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Tour de Noël - oder wo der Weihnachtsbaum erfunden wurde

Veröffentlicht: 10.01.2025

Ich habe einen Plan.
Nämlich den, in diesem Jahr vor den weihnachtlichen Feiertagen zu flüchten. Muss gar nicht weit sein, ein paar Kilometer in die Heide würden schon reichen.
Doch leider kränkelt der Held immer noch, also lautet nun der Deal, dass ich das Fluchtfahrzeug steuern muss. Eigentlich nicht das ganz große Problem, wenn da nicht der Wohnwagen wäre.

Biebermühle im Pfälzerwald

Nach anfänglichen Panikattacken in engen Gassen, an steilen Bergen und über die Kasseler Berge stellt sich langsam Routine ein. Nur auf dem Aldi-Parklatz oder auf dem Stellplatz für die Nacht muss Monsieur das Rückwärtsrangieren in die Lücke übernehmen.
Und wenn ich schon fahren muss, dann nicht nur in die Nachbarschaft.

Altschlossfelsen

Jetzt heißt das Ziel die Vogesen.

Auf unseren bisherigen Reisen haben wir das Mittelgebirge im französischen Nordosten links liegen gelassen.
Im letzten Jahr jedoch verschlägt es uns in den Pfälzerwald auf den Helmut-Kohl-Wanderweg zu den Altschlossfelsen.

Altschlossfelsen

In dieser circa eineinhalb Kilometer langen, bizarren Felsengruppe aus Buntsandstein wurden durch Wasser, Wind und Wetter wunderlich-skurrile Säulengalerien mit erstaunlichen Mustern und eindrucksvollen Zeichnungen geschaffen. Eine wirklich spektakuläre Landschaft mit fantastisch-überwältigenden Bildern, die an Aufnahmen vom Antelope-Canyon in Arizona erinnern.

Im Süden an den Pfälzerwald schließen sich die Vogesen ohne morphologische Trennung an und bilden einen einheitlichen Mittelgebirgsraum, lese ich bei Wikipedia. Auch hier gibt es aufregende Sandsteinformationen zu entdecken und deshalb führt uns der Weg nun hierher.

Altschlossfelsen

Reisen bildet bekanntlich und WAS wir alles in den Vogesen lernen:

1. Wir befinden uns in Lothringen, nicht wie wir fälschlicherweise annehmen im Elsass.

2. Beide Landschaften gehören zur französischen Region Grand Est und man schmückt hier gern und viel weihnachtlich.
Besonders beliebt sind Plüsch-Eis- und Teddybären an Hauswänden oder auf Fensterbänken. Woher dieser Brauch stammt und was er bedeutet, konnte ich noch nicht herausfinden.

Weihnachten in La Petite-Pierre

3. Der Weihnachtsbaum wurde im Elsass erfunden.
Zumindest stammt die erste urkundliche Erwähnung aus Sélestat, wo Tannen mit roten Äpfeln als Symbol der Erlösung geschmückt wurden.

Blick in die Vogesen

4. Kirchenglocken bimmeln überall anders.
Jede Gemeinde kann sich selbst eine Läuteordnung geben und dazu einen Glockensachverständigen hinzuziehen.
In Hommert übernachten wir unter dem süßen Glockengeklingel der Saint-Wendelin-Kirche. Und zu jeder Viertelstunde lauschen wir dem Bimm-Bamm bis es dann zur vollen Stunde vier Mal und dann die Uhrzeit läutet. Sehr romantisch. Zum Glück ist um 22:00 Schluß und zum Morgengebet wird erst um 8:00 gerufen. 

Das kann auch schon mal um 6:00 geschehen.
Unser Dank hier noch mal an den Sachverständigen.

Am Kirchturm in Hommert

5. Einsame, verschneite Wanderparkplätze können sich in frühen Morgenstunden in Rummelwiesen verwandeln.


Wir stehen am Forsthaus Salm, die Landschaft glänzt weiß verschneit in der Morgensonne, die Luft klirrt in der Kälte. Gerade als ich überlege, mir meine sehr warme Unterhose anzuziehen und mal im Busch zu verschwinden - ich habe Befürchtung, Portas Potti könnte einfrieren - braust ein Jeep auf den Wanderparkplatz. Nun gut, dann warte ich eben, bis die beiden durchtrainierten Herren ihre Schuhe geschnürt haben und losgezogen sind.
Doch sie bleiben an ihrem Allrad und parlieren und fachsimpeln und diskutieren.

Am Forsthaus Salm

Meine Vermutung, dass sie noch auf zwei weitere Fahrzeuge mit Wanderfreunden warten, die natürlich auch erst die Stiefel wechseln und sich mit Schal und Handschuhen ausstatten müssen, bewahrheitet sich leider nicht.

 
Nein, es handelt sich um die Treibjagdgesellschaft. Mehr und mehr schwere 4x4-angetriebene Verkehrsmittel rauschen heran, reihen sich akkurat nebeneinander ein, natürlich rückwärts eingeparkt und beäugen unser Vehikel sehr argwöhnisch, da es mindestens vier der begehrten Plätze einnimmt.

 
Nach gut einer Stunde sind alle im Kreis versammelt, etwa 30 Männer, 4 halbstarke Jungs, 5 Hunde und eine Frau. Die Treiber in schrillorangen Tarnklamotten, die Schußberechtigten im dezenten Olivgrün.

Jagdgesellschaft

Der Patron gibt klare Ansagen, die Aufgaben und die Gruppen werden eingeteilt, die Marschroute wird festgelegt und schon ist der Spuk vorbei. Alle setzen sich in ihre geländegängigen Karren und verschwinden zur Hatz auf die Sau.
Ich war inzwischen auf Portas Potti.

La Petite-Pierre

6. In den Vogesen gibt es keine Helmut-Kohl-Wanderwege.
Die Pfade zu den wunderbaren, beachtlichen, großartigen Sandsteinfelsen sind nicht leicht zu finden. 

Auf der Suche nach den Feensteinen

In Privatwäldern versteckt, ohne Wegmarkierungen, auf geheimnisvollen Wildwechseln und verschlammten Routen, durch versunkene Moore, immer wieder stoßen wir auf Hindernisse und gelangen weder zu den märchenhaften Feensteinen noch zu den Rocher Gabriel und Calice.

Auf der Suche nach den Feensteinen

Selbst der Weg zu den Riesenhühnergöttern nahe Forsthaus Salm bleibt uns versperrt: grellorange getarnte Wildschweintreiber blockieren den Wanderweg, damit wir nicht vor die Flinten geraten.
Wenigstens die Siamesischen Zwillinge finden und bewundern wir ausgiebig.

Rocher Siamois

Wir kehren dem Mittelgebirge den Rücken. Das Wetter wird mir zu unheimlich. Die Schneeketten haben wir zu Hause vergessen, die sind hier zwischen November und März strengstens vorgeschrieben und äußerste Pflicht. 

Und nachdem nur wenige Minuten vor uns ein junger Mann mit seinem nagelneuen Kleinwagen von der spiegelglatten Fahrbahn auf die Wiese zu den Hochlandrindern rutscht und mein Herz gleich hinterher, verlassen wir die Berge in Richtung Rheintal.

Hochlandrinder

Ich habe die glorreiche Idee, die schönsten Dörfer im Elsass könnten zu dieser Jahreszeit weniger besucht sein als im Hochsommer und kann Monsieur überzeugen, uns ein Bild davon zu machen.

Am Weinberg

Wir rollen die Berge hinunter, im Tal empfängt uns dichter Nebel und in Riquewihr ist die Hölle los!

Weihnachten in Riquewihr

Das kleine Örtchen an der Elsässer Weinstraße ist wirklich pittoresk, man kann es nicht anders beschreiben. Jedes Häuschen wirkt mit dem bunten Fachwerk wie aus der Zuckerbäckerei. Der Ort bewirbt sich im Internet als „wahres « Freilichtmuseum », das sich hinter seinen, heute nur noch von den Rebstöcken belagerten Stadtmauern seine Ursprünglichkeit bewahrt hat.“

Weihnachten in Riquewihr

So ganz stimmt das nicht. Diese Stadtmauern werden jetzt von touristischen Wegelagerern umstellt. Wohnmobil an Wohnmobil aufgereiht, bildet die lange Schlange einen weißen Festungswall vor Riquewihrs Toren und gemeinsam mit unzähligen PKWs werden die am Straßenrand drapierten Schilder konsequent ignoriert, die ein Absolutes Halteverbot verkünden.

Absolutes Halteverbot rund um Riquewihr

Wir überwinden den ersten Fluchtreflex, gesellen uns zu den verkehrswidrig abgestellten Fahrzeugen hinzu und wollen erkunden, was hier geboten wird.

Riquewihr ist unbestritten sehenswert. Die bunten Fassaden sind nun zusätzlich durch festlich-weihnachtlichen Schmuck verschönert.

Weihnachten in Riquewihr

Der ganze Ort wimmelt vor Menschen. An jeder Ecke stehen Leute und knipsen wild mit ihren Handys alles, was vor die Linse kommt.

Es glitzert, leuchtet, blinkt, schillert, funkelt, gleißt, glänzt und könnte absolut märchenhaft sein. Wäre es nicht komplett überlaufen. Man spricht überwiegend italienisch, ein bisschen spanisch und hier und da auch holländisch.

Weihnachten in Riquewihr

In der Hoffnung auf einen Weihnachtsmarkt vor dem Dolder-Turm kämpfen wir uns durch die Menge. Viele kleine Läden verkaufen Macarons, vin chaud oder die typischen rosaroten Elsässer Knacks, nur der klassische Marché de Noël ist längst abgebaut. Hier ist heute einfach nur so Remmidemmi, Ansturm, Getümmel und Gedränge.

Weihnachten in Riquewihr

Mir wird das schnell zu viel, ich klammere mich an der Hand des Helden fest, bemerke eine langsam aufkeimende Massenparanoia und kann den malerisch-romantischen Zauber der kleinen Stadt unmöglich wahrnehmen oder genießen.

Bald flüchten wir aus den bezaubernden Kopfsteinpflastergassen und lassen deren weitere römische Eroberung ohne uns vonstatten gehen.

Weihnachten in Riquewihr

Die Besichtigung von Eguisheim am nächsten Vormittag lassen wir sofort ausfallen, nachdem ich ein paar italienische Familien und diverse Wohnmobile am Ortseingang in den Massen wiedererkenne, die zum hiesigen, noch stattfindenden Weihnachtsmarkt strömen.

Weihnachten in Riquewihr

Nach einem ausgiebigen Silvestermenü, bestehend aus ausgewählten, deliziösen, wohlschmeckenden, feinsten Kostbarkeiten fallen wir weit vor Mitternacht in einen verdienten Schlaf ins neue Jahr. Doch im grenznahen Elsass findet der eine oder andere Böller seinen Weg in die Weinberge und so werden wir von einem, in Frankreich streng verbotenen Geknaller geweckt:

7. Böllerverbot heißt in Frankreich nicht unbedingt Böllerausfall.

Châtenois

Egal, das neue Jahr empfängt uns mit einem atemberaubenden Sonnenaufgang über dem verschlafenen Dambach-la-Ville und einem fabelhaften Ausblick bis zum Schwarzwald in der Nähe und sogar zu den Ausläufern der Schweizer Alpen in der Ferne.

Guten Morgen 2025!

Nun bleibt uns nur, allen ein friedliches 2025 und ganz besonders Gesundheit, Zufriedenheit und irgendwo auf der Welt ein kleines bisschen Glück zu wünschen.


Und unser Silvester-Menü:

Apéro: Quinteet aus Datteln im knusprigen Bayonne-Schinkenmantel, Paté en Croûte aux Olives, Olives vertes, Gefüllte Weinblätter a la Greque, Balsamicozwiebeln italien - dazu ein spriziger Cidre aus Étretat


Entrée: Tomatensuppe aus aromatischen Tomaten der Provence, gelben Zwiebeln, Schnitzen von getrockneter Tomate, hauchdünnen Olivenscheibchen, Knoblauch de Lautrec, verfeinert mit einem Schuss Bordeaux, Yoghurt-Kräuter-Topping mit einer Garnitur von braunen Champingnon biologique.


Amuse-Geule: Feinste Streifen Jambon Persillé de Bourgogne, Qualité Supérieure, bester Petersilieschinken in einem Bett aus zarten Zwiebelringen - dazu würziger Moutarde de Dijon.


Gruß aus der Küche: Bruschetta - mit aromatischem Fromage de Chèvre knusprig überbackene Baguettescheiben


Plat principal: Pfannengebräunte Calamari à la Romana im feinen Backteig - dazu ofenfrisches Baguette mit einem Dip aus 13 Knoblauchzehen


Plateau de fromage: Saint-Félicien: ein milder, zartcremiger Weichkäse, Morbier: feinwürzig mit dem markanten Streifen aus Pottasche, Soingon: unverfälscht-cremiger Ziegenmilchkäse mit feiner Rinde, Munster-Géromé: würzig kräftiger Rotschimmel mit milder Textur mit Kümmelkrönung


Dessert: Profiterols: feinste gefüllte Sahnewindbeutelchen auf einem Spiegel von zartem, dunklem Schokoladenschmelz.


Les sucreries



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