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Ein Stelldichein mit Jack jenseits des Polarkreises

Veröffentlicht: 02.09.2020

Nach den anstrengenden letzten Tagen muss ich gestehen, dass ich mich auf das nun eintreffende Tiefdruckgebiet und die damit zu rechtfertigenden Ruhetage schon richtig freute. Zumal es in Montgenèvre keinen Zeltplatz gab, dafür aber recht günstige Unterkünfte. Ärgerlich war nur, dass meine Speiche immer noch nicht geflickt war, und ich deswegen nochmal ins 600 Höhenmeter tiefer gelegene Briançon musste. Abermals musste ich mehrere Fahrradläden abklappern bis endlich mal einer über eine Speiche in der richtigen Größe verfügte. Netterweise baute der Schrauber die dann aber auch gleich ein.

Nun musste ich nur wieder zurück nach Montgenèvre. Angeblich fuhr nachmittags ein Bus, der auch Fahrräder mitnehmen würde. Nur bestätigen konnte mir das niemand. Ich hatte also die Wahl - entweder die letzte trockene Stunde nutzen, oder warten auf den Bus, und wenn der dann doch keine Radel mitnimmt im strömenden Regen selbst hochkurbeln. Tja, und da ich die Low Risk Variante vorzog, kam es, dass ich an meinem Ruhetag doch wieder 600 Höhenmeter hochgestrampelt bin, und es gerade noch vor dem Regen in meine trockene Unterkunft schaffte.

Die nächsten eineinhalb Tage gab es dann Dauerregen. Passend dazu hatte ich sogar mal ein Einzimmerappartement ergattert, und konnte mir das Spektakel draußen somit ganz gemütlich und aus sicherer Entfernung anschauen. Das war auch gut so, denn ich will gar nicht wissen, wie es nach dem Temperatursturz und bei akutem Dauer-Platzregen im Zelt gewesen wäre. Man muss ja nicht jede Erfahrung mal gemacht haben.

Für Sonntag war dann Wetterbesserung angesagt, und ich hatte fest vor, nun die zweite geplante Tagestour in der Gegend in Angriff zu nehmen. Ich wollte auf den Mont Chaberton, den hier alles überragenden Grenzberg zwischen Italien und Frankreich. Und wie es sich für einen Berg mit so einer Lage gehört, gibt es natürlich eine skurril-tragische Weltkriegsepisode dazu. Die Italiener hatten nämlich schon 1891 die grandiose Idee für kommende Kriegsspielchen mit den Franzosen ein Fort auf den Gipfel dieses Berges zu bauen. Bestückt mit acht Türmen sieht der Gipfel seitdem so aus als hätte er eine Krone. Zum Einsatz sollte das Fort dann erstmals durch Mussolini 1940 im zweiten Weltkrieg kommen. Die cleveren Franzosen hatten allerdings etwas versteckt zur Überwachung des Forts schon einige Geschütze aufgebaut. Kaum war das Ding also komplett  fertiggestellt, feuerten die Franzosen mal acht Schuss ab, und das Fort war damit ruckzuck zerstört. Blöd gelaufen für Mussolini, und eigentlich ziemlich schade, dass die Franzosen einem anderen Möchtegern-Kriegsherren dieser Zeit nicht eben so viel entgegensetzen konnten.

Jedenfalls führt dank des Forts immer noch eine alte Militärstraße bis auf den Gipfel in luftigen 3136 Metern. Da wollte ich hin. Da sich das Wetter aber nur langsam besserte, startete ich nicht ganz unten an der Militärstrasse, sondern nahm die Abkürzung hoch über den Abfahrtstrail ab Montgenèvre. Es war wirklich frostig an dem Tag, schon von unten konnte man an den weiß eingepuderten Höhen erkennen, dass das Erreichen des Ziels alles andere als selbstverständlich war. Bis zum Abzweig auf die Militärstrasse in 2800 Meter kam ich noch mit dem Bike. Aber dann war Schluss, die restlichen 400 Höhenmeter musste ich zu Fuß durch verwehten, teils bis zu 20 Zentimeter hohen Schnee stapfen. Nach den mediterranen Glücksgefühlen vor ein paar Tagen kam ich mir nun vor, als hätte ich gerade den Polarkreis überquert. Und meine Klamotten waren auch nicht dafür ausgelegt. Insbesondere in den Halbschuhen verwandelten sich meine vom Schnee durchnässten Füße zunehmend in steif gefrorene Eiszapfen.

Aber der Aufstieg an diesen seltsamen Ort war es durchaus wert. Die Aussicht war durch die Restwolken zwar recht eingeschränkt, aber das halb verfallene Fort und die Überreste der acht Türme hatten, umgeben von winterlichen Nebelschwaden, einen ganz eigenen, morbiden Charme. Als ich mich so in dem frei zugänglichen und riesigen Komplex aus Weltkriegs-Ruinen verlor, begleitet von dem einsamen Echo meiner Schritte, dachte ich, dass sich Jack aus Shining hier auch außerordentlich wohl fühlen würde. Mit vollem Genuß könnte er seiner Lieblingsbeschäftigung an unbedarften Besuchern wie mir nachgehen. Bevor es aber soweit kam, machte ich mich lieber wieder auf den Heimweg und erreichte schon leicht unterkühlt mein Radel. Über den Trail, den ich schon hochkam ging es recht anspruchsvoll zurück zu meinem gemütlich warmen und gerade jetzt überaus hoch geschätzten Apartment.

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