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Guatemala: Semana Santa (Antigua Teil 2 & Pacaya)

Veröffentlicht: 13.04.2018

Im Shuttle von Playa El Tunco nach Antigua geschah etwas äusserst Merkwürdiges. Vor uns im Shuttle sass ein amerikanisches Ehepaar, das war mehr als deutlich zu hören. Soweit also noch nichts Besonderes. Als sich der Mann dann allerdings zu uns umdrehte und fragte, ob wir aus der Schweiz kommen, mussten wir zweimal hinhören und trauten unseren Ohren zuerst nicht. Hat der gerade schweizerdeutsch gesprochen? Der gute Mann heisst John, ist ein waschechter US-Amerikaner, hatte wie sich herausstellte eine Grossmutter aus Basel….und spricht wirklich ziemlich gut schweizerdeutsch….sogar mit Basler Akzent….wo gibt’s denn sowas? Amerikaner sind normalerweise ja nicht unbedingt bekannt dafür, Fremdsprachen zu beherrschen, und haben dadurch den ewigen Nachteil, dass alle rundherum zwar sie verstehen, aber sie selbst niemand anderen verstehen. John bildet da definitiv eine grosse Ausnahme, er ist ein wahres Sprachtalent. Neben Englisch und Schweizerdeutsch spricht er auch Spanisch, Französisch und etwas Portugiesisch. Da staunten wir wirklich nicht schlecht. Jedenfalls wurde es eine muntere Busfahrt mit Gesprächen in allen möglichen Sprachen, ein Kreuz und Quer aus englisch, schweizerdeutsch, spanisch und französisch, neben uns sass nämlich auch noch eine junge Frau aus Yverdon le Bains. Ich stellte auch erschreckt fest, wie schwierig und ungewohnt die spontane Umstellung auf Englisch plötzlich geworden ist, früher mein tägliches Brot, nachdem ich mich mittlerweile so sehr ans Spanisch gewöhnt habe. Von Französisch ganz zu schweigen…..Oui, c’est realmente muy difficile.

Glücklicherweise hatten wir auch eine einheimische Frau aus Antigua im Bus, die uns nämlich gerade über das Festprogramm informieren konnte. Ich hatte nämlich zuvor schon erfolglos im Internet versucht, das Programm der Semana Santa in Erfahrung zu bringen. So erfuhren wir, dass das grosse Programm schon heute Abend starten würde, nämlich um Mitternacht vor der Kirche La Merced mit den Römern. Anschliessend würde morgens um 3 Uhr die erste grosse Karfreitags-Prozession ebenfalls bei der Kirche la Merced starten. Die ganze Woche hatte es schon Prozessionen gegeben, und auch schon in den Wochen davor, wie wir ja selber erlebt hatten. Aber Karfreitag war definitiv der wichtigste Tag.

Also fanden wir uns natürlich abends um 22:30 Uhr auf dem Platz vor der Kirche La Merced ein, ohne recht zu wissen, was uns genau erwarten würde. Zuerst einmal erwartete uns ein riesiges Volksfest. Es gab unzählige Essensstände, Süssigkeitenläden, Strassenverkäufer und tausende von Menschen. Die Leute schliefen teilweise auf dem Boden oder hatten sogar Zelte im kleinen Park aufgestellt. Alkohol in der Öffentlichkeit zu trinken ist in Guatemala offenbar verboten, das haben wir allerdings erst im Nachhinein erfahren. Da wurde uns dann auch klar, weshalb uns dort alle so komisch angeschaut hatten, als wir unsere mitgebrachten Becher mit der mitgebrachten Flasche Rum füllten. Aber davon liessen wir uns damals nicht beirren, schliesslich war um Mitternacht Karfreitag und damit mein 33-igster Geburtstag. Das will man schliesslich gebührend feiern. Und wir waren sicher auch nicht die Einzigen, die dort mehr oder weniger heimlich tranken, spätestens als wir wieder einmal von einem Sturzbesoffenen um Geld gebeten und vollgelallt wurden, war dies sonnenklar. Ausserdem wurden zur Semana Santa im Supermarkt riesige Aktionspackungen Bier angeboten, die augenscheinlich viele Abnehmer fanden. Und so tranken wir also unseren Rum und warteten auf das nächtliche Spektakel.

