Wir reisen, also sind wir
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Mexico: San Cristobal de las Casas

Veröffentlicht: 28.01.2018

Von Palenque aus fuhren wir nochmals weitere 8h ins mexikanische Hinterland nach San Cristobal de las Casas, das im Bundesstaat Chiapas liegt. Chiapas ist, obwohl reich an Ressourcen wie Kaffee, Früchten und Bernstein, der ärmste Bundesstaat Mexikos. Sehr viele Indigene leben hier, ausserdem ist es die Hochburg der Zapatisten Bewegung. Ausserdem ist es kalt, arschkalt, zumindest in San Cristobal, das auf knapp 2000 m.ü.M. liegt. Die Temperatur lag nur einige Grad über null. So waren wir denn auch wirklich froh, zumindest ein warmes Tenue dabei zu haben. Angesichts der Tatsache, dass wir fast 6 Tage dort verbrachten, heisst das allerdings, dass wir wohl oder übel 6 Tage mehr oder weniger dieselben Sachen tragen mussten. Chiapas ist sicher die authentischste Gegend in Mexiko, die wir besucht haben, kein Vergleich jedenfalls mit den Küstenorten Cääncuuun, Playa del Carmen oder Tulum.

Nach der Ankunft suchten wir das gebuchte Hostel auf. Leider stellte sich heraus, dass das gebuchte Zimmer gerade renoviert wurde (haha) und die angebotene Alternative entsprach in keiner Weise dem, was wir gebucht und uns vorgestellt hatten (zb. Kein eigenes Bad). Müde und erschöpft von der langen Fahrt, hat der Gastgeber unseren Frust wohl auch ziemlich deutlich rausgehört. Er war wohl auch froh, uns wieder los zu werden, als wir uns darauf geeinigt hatten, dass wir die Reservation ohne Kostenfolge stornieren, und uns eine andere Bleibe suchen. So kamen wir ins Hostel 53, und das war eigentlich ein Glücksfall, denn dort trafen wir Alex. Alex kommt aus einem kleinen Ort weiter nördlich in Mexiko und bereist seit einiger Zeit alle Bundesstaaten Mexikos und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs und Freiwilligenarbeit durch. Auch im Hostel 53 arbeitete er als Freiwilliger gegen Kost und Logis. Wir haben mit ihm während unserer Zeit in San Cristobal sehr viele interessante und spannende Gespräche geführt, haben von ihm viel über das wahre Mexiko erfahren und hatten eine wirklich tolle Zeit.

San Cristobal ist unter anderem berühmt für seine schönen Kirchen und deren prunkvolle Innenaustattung und Dekoration. Leider waren alle Kirchen, die wir besuchen wollten, geschlossen, worüber wir uns sehr gewundert haben. Alex erklärte uns dann, dass dies auf die Erdbeben vor einigen Monaten zurückzuführen sei. Soweit wir verstanden haben, ist zwar nicht wirklich viel kaputt gegangen, aber man fürchtet nun, dass die Kirchen oder Teile davon einsturzgefährdet sein könnten, daher werden wohl gewisse Renovationen ausgeführt. So konnten wir die Kirchen also nur von aussen bestaunen, jede mit einer Schutzmauer aus Wellblech versehen. Naja, es gibt sicher reizvollere Fotomotive.

Wir haben den Templo & Ex-Convento de Santo Domingo Guzman besucht, wo die beiden Museen «Museo de los Altos de Chiapas» und das «Centro de Textiles del Mundo Maya» untergebracht sind. Das Museo de los Altos de Chiapas war noch unterhaltsam aber nichts Besonderes, es ging einmal mehr um die Spanische Eroberung der Lateinamerikanischen Gebiete und die katholische Inquisition. Das Centro de Textiles zeigt mehr als 500 Beispiele handgewebter Textilien aus ganz Mexiko und Mittelamerika. Zu Beginn der Ausstellung wird ein sehr interessanter Film vorgeführt, der die kulturelle Bedeutung der Textilien für die indigenen Völker erklärt und ausserdem die verschiedenen Techniken des Spinnens, Färbens und Webens zeigt. Zum Rest der Ausstellung gibt es nicht mehr viele Erläuterungen, man kann sich einfach die vielen unterschiedlichen und farbenfrohen Kleidungsstücke ansehen. Traditionell tragen die Leute beispielsweise Huipiles, ärmellose Hemden.

