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Revolution und Milchkaffee

Veröffentlicht: 06.10.2025

Böse Zungen behaupten, unsere Reisepläne richten sich ausschließlich nach stattfindenden Flohmärkten. Nun ja, ein Körnchen Wahrheit findet jedes blinde Huhn, aber heute beschließen wir, uns auf die Spuren vergangener Zeiten zu machen. Wir fahren in die Cevennen.

Flohmarkt in Pernes-les-Fontaines

Unsere ersten gemeinsamen Frankreichtouren führten oft an den Gardon. Nicht weit entfernt vom Dörfchen Mialet hatten wir ein wunderbares Plätzchen am Fluß, mitten in den schroffen Bergen des kleinen Karstgebirges im französischen Zentralmassiv.

Le Gardon de Mialet

Und kaum lassen wir den geschäftigen Rummel am Hiergibtsallesplatz und den chaotischen Verkehr an unzähligen Kreiseln in Alès hinter uns, tauchen wir ein in die sanfte, entspannte Ruhe, die schon die ersten Höhenmeter der grünen Hügel und der kantigen Felsen und steilen Abhänge verströmen.

Corniche des Cèvennes

Eigentlich sind wir nicht wirklich überrascht, dass die Zufahrt zu unserem lauschigen Plätzchen aus vergangenen Zeiten mit einer Schranke versperrt ist. Dass wir aber durch einen Höhenspriegel auch am Halt auf dem Parkplatz gehindert werden, empört mich schon ein wenig.
Manchmal war früher eben doch mehr Lametta.

Kein Durchkommen mehr zum beschaulichen Platz am Fluss

Es ist Midi und ich brauche meine Siesta, also bleiben wir mit unserem Gespann für das Picknick einfach zwischen den zwei Halteverbotsschildern stehen.

Zwischen den Fronten im Halterverbot

Mittlerweile lasse ich mich durch nichts mehr wecken. Kein Husten, kein Niesen, kein Blitz, kein Donner, kein Wolkenbruch, kein noch so nerviges Hundebellen, Eselsrufen oder Hahnenkrähen können mich aus dem Schlaf reißen. Ich werfe einfach noch eine von meinen verschreibungspflichtigen Pillen ein und schon sind Träume von sämtlichen Straßen dieser bunten Welt gesichert.

Hier wird kein Quatsch gemacht...


Und auch die Ankunft der Police municipal während meiner Mittagsruhe lässt mich nicht erwachen.
Der Held berichtet nachträglich, dass er schon etwas unruhig wurde und zwischen der Entscheidung schwankte, mich aus meinem Koma zu reißen oder die Beamten mit Baguette, Käse und vin rouge zu bestechen.

Saint-Jean-du-Gard

Doch die Ordnungshüter kümmerten sich nicht die Bohne um unser verkerswidrig abgestelltes Fahrzeug. Ein kurzer Abstecher über die Brücke, die immer noch über kein Geländer verfügt (aber der Parkplatz hat einen Spriegel...), ein Kaffee in der Bar am anderen Ufer und dann ist es wieder Zeit, sich um wahre Verbrechen zu kümmern.
Angeblich treibt ein wildes Camperpärchen auf schön gelegenen Par4Night-Plätzen sein Unwesen.

Saint-Jean-du-Gard

Die kleinen Orte in den Cevennen sind wunderbar entspannt, die Landschaft ist von steilen Schluchten und abgelegenen Hochebenen geprägt. Kein Wunder, dass hier seit jeher Aufruhr, Widerstand und Rebellion an der Tagesordnung sind. Reformation und Hugenotten, Camisarden im 18. Jahrhundert und die Resistance im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Besatzung fanden in den versteckten Tälern Zuflucht. Und auch heute ist die Region geprägt von einer protestantischen Tradition und von alternativer Kultur und unkonventionellen Lebensformen.

Saint-Jean-du-Gard

Wir finden dann auch einen beschaulichen Platz im Städtchen Saint-Jean-du-Gard. Vergesst bitte nicht das Maßband, wenn ihr euer Mobil auf dem kostenlosen Parkplatz abstellen wollt. 

Hier wird genau gemessen!

Wir jedenfalls haben nach einigem Überlegen beschlossen, dass der Mistral für die komplizierten Vorschriften unpassend sein dürfte und lieber einen, vom Geschehen entfernteren Standort gewählt. Obwohl wir insgeheim bezweifeln, dass Monsieur Police-Municipal bei seinem täglichen Rundgang einen Zollstock in der Tasche hat.

Saint-Jean-du-Gard

Am Morgen werden wir nicht nur mit einem Foto von der Abfahrt der pfeifenden, schnaufenden Cevennen-Dampflok belohnt.