Etwa um halb zwölf begannen plötzlich einige Typen das Volk auf dem komplett überfüllten Platz zurück zu drängen und eine Zone auf dem Platz frei zu räumen und abzusperren. Durch eine gepflügte Schneise in der Zuschauermenge wurden anschliessend einige Pferde in die geräumte Zone geführt. Echt jetzt? Das kommt euch erst jetzt in den Sinn, diese Zone abzusperren? Jetzt, eine halbe Stunde vorher, wo alle Leute schon auf dem Platz versammelt sind? Wäre es nicht etwas schlauer gewesen, dies schon nachmittags zu machen, als der Platz leer war? Überhaupt wirkte alles ein bisschen chaotisch und irgendwie beschlich einen leise das Gefühl, die würden das alles heute zum ersten Mal machen, und nicht schon seit hunderten von Jahren. Entsprechend fiel die freigeräumte Zone ziemlich klein und eng aus, und die Pferde, die innerhalb der riesigen Menschenmenge dort festgebunden wurden, waren entsprechend ziemlich nervös, versuchten sich teilweise sogar loszureissen. Da war es einem dann auch nicht mehr so wohl bei dem Gedanken, eines der Pferde könnte sich befreien, durchgehen und sich durch die Zuschauermenge einen Weg in die Freiheit preschen.
Anschliessend wurden Rüstungsteile herbeigetragen und einige Männer begannen sich mitten auf dem Platz als Römer zu verkleiden. Die Männer sassen auf die nervösen Pferde auf, während viele weitere Fusssoldaten-Römer auf den Platz strömten. Auch die mussten sich natürlich erst einmal einen Weg durch die Leute bahnen. Als dann alle bereit waren, öffnete einer der Römer eine Schriftrolle und begann daraus vorzulesen. Verstehen konnte man nicht viel, aber es ging darum, dass soeben das Todesurteil gegen Jesus und die Hinrichtung durch Kreuzigung verkündet wurde. Anschliessend wurde die Schriftrolle eingepackt und die Römer ritten durch eine ebenfalls frisch zurückgedrängte Schneise in der Menschenmasse auf der anderen Seite des Platzes davon. Und dann standen wir da…und schauten uns an….war das etwa alles? Die ganze Sache hatte nicht mal 5 Minuten gedauert! Wir fragten die Leute, die neben uns standen, ob’s denn das jetzt wirklich schon gewesen sei, worauf diese lachten und nickten. Ja, das ist alles. Deswegen hatten wir also eineinhalb Stunden auf dem Platz gewartet. Gottseidank hatten wir wenigstens Rum dabei gehabt!

