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Kambodscha - hin und (irritiert) weg

Veröffentlicht: 06.12.2018

Nur kurze Zeit, nachdem wir die Grenze zwischen Thailand und Kambodscha (tatsächlich zu Fuß) überschritten hatten, stellte sich bei mir auf der Fahrt im Sammeltaxi  nach Siem Reap eine gewisse Irritation ein, die mich während unseres gesamten Aufenthaltes nicht mehr verlassen sollte.

Ich hatte ja schon vorher gewusst, dass Kambodscha sehr arm ist. Von den Ländern, die wir besuchen, ist nur Myanmar noch ärmer (wenn man den Human Development Index als Maßzahl heranzieht). Dass die Müllabfuhr in Kambodscha nicht (gut) funktioniert und am Straßenrand regelmäßig Müllhaufen liegen, war also wenig verwunderlich. Warum aber waren auch die privaten Grundstücke neben den hölzernen Stelzenhäusern (seien es alte oder neue) mit Müll geradezu übersät und/oder mit einem dicken Müllring entlang des Zauns umgeben? Wieso klauben die Menschen die leeren Plastikflaschen nicht auf, die in Reichweite neben ihnen liegen, während sie unter ihren Häusern sitzen und essen?

In unserem Homestay in Siem Reap unterhielten wir uns mit einer Gruppe netter und überaus interessierter junger Leute aus Italien, die vorher in Phnom Penh gewesen waren. Sie erzählten, dass Phnom Penh furchtbar sei. Er habe den Eindruck, dass die Menschen hier keine Würde haben, meinte einer von ihnen: ein sehr hartes Urteil, aber ich konnte verstehen, was er sagen wollte.

Wir hatten viel Zeit, mit Sokbo, der jungen Frau, die unser schönes Quartier betreibt, zu  plaudern. Immer wieder beklagte sie sich, wie schwer es sei, gutes Personal zu finden. Keine der Frauen (die allesamt aus armen Verhältnissen stammen) hätten ein wirkliches Interesse an ihrem Job. Es sei ihnen egal, ob sie in behielten oder nicht. Sokbo, selbst überaus ehrgeizig und intelligent, hatte für diese Haltung keinerlei Verständnis.

Bei unserem Ausflug nach Sambor Prei Kuk übernachteten wir bei einem belgischen Expat, der seit 15 Jahren in Kambodscha lebt. Er war deutlich frustriert. Den allgegenwärtigen Müll sprach er sehr bald an: Wenn er seinen Nachbarn vorschlage, sie sollen die leeren Plastikflaschen doch entsorgen, lachten diese nur und sagten, dass der Regen alles irgendwann einmal ins Meer spülen werde. Für alles und jedes müsse man Schmiergelder bezahlen, beklagte er sich weiter, seine Angestellten seien widerspenstig und hätten ihn schon mehrfach bestohlen. Das zusätzliche Geld, das die Menschen im Dorf neuerdings verdienten, da der Status "Weltkulturerbe" mehr Besucher und -innen gebracht habe, werde noch am gleichen Abend bei lautstarken und alkoholreichen Feiern ausgegeben. Kein Wunder, meinte er weiter, viele Menschen seinen eben sehr wenig gebildet: Seine kambodschanische Lebensgefährtin zB könne weder lesen noch schreiben, seien doch in ihrer Kindheit die Roten Khmer an der Macht gewesen.

Dass in Siem Rap alles unverhältnismäßig teuer ist, habe ich schon erwähnt. Ganz anders als in allen anderen Ländern, die wir in den letzten Monaten bereist haben, werden die Touris hier eindeutig und bewusst ausgenommen. Dass ich mehr Eintrittsgeld zahle als die Einheimischen und zum Erhalt der Sehenswürdigkeiten beitrage, ist sehr ok, aber wieso muss ich eigentlich fürs Pinkeln auf einem Klo ohne Wasserspülung und Klopapier auch mehr berappen? Weil es für mich ohnehin nicht teuer ist, wie mir eine Frau ins Gesicht sagte, die einen absurd überhöhten Preis für eine Handvoll Bananen haben wollte? Es gebe im Land keine Kultur der Gastfreundschaft, so lautete die Erklärung Sokbos, anders etwa als in Myanmar. Auf meine Ergänzung, dass da die Ereignisse der unmittelbaren Zeitgeschichte ein Rolle spielen könnten, sagte sie: Yes, we have suffered so much.