Wir sind ausserdem auf den kleinen Cerro de Guadalupe «gewandert», eigentlich vielmehr ein paar Treppen hinaufgestiegen. Oben befindet sich eine Kirche, die zur Abwechslung auch tatsächlich geöffnet war. Die Aussicht von hier oben soll ganz wunderbar sein, war aber nichts Besonderes. Eigentlich sah man überhaupt nicht viel von der Stadt, da es rundherum mit Bäumen zugewachsen war.

Ein Must-See in San cristobal ist das Museo del Ambar (Bernstein). Der Bernstein Abbau ist in chiapas sehr wichtig. Im Museum wird ein interessanter Film gezeigt, der darstellt, woran man echten Bernstein von Fälschungen unterscheiden kann. Sicher sehr hilfreich, wenn man vorhat, das eine oder andere Schmuckstück als Souvenir zu erstehen. Zum einen ist Bernstein generell sehr leicht und niemals kalt. Zum anderen ist er schwerer als Wasser, dh. Legt man ihn in ein Wasserglas, wird er zu Boden sinken. Gibt man dem Wasser Salz hinzu, treibt er allerdings zur Wasseroberfläche, da das spezifische Gewicht im Vergleich mit Salzwasser abnimmt.
Eine Besonderheit des Bernsteins aus chiapas ist, dass er im UV-Licht beginnt, grün-blau zu leuchten. Diese Eigenheit trifft aber nicht auf Bernstein aus anderen Regionen der Welt zu, da diese aus anderen Harzen entstehen. Bernstein ist ja nichts weiter als versteinertes Harz (ca. 40 Mio Jahre alt).
Im Film wird ausserdem gezeigt, wie Bernstein gereinigt, geschliffen und bearbeitet wird. Weiter gibt es einige Schautafeln, die über den Bernstein-Abbau berichten. Besonders wertvoll ist Bernstein, in dem kleine mit-versteinerte Lebewesen (Insekten) zu finden sind. Dies sind nämlich neben Edelsteinen auch Zeugen aus längst vergangenen Zeiten und dienen auch der Forschung. Eine weitere Spezialität aus chiapas ist der rote Bernstein, der vor allem in den äusseren Bereichen der Abbaugebieten zu finden ist, da es dort offenbar mehr Lichteinfall gibt, so wurde uns das jedenfalls erklärt. Die Exponate, die im Museum gezeigt werden, sind hauptsächlich in irgendeiner Form spezielle Exemplare. Seien dies besondere Schmuckstücke, die besonders bearbeitet wurden, Steine mit Insekten, besonders grosse Stücke, etc. Das Museum lohnt einen Besuch, man ist aber relativ schnell durch. Der Museumsdirektor war bei unserem Besuch vor Ort, und hat uns gleich angesprochen, mal wieder wegen Jörgs auffälliger Grösse. Er wünschte sich ein Foto von uns im Museum, dafür haben wir im Gegenzug eine kurze private Führung mit einigen exklusiven Erläuterungen erhalten. Win-Win würde ich sagen. 😊

Anschliessend waren wir noch im Museum de Jade. Ziemlich dasselbe, einfach Jade statt Bernstein. Wobei dieses Museum privat ist, und daher eher auf den Verkaufsraum ausgerichtet ist, als auf die eigentliche Ausstellung. Es war trotzdem ganz interessant, es gab verschiedene Exponate, die die Bedeutung der Jade für verschiedene indigene Völker aufzeigten, ausserdem Nachbildungen von verschiedenen Totenmasken aus Jade, die in den Maya-Ruinen der Gegend gefunden wurden. Leider erfuhr man nicht sehr viel über den Abbau des Steins.