Nichtsdestotrotz fanden wir uns um zwei Uhr nachts wieder auf dem Platz ein, um den Start der ersten Prozession um 3 Uhr zu verfolgen. Dummerweise wurde genau in dem Moment, als ich nochmals kurz aufs Klo und dort eine Ewigkeit anstehen musste, erneut die Schneise in die Menge geschlagen, wo die Prozession anschliessend durchkommen würde. So kam es, dass Jörg und ich uns jeweils auf der gegenüberliegenden Seite der besagten Schneise wiederfanden und trotz Bitten und Betteln auch nicht mehr durchgelassen wurden. Schliesslich würde Jesus ja bald kommen. Der Vorteil an solchen Events in Lateinamerika ist definitiv, dass es überhaupt nicht nötig ist, zuvorderst zu stehen. Da die Leute hier ohnehin alle so klein sind, hat man als durchschnittlich grosser Europäer von überall her eine gute Sicht. Und so bekam ich zum ersten Mal mit, wie sich Jörg normalerweise an Konzerten, Festen und ähnlichen Veranstaltungen fühlen musste, nachdem sich die Leute hinter mir lauthals über die grosse weisse Frau da vorne, die ihnen die Sicht versperrt, beschwerten. Ich stand mitten in einer einheimischen Familie und kam noch ein wenig mit ihnen ins Gespräch während wir warteten. Sie fragten mich, ob es bei mir zuhause denn auch viele Prozessionen gäbe? Ääähm nein, eigentlich nicht so. Wie erklärt man Leuten, denen eine Religion mit aller Gewalt aufgezwungen wurde, dass dieselbe Religion an deren Ursprungsorten immer mehr an Bedeutung verliert? Dass bei uns Ostern hauptsächlich aus Schokohasen und zwei arbeitsfreien Tagen besteht? Am besten wohl gar nicht….
Apropos Schokohasen: Die gibt es hier nicht. Auch keine Schokoeier. Generell überhaupt nichts aus Schokolade. Das ist wirklich schade. Wir begannen schon zu überlegen, ob man hier vielleicht ein Geschäft aufziehen könnte mit Schokohasen. Aber das Problem dürfte wohl das Klima sein, da die Osterwoche ausgerechnet in die wärmsten Monate des Jahres fällt. Die Hasen würden ihre Form wohl nicht allzu lange behalten.

Für Lateinamerika typisch sind die Prozessionen. Dabei handelt es sich um Umzüge, bei denen Bildnisse von Jesus und Maria auf riesigen Holzplattformen von den Menschen durch die Stadt getragen werden. Die Holzplattformen werden in den Wochen vor der Semana Santa in den Kirchen vorbereitet, die Statuen darauf befestigt und mit Blumen geschmückt. Die Prozessionen starten und enden immer in einer bestimmten Kirche und dauern viele Stunden, die längste Prozession Antiguas dauert etwa 15 Stunden, die kürzeste etwa 3. Die Plattformen mit Jesus werden jeweils von Männern getragen, die mit Maria von Frauen. Die grösste Plattform des Landes gibt es offenbar in Guatemala City, die von 200 Menschen getragen wird. Hinter der Plattform marschiert immer eine Musikkapelle, die dem Thema entsprechende Musik spielt. Meist sind es sehr düstere und dramatische Melodien. Ausser am Ostersonntag, am Tag der Auferstehung, dann wird fröhlichere Musik gespielt. Hinter der Musikkappelle läuft direkt die Putzequipe mitsamt Bagger und Müllwagen, die die Überreste der Alfombras (dazu später mehr) und sonstigen Abfall von der Strasse aufwischt .
Während der Prozessionen die vor dem Karfreitag stattfinden, tragen die Männer, die an der Prozession teilnehmen, violette Roben, die Frauen schwarze Röcke und weisse Blusen. Am Karfreitag um 15:00 Uhr werden die Farben gewechselt, da Jesus zu diesem Zeitpunkt seinen Tod fand. Von da an tragen die Männer schwarze Roben, die Frauen schwarze Kleider und einen schwarzen Schleier. Es wird uns erklärt, dass die Leute am Sonntag, dem Tag der Auferstehung, weiss tragen würden. Tatsächlich haben wir aber niemanden in weiss gesehen, die Leute die sonntags an der Prozession teilnahmen, waren einfach in normalen Alltagskleidern unterwegs.
Uns war aufgefallen, dass in den Wochen vor Ostern die Altäre in den Kirchen immer mit violetten Tüchern verhangen waren. Wir hatten uns oft gefragt warum. In Antigua wurde uns dann klar, dass die Tücher Jesus am Kreuz verdeckten, da er ja in den Wochen vor Karfreitag gar noch nicht tot war. Erst am Karfreitag werden die Tücher von den Altaren entfernt, so dass man Jesus am Kreuz sehen kann.

