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Bis ans Ende der Welt

Veröffentlicht: 24.10.2025

Unsere letzte Reisewoche bricht an und wir bummeln etwas ziel- und planlos durchs schöne Beaujolais. Die warme Spätsommersonne bringt die goldenen Dörfer zum leuchten, die nicht umsonst "Les Pierres Dorées" genannt werden. 
Les Pierres Dorées

Die kleinen Orte des bekannten Weinanbaugebiets strahlen in allen Nuancen von Gelbtönen, die man sich nur vorstellen kann: natürlich angefangen bei Gold, entdecken wir Bernstein-, Sonnen-, Azteken und Maisgelb. Aber auch Honig-, Baguette-, Senf-, Safran- und Kürbisfarben fehlen nicht, um die reichhaltige kulinarische Seite der Region nicht außer Acht zu lassen. Und alles glänzt im schönen Schein der inzwischen doch recht tief stehenden Sonne.


Heute Mittag machen wir eine Pause auf dem Parkplatz des ehemaligen Steinbruchs, von dem man einen fantastischen Ausblick auf die Weinberge und eben jene goldenen Dörfer hat. Das Material für die Häuser und der mancherorts opulenten Schlösser der Gegend stammt unter anderem von hier. Der kleine Rundgang ist aus Sicherheitsgründen gesperrt, aber in den alten Carrière kann man noch spazieren.
Steinbruch von Glay
Heute empfängt uns leises Stimmengewirr und sanftes Hämmern aus dem goldgelb schimmernden Gesteinsrund. Eine Gruppe älterer Herren sitzt in der kleinen, von ihnen gebauten Hütte und fachsimpelt bei einem Café noir.
Bei den Steinklopfern
Das Betreten des alten Steinbruchs wird mittlerweile durch drei Zäune verhindert, was mich ein wenig an einen antifaschistischen Schutzwall erinnert. Wir wundern uns, denn vor nicht allzu langer Zeit konnte man sich noch auf wenige Meter der Abbruchkante nähern.
Drei Zäune!
Weil die Herren ihre Pause gerade beenden, frage ich nach dem Grund für die rigorose Absperrung. Sie zucken sehr französisch mit den Schultern, bis der Älteste unter ihnen schmunzelnd berichtet, es wären mächtige, fliegende goldene Brocken gesichtet worden, die sich in hohem, beinahe kilometerweiten Bogen auf gewaltigen Schwingen auf arglose Besucher gestürzt hätten. Zu unser aller Sicherheit also, die mittlerweile dritte und unüberwindbare Barrage.

Die Jungs sind sehr freundlich und lassen uns über ihre Schultern schauen. Sie klopfen und hämmern mit viel Bedacht, Geduld und Hingabe aus dem gelben Sandstein kleine und große Kunstwerke. Zwei bis drei Mal pro Woche kommen sie hier zusammen, um ihrer ungewöhnlichen Passion zu frönen und sich nebenbei über Freud und Leid des Alltags auszutauschen. 
Wir erzählen, dass wir vor ein paar Jahren in Guédelon waren, einer französischen Gemeinde, wo mit ausschließlich mittelalterlichen Techniken eine Burg aufgebaut wird. Wir waren im August da und natürlich war das Gelände rappelvoll mit ferienentspannten Menschen. Leider hatten auch viele Handwerker Urlaub, denn sie sind ganz normal angestellt und haben auch mal frei. Dass wir jedoch erschwerend einen Feiertag erwischt haben, nämlich die katholische Mariä Himmelfahrt, haben wir erst bemerkt, als wir nach der Besichtigung vor verschlossenen Bäckereitüren standen und statt frischem Brot trockenen Kuchen von gestern essen mussten, ganz im Sinne der legendären Marie Antoinette.

Die Herren lächeln über das Anekdötchen, wissen sie doch, dass in Guédelon immer viele Touristen sind, anders als in ihrer bescheidenen Arbeitsstätte. Doch sie sind mit Enthusiasmus am Werk und freuen sich über interessierte Besucher. 
Wir verabschieden uns mit der Ankündigung, dass der Held im nächsten Jahr vielleicht die Holzkamera im Gepäck hat und ein paar Nassplatten von den engagierten Männern macht. Dabei sehe ich im Augenwinkel, wie ein dicker goldener Felsbrocken die weiten Schwingen ausbreitet und im großen Bogen über sämtliche Zäune fröhlich kichernd hinweggleitet...

Für die weitere Reise navigiere ich uns zielsicher an den goldenen Dörfern vorbei, schießlich sollen ja noch Neuentdeckungen fürs nächste Jahr bleiben. Mit der Wegführung ernte ich den Unmut meines Begleiters, er wollte sich diese schönen Orte eigentlich nicht entgehen lassen. Manchmal können deutliche Kommunikation und klare Wunschäußerungen hilfreich sein.

Nun sind wir aber schon wieder auf der "Route des Grands Crus" im Burgund, von der uns zu Beginn der Tour ergiebige Regenfälle vertrieben haben.

Côte d'Or
Hier finden wir das Ende der Welt. 

Schon die kleine Straße dorthin durch scheinbar verlassene Dörfchen lassen vermuten, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Zum Glück ist der angelegte Parkplatz sehr großzügig gestaltet, so dass wir mit unserem überlangen Reisemobil unkompliziert drehen können und hier nicht stranden. Der Held wischt sogleich meine Bedenken mit einem Handstreich beiseite, bisher hat er jedes noch so knifflige Wendemanöver an jeder noch so engen Stelle spielend genommen. 

Zum Ende der Welt

Beim Aussteigen vernehme ich gedämpfte Rufe in den umliegenden steilen Felswänden und halte erschrocken Ausschau nach fliegenden Gesteinsbrocken. Man hat schon Pferde kotzen sehen, wie mein Vater immer sehr weise sagte. Doch diese Geräusche klären sich schnell als Signale der Kletterer auf, die hoch über unseren Köpfen ihrer sportlichen Leidenschaft nachgehen.
Le Bout du Monde

Also können wir gefahrlos den Weg durch den bunten Laubwald entlangspazieren. "Der Herbst steht auf der Leiter und malt die Blätter an" - haben wir als Kinder gesungen, fällt mir bei den farbenprächtigen Bildern ein und summe ein bisschen vor mich hin. Manchmal sind eben nicht nur Pillen stimmungsaufhellend. 
Le Bout du Monde

Versonnen staunen wir über die reiche Farbpalette um uns herum und dann ist plötzlich Schluss! Eine steile graue Felswand verhindert jeden weiteren Weg, ragt etliche Meter, beinahe bedrohlich hoch auf, die Welt scheint hier ein Ende zu haben.

Man kann sich lebhaft vorstellen, dass für unsere Vorfahren die Mammutjagd an diesem Punkt vorbei war und das Schicksal sich Aug in Aug entscheiden musste.

Am Ende der Welt

Aus einer Rinne hoch über unseren Köpfen rauscht im Frühjahr bestimmt ein tosender Wasserfall über dicke Gesteinsbrocken, doch heute tröpfelt nur wenig Nass und das trotz der anhaltenden Niederschläge in den letzten Tagen. 
Côte d'Or

Tollkühne, unerschrockene, waghalsige Abenteurer haben in vergangenen Zeiten einen steilen Pfad am Ende der Welt vorbei über Stock, Stein, Fels und das rauschende Flüsschen entdeckt und man kann in luftigen Höhen seinen Marsch fortsetzen. Für mich ist aber heute hier und jetzt Schluß und ich wäre den wilden Tieren wehrlos ausgeliefert. Wie gut, dass ich einen kühnen Helden an meiner Seite habe, der mich zuverlässig und sicher zum Mistral zurückführt.
Nolay

Auf dem Parkplatz ist das Übernachten IN-TER-DIT und deshalb machen wir uns auf die Suche nach einem anderen schönen, stillen Örtchen. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass die Kletterer sich wenig um die Verbotsschilder scheren, wenn ich mir die PKWs mal genauer anschaue.
Nolay
Aber wir brauchen noch Brot, weshalb das 1000-Seelen-Winzerdorf Meursault genau im richtigen Moment auftaucht, mit Miniwochenmarkt, Épicerie und einer Bäckerei. 

Und die ist einen Umweg wert.

Boulangerie in Meursault

Während ich das Geschäft an den drei Marktständen vorbei ansteuere, schiele ich in die Kaffeebecher auf den Tischen, an denen Menschen in der warmen Mittagssonne sitzen und sich vom anstrengenden Einkaufsbummel erholen. Dabei sinniere ich darüber, ob das Heißgetränk in den Pappbehältern wohl besser schmeckt, als das letzte in Nyons und pralle in unkonzentrierter mentaler Abwesenheit beinahe mit der Nase gegen die Tür.
Nolay
Der Held verhindert das Ungück im letzten Augenblick, denn er ist aufmerksam und schlußfolgert durch genaue Beobachtung anderer Kunden schlauerweise, dass der Eingang links der Außensitzplätze sein muss. 
Also folgen wir den Ortskundigen und sind sogleich über das sanfte, ein galaktisches Raumschiff-Enterprise-Gefühl auslösende Sssssit verblüfft, mit dem sich die gläserne Pforte in dem alten Gemäuer ohne unser Zutun öffnet. 
Hier ist der Eingang!

Wir landen vor einer langen Glasvitrine, aus der köstliche Leckereien in bunten Herbstfarben mit unermeßlich vielen Kalorien locken. Petits fours in allen nur vorstellbaren Varianten, rund und erdbeerrot, lang und caramellig, rechteckig und schokobraun, quadratisch und mirabellenorange. Ach, ich kann gar nicht aufhören zu staunen, doch hinter mir drängeln zwei ansässige, laut schwatzende Omis. 
Petits fours

Nicht stehen bleiben, die Musik und die Bedienung spielen da vorn, die Marschrichtung ist ganz klar und eindeutig! 

Links gehts in den Laden rein, ohne Stopp und Aufenthalt an Naschwerk, Köstlichkeit oder Delikatesse vorbei, den zwei jungen Damen hinter einer riesigen Aparatur die Bestellungen zurufen und rechts gehts flott wieder raus. Keine Abkürzungen, keine Umwege, kein Richtungswechsel und schon gar kein Eintritt durch die falsche Tür!

Traditionelle Handwerkskunst
Also zieht der Held mich weiter, denn wir brauchen leider-leider nur Brot. Auch hier ist die Auswahl beinahe unüberschaubar, deshalb wähle ich einfach une baguette, da kann man nicht viel falsch machen. Den verführerisch-buttrigen Croissants kann ich dann aber doch nicht widerstehen. 
Côte d'Or
Derweil Mademoiselle flink die Bestellungen in ein brandneues Tablet modernster Technologie der allerletzten Generation eingibt, deutet die zweite Bedienung auf einen schmalen Schlitz an der Frontseite der Theke vor mir.
Côte d'Or
Während ich mich mit offenem Mund noch darüber wundere, warum die besten Croissants vom Ende der Welt durch diesen schmalen Spalt kommen sollen, da werden die doch total zermatscht! Währenddessen also zieht der Held den Zehner zwischen meinen Fingern hervor, denn er hat Mademoiselle richtig verstanden. Das Geld kommt in den Schlitz und das Wechselgeld klappert, rappelt, rasselt in die kleine Schale daneben. Natürlich nehmen wir gern noch von der angebotenen Kostprobe der hausgemachten, exquisiten, frischen Brioche.
Vollautomatisierte Bäckerei
Dann nimmt der Held sanft meine Hand und führt mich durch die jetzt richtige Automatiktür nach draußen, die sich wiederum mit einem säuselnden Sssssit öffnet, so dass ich meine Skills für die Challenge in Scottys Beamer mit Cupholder und Ambientlight bereit mache. 

Die Madames hinter uns haben ihren Dorfklatsch beendet und drängen nun zur Tat, sie brauchen noch jede Menge kleine Schweinereien zum Dessert und haben schließlich nicht ewig Zeit.

Nolay

Wenn ihr also mal eine vollautomatisierte Dorfboulangerie erleben wollt, bei Monsieur Babout in Meursault geht das. Und sagt mir bitte-bitte, welche der famosen Törtchen am besten schmecken!
Antworten (1)

Kasi
😃

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