecken uns bisher völlig unbekannte Pflänzchen: das Gelbe Sonnenröschen, der Blauweiderich, der Weiße Schwalbenwurz, die Bunte Kronwicke, die Großblütige Braunelle, den Schwarzen Nachtschatten, den Acker-Rettich, um nur ein paar zu nennen und euch nicht zu langweilen.
Einige werden vermuten, dass wir auf der Suche nach einem Heilmittel für unsere, seit Wochen schmerzenden und nervenden Zipperlein sind. Und ich will das nicht komplett von der Hand weisen.
Doch die Kräuterhexe begegnet uns nicht und den Tanz um den Menhir hätte ich wohl doch bei Vollmond und ohne Schlüpfer ausführen müssen.
So muss ich weiter die Pharmadrogen konsumieren, mich damit begnügen, als Beifahrerin aus dem Fenster zu staunen und hoffen, dass wir beide unsere vierwöchige Reise bis zum letzten Tag genießen können.
Ein kleines Wunder hat uns der Bollenberg, neben ganzen vier bunt leuchtenden, strahlend schönen Regenbogen an nur einem Tag aber doch beschert: einen schönen verregeten Grillabend mit Freunden aus Braunschweig. Weil wir es einfach nicht schaffen, uns zu Hause zu treffen...