Zurück zur ersten Karfreitags-Prozession: Pünktlich um 3 Uhr nachts öffnete sich also die Kirchentür und Musik mit dramatischer und düsterer Melodie war zu hören. Ich hatte den idealen Platz erwischt, um direkt in die Kirche hineinsehen zu können. Daher sah ich schon von weitem Jesus, der das Kreuz trägt, und die Römer, die in eskortieren und auspeitschen, durch die Kirche schweben.
Obwohl ich nicht katholisch und auch sonst nicht religiös bin, war es ein wahnsinnig bewegender, beeindruckender und unvergesslicher Moment, als Jesus mit dem Kreuz über die Schwelle der Kirche ins Freie getragen wurde. Augenblicklich verneigten sich alle versammelten Menschen auf dem Platz ehrfürchtig vor ihm, bekreuzigten sich und sprachen Gebete. Dazu die traurige Musik der Kapelle, ich hatte wirklich eine Gänsehaut und war sehr ergriffen.
Hinter Jesus folgte eine weitere Plattform mit dem Bildnis Marias.
Auf den ergreifenden folgte sodann der lustige Moment: Kaum hatte die Plattform die Kirche verlassen und machte sich auf den Weg in die Stadt, begann es plötzlich wie aus Kübeln zu regnen. Dies ist ziemlich ungewöhnlich, da nämlich momentan in Guatemala Trockenzeit herrscht, die Regenzeit beginnt erst im Mai. Aber die Leute waren offenbar darauf vorbereitet: die Prozession stoppte, sofort wurde eine riesige Plastikfolie unter der Plattform hervorgezerrt, und man begann eifrig, Jesus und Maria mit einer Regenpellerine aus Plastik zu versehen. Wohlverstanden nur Jesus und Maria. Die Statuen der Römer erhielten keinen Regenmantel, die konnten ruhig nass werden. Ich musste mich wirklich beherrschen, um nicht lauthals los zu lachen ob der ganzen Situationskomik.
Der Regen dauerte nicht lange an, nicht mal eine halbe Stunde, aber das Timing war absolut unbezahlbar.
Als die Prozession an uns vorbeigezogen war, machten wir uns langsam auf den Rückweg in unser Hotel. Da diese Prozession 11 Stunden dauern würde, standen die Chancen gross, sie am nächsten Morgen noch einmal zu sehen.
Da die Stadt komplett überlaufen mit Menschen und unser Hotel ziemlich zentral gelegen war, fühlten wir uns relativ sicher, und genossen es, auch in der Nacht durch die Strassen zurück zu spazieren und unterwegs unseren Rum zu trinken. Die ganze Atmosphäre war wunderbar, überall herrschte Partystimmung. Erst morgens um 6:00 Uhr kamen wir schlussendlich ins Bett, draussen war es bereits wieder hell geworden.

Am Karfreitag fanden insgesamt 5 Prozessionen statt, dies waren die grössten. Samstags gab es nochmals 3 kleinere und Sonntags noch 2. Wir haben sie alle gesehen, jedenfalls alle bis auf eine. Nämlich die am Sonntag früh. Das haben wir nicht geschafft, nach 2 Tagen Fiesta und Prozessionsmarathon war das definitiv zu viel verlangt. Die Prozessionen erzählen chronologisch den Leidensweg von Christus. Die erste Karfreitagsprozession zeigt wie bereits gesagt, Jesus, der das Kreuz trägt und von den Römern eskortiert wird. Wir haben diese tatsächlich nochmals gesehen, als sie 11 Stunden später wieder zur Kirche La Merced zurückkehrte. Ab Nachmittag des Karfreitags wird Jesus im Sarg herumgetragen. Die grösste Prozession startet dabei um 15:00 Uhr in der Kirche San Felipe im benachbarten Dorf Jocotenango, wird von dort nach Antigua getragen, durchquert die ganze Stadt und kehrt um 06:00 Uhr morgens am heiligen Samstag wieder nach San Felipe zurück.
Samstags wird nur die trauernde Maria herumgetragen. Sonntags dann der auferstandene Jesus. Ausserdem finden am Sonntag dann viele Gottesdienste statt, worauf wir aber verzichtet haben.

