Veröffentlicht: 15.09.2025
So schön‘s im Valle Maira auch war, irgendwann musste ich dann doch auch mal weiter. Frankreich wartete. Außerdem sollte es nach einem Zweitages-Schönwetterfenster am Samstag nochmal regnen, und die Fahrradwerkstatt würde Sonntag und Montag auch dicht sein. Es gab also mehr als genug Gründe, den Colle del Maurin jetzt zügig anzugehen. Das war einer jener Pässe, die man nicht sinnvoll in einer Tagestour überschreiten konnte, da dieser in ein Tal führte, das einen in eine ganz andere Richtung führte. In dem Fall war es das Ubaye-Tal. Letztes Jahr war ich in diesem Tal bei einer anderen Bikepacking-Unternehmung im Queyras schonmal, und bin da von Osten nach Norden rein. Diesesmal wird es nun von Süden nach Westen sein.
Mit dem ganzen Vorrat an Chinanudeln und Porridge an Bord, und nach vier Tagen Radeln ohne Gepäck, fühlte sich das ganze Zeugs erst mal wieder zentnerschwer an. Uiuiui, wie habe ich das nur vorher geschafft? Aber jammern half jetzt auch nicht weiter, die 1600 Höhenmeter mussten absolviert werden. Zäh drückte ich die Beine in die Pedale um auf Teer erstmal wieder nach Saretto zu gelangen. Der hindernisarme Untergrund blieb mir noch etwas weiter erhalten bis nach Chiappera, dem letzten Weiler im Tal auf italienischer Seite. So abgelegen wie das hier war, konnte ich mir kaum vorstellen, dass dieser Ort auch im Winter zugänglich und eine begehrte Destination für Skitouren sein soll. Das regelmäßige Freiräumen von Eis und Schnee auf dieser kleinen, engen Bergstraße stelle ich mir schon ziemlich abenteuerlich vor.
Mir standen noch weitere 1000 Höhenmeter bevor. War dann allerdings nicht allzu steil und bis zum Pass ganz gut zu schieben. Arrivederci Italia, Bienvenue en France! Nach über eineinhalb Wochen lustiges Vorspiel in Italien sollte ich mein eigentliches Reiseziel nun erreicht haben. Der Empfang hätte besser nicht sein können - ein butterweich-fluffiger Trail beförderte mich ins Tal hinunter. Ich kann es mir nicht erklären, aber solche Trails gibt es nur in den USA, oder eben in Frankreich, insbesondere rund ums Queyras. Ich habe wirklich keine Ahnung warum das so ist, aber es war jedenfalls Genuss in vollen Zügen.
Noch mehr Genuss gab es im Auberge des kleinen Orts Maljasset - die erste Tarte aux Myrtilles in Frankreich, und was für eine. Yummy! Der Tag war also gerettet, was noch fehlte war das Nachtlager. Ich war etwas hin und her gerissen - für meine geplante Tagestour morgen wollte ich noch nach Fouillouse hochpedalieren. Da gab es aber keinen Campingplatz, also wollte ich mir was hintendran suchen. Ob das so funktionieren würde, war noch nicht so richtig klar. Also erstmal abfahren durch das wunderschöne obere Ubaye-Tal, und am Abzweig nach Fouillouse nochmals 300 Meter hoch. Der Weiler selbst bestand genaugenommmen lediglich aus einem Restaurant und einem kleinen Laden mit angeschlossener Bar. Die Infrastruktur war voll und ganz auf die durchziehenden Wanderer ausgerichtet. Das kam mir natürlich sehr entgegen. Das Restaurant bot nämlich neben Zimmern auch ein kleine Zeltwiese an. Kostete dann 5€ die Nacht wenn man die Dusche noch mitnutzen wollte. Und eine Halbpension wurde dazu auch angeboten. Das war wirklich genau das, was ich mir gewünscht hatte. Man merkt einfach, in Frankreich ist Zelten im Sinne des klassischen Backpackens viel verbreiteter und akzeptierter. Das freut mich als Bikepacker natürlich auch ungemein.