Nach einem längeren Fussmarsch durch die Stadt, gelangten wir zum Museo de la Medicina Maya. Das Museum selbst ist ziemlich klein und auch nicht besonders toll gemacht. Trotzdem ist das Thema sehr interessant und es war spannend, über die Heilmethoden der Maya zu lesen. Es wurde unter anderem gezeigt, wie eine Geburt abläuft. Ausserdem gab es einen Raum, wo es um Biopiraterie ging, dh. um europäische Pharmakonzerne, die sich das Wissen der Maya über Pflanzen und Substanzen zu Nutze gemacht, und die daraus entwickelten Medikamente anschliessend patentiert haben und für teures Geld verkaufen. Fairerweise muss man ja schon dagegenhalten, dass die genannten Konzerne (unter anderem einige bekannte CH-Firmen) das Wissen ja nicht einfach 1:1 übernommen und patentiert haben (man kann schliesslich keine wildwachsenden Pflanzen patentieren), sondern auch einiges an Forschung betrieben haben, um die Wirkstoffe für Medikamente zu nutzen. Die Maya propagieren hingegen, dass das Wissen um die Wirkstoffe für alle Menschen kostenlos zugänglich sein sollte. Das ist ja wirklich auch ein schöner Gedanke, wobei das wohl leider in der heutigen, globalisierten und kapitalistischen Gesellschaft kaum umsetzbar sein dürfte.
Zum Museum gehören auch ein Heilkräutergarten, eine Apotheke (wo wir Maya-Medizin gegen Moskitos gekauft haben, mal sehen, ob es auch wirkt) und auch ein Casa de Curacion, wo man sich mit Maya-Medizin behandeln lassen kann. Ich habe tatsächlich in Erwägung gezogen, mein geschwächtes Auge spasseshalber behandeln zu lassen (nützts nichts, schadets wohl auch nicht). Ich habe diesen Gedanken allerdings verworfen, als ich im Museum gelesen hatte, dass zur Behandlung von Augenkrankheiten ein Huhn, bzw. alle Teile davon verwendet würden. Ich hatte ehrlich gesagt keine Lust mitanzusehen, wie die am Ende noch ein Huhn schlachten.

Das Museo de la medicina Maya befindet sich in der Nähe einer Art Ringstrasse, die das Stadtzentrum von San Cristobal umringt. Ausserhalb dieses Rings liegen die ärmeren Gegenden San Cristobals, wo vor allem auch die Indigenen Menschen leben. Und das merkt man also deutlich, wenn man zum Museum läuft. Je weiter man sich vom Parque Central entfernt, desto verfallener und verlotterter wird alles. Und da sind wir auch schon bei einem zentralen Aspekt des Erlebnisses in San Cristobal. Auffällig ist bereits im Zentrum, dass es viel, viel, viel mehr Bettler gibt, als überall sonst, wo wir bisher waren. Auch Leute die mit Wolldecken in den Strassenecken liegen. Und die Bettler tragen eigentlich alle die traditionelle Kleidung der Indigenen. Besonders eindrücklich war für mich, als wir in einem kleinen 24h Shop waren, um einen Kanister Wasser zu kaufen, als plötzlich etwas an meiner Hose zupfte. Als ich hinunter schaute stand da ein kleines Mädchen, vielleicht 5- oder 6 Jahre alt und schaute mich mit ihren rehbraunen Augen an und bettelte darum, dass ich ihr Süssigkeiten kaufe. Grundsätzlich gebe ich nie etwas an bettelnde Kinder, da ich der Auffassung bin, dass sich Betteln niemals mehr lohnen darf, als zur Schule zu gehen. Und schon gar nicht würde ich einem hungernden Kind Süssigkeiten kaufen. Ich fragte mich, wo die Kleine wohl lebte, ob ihre Familie ein Haus hat, ob sie eine Küche haben, um etwas zu kochen. Hätte es in dem Shop Reis gegeben, hätte ich ihr ein Kilo Reis gekauft, aber es gab nur billige Snacks, Süssigkeiten, Getränke und Zigaretten. Es brach mir beinahe das Herz, und ich rang wirklich mit mir, aber ich habe der Kleinen letztlich nichts gekauft. Einige Tage später war Jörg in einem Burger King, und beobachtete, wie mehrere solcher Kinder in und um den Burgerladen herumhingen und bettelten. Sobald sie wieder etwas Geld beisammen hatten, kauften sie sich drinnen Eiscreme. Das geschah offenbar immer wieder. Da fragt man sich schon: kauft man sich wirklich als erstes Eis bei Burger King, wenn man unter Hunger leidet?

