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Californication mit Espresso

Veröffentlicht: 01.09.2020

Irgendwie schien die letzte Trail-Abfahrt dem Innenlager gut getan zu haben. Als ich mich nämlich in Saint-Michel-de-Maurienne am nächsten Morgen wieder aufs Radel setzte waren die Geräusche und der Widerstand weg. Nicht, dass das Innenlager auf einmal einen allzu gesunden Eindruck auf mich machte, es war immer noch ziemlich wackelig. Aber es schien sich wohl zumindest irgendwie eingerüttelt zu haben. Nichtsdestotrotz wollte ich das Problem schnellstmöglich aus der Welt schaffen, und entschied, die verbliebenen 70 Kilometer und 2000 Höhenmeter nach Briançon in einer Gewaltetappe durchzuziehen. Vielleicht könnte ich dann schon abends das Lager tauschen und den folgenden, letzten schönen Tag noch für eine Tagestour vor Eintreffen der nächsten Schlechtwetterfront nutzen.

Also startete ich in aller Herrgottsfrüh um mich den ersten Pass nach Valloire hochzuquälen. Ein weiterer Skiort, aber doch mit einem angenehmeren Flair als Les Arcs oder Meribel. Von dort ging es weiter hoch Richtung Col du Galibier, einer anscheinend gerade bei Rennradfahrern, die mich beinahe kontinuierlich überholten, äußerst beliebten Destination. Irgendwann bog ich dann aber links ab, denn mein Ziel sollte der Col des Rochilles sein. Auf grober Schotterpiste beinah bis ganz oben fahrbar, tauchte man nach dessen Überschreitung ein in ein wunderbares Panorama einer hochalpinen Seenlandschaft. Mehrere tiefblau schimmernde Juwele reihten sich auf einem Plateau aneinander, umgeben von schroffen Felsnadeln und drängten mich beinahe unwiderstehlich zu einer Rast. Die Höhenmeter waren ja eh schon alle abgehakt, und es war gerade mal 14 Uhr. Somit hatte ich mir doch ein kleines Genuß-Zeitfenster verdient.

Die verbleibenden 30 Kilometer führten nun weiter in das nächste landschaftliche Highlight, das Val-des-Pres, durch eine unberührte Natur aus lichten Arvenwäldern unter kargen Felszacken. In Kombination mit dem strahlend blauen Himmel kam ich mir vor als wäre ich in der Sierra Nevada in Kalifornien gelandet anstatt in den Alpen. Gerne wäre ich die nächste Nacht auch in dem Campingplatz ganz oben im Talschluss geblieben, aber mir machte da ja das leidige Innenlager einen Strich durch die Rechnung.

Weiter durch eine Reihe kleiner, abgelegener Dörfer rollend hatte ich aber noch ausreichend Zeit, die Landschaft ausgiebig zu genießen bis irgendwann dann doch mal mein Zeltplatz kurz vor Briançon auftauchte. Nach schnellem Checkin war es 16:30 Uhr, und ich hatte noch 2,5 Stunden zur Problemlösung. Teil eins davon war einfach - das neue Innenlager beim Tabakladen abholen. Unmittelbar im Anschluss ging es sofort mit Teil zwei weiter, dem Abklappern der Fahrradläden. Und natürlich kam es so wie es kommen musste - jeder Mechaniker jammerte mir vor, wie viel er doch zu tun hatte und dass er sich mit meinem Problem frühestens in ein paar Tagen auseinandersetzen könnte. Ich ahnte schon Schlimmes. Doch eine der Werkstätten verwies mich an einen Bekannten, bei dem ich es mal probieren sollte. Dort angekommen stellte sich raus, dass dies nur ein Verleih war. Aber der Bekannte verstand endlich mein Problem und die Zeitnot. Nicht nur, dass er einen Mechaniker zwei Dörfer weiter anfunkte, sondern er fuhr mich auch noch kurzerhand zusammen mit dem Radel dahin. Ich war meinem Retter in der Not sowas von dankbar. Es hat also tatsächlich noch funktioniert- um 18:30 Uhr, aus Kulanz, mit Vitamin B und nach Geschäftschluss wurde mein Innenlager getauscht. Und die Arbeit am Radel hat letztendlich nicht länger als 10 Minuten gedauert. Total erschöpft aber glücklich rollte ich zurück zu meinem Zeltplatz.

Am nächsten Morgen konnte ich also Montgenevre in Angriff nehmen - ein kleiner Skiort an der Grenze zu Italien auf einer Passhöhe in 2000 Metern Höhe. Also sozusagen das Kühtai der Westalpen. Von dort startete ich meine Tagestour zu den Seen der sieben Farben. Hatte ich am Tag zuvor schon etwas Kalifornien schnuppern können, so wurde ich heute davon regelrecht überwältigt. Eine trockene und staubige Hochebene, umgeben von mächtigen Gipfeln, und durchsetzt mit lichtem Wald und azurblauen Seen. Nur durch den mediterranen Einfluss konnte ich mir erklären warum diese Landschaft so ganz anders war, als das was ich die letzten Wochen in der Schweiz durchradelt hatte. Passend dazu war auch der Trail runter nach Claviere auf der italienischen Seite California-mäßig flowig. Erst der Espresso und die vielen Peugeots und Fiats im Dorf erdeten mich wieder und machten mir klar wo ich mich eigentlich gerade befinde.

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#bikepacking # briançon # montgenèvre # val-des-pres