châteaugeschichten
châteaugeschichten
vakantio.de/chateaugeschichten

Wölfe, Bären und los banditos

Veröffentlicht: 19.08.2022


Zappas kleine Reiskizzen

Nach fünf Wochen, etwas mehr als der Hälfte unserer Reisezeit und 5500 km rückt Gibraltar in weite Ferne. Angekommen in Kantabrien verlangsamt sich unser Tempo mit beinahe jedem gefahrenen Kilometer und mittlerweile denken wir über die Streichung Portugals von der Route nach.

Das ist besonders der herrschenden Sommerhitze zuzuschreiben. Denn eigentlich hatten wir uns darauf gefreut, das portugiesische und das spanische Inland zu erfahren, Naturparks zu entdecken und das Leben abseits der Touristenpfade auszukundschaften.

Bei den zu erwartenden hohen August-Temparaturen, die jetzt schon die 42°C-Marke erreichen, verschieben wir diese Entdeckungsfahrt jedoch auf ein anderes Mal und genießen in Slow-Motion das Kantabrische Gebirge.

So kann es passieren, dass wir nach etwa 20km Fahrt und einem vormittäglichen Einkauf ein hübsches Plätzchen für die Mittagspause finden. Im Schatten der Bäume eines plätschernden Bachs, eines kleinen Stausees oder eines Berggipgfels, was eben so am Wegesrand liegt.

Nach einem erfrischenden Bad ist es Zeit für einen bekömmlichen Imbiss. Und dann kannst du ein paar Seiten lesen, ein paar Zeilen tippern, eine Reiseskizze malen, Löcher in die Luft gucken, einen Spaziergang machen, in der Welt herumgoogeln, ein Nickerchen halten. Oder die Geschehnisse um dich herum beobachten und spanisch lernen: la vaca, el gato, la oveja, el perro, el burro, la desbrozadora - die Zeit vergeht einfach wie im Fluge! Die spanische Siesta hat es uns angetan. Und holterdipolter ist der Nachmittag in den frühen Abend übergegangen.

Wollen wir jetzt wirklich noch weiter fahren? Ins warme Auto setzen, über erhitzte Landstraßen kriechen, uns der Gefahr wahnwitziger spanischer Überholmanöver aussetzen und dann an einem nicht annähernd so schönen Ort für die Nacht landen, wie diesem hier? Nein, das wollen wir nicht. Wir bleiben über Nacht.

Was, wir sind nur 20 Kilometer gefahren? Egal, morgen ist auch noch ein Tag.

Nach einem solchen wunderbar faulen und sehr warmen Nachmittag an einem sehr klaren und sehr kalten Bächlein in den Bergen, fahren wir aber doch noch einmal auf den fünf Kilometer entfernten Pico, um mobile Daten zu erreichen. Hier oben bleiben wir dann auch für die Nacht. Die Aussicht ist auf etwa 900m Höhe toll, die Luft kühl und ein kleiner Spaziergang dient der Verdauung und des Vertretens der Füße.

Unter Bergen von isolierenden Deckenschichten ist der kleine "Kühlschrank" verborgen. Diese Dinge müssen zum Schlafen an einen anderen Platz. Bei nächtlichen Temperaturen um 12°C ist es kein Problem, die Getränke unter den Wagen zu schieben. Ich nehme noch einen kräftigen Schluck aus meiner gelben Orangenbrause und werfe einen letzten prüfenden Blick in den Himmel, ob die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen nicht auf die über Nacht gekühlten Flüssigkeiten fallen.

Brausekühlung

Gegen 6:00 Uhr morgens werde ich von Zappa vorsichtig geweckt. Es ist noch stockfinster. Ich brauche einen Moment, um aus süßen Träumen in die dunkle Realität zu dämmern. Zappa flüstert etwas, ich muss aber erst mal die Stöpsel aus meinen Ohren pulen. Jetzt höhre ich auch, dass er mir zu verstehen gibt, dass vor der Räuberhöhle laut polternd ein fieses Monster lauert.

Dem Gerumpele nach, vermutet Zappa einen der seltenen, hier in Freiheit lebenden Kantabrischen Braunbären. Macht sich Meister Petz an unserer, für seine feine Nase köstlich duftenden Kochkiste zu schaffen, die direkt vor der halb geöffneten Heckklappe steht?

Im Kantabrischen Gebirge

Oder vielleicht doch der Iberische Wolf, den der Duft der Chorizo verführt, sich nahe an das deutsche Auto zu wagen?

Ich höre den Tumult und mir wird ganz unheimlich, denn ein Mensch wird es in dieser Einöde wohl kaum sein. Gänsehaut überläuft meinen ganzen Körper, ich krieche tiefer unter meine Decke.

Zappa hat sein Pfadfinder-Handbuch gründlich studiert und weiß, solche Bestien lassen sich nachts am besten durch Feuer, Lärm oder Licht vertreiben. Sich dem wilden Tier mit der entzüdeten Gasflamme entgegenzuwerfen entfällt gegenwärtig, da sich der Kocher in der überfallenen Catering-Kiste befindet.

Der mit Lärm und Licht umfangreich erfahrene Zappa trommelt deshalb jetzt mit geballten Fäusten und aus Leibeskräften gegen das Blechdach der Räuberhöhle. Donnernder Krach lässt mich reflexartig die Finger in die Ohren stecken, dabei muss doch jede Kreatur Fersengeld geben und die Flucht ergreifen!

Doch stattdessen erklingt ein grollendes, tief-dumpfes Knurren. Schnell wird die Kopflampe vom Haken gerissen und gleißendes Licht erhellt die Finsternis vor dem sicheren Glas. Erst jetzt realisiere ich, dass die Heckklappe immer noch einen Spalt geöffnet ist.

In der tiefen Dunkelheit leuchten zwei rotglühende Augen, eine riesige Schnauze mit spitzen, scharfen Zähnen und eine dicke schwarze Nase.

Zappa flüstert mir zu, dass ich mich mauseruhig verhalten muss. Denn er hat im Film gesehen, wie amerikanische Grizzly-Bären mit ihren gewaltigen Tatzen ohne Probleme Autoscheiben eindrücken können. Jetzt muss ich noch weiter unter meine Decke kriechen, von wegen mucksmäuschenstill!

Das Knurren wird lauter und lauter, jetzt kratzt es an der Schiebetür. Dann plötzlich: ein donnerndes, bassdröhnendes, langanhaltendes, kehliges Wuff-Wuff-Wuff!

Kein Fuchs, kein Wolf, kein Bär! El perro der Hazienda aus dem naheliegenden Dorf ist unterwegs auf pastoraler Hunderunde und stiehlt uns unsere Nachtruhe! Da wir nun wach sind, trollt er sich völlig unspektakulär, um sein Revier weiter zu kennzeichnen und nach den Schafen schauen.

Nach der Aufregung hält Zappa noch einen Moment meine Hand, dann fallen wir aber wieder in einen unruhigen Schlaf. Auch von Rudeln verwilderter Hunde in ländlichen spanischen Regionen haben wir schon gehört.

Am Morgen wollen wir weiter ziehen und packen unsere sieben Sachen. Natürlich muss auch wieder die Kühlzone hergerichtet werden. Käse, Joghurt, Chorizo und Getränke kommen unter dicke Schichten Bettzeug. Doch wo ist meine gelbe Orangenbrause? Eine halbe Flasche mit un pocito Kohlensäure war doch gestern noch da! Hat Zappa nach dem nächtlichen Drama etwa zur falschen Flasche gegriffen?

Nein, hat er nicht. Er hat das Getränk überhaupt nicht in der Hand gehabt. Es liegt weder weit unter das Fahrzeug gerollt, noch tief im Fußraum versteckt, auch nicht zwischen den Anziehsachen oder in der Lebensmittel- oder Kochkiste. Und nein, ich habe es nicht am Bach vergessen!

Die Flasche ist nirgends zu finden. Meine gelbe Orangenbrause ist spurlos verschwunden.

Brausealternative

Lange rätseln wir, was meinem kostbaren Getränk zugestoßen sein könnte. Ist der örtliche Clochard auf dem Weg zum Berg durstig geworden? Hat der einsame Wanderer zur Flasche gegriffen? Hat der nächtliche Höllenhund ein neues Spielzeug gesucht? War doch der Bär zu Besuch und hat sich in das gelbe Zeugs verliebt?

Auf der Suche entdecken wir el perro auf seinem heimatlichen Hof zwischen gigantischen, zerfetzten Hundefuttersäcken friedlich schlummernd. Doch die zernagte gelbe Brauseflasche hütet er nicht unter seinem eindrucksvollen Körper.

Abstand halten!

Dieser Platz ist mir von nun an ausgesprochen unheimlich. Wer weiß schon, welche Hutzen, Geister, Trolle, Unholde, Wichtel, Kobolde, Störenfriede, Gnome und wie sie alle heißen hier ihr Unwesen treiben.

Wir werden es nie erfahren, das Rätsel nicht lösen, den Fall nicht aufklären. Das gelbe Getränk bleibt für immer verschollen.

Antworten (1)

Jürgen
Oh Mann, da könnt ihr noch lange von erzählen. Und wieder schöne Fotos und spannende Texte. Macht weiter so! Liebe Grüße Jürgen

Spanien
Reiseberichte Spanien
#spanien#kantabrischesgebirge#kantabrien#bär#wolf#banditen#diebstahl#brause#minicamper#kangoocamping#pastorale#wachhund