Wir haben mit Alex über diese Situation gesprochen, und wollten wissen, wie er sich in solch einer Situation verhält. Er erzählte uns, dass viele der Indigenen in kleinen Dörfern abgeschieden von den Städten lebten und von den Kindern nur etwa 20% eine Schule besuchen, sogar nur 10% schaffen es über die Primarschule hinaus. Offenbar ist nur die Primarschule obligatorisch in Mexiko, so dass viele Kinder nach der Primarschule mit der Schule aufhören. Die Schule selber sei eigentlich kostenlos in Mexiko, aber es sind halt noch andere Kosten mit dem Schulbesuch verbunden (Anfahrt, Essen, Schuluniform/Kleidung, Schulmaterial, etc,), was sich viele Familien nicht leisten können. Bei den Indigenen wird dieses Problem noch durch 2 weitere Aspekte verschärft: 1. Der Staat weiss gar nicht, wie viele Kinder es sind, die in den Dörfern bei den Indigenen leben. Ein Schulobligatorium ist daher sehr schwierig durchzusetzen. 2. Die Kinder aus den Indigenen Gemeinschaften können zu einem grossen Teil gar kein Spanisch. Sie können also gar nicht mit den anderen Kindern einfach so eingeschult werden, und den Stoff aus dem normalen Lehrplan lernen, sondern müssten zuerst Förderunterricht erhalten, um den sprachlichen Nachteil aufzuholen, aber darum kümmert sich der Staat wohl einfach nicht.
Wie wir ausserdem bereits kurz angesprochen haben, ist Chiapas die Hauptregion der Zapatisten. Dabei handelt es sich um eine überwiegend indigene revolutionäre Gruppierung. Internationale Beachtung fanden die Zapatistas 1994 infolge des bewaffneten Aufstandes der Ejército Zapatista de Liberación Nacional unter Subcomandante Marcos. Diese Leute setzen sich seitdem mit politischen Mitteln für die Rechte der indigenen Bevölkerung Mexikos, aber auch generell gegen neoliberale Wirtschaftspolitik und für autonome Selbstverwaltung ein. Alex erzählte uns, dass die Zapatisten in den Dörfern rund um San cristobal leben, niemand weiss, wer dazu gehört, da sie nur maskiert auftreten. Offenbar betreiben sie sogar eine eigene Universität, von der ebenfalls niemand Aussenstehendes genau weiss, wo sie liegt. Alex meint, nicht-indigenen Mexikanern sei es nicht oder kaum möglich, an dieser Schule aufgenommen zu werden, ausser man setze sich über lange Zeit mit diesem Lebensstil auseinander und schliesse sich sozusagen den indigenen Stämmen an. In diesem Sinne beinhaltet der Lehrplan wohl auch weniger klassische, westliche Schulinhalte, sondern eher Aspekte der Landwirtschaft, der indigenen Kultur und deren Sprachen, etc. Wir haben auch in diversen Museen gelesen, dass sich die Indigenen Mexikos nach wie vor, seit etwa 500 Jahren zur Zeit der spanischen Eroberung, immer noch sehr beraubt und enteignet fühlen, sehr anklagend auftreten und ich sehr gegen die «Verwestlichung» wehren.
Und genau da liegt doch meiner Meinung nach der Hund begraben. Solange diese Menschen in ihren Dörfern leben, und unter sich ihren Lebensstil weiterführen, wird das wohl gar keine grossen Probleme geben. Selbstverständlich finde auch ich es wichtig und wertvoll, dass Menschen ihre eigene Kultur und Tradition erhalten und weiterführen! Aber spätestens dann, wenn dieselben Menschen in die Stadt ziehen möchten, ein Smartphone wollen, Internet und sonstige Luxusgüter, dann wird es dann halt schnell einmal schwierig. Da sie nichts gelernt haben, was in der globalisierten Zivilisation von Nutzen ist (so hart das auch klingen mag), ja nicht einmal die Landessprache beherrschen, werden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt und leben in Armut. Und es kann meiner Meinung nach wirklich nicht daran liegen, dass es in Mexiko zu wenig Arbeitsplätze geben könnte. Es gibt wirklich ÜBERALL, bei fast jedem Laden, Restaurant, Geschäft, in jeder Stadt in der wir waren, Stellenausschreibungen, wo Leute für alle möglichen Jobs gesucht werden. Meist gibt es nicht einmal hohe Anforderungen, sondern es wird einfach nach «Leuten, die gewohnt sind zu arbeiten» oder «Leute die anpacken können» gesucht. Wir haben wirklich immer wieder gestaunt über die Fülle an offenen Stellen.
So hat eben jede Medaille ihre 2 Seiten. Man kann sich einfach nicht gegen alle Werte und Errungenschaften (und natürlich auch Nachteile) der modernen Welt wehren, und gleichzeitig aber von den Vorteilen profitieren wollen.
Wir haben ausserdem erfahren, dass in Mexiko der Mindestlohn etwa 86 Pesos pro Tag beträgt (ca. 4.20 Fr). Der Durchschnittslohn liegt wohl etwa bei 7000 Pesos im Monat. Es gäbe aber Menschen, die mit Betteln ein höheres Einkommen erzielen als das. Es ist also tatsächlich sehr schwierig zu beurteilen, wer wirklich arm ist hier, wer wirklich an Hunger leidet.
Alex hat jedenfalls gemeint, es seien auch Mexikaner, die um Geld gebeten werden auf der Strasse, nicht nur Ausländer, und die Menschen würden auch immer wieder mal etwas geben, um den anderen zu helfen. Mit den Kindern halte er es jeweils so, dass er versuche, die Mutter des Kindes ausfindig zu machen, und ihr etwas geben würde, statt dem Kind. Sicher auch keine schlechte Strategie.