Glücklicherweise hatten wir an einem Info-Stand eines der letzten Programmhefte ergattern (oder besser gesagt, klauen) können, worin die genauen Routen der Prozessionen verzeichnet waren und wann sie ungefähr wo durchkommen. So war es einfach, alle Umzüge zu «erwischen». Die meisten sah man allerdings ohnehin mindestens 2 Mal, da sie urplötzlich wieder irgendwo ganz unerwartet unseren Weg kreuzten (meistens dort wo man schnell durchwollte, und nicht unbedingt grad riesige Menschenmassen brauchen konnte).
Ein weiterer riesiger Vorteil ein Programmheft zu besitzen war, dass man jeweils schon vor der Prozession an den Durchgangsorten eintreffen und dieser damit zuvorkommen konnte. So hatte man Zeit, um die wunderschönen Alfombras zu bestaunen. Alfombra bedeutet Teppich. Die Einwohner Antiguas kreieren vor ihren Häusern an den Durchgangsorten der Prozession wunderbare Bilder auf dem Boden aus Blumen, Früchten, gefärbten Holzspänen, Gräsern und vielen anderen Materialien. Sie brauchen dafür teilweise mehrere Stunden. Die Prozession schreitet anschliessend über diese Teppiche und trampelt die Arbeit von Stunden innerhalb von 5 Minuten nieder. Aber die Guatemalteken sind sehr stolz auf ihre Alfombras. Wir sassen teilweise schon Stunden vor der Prozession in den Strassen auf dem Trottoir inmitten der Einheimischen und beobachteten, wie sie mühselig und sorgfältig die Blumenteppiche und Bilder gestalteten. Es war eine gemütliche und schöne Atmosphäre. Alle paar Meter arbeitete eine Familie an ihrem Bild, die Kinder halfen tatkräftig mit und viele Leute sassen in den Strassen und schauten zu, bewunderten die fertigen Werke und machten Fotos.
Wir kamen mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch und sie erzählten uns, dass sie seit 25 Jahren in diesem Haus in Antigua wohnen und sie früher jedes Jahr selber Alfombras gemacht hätten. Die Kinder der Nachbarsfamilie seien damals noch Babys gewesen. Heutzutage seien sie zu alt, um selber stundenlang auf dem Boden zu knien. Jetzt würden sie der Nachbarsfamilie und deren mittlerweile gross gewordenen Kindern zuschauen, wie sie die Alfombras gestalten und sich dafür an den Kosten für das Material und die Blumen beteiligen. 4 Alfombras hat die Familie dieses Jahr gemacht. Kaum ist die Prozession vorübergezogen und hat das Resultat aus vielen Stunden Arbeit zertrampelt, wird die Strasse gewischt, und die Arbeit am nächsten Alfombra für die nächste Prozession beginnt von neuem. Aber dies sei der letzte für dieses Jahr, sagten sie und lachten, 4 Alfombras seien genug.
Teilweise sind die Blumenteppiche wirklich riesig und wahnsinnig detailliert. Teilweise sind sie ganz klein und einfach, beispielsweise, wenn eine Mutter mit ihren 2 kleinen Kindern einen Teppich gestaltet. Und es gibt nichts Herzigeres als zu einem solchen Kind zu gehen, zu beteuern wie schön die Arbeit geworden ist, und ein Foto davon zu machen. Voller Stolz stehen sie dann da und freuen sich am Lob über ihr Werk. Natürlich wird auch deutlich, dass nicht alle Familien dieselben finanziellen Mittel zur Verfügung haben. Die Teppiche werden in Eigeninitiative gemacht, die Kosten für das Material tragen sie selber. Und frische Blumen und gefärbte Holzspäne sind teuer. Aber egal wie reich oder arm eine Familie ist, jeder macht im Rahmen seiner Möglichkeiten mit.
Auch am Sonntag sassen wir schon lange vor der letzten Prozession in den Strassen und genossen die Atmosphäre. Sonntag ist der Tag der Resteverwertung. Aus allem was noch übrig ist, wird noch irgendetwas improvisiert. Restmaterial wird unter den Familien verteilt und getauscht. Jemand hat noch übriggebliebene Blumen, der andere noch rote Holzspäne, daraus kann man doch noch was Hübsches zaubern!

Wenn sich für einen jemals die Gelegenheit bietet, über Ostern nach Antigua zu reisen, sollte man dies unbedingt machen. Auch wenn man nicht katholisch oder religiös ist, ist das ein wirklich unvergessliches und ergreifendes Erlebnis. Der feste Glaube und die tiefe Religiosität dieser Leute ist wirklich bewegend und beeindruckend, und die festliche Stimmung steckt einen an.
Das nächste Mal werde ich im Jahr 2029 und das übernächste Mal im Jahr 2040 am Karfreitag Geburtstag haben. Das überübernächste Mal würde erst nach meinem mutmasslichen Ableben wieder stattfinden, es trifft sich tatsächlich nur 3x in 100 Jahren. Ich werde also ganz bestimmt in diesen Jahren zurück nach Antigua kommen. Warum soll man denn seinen Geburtstag auch nicht am besten Ort der Welt mit 24 Stunden Fiesta verbringen?

Aber hier kommt sie auch schon, die Kehrseite der Medaille:
Während unseres Aufenthaltes in Antigua wohnten wir im Hotel Bougainvillea. Wir nächtigten bereits zum zweiten Mal hier und kannten deshalb unseren Gastgeber Irwin schon. Wir haben mit ihm auch über die Semana Santa und die lokalen Traditionen gesprochen. Er erzählte uns, dass die Teilnehmer der Prozessionen dafür zahlen müssen, um die Plattformen mit den Statuen tragen zu dürfen. Da die Plattformen so schwer sind, wird immer wieder abgewechselt. In Guatemala Stadt beispielsweise wird dazu die Plattform immer kurz auf eine Art Stelzen abgestellt. In Antigua ist das nicht möglich, da es überall nur Pflastersteinstrassen gibt. Hier müssen sich die Träger fliegend abwechseln, ohne die Plattform abstellen zu können. Abgewechselt wird jedenfalls jeden Häuserblock und bezahlt wird auch pro Block. Das heisst, wenn ein Träger während der Prozession zwei Mal je einen Block weit tragen will, muss er zwei Mal zahlen. Die Preise unterscheiden sich je nach Grösse der Prozession. Für die grösseren Prozessionen kann es schon sein, dass der Preis etwa 1000 – 2000 Quetzales beträgt (40-80 Fr.). Das ist viel Geld für die meisten Guatemalteken! Und dies dafür, dass man eine tonnenschwere Holzplattform einige Meter weit schleppen darf! Da muss die Demut und Religiosität wirklich gross ein…
Für die Kirche ist das eine regelrechte Gelddruckmaschine. Irwin erzählt uns, dass gerade das Gerücht umgehe, dass die Kirche San Felipe, die mit der grössten Prozession Antiguas, dieses Jahr ungefähr 2'000'000 Quetzales eingenommen haben muss, offiziell aber lediglich 300'000 Quetzales deklariere. Niemand weiss, was mit dem Geld geschieht, welches von den Trägern kassiert wird, niemand weiss, wo diese Gelder sind. Aber die meisten Leute hinterfragen das in ihrer religiösen Hingabe gar nicht….
Wir waren darüber sehr erstaunt, wir hatten eigentlich eher gedacht, dass die Stadt Antigua die ganze Sache vor allem für die Touristen fördert und hätten daher eher erwartet, dass die Träger dafür bezahlt werden mitzumachen. Wer hätte denn auch gedacht, dass jemand ein kleines Vermögen dafür ausgibt, um ein schweres Stück Holz mit einer Statue in der Gegend herum zu tragen? Wenn man das bei uns so machen würde, würde in der Strasse wohl gähnende Leere herrschen.
Und dann kommen ja auch noch all die Familien hinzu, die einiges an Geld ausgeben, um die unzähligen Alfombras jedes Jahr herzustellen.
Es ist wirklich der tiefe und unerschütterliche Glaube, der diese Tradition am Laufen hält, und sicher auch noch ein wenig die Freude am gemeinsamen Fest. Auch Irwin sagt, er geniesse die Atmosphäre in den Strassen wenn die Leute die Blumenteppiche gestalten. Es sei die einzige Zeit im Jahr in der die Leute gemeinsam eine gute Zeit verbringen und ihre Sorgen und Probleme für einen Moment vergessen.

Das Maison Bougainvillea ist ein ganz spezielles Hotel und es gibt einen guten Grund, weshalb wir wieder hierher zurückgekommen waren. Sicher zum einen, weil Irwin ein netter Kerl ist und wir mit ihm viele interessante und lustige Gespräche geführt hatten. Zum anderen ist uns dieses Hotel von einer Holländerin empfohlen worden, die wir in Flores kennengelernt hatten, Karen. Das Hotel liegt ein wenig ausserhalb des Stadtzentrums und das Besondere hier ist, dass man von der Dachterrasse des Hotels einen wunderbaren Blick auf den Vulkan Fuego hat. Nachts kann man ihn von dort ausbrechen und die Lava ausspeien sehen. Wirklich absolut atemberaubend. Leider nicht wirklich festhaltbar auf einem Foto.
Wir haben jede Nacht viele, viele Stunden damit verbracht, gemütlich auf der Terrasse zu sitzen, etwas zu essen oder zu trinken und auf den nächsten Ausbruch zu warten. Da wir einige Nächte bei Irwin verbrachten, hatten wir dabei auch immer wieder Gesellschaft von anderen Reisenden. Je mehr desto besser, wie sich herausgestellt hat, denn dann ist die Chance grösser, dass zumindest einer gerade im richtigen Moment zum Vulkan rüber schaut. Fuego ist sehr aktiv, wir haben wirklich an jedem Abend mehrere Eruptionen sehen können (ausser ausgerechnet an unserem letzten Abend, da war es leider zu bewölkt).
Am Ostersonntag Abend machten wir ein Käsefondue auf der Dachterrasse und luden Irwin dazu ein. Es war eigentlich als Nach-Geburtstagsessen gedacht. Wir hatten eine Emmi-Fertigfondue-Mischung im lokalen Supermarkt gefunden. Sicher nicht das beste Fondue aller Zeiten, aber mit etwas Knoblauch und Weisswein dazu war es ganz ok, und wir hatten unseren Spass dabei. Irwin hat sich sehr über die Einladung gefreut und hatte das Fondue offenbar auch ganz gern.

Wie sich herausstellte ist der «Ostermontag» in Lateinamerika kein Feiertag. Montag ist ein normaler Arbeitstag und alles kehrt wieder zur Normalität zurück. Tja, das hatten wir nicht gewusst, als wir unsere Weiterreise für den Dienstag geplant hatten. So entschlossen wir uns die Zeit zu nutzen, um trotzdem noch am Touri-Spektakel schlechthin teilzunehmen und buchten eine Tour zum Pacaya. Der Pacaya ist einer der aktivsten Vulkane der Welt und liegt in der Nähe von Antigua. Es gilt als die «einfachste» Vulkanbesteigung und daher als der grösste Touri-Magnet. «Einfach» erstens, weil man den Vulkan gar nicht bis ganz nach oben besteigen kann, das wäre viel zu gefährlich. Man wandert vom Besucherzentrum aus lediglich etwa 1.5 h bergauf zu einem Aussichtspunkt. «Einfach» zweitens, weil die Wandergruppen von «Taxis naturales» verfolgt werden: Männern mit Pferden. Kaum kommt man etwas ins Schnaufen oder fällt etwas zurück, kommen sie schon und fragen, ob man nicht lieber hochreiten möchte. Wir hatten das schon zuvor gelesen und auch, dass man teilweise regelrecht gedrängt wird, ein Pferd zu mieten. Auch unsere Guides hatten anfangs verkündet, der ganze Ausflug dürfe MAXIMAL 3 h dauern. Ganz klare Ansage also: Wenn ihr zu langsam seid, dann nehmt ein Taxi! Die meisten Reisenden sind natürlich viel zu stolz, ein Pferd zu mieten. Aber auch in unserer Gruppe gab es einige (va. dickere Amerikaner oder ältere Leute) die von vorneweg zu den Pferden gingen und eines mieteten. Es ist ja eigentlich auch keine Schande, so hat wenigstens jeder die Chance, einmal einen aktiven Vulkan aus der Nähe zu sehen und die Einheimischen haben auch etwas davon, wenn sie ihre Pferde vermieten können.
Für uns waren die 1.5 h tatsächlich Peanuts, wer hätte gedacht, dass diese Worte einmal aus meinem unsportlichen Mund kommen würden. Es gab zwar eine wirklich steile Passage, die ziemlich anstrengend war, vor allem weil man auf Asche gehen musste, und pro Schritt vorwärts wieder zwei Schritte runterrutschte. Aber erstens gab es während der nur 1.5 h 3-4 Verschnaufpausen, zweitens war das Tempo nicht so wahnsinnig schnell und drittens hatten wir mittlerweile schon solche Murks-Wanderungen hinter uns gebracht, dass uns dies hier wirklich nicht besonders beeindrucken konnte.
Wir hatten uns aus Zeitgründen für die Morgen-Wanderung entschieden. Der Vorteil dabei war, dass es noch nicht so heiss war. Der Nachteil war, dass es durch die Helligkeit fast nicht möglich war, die Lava zu sehen, die der Vulkan ausspuckt. Es hätte auch noch eine Tour am Nachmittag gegeben, dort ist allerdings das Risiko auch wieder grösser, dass es um den Krater bewölkt ist.
Wir hatten Glück, bei unserem Besuch war der Himmel klar und der Vulkan hat immer wieder Felsen und Lava ausgespukt. Geistesgegenwärtig hatten wir unseren Feldstecher mitgebracht, und so hatten wir das Privileg, mit dessen Hilfe trotz Helligkeit einen roten Lavastrom den Vulkankegel runtergleiten zu sehen. Wirklich atemberaubend diese Naturgewalt.
Beim Aussichtspunkt angelangt werden von den Guides Holzspiesse und Marshmallows ausgeteilt, die man dann in Löchern zwischen dem Lavagestein mittels Erdwärme grillieren kann. Ganz klar ein absoluter Touri-Gag. Aber natürlich haben wir es uns auch nicht nehmen lassen, einen Marshmallow auf den Spiess zu stecken, wo wir schliesslich schon mal hier waren. Und es war schon eindrücklich, wie heiss es da in diesen kleinen Felslöchern wurde.
Wie gesagt, der Pacaya-Trip ist wirklich wahnsinnig touristisch, aber trotzdem ist es ein ganz netter und unterhaltsamer Halbtagesausflug von Antigua aus, und man hat die nicht ganz alltägliche Gelegenheit ziemlich nahe an einen sehr aktiven Vulkankrater zu gelangen. Einheimische aus Guatemala Stadt, die über die Feiertage in Antigua im selben Hotel waren, hatten uns erzählt, früher hätte man sogar bis zum Kraterrand hochwandern können. Heutzutage sei dies allerdings aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich. Nun, das wäre mir vielleicht dann doch auch ein wenig zu viel des Nervenkitzels gewesen.

Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns nun «endgültig» von Guatemala und machten uns auf in Richtung Honduras, gespannt, welche Abenteuer uns dort erwarten würden.

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