châteaugeschichten
châteaugeschichten
vakantio.de/chateaugeschichten

Bei den Flamingos des Nordens

Veröffentlicht: 14.12.2024

Neulich führt uns der Zufall nach Linum.
Wir wundern uns bei der Fahrt durch das brandenburgische Dörfchen im Rhinluch nördlich von Berlin über die vielen Parkplätze und über noch mehr Halteverbotsschilder, die wie an einer Kette aufgereiht am Wegesrand das Ortsbild bunt gestalten.

Herbst in Kremmen

Was ist denn hier los? Eine Mega-Kürbis-Party und das länger als drei Monate?

Das weltweite Netz klärt uns auf, dass die nahegelegenen Teiche einer der größten Rastplätze der Kraniche in Europa auf ihrem Weg ins Winterquartier nach Frankreich und Spanien sind. Bis zu 100 000 Vögel täglich wurden hier schon gezählt und besonders beeindruckend ist die abendliche Rückkehr der Schwärme von den umliegenden Feldern zu den alten Fischteichen.

Linum

Das wollen wir uns nicht entgehen lassen und ein Platz für den Mistral ist auf einer der zahlreichen, zu kostenlosen Parkmöglichkeiten umfunktionierten Wiesen schnell gefunden. Nach einer ausgiebigen Siesta bei herbstlichem Sonnenschein wandern wir am späten Nachmittag auf Empfehlung des NABU zu den Gewässern am Ortsrand.

Sonnenuntergang in Linum

Die lauten Rufe und Trompeten, die der Kommunikation innerhalb der Flugformation dienen, sind deutlich zu vernehmen, doch allein, der Blick auf die stolzen Vögel bleibt uns verwehrt. Viele schöne Laubbäume sind in den Jahren himmelhoch in die Aussicht gewachsen, auch von den angelegten und gut besuchten Beobachtungstürmen ist keine noch so winzige Kranichfeder zu erspähen.

Sonnenuntergang in Linum

Klar, wenn halb Berlin und jetzt auch noch wir durch die Feldmark trampeln, ist schnell Schluß mit Rast und Ruhe für die scheuen Tiere. Deshalb sind zur Zugzeit sämtliche Wege gesperrt und wir müssen uns mit der Bewunderung der ebenso zahlreichen, laut schnatternden Wildgänse zufrieden geben.

Linum

Ein spektakulärer Sonnenuntergang in erstaunlichen Farben und eine ruhige Nacht auf der Parkwiese mit Blick auf die Lichter der A24 entschädigen uns für die enttäuschten Versprechen.

In der Havelaue

Jetzt aber lese ich, dass auch der Stausee in Kelbra zu den beliebten Rastplätzen der Vögel des Glücks gehören. Ich kann den Helden überreden, am Samstag den Wohnwagen anzuspannen und wir machen uns auf den Weg über den Harz in die Nähe von Nordhausen.

Schon bei der Anfahrt sind die Rufe der Gänse zu hören, die sich ebenfalls auf dem Gewässer in unbeschreiblicher Zahl zur Rast niederlassen.

An der Havel

Berlin ist weit und die Bird-Spotter nicht ganz so zahlreich vertreten, aber doch mit dicken Kameras, professionellen Stativen und opulenten Objektiven ausgestattet.

Auch hier sind die nördlichen Wege rund um den See für Neugierige gesperrt, um den Vögeln ihre Ruhe zu garantieren. Aber von der Staumauer und auf dem Rundweg im Süden hat man einen hervorragenden Blick aufs Wasser.

Havel

Der Herbst ist Mitte November schon weit ins Land gegangen und viele Vögel sind längst in ihren Winterquartieren im Süden angekommen. Aber die mittlerweile milden Temperaturen führen dazu, dass nicht wenige die kalte Jahreszeit in unseren Breiten verbringen. Und so kommen wir im grauen Abendlicht bei kalten Ostwindböen in den Genuss eines wunderbaren Schauspiels: tausende Kraniche fliegen in den typischen Formationen von den nicht weit entfernten Äckern des Umlands gen See, begleitet von lauten Rufen, dem typischen Trompeten, unüberhörbaren Signalen. Immer mehr und immer mehr Schwärme ziehen über unsere Köpfe hinweg zum Wasser. Das ist wirklich beeindruckend, außergewöhnlich, wunderschön und kaum zu beschreiben.

Hellergrund

Wir haben einen tollen Ausblick auf die Talsperre und können die Vögel dabei beobachten, wie sie sich am anderen Seeufer für die Nacht versammeln – natürlich nur mit dem Fernglas, denn sie sind weit entfernt und ähnlich scheu wie die rosa Flamingos der Camargue. Sie schlafen stehend im flachen Wasser, das ihnen in der Finsternis Schutz bietet. Wir vermuten, dass die Talsperre in Kelbra deshalb gerade so trocken ist und abgelassen wurde, um sie als Rastplatz für die Vögel attraktiv zu machen.

Hellergrund

Zum krönenden Abschluß fliegt ein gigantisches, schnatterndes, gackerndes Wildgänse-V über unsere Köpfe Richtung See, macht den Kranichen ernsthafte Konkurrenz und bringt einen Hauch sibirische Winterluft mit.

Die Parkplätze sind hier leider nicht großzügig kostenlos, weshalb wir bei endgültigem Einbruch der Dunkelheit dem Spektakel die Rücken kehren.

Sonnenuntergang in Linum

Nach einer ruhigen Nacht an der Gulaschkanone, werden wir am Sonntagmorgen von Siegfried geweckt, der für die ersten Frühschoppengäste den Ofen anschmeißt. Der Schornstein raucht, der Nordhäuser Doppelkorn schmeckt und auch wir lassen bei nasstrübem Nieselwetter den Vormittag langsam angehen.

Hindernislauf...

Doch ich habe in der Nähe noch zwei Stempel der beliebten Harzer Wandernadel entdeckt und lasse keine Ausreden gelten, schließlich soll ab Mittag die Sonne scheinen, orakeln die Wetterfrösche.
Gut gegen die Nieselschauer eingepackt, machen wir uns in Silberhütte auf den Weg.

Hier gehts zum Stempel 194 rechts!

Der Hinweis zum Trampelpfad ist geschickt platziert und bald schlittern wir auf unwegsamen Routen durch Pampe, Mumpe und Schlick. Die Wildschweine haben den Boden gründlich umgewühlt und nach Wurzeln, Pilzen, Kräutern und unvorsichtigen Weichtieren abgesucht. Wer nicht aufmerksam Obacht gibt, riskiert den Bruch von Hals, Bein und anderen wichtigen Körperteilen.

Ich werfe einen unvorsichtigen Blick in den immer stärker werdenden Regen und schon ist es passiert! Mit beiden Füßen stecke ich im Schlamm. Unverrückbar, unausweichlich, unentrinnbar!

Wildschweinmodderpampenschlamm

Ohnein, ohnein, ohnein – jammere ich! Meine Schuhe klemmen im Modder wie einbetoniert, ich muss nun den Winter über hier ausharren, werde von Wildschweinen im Matsch gewälzt, von Fuchs und Hase ausgelacht und muss jämmerlich im unwirtlich eisekalten Unterharz erfrieren! Ohnein, ohnein, ohnein!

Nach den Erfahrungen im Lac d’Orient habe ich mich ausführlich darüber informiert, wie Münchhausen sich an den Haaren samt Pferd aus dem Sumpf gezogen hat. Aber das ist nur eine unsägliche Lügengeschichte, da kann ich ja gleich auf der Kanonenkugel auf den Mond fliegen!

Pochwerk - Erzaufbereitungsanlage

Ich schaue mich um und mache einen langen Arm, so lang es nur geht. Jetzt komme ich mit den Fingerspitzen an den Ast des nächsten Bäumchens, an dem ich mich festhalten kann, um nicht tiefer zu sinken. Der Regen wird immer stärker, dicke Tropfen vergrößern die Pfütze um mich herum, der Boden blubbert und der Madder wird schlammiger, breiiger, klebriger.

Ich drehe und wende mein linkes Bein, vor-zurück, rechts-links, kreuz-quer und nach einigem Hin und Her kann ich ihn mit einem lauten Schmmmoootz aus dem Pamps befreien. Eine kleine Grashutze guckt aus dem Kladderadatsch, dort kommt der befreite Fuß zum Stehen.

...zum Wanderstempel

Den rechten Schuh habe ich schlampig und nicht ordnungsgemäß fest zugebunden und ich fürchte, das gute Stück rutscht bei einem ähnlichen Versuch vom Fuß und bleibt für ewig in der Pampe. Das geht gar nicht! Ich kann doch nicht über Stock und Stein, durch Wildschweinmatsch und glitschigen Morast mit nasser Socke und ohne schützende Treter humpeln! Ohnein, ohnein, ohnein!

HWN 194

Mit letzter Willenskraft nehme ich all meinen Mut, die restliche Energie und den Hauch an Selbstbeherrschung zusammen und ziehe meinen Fuß mitsamt Schuh und einem kraftvollen Ruck aus dem Sumpf! Ein dicker Schwall Schlamm und Modder fliegt hinterher, nun hab ich das Zeug nicht nur an den Socken, sondern auch überall dekorativ auf der Garderobe.
Egal, ich bin frei und muss nicht jämmerlich erfrieren.

Der kluge Wanderer

Beim Blick zurück sehe ich den Helden trockenen Fußes breit grinsen. Er schlaumeiert, dass der kluge Wanderer den Weg um die Sumpflandschaft herum nimmt, dann bleibt die Socke sauber. Jaja, wer den Schaden hat…

Stärkung mit selbstgemachter Galette bretonne

Nach zwei Stunden sind wir klatschenass und schlammbeschmaddert zurück am Mistral. Jetzt schnell raus aus den triefenden Klamotten und rein in trockene Strümpfe. Bei heißem Kaffee, süßem Keks und bollernder Gasheizung schauen wir in die Unterharzer Berglandschaft, wo nun doch für einen kleinen Moment die Sonne durch die dicken Wolken blinzelt.

Ziegen kann man leicht fotografieren, die sind neugierig...

Mannometer, immer diese aufregenden Mikroabenteuer vor der Haustür!

Nächstes Mal will ich aber doch lieber die rosa Flamingos in der Camargue beobachten. 

...im Gegensatz zu Flamingos!


Antworten

Deutschland
Reiseberichte Deutschland
#kranich#flamingo#linum#kelbra#harzerwandernadel#hwn#gulaschkanone#camping#wohnwagen#elddis#harz