Alex stellte uns dann eine Frage, die mich sehr überrascht hat, da ich mir dies niemals vorher überlegt hatte: Gibt es in der Schweiz bzw. in Europa auch Indigene Leute?
Ja, nun, gibt es die? Irgendwie nicht…eigentlich sind ja wir die indigenen Völker, von der die meisten Leute hier abstammen, die Leute in den ehemaligen spanischen, englischen, französischen, deutschen, holländischen, etc. Kolonien. Es gibt bei uns jedenfalls keine Leute, die in irgendwelchen Dörfern abgeschieden im Wald ohne Strom und fliessend Wasser leben, nein. Aber wir waren die, die auszogen, um unsere Werte und Lebensweise anderen aufzudrängen. Und nun ist niemand da, der sich berufen fühlt, sich der daraus resultierenden sozialen Probleme, die es seit Jahrhunderten mit sich gebracht hat, anzunehmen.

Für den letzten Tag haben wir eine Tour gebucht nach Simojovel, das Gebiet des Bernstein-Abbaus, um die Bernstein-Minen zu besichtigen. Es war eine lange Fahrt, ca. 3h, und da wir die einzigen Teilnehmer waren, wenigstens mit einem anständigen Auto. Auf dem Weg fuhren wir durch viele Siedlungen und Dörfer, und unser Fahrer erklärte uns, dass hier die Zapatisten hausen würden. Zweimal geschah es, dass es plötzlich mitten auf dem Weg eine Strassensperre gab, wo jeweils etwa 10 Typen mit langen Macheten standen und Geld verlangten, damit man weiterfahren konnte. Unser Fahrer versuchte sich halbherzig zu wehren, zahlte aber dann trotzdem. Hätte er es nicht gemacht, hätte ich es getan, diese Leute sahen wirklich nicht so aus, als sollte man mit ihnen irgendwelche Grundsatzdiskussionen starten. Und es waren nur jeweils ein paar Franken, die sie wollten. Bei der zweiten Sperre torkelte sogar ein offenbar etwas angetrunkener Typ um unser Auto herum und schaute durch die Fenster hinein, bis ihn seine Kumpanen vom Auto wegzogen. Es gibt wirklich angenehmere Erlebnisse als dieses.
Irgendwie kann man es ja noch verstehen, täglich fahren unzählige Fahrzeuge mitten durch ihr Dorf, Händler und Touristen, ohne dass sie irgendetwas davon hätten. Also erklären sie sich zu autonomen Gemeinschaften, die sich nicht den üblichen Gesetzen und Gepflogenheiten unterwerfen und verlangen halt Wegzoll. Soweit so gut. Aber das Ganze wird mal wieder ad absurdum geführt, als man dann Gejammer hört, der Staat würde sich gar nicht darum kümmern, dass die Strassen hier unterhalten und in Stand gesetzt werden. Tjaja…..
Kaum in Simojovel angekommen, war es einem schon schlagartig unsympathisch, und zwar nicht nur, weil wir wirklich die allereinzigsten Ausländer dort waren. Wir haben uns dort wirklich nicht sicher gefühlt, wahrscheinlich war das der bisher unsicherste Ort auf unserer ganzen, bisherigen Reise, und wir waren froh, mit einer organisierten Tour und nicht auf eigene Faust hergekommen zu sein. Im Stadtzentrum trafen wir dann noch auf unseren Guide, eine junge Frau mit Baby. Tatsächlich schleppte wirklich jede Frau im halbwegs heiratsfähigen Alter zwischen 2-4 Babies mit sich rum. Also waren wir komplett und machten uns auf den Weg zu den Minen.