Die anstehende Tour am nächsten Tag war dann der Tete de la Frema. Der südlichste Bike-3000er der Alpen. Das stand ganz weit oben auf meiner ToDo-Liste. Obwohl ich nur auf 1900 Meter übernachtete, war es bitterkalt. Aber egal, das sollte mich nicht abhalten. Der Aufstieg erfolgte über einen sehr flowigen, kaum verblockten Trail der schon richtig Appetit auf die Abfahrt macht. Am Refuge de Chambeyron wurde das Gelände etwas flacher und gestufter. Mehrere steil aufragende 3000er umgaben mich, und keiner davon sah bike-tauglich aus. Einer davon war der Pont d‘Aval, dieser sollte immerhin laut Beschreibung mit Bike machbar sein. Hatte ich mal optional für den Nachmittag eingeplant, aber wenn ich mir den so ansah, wie sich die steile Schotterflanke links von mir hochzog, war das nicht gerade motivationsfördernd. Egal, zuerst hieß es den Tete de la Frema suchen, mein Hauptziel. Der versteckte sich allerdings noch, und zeigte sich erst nach etwas längerem Fußmarsch recht unspektakulär zwischen höheren Gipfeln eingebettet. Die letzten 200 Höhenmeter hatten es dann nochmal in sich, und der eiskalte Wind machte es auch nicht angenehmer. Die Aussicht von oben war dann spektakulär, sogar der Mont Blanc war in der Ferne noch zu erkennen. Die ersten hundert Tiefenmeter waren zumindest für mich nicht fahrbar, aber dann folgte ein flowiger Traum. Und zwar von oben bis ganz runter. Sowas hat man selten bei einem 3000er, meist gibt es da schon zwischendurch mal unangenehme Passagen. Hier aber so gar nicht. Wieder beim Refuge angekommen musste ich mich entscheiden - weitere 700 Höhenmeter hoch und versuchen den zweiten 3000er noch mitzunehmen, mit dem Risiko dass die Abfahrt da weit weniger spaßig sein wird. Oder einfach immer weiter rollen lassen, da der Trail noch genauso traumhaft weitergehen würde bis Saint-Paul-sur-Ubaye, Dann müsste ich anschließend wieder 500 Meter nach Fouilousse hochtreten. Der Vorteil von Option zwei wäre, dass ich die Boulangerie in Saint-Paul gleich noch testen könnte. Ich entschied mich für die bequemere Option zwei. Wahrscheinlich werde ich doch alt so langsam. Der Trail war aber wirklich unendlich-gigantisch. Die Boulangerie allerdings eine Enttäuschung. Da gab’s nur frisch gebackenes Brot aber keinerlei Tartes oder sonst was Süßes.
Nachdem ich dann wieder oben war, gab’s noch einen Aperitif und den perfekt dazu passenden Sonnenuntergang auf der Terrasse meines Restaurants zum Ausklang dieses nahezu perfekten Tages. Der nächste Morgen sollte dann etwas hektischer werden - ab Mittag war recht starker Regen angesagt, und ich musste davor noch einen letzten Pass machen und es von dort bis nach Barcelonette ausrollen lassen. Ich stand früh auf, und sputete mich etwas. Das klappte dann aber ganz gut, frühmorgens kam noch etwas die Sonne raus, um zehn war ich oben und um halb zwölf dann in Barcelonette, einer richtigen kleinen Stadt. Mein Innenlager war auch schon da, das konnte ich direkt abholen, und weiter zum Fahrradladen. Die waren total entspannt, und hatten mir das ruckzuck innerhalb einer Viertelstunde gewechselt. Es war also zwölf Uhr mittags, alle Probleme waren gelöst und ich war sogar noch trocken. Ich war stolz auf mich. Mission accomplished.