Cevennes Express

Wir bummeln über den kleinen Wochenmarkt und genießen den Kaffee in der PMU-Bar, der hier wirklich nach Café au lait schmeckt.
Dabei haben wir Gelegenheit, eben jene alternative Kultur zu beobachten, die alle Altersgrenzen überschreitend in dem Städtchen verblieben ist.

Markt in Saint-Jean-du-Gard

An einem ausladenden Tisch sitzt eine große Gruppe weiß- und langhaariger 68er bei Wein, Bier und Pastis. Sie saugen an ihren Selbstgedrehten, diskutieren über Gott, die Welt und Frankreich und planen den nächsten Generalstreik.

Bunte Tassen

Der junge Mann mit der schrapelnden Gitarre gibt sein Bestes, um das Publikum bei Laune zu halten, da darf auch "Country roads" nicht fehlen.

Auf den Plätzen hinter uns, lassen sich junge Revoluzermädchen mit langen Dreads und bunten Latzhosen ihren Kaffee bringen, der Rauchkringel aus ihrem Joint weht verlockend zu uns herüber. Plötzlich springen alle vier quietschend von ihren Sitzen hoch. Eine freche Dohle aus der Familie der Krähenvögel hat beim Überflug einen nicht unerheblichen Batzen auf ihre Tischplatte klatschen lassen. Daran sehen wir, dass auch bei naturnahen Cevennenvölkern die Revolution ein wenig geübt werden muss.

Café au lait

Die gelöste, entspannte Stimmung auf dem Marktplatz überträgt sich auf uns und wir sind im Urlaub angekommen, gönnen uns lächelnd das herrliche Heißgetränk und genießen die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht.
Doch wir haben noch mehr vor und so füllen wir die Wasserkanister und setzen unsere Reise fort.

Nationalpark Cevennen

Mich begeistert die Idee, die Fußstapfen von Robert Louis Stevenson zu erkunden, doch fehlt uns zur Perfektion das Huftier. Der Vater der Schatzinsel wanderte in Begleitung einer störrischen Eselin durch die Cevennen und beschrieb seine Erfahrungen in einem Klassiker, der in keinem Office de Tourisme der Region fehlen darf.

Robert Louis Stevenson ist fast überall

Der Wanderweg GR 70 führt auf den Spuren des Schotten von Le-Puy-en-Velay nach St.-Jean-du-Gard, ist gut ausgeschildert und ich denke ernsthaft darüber nach, die rund 250km lange und mehrere Tausend Höhenmeter umfassende Wanderung mit einem friedfertigen Grautier mal in Angriff zu nehmen. Aber vorher muss ich leider noch repariert werden...

Pause auf der Corniche

Unsere Tour durch die Cevennen und über die Höhenstraße der Corniche endet in Florac. Dieses Städtchen ist für den Helden untrennbar mit der Erinnerung an die beste Pizza seines Lebens verbunden. Das ist schon so lange her, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, was ich gegessen habe. Ich weiß aber noch genau, dass wir in einem lebendigen, romantischen, idyllischen Ort mit südfranzösischem Flair die Atmosphäre unter weit ausladenden Platanen genossen haben und riesige Forellen in dem, vom Tarnon abgeleiteten Mühlgraben bestaunten.

Brücke nach Florac Trois Rivières

Leider ist davon nicht mehr viel übrig. Die Platanen gibt es noch, aber das Städtchen wirkt wie ausgestorben. Die alten Häuser sind kaum noch bewohnt und die Substanz bröckelt zusehends.

Florac Trois Rivières

Vor den Toren der Stadt empfängt ein Hochglanzbesucherzentrum die Touristen aus aller Welt und die Mehrzahl der Bewohner baut dort moderne Häuser nach den neusten Wärmeschutzverordnungen, die in der maroden Innenstadtarchitektur nicht umsetzbar sind.

Florac Trois Rivières

Doch eine Initiative engagierter, umtriebiger, leidenschaftlicher Menschen hat sich gefunden und versucht die bröckelnde Identität des Ortes lebens- und liebenswert zu erhalten. Und sie suchen immer uneigennützige, träumerische, zupackende Mitstreiter. Wir denken darüber nach...
Aber vorher muss ich leider noch repariert werden.

Mitstreiter in Florac gesucht!

Unser Weg weicht nun ab von Stevensons Pfaden, wir steuern Richtung Mont Lozére und Ardèche-Berge, wo es mehr Kühe als Menschen gibt und die Sterne heller leuchten als anderswo.

Florac ist doch nicht ganz ausgestorben!


Antworten (2)

:-)

Kasi
👍

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