Vom Parkplatz aus mussten wir noch ca. 1.5 km durch den Wald laufen, und immer wieder passierten wir kleine Löcher, die sich als verlassene Minen herausstellten. Irgendwann kamen wir dann bei der offenbar momentan grössten Mine an (Im Sinne von, sie war wenigstens so hoch, dass man geduckt und nicht auf allen Vieren kriechend hineingehen konnte). Dort trafen wir auf einige Minenarbeiter, die uns mit hinein nahmen. Der Guide und der Fahrer blieben draussen, die wussten wohl warum. So liefen wir also einige hundert Meter ( es ist wirklich schwierig zu sagen, wie weit es genau war, es kam einem vor wie eine Ewigkeit) in die Mine hinein bis zu deren Ende. Und mit jedem Meter wurde es heisser, dunkler, stickiger. Es war schon für mich die Hölle, kauernd durch die engen Gänge zu gehen, stellt euch vor, wie es für Jörg war. Und wenn ich bis dato niemals Platzangst hatte, so hatte ich sie definitiv dort drin. Es gab kaum Luft zum Atmen, der Schweiss lief einem herunter, es war einfach nur furchtbar. Und am Ende des Ganges trafen wir auf den Arbeiter in der Mine, der mit einem Pickel Gesteinsbrocken aus den Wänden schlug. Und er schlug…und schlug…und schlug….er tut das über Stunden, Tage, Jahre, sein Leben lang. Ich hielt es gerade mal etwa 10 Minuten dort drin aus, es fühlte sich an wie 10 Stunden. Nein, auf keinen Fall würde ich jemals meinen Beruf gegen diesen hier tauschen. Gerade als wir dort waren, schlug er ein Stück Fels heraus und hinaus plumpste: ein kleines Stück Bernstein. Jörg hat ihm sofort ein Kaufangebot gemacht, immerhin war es etwas Besonderes oder? Wir waren dort, als dieses Stück Harz nach 40 Mio Jahren aus dem Berg geschlagen wurde. Der Arbeiter war ganz verlegen und nannte irgendwann einen Preis (waren es 2 Fr.?). Jörg hat den Preis jedenfalls verdoppelt. Als wir später nochmals an dieser Mine vorbeikamen, sassen die Kollegen jedenfalls draussen in der Sonne und hatten die Arbeit für den Tag offenbar niedergelegt, angesichts des horrenden Preises, den wir für das Stück gelöhnt hatten. Richtig so. Normalerweise sind es wohl der Guide und der Fahrer, die das Trinkgeld für die Tour einsacken, wir wollten es diesen Menschen geben, die wirklich sehr hart und schwer arbeiten müssen, und sich einen freien Nachmittag an der Sonne verdient hatten.
Später haben wir noch mit einem anderen Grüppchen Minenarbeiter gesprochen, es handelte sich um einen Vater mit seinen 4 Söhnen. Und die Söhne waren definitiv alle noch minderjährig, es waren Jugendliche, ja fast noch Kinder, die in die Mine hinein- und hinaus liefen. Sie fragten unseren Guide, woher wir kommen (sie waren wohl zu scheu, uns direkt zu fragen). Der Guide sagte aus der Schweiz, und dass das ein langer Flug sei, sicherlich 15 Stunden Flug. Der Junge fragte erstaunt, wie weit das wohl erst mit dem Auto sei?! Darauf sagte ich im Spass, ja stell dir vor, wie lange man erst schwimmen muss! Als er darauf in holprigem Spanisch zurück fragte: «Warum, gibt es da etwa einen Fluss dazwischen?» wurde mir klar, dass der gute Junge vermutlich noch nicht viele Tage in der Schule zugebracht hatte.
90% der Leute in SImojovel leben vom Bernstein-Abbau. Die Männer schuften in der Mine, die Frauen bearbeiten die Steine anschliessend. Interessanterweise sind es bei all diesen Indigenen Völkern eigentlich die Frauen, die tatsächlich handwerkliche Fähigkeiten und Geschick lernen, die sie auch sonst irgendwie im Leben verwenden könnten. Die Frauen können Textilien herstellen, Steine bearbeiten, Schmuck herstellen, etc.. Tätigkeiten, die auch in der modernen Welt nachgefragt werden. Die Mädchen lernen das von klein auf von ihren Müttern. Die Männer können (sorry, es klingt wirklich hart) eigentlich nichts, dabei schuften sie Tag für Tag so hart.
Die Minen werden in Eigenregie geführt, den Familien wird je ein Stück Land zugeteilt und sie schlagen dann selbständig, jeder auf eigene Rechnung und eigenes Glück, die Minen in den Berg. Das geschieht alles von Hand! Sprengung ist nicht möglich, da man sonst den fragilen Bernstein zerstören könnte. Auch den Stein zu finden ist nicht einfach, es gibt keine Adern, wie bei anderen Steinen, wo man eine grosse Menge freilegen kann, hat man die Ader erstmal gefunden. Es ist wirklich eine extreme Glücksache, die Minenarbeiter haben uns erzählt, dass es manchmal ganze Wochen gibt, wo man einfach nichts findet. Das einzige Werkzeug, das verwendet wird, ist ein Pickel. Das ist alles. Die einzige industrielle Errungenschaft, die diese Industrie in den letzten 200 Jahren erlebt hat, ist die Umstellung von der Kerze auf die Stirnlampe! Und das ist tatsächlich ein Fortschritt, immerhin verbraucht die Batterielampe nicht noch zusätzlich Sauerstoff und gibt wenig Wärme ab. Dies führt allerdings leider dazu, dass überall im Wald, wo die Minen liegen, leere Batterien verstreut liegen. Unsereiner findet das natürlich gar nicht cool…aber hier gibt es eben kein Battery Bag, und erst recht kein Bewusstsein dafür.
Auch Sicherheitseinrichtungen gibt es keine. Keine Helme, Brillen, Schutzkleidung, gar nichts. Ein paar Stiefel, Hosen, kein T-shirt. Die Wände der Mine werden nicht abgestützt, immer wieder fallen Brocken losen Gesteins von der Decke, wenn der Arbeiter mit dem Pickel auf den Fels einschlägt. Man stelle sich den netten Mitarbeiter von der SUVA vor, der hätte wohl gleich einen Herzinfarkt bei diesem Anblick. Wenn man fragt, ob es denn viele Unfälle gäbe: «Nein, eigentlich nicht. Ab und zu halt.» Tja, das ist halt eine andere Perspektive, man führt hier keine Unfallstatistiken, es gibt kein Bonus-Malus-System wenn man 365 Tage ohne Arbeitsunfall ist. Ab und zu werden ein paar Arbeiter verschüttet, gerade letzte Woche sei dies geschehen, dann helfen die Leute aus dem Dorf einander gegenseitig bei der Bergung, aber man muss sich beeilen, denn die Luft da drin ist knapp. Einzig in der Regenzeit werde nicht in den Minen gearbeitet, da diese dann ziemlich schnell geflutet werden. Ich will gar nicht wissen, wie viele Leute schon bei starken plötzlichen Regenfällen da drin ertrunken sind. Einmal habe eine riesige Schlange am Eingang zur Mine gesessen, erzählt einer der Jungen. Da habe man halt in der Mine gewartet, bis sich die Schlange wieder verdünