Veröffentlicht: 21.11.2018
Ich hab's geschafft! Ich bin wieder in der Zivilisation gelandet, nachdem ich einige Tage im Torres del Paine, einer Chiles bekanntester Nationalparks, gewandert bin. Gestartet bin ich von Puerto Natales und nach einer ca. zweistündigen Busfahrt am Eingang angekommen. Hier musste ich neben Zahlung des Eintrittsgelds nachweisen, dass ich für sämtliche Nächte Reservierungen entweder auf den Campingplätzen oder in den Refugios habe - Voraussetzung, um das Trekking zu starten. Es gibt zwei Trekking-Möglichkeiten im Torres del Paine. Die bekanntere und häufiger gewählte ist das "W", die Strecke gleicht von oben betrachtet dem Buchstaben. Ich hatte den "O"-Circuit geplant, die größere und herausfordernde Runde, was bei genügend Zeit die Empfehlung war - dachte ich da noch naiv. 130 km insgesamt (das "W" eingeschlossen), ausschließlich gegen den Uhrzeigersinn zu gehen und im Hinterland der Natur ausgeliefert - sollte einem hier etwas passieren, kommt man nur mit dem Pferd oder aus eigener Kraft wieder raus, denn Straßen gibt es keine und auch keine Möglichkeiten für Helikopter. Nachdem alle Formalitäten und ein letzter Shuttle erledigt waren, schulterte ich meinen (schweren) Rucksack und marschierte los - hinein in die Wildnis, mehr oder weniger optimistisch, wie ich die kommenden Tage überstehen werde.
Der härteste Tag steht an - es geht von ca. 420 Höhenmetern auch 1.200 Höhenmeter, und das in nur 3 Kilometern. Was zunächst noch entspannt anfängt, wird bald schon eine Herausforderung, die ich in der Form noch nicht hatte. Die Landschaft beginnt mit Wald, geht über zu Geröll, zu Schnee und dann läuft man nur noch auf Eis und Schnee Es geht über den Bergpass John Gardner, und das hat es in sich. Wir tun uns zu dritt zusammen - auf keinen Fall soll man allein dort hoch. So steil, auf solch einem Untergrund, bin ich noch nie bergauf gewandert. Die Muskeln in den Beinen schmerzten bei jedem Schritt und wollten das Körpergewicht inkl. Rucksack nicht mehr weiter nach oben drücken. Aber wir mussten weiter, zurück gab's nicht, anders als mit eigener Kraft kommt man dort nicht raus. Schritt für Schritt kämpften wir uns vorwärts, bei zunehmenden Wind, der uns immer wieder zum stehenbleiben und klein machen zwang. Aber irgendwann war es geschafft - wir waren am obersten Punkt, vor uns eine Geröllebene, und dann lag vor uns der gigantische Gletscher Grey. Ein beeindruckender Ausblick, der die Anstrengung vergessen lässt, und ab da war in mir für den Rest des Tages eines Mischung aus Adrenalin, Endorphinen und unglaublichen Stolz.
Was man hochgeht, muss man auch wieder runter, und nun begann der Abstieg. Die Erleichterung, dass der Aufstieg hinter uns lag, ging schnell in höchste Konzentration und Anstrengung über. Klar, bergab ist sehr anstrengend. Aber mit bereits müden und schmerzenden Beinen, kombiniert mit erst rutschigem Schnee, dann rutschigem Schlamm und hohen Stufen durch Wurzeln eine Herausforderung der besonderen Art. Ich glaube am Ende des Tages gab es keinen aus der Gruppe, der nicht mindestens einmal im Schnee oder Schlamm bergab ausgerutscht und gestürzt ist. Aber schließlich soll man uns die Strapazen ja auch ansehen :) Nach langen 6 km kamen wir im einfachen Campsite Paso an. Hier hatte ich ursprünglich eine Übernachtung gebucht. Da es hier aber keine Schlafsäcke oder ein Refugio gab, hatte ich zwei Tage zuvor meine Pläne geändert und beschlossen, noch eine Station weiter bis zur Grey Lodge zu wandern. Nochmal 10,5 km dran. Aber mir ging es gut, daher füllte ich nur kurz meine Wasserflasche auf und weiter ging's, dieses Mal wieder allein (so komme ich besser und positiver voran). Der zweite Teil wurde abenteuerlich: es ging zwischen Felsspalten hoch, entlang der Klippen wandern (was, wenn bei der Stufe hoch die Beine nachgeben und ich nach hinten falle?...), durch Wälder und über drei Hängebrücken. Nach neun Stunden ohne nennenswerte Pause kam ich gegen 15:30 Uhr an der Grey Lodge an. Und hier warteten ein wunderbares weiches Bett und eine Cola auf mich - mir ging es herrlich.
Indem ich den Campingplatz Paso am Tag zuvor übersprungen hatte, war ich nun meinen Reservierungen einen Tag voraus. Leider war es nicht möglich, bereits einen Tag eher einen Platz beim nächsten Campsite zu bekommen. Ich hatte zwei Möglichkeiten: trotzdem dorthin wandern in der Hoffnung, ein Bett zu bekommen, oder den Tag beim Refugio Grey zu verbringen. Ich entschied mich für letzteres und gönnte mir einen Tag in der Sonne (ja, tatsächlich Sonne!) und unternahm nur einen kleinen Ausflug zum Gletscher-Aussichtspunkt. Das war der entspannte Tag 5 :)
Die heutige Strecke war nun die erste Achse des "W"-Treks und mehr Menschen als bisher waren zu erwarten. Ich startete den Tag früh, um in Paine Grande möglichst alle Optionen offen zu haben, wie es weitergehen soll. Eine entspannte, flache Wanderung über 3,5 Stunden stand an. Tja, was soll ich sagen...flach? Leider nein :) Der Muskelkater von vor zwei Tagen meldete sich schnell wieder bei den nicht wenigen An- und Abstiegen. Dafür genoss ich die morgendliche Ruhe und Einsamkeit, während mich ein kalte, starker Wind vorantrieb. Die Landschaft war schön mit Blick auf den Lago Grey, Bergen und sogar einem Regenbogen. Je näher ich Paine Grande kam, umso voller wurde der Weg und zahlreiche Wanderer kamen mir entgegen. Schließlich kam ich in Paine Grande an. Freies Bett für die Nacht? Fehlanzeige, alles voll. Also Anmeldung beim Campsite. Der freundliche Ranger erklärte mir, dass der Wind im Laufe des Tages noch stärker werden würde und dann in den nächsten Tagen nochmal zunehmen würde. Ich vermute, dass der Wind bei ca. 80 km/h lag - es pustete also bereits gewaltig. Was also tun? Jeden Tag einen Schlafsack mieten? Zelt aufbauen? Alles möglich, aber ich merkte, wie ich innerlich mein Zelt (mit Löchern) verfluchte und nicht bereit war, es noch einmal aus dem Rucksack zu holen. Ich sprach also mit dem Ranger, welche Optionen es noch so gibt. Das Ergebnis: das war's für mich. Ich war beeindruckt und zufrieden mit dem, was ich landschaftlich gesehen hatte, stolz auf das, was ich ohne nennenswerte körperliche Beschwerden (verglichen mit dem Jakobsweg) geleistet und erreicht hatte. Ich mochte keine Nacht mehr im Zelt verbringen, kein Geld mehr für die Schlafsäcke ausgeben. Also entschloss ich mich, meinen Hike drei Tage vor meinem geplanten Ende zu beenden - zufrieden, auch wenn sich ein Gefühl des Aufgebens darunter mischte. Der Ranger buchte mir noch schnell eine Unterkunft in Puerto Natales (denn da hatte ich ja noch nichts), und dann nahm ich also den nächsten Katamaran, der mich zum Bus bringen sollte, und schon am Nachmittag war ich zurück in Puerto Natales. Ein bisschen Wehmut, dass ich nun die bekanntesten Aussichtspunkte des "W's" nicht gesehen hatte, war dabei, aber einen Tag später fühlte sich die Entscheidung genau richtig an.