Veröffentlicht: 07.09.2020
Nach dem längeren Zwischenstopp in Montgenèvre war es an der Zeit die nächste größere Etappe anzugehen. Zuerst sollte die mich durch den Naturpark Queyras führen, dann am Monte Viso vorbei ins Piemont und zum Etappenziel Barcelonnette in den Provenzialischen Alpen. Das sind 220 Kilometer und über 8000 Höhenmeter in sehr dünn besiedeltem Gebiet, und wird einige Tage in Anspruch nehmen. Ich war gespannt.
Der Aufbruch war erstmal irritierend. Es war Montag und nahezu alle Geschäfte, selbst der Bäcker, waren geschlossen - das Ende der Sommerferien in Frankreich bedeutete für Montgenevre wohl auch das ziemlich abrupte Saisonende. Es war also definitiv Zeit, weiterzureisen. Der Aufstieg zum ersten Pass war mit 500 Höhemetern noch recht entspannt, und nach einem letzten Blick auf den stolzen Mont Chaberton ging es über sanfte Flowtrails in ein einsames und langgezogenes Tal, das an einigen wenigen Gehöften und Weilern vorbeiführte und in den Wanderweg zum Col du Malrif mündete. Eine längere und durchaus anstrengende Schiebepassge erwartete mich hier mit einem sehr steilen Finale kurz vor der Passhöhe auf 2850 Metern. Schneekontakt wie tags zuvor blieb mir zwar erspart, aber frostig kühl mit lebhaftem Wind und einigen Hagelkörnern waren immer noch zu ertragen. Wie schon so oft in den letzten Tagen veredelte auch hier ein tiefblauer Bergsee die karge Gebirgslandschaft und ließ die Aufstiegs-Strapazen schnell wieder vergessen.
Anfangs ziemlich ruppig, dann immer flüssiger ging es bergab. Erst am Steilhang entlang, dann mitten durch eine Schafherde, vorbei an kläffenden Hirtenhunden und entspanntem Schäfer, in den Arvenwald hinein und flowig weiter bis irgendwann Abries auftauchte. Ein kleine, beschauliche Gemeinde und hauptsächlich Durchgangsstation für Wanderer, die den GR 58 machten, einem Weitwanderweg durch den Queyras, dem ich heute teils auch gefolgt war. Dementsprechend angenehm war es, dass viele meiner Zeltnachbarn auch nur mit Muskelkraft unterwegs waren, und der Campingplatz für unsere Bedürfnisse ausgestattet war - es gab eine kleine aber feine, für alle nutzbare Zeltküche. Einem selbst zubereiteten Frühstück und Abendessen mit Zutaten aus dem Dorfladen stand also nichts mehr im Wege.
Die Nacht darauf war bitterkalt. Obwohl nur auf 1500 Meter gelegen habe ich auf meiner Tour bisher selten so gefroren. Im Schlafsack hatte ich alle Klamotten an, die wärmten. Damit ging es gerade so ohne zu zittern. Dass das alles keine Einbildung war, zeigte sich am nächsten Morgen daran, dass das Kondenswasser am Zelt festgefroren war. Der Herbst kündigte sich also an, und ich sollte wohl schauen dass ich schleunigst in mediterranere Gefilde gelange.
Allerdings wollte zuvor noch eine Tagestour zu dem angeblich besten Trail der Region gemacht werden. Um zum Startpunkt zu kommen, hieß es dazu im parallel verlaufenden Tal auf Teer bis zum Col Agnel hochpedalieren. Die Sonne schien und wärmte langsam meine steif gefrorenen Glieder wieder auf. Als ich also so vor mich hin sinnierte dass eigentlich grad alles ganz gut lief, merkte ich auf einmal, dass mit meinem Zahn etwas nicht stimmte. Da war eine scharfe Kante, die war vorher noch nicht da. Ich erinnerte mich an das leckere, aber auch sehr knusprige Baguette vom Frühstück, und an dieses krachende Geräusch beim Kauen, das ich nicht so recht zuordnen konnte. Das war wohl ein Stück vom Zahn, dass da abgebrochen war. Na toll, irgendwas ist halt immer. Und da der nächste Zahnarzt noch weiter weg war wie die nächste Fahrradwerkstatt, setzte ich mal auf die gleiche Strategie wie beim kaputten Innenlager. Einfach mal weiterfahren, und das Problem ignorieren solange dies möglich ist. Zum Glück kam dann irgendwann der Trail zur Ablenkung. Und der erfüllte wirklich alle Kriterien um der beste der Region zu sein. War jedenfalls ein Heidenspaß, der erst kurz vor Abries wieder endete.