Wir bummeln mit ungefähr 50 Kilometern am Tag durch das Franche-Comté. Heute führt uns Reiseführer Zufall in das kleine Städtchen Selles am Canal des Vosges. Canal des VosgesUnd hier staunen wir über eine antike Drehbrücke, ganz aus Stahl und Nieten, die offensichtlich noch in Betrieb sein muss, denn anderenfalls würden die kleinen Hausboote den Kanal nicht weiter befahren können und ihre Tour auf dem Wasser beenden müssen. Drunter durch geht es nicht, das Bauwerk ist zu niedrig.Pont tournant de Selles Über die Brücke rumpelt der Verkehr der D50 in den Ort. Im Wärterhäuschen direkt an der recht gut frequentierten Straße wartet Monsieur Lepont auf Arbeit. Nähert sich ein Pénichette, springt der junge Mann aus der Loge und setzt den Drehmechanismus der Brücke in Gang. Kurbel für die Schranke Doch heute ist auf der Wasserstraße nicht viel los, die Hauptsaison der Bootsvermietung ist beendet. Die deutschen Rentner rasen derzeit lieber mit dem E-Bike den Treidelpfad entlang oder genießen die Slowmotion-Variante mit Pferd und Schäferwagen.Le Côney Für Aufregung sorgt zur Mittagszeit der junge Treckerfahrer, der sein gigantisches Fahrzeug zwar auf die enge Brücke zirkuliert, jedoch die Breite des Anhängers gehörig unterschätzt. Mit laut quietschenden Bremsen und einem krachenden Poltern kommt das mächtige Gespann mitten auf der schmalen Überführung zum Stehen.DrehbrückeMonsieur Lepont fällt vor Schreck die gerade entzündete Zigarette aus dem Mundwinkel, der Hafflinger scheut vor seinem hölzernen Anhänger und ein elektrisches Fahrrad kippt krachend aus dem Ständer. Es folgen jede Menge sehr unanständige Flüche und Gehupe. Doch der Jungbauer lässt sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Der Gang ist flott und scheppernd eingelegt, der nachfolgende Renault macht ganz fix Platz und schon wird der Trecker rückwärts zurück auf die Dorfstraße manövriert. Bald kehrt wieder mittägliche Ruhe am Kanal ein.Plaque Michelin Für die ganz große Show brauchen wir jetzt ein Schiff, damit wir Funktionsweise dieses technischen Brückenwunders aus dem 19. Jahrhundert und dessen Bedienung von Hand in voller Pracht bestaunen können. Doch unsere Siesta nähert sich dem Ende und ich brauche meinen Mittagsschlaf. Schon kann ich die Augen nicht mehr offen halten und werde nur noch durch die französischen Jagdflieger wach gehalten, die alle paar Minuten mit dröhnenden Düsentriebwerken keine 100 Meter über unseren Köpfen herumdonnern. Platanenallee Ein bisschen eingeschnappt mache ich es mir für das tägliche Napping auf dem After-Eight-Sofa im Mistral gemütlich, da höre ich das aufgeregte Rufen des Helden: "Un bateau, un bateau!" Die Müdigkeit ist wie vom Winde verweht, wir schnappen unsere Handys und bringen uns in Boatspottingposition.Platz zwischen Kanal und Côney Der Käptn des kleinen Hausboots steht an Deck und erkundet die Lage. Doch im Wärterhäuschen tut sich nichts, keine Regung, die Tür bleibt verschlossen, die Brücke versperrt seinen Weg. Seine Schaluppe dreht nach backbord ab und der Steuermann wird nervös. Der Käptn greift zum Fernrohr, doch das ändert nichts an der Ruhe vor dem Ansturm. Der Maat greift zum Telefon und wir sehen ihn wild gestikulieren und die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.Canal des Vosges
Was ist denn nur mit Monsieur Lepont passiert? Eben noch hat er seine Kippe ausgetreten und sie penibel im Mülleimer entsorgt, ich habe das genau beobachtet. Mitterweile taucht der Smutje aus der Kombüse auf und wirft die Angel aus, heute gibt es leckeren Karpfen du canal zum Kapitänsdinner.Le Côney Der Steuermann ist inzwischen sauer und dreht am Rad. Der Käptn holt die Flüstertüte an Deck, klettert in das Krähennest und überschüttet Kanal und das ganze Dörfchen mit derben Seemannsflüchen: "Beim heiligen Nepomuk, dem Klaubautermann und allen Sankt-Elms-Feuern, ich werde euch elende Landratten kielholen, über die Planken gehen und am höchsten Mast aufknüpfen lassen! Ich bin der Bezwinger der sieben Weltmeere, Enkel von Käptn Jack Sparrow und ich ziehe am Seemannsgarn, dass ihr Steuerbord nicht mehr von Backbord unterscheiden könnt! Ihr stinkenden Sprotten, ihr dreckigen Polleraffen! Beim Holzbein meiner Großmutter, beim Enterhaken meines Uronkels, der die Meuterei auf der Bounty angeführt hat, öffnet die Schleusen oder es gibt hier Mast- und Schotbruch als ob der Blitz einschlägt!"Schranke ist zuHeiliger Bimbam! Da will man sich gleich anschließen und "Alle Mann von Bord, Frauen und Kinder zuerst, es wird geentert und gekapert!" ausrufen. Staunend bleiben E-Biker, Joggerinnen und Hunderunden stehen und auch wir sind sehr interessiert, wie das hier nun weitergeht.
Madame Promenade kehrt gerade von ihrem Spaziergang zurück, fixiert den tobenden Käptn mit einem kühlen Blick, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, geht über die historische Brücke und klopft energisch bei Monsieur Lepont. Der steckt nach einem kleinen Weilchen den Kopf aus der Tür und wischt sich verschämt den Schlaf aus den Augen.
Brücke setzt sich in Bewegung Jetzt geht alles ganz rasant, kaum dass wir es schaffen, die Fotoapp zu aktivieren. Monsieur springt aus dem Häuschen, schließt von Hand die uralten Schranken, dabei sehr bemüht, sich das Gegengewicht nicht auf die Füße fallen zu lassen. Sodann eilt er die Treppe am Quai hinunter und hebt mit einer Handkurbel die tonnenschwere Stahlkonstruktion der Brücke an.Monsieur Lepont dreht
Oooh Wunder der Technik: offensichtlich ist das stählerne Ungetüm auf der Achse gut geschmiert und lässt sich ganz einfach durch Mannesmuskelkraft zur Seite drehen. Nach wenigen Augenblicken ist der Weg Richtung Weltmeere für den Käptn und seine Armada frei.Der Weg ist endlich frei Der Maat bläst zum Abschied das Nebelhorn und der Steuermann hat noch ein paar Weisheiten auf Lager: "Nur ein toter Fisch schwimmt mit dem Strom, trinkt der Skipper morgens Rum, wird das Achterwasser krumm, geht die Sonne auf im Westen, solltest du den Kompass testen! Schiff ahoi!"Der Käptn kann seinen Weg fortsetzen Französische Jagdbomber donnern im Tiefflug über den Kutter, dass sich die Pappeln am Kanal biegen und es Kastanien regnet. Monsieur dreht die Brücke zurück, öffnet die Schranken und der nächste Bauernsohn zirkuliert seinen blauen Monstertrecker in Millimeterarbeit und um Haaresbreite über den Kanal.Die Schranke ist wieder oben! Jetzt kann ich mein Mittagschläfchen halten. So viel Aufregung in einer Siesta, die Entspannung haben wir uns redlich verdient! Schließlich sind auch stille Wasser nass und man soll die Crew nicht vor dem Abend loben...