Das mit der Gastfreundschaft stimmt so nicht: Sokbo und ihre Familie nahmen uns in den 14 Tagen, die wir bei ihnen verbrachten, herzlich auf. Für die siebenjährige Tochter war Roby am Ende schon "uncle", und bei zwei Festen mit Freunden wurden wir ganz unkompliziert miteinbezogen. Doch selbst da gab es etwas Verstörendes: den unerwartet intensiven Alkoholkonsum, vor allem der Männer (die alle dem gehobenen Mittelstand angehören), der die Festmähler begleitete. So schnell habe ich noch nie den Single Malt die Flasche verlassen gesehen - und es blieb nicht bei einer einzigen Flasche.

Am 17. April 1975 marschierten die Roten Khmer in Phnom Penh ein. Binnen dreier Tage evakuierten sie die 2-Millionen-Stadt völlig und ließen sie (genauso wie die anderen Städte im Land) in den vier Jahren, die sie das Land terrorisierten, leer stehen. Nur einige wenige Verwaltungsbehörden arbeiteten in Phnom Penh - und das Foltergefängnis S21, eine ehemalige Schule, in der mehr als 17.000 Menschen oft über Tage und Wochen hinweg gequält und letztendlich umgebracht wurden. Die gesamte Stadtbevölkerung wurde zu Feinden des Regimes erklärt und dazu gezwungen, auf Reisfeldern zu arbeiten: mit vorsintflutlichen Methoden.  Alle Gebildeten, Intellektuellen (leicht an ihrer Brille zu erkennen), Staatsbediensteten und Fachkräfte wurden mit der Zeit umgebracht. Moderne Erkenntnisse wurden aus Prinzip negiert, die ermordeten Mediziner und -innen zB durch "angelernte" Praktiker ersetzt. Medikamente wie Penizillin waren verboten, was bedeutete, dass ein Schnitt im Bein angesichts der hygienischen Verhältnisse häufig einem Todesurteil gleichkam. Die "Feinde" innerhalb der eigenen Bevölkerung wurden systematisch erniedrigt. Ihnen wurde schlichtweg ihr Menschsein versagt, was sich schließlich darin manifestierte, dass sie richtiggehend ausgehungert wurden - obwohl die Erhöhung der Reisproduktion eines der Hauptziele der Roten Khmer war. Als das Terrorregime 1979 durch den Einmarsch Vietnams beendet wurde, hatte es ein Drittel der Bevölkerung des Landes (fast 2. Mio. Menschen) getötet - die meisten Opfer waren verhungert. Doch die Roten Khmer kämpften weiter: in einem blutigen Bürgerkrieg, der bis 1991 dauerte und das Land und seine Menschen nicht zur Ruhe kommen ließ. 

"Auslöschung" lautet der Titel eines Buches von Rithy Panh, der die vier schrecklichen Jahre als Teenager erlebt und sein Berufsleben als Dokumentarfilmer dieser Zeit gewidmet hat. Die unzähligen Details des Terrors, die Rithy Panh beschreibt, sind absolut verstörend und lassen vermuten, dass viele meiner Irritationen ihre Wurzeln in dieser Zeit haben, als den Menschen ihre Würde sowie jedes Hab und Gut völlig genommen wurde. Umso mehr, als die Ereignissse nicht wirklich aufgearbeitet werden. Sokbo zB weiß, dass die Zeit der Roten Khmer bis heute nachwirkt, aber mit ihr beschäftigen mag sie sich nicht.


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#kambodscha#rote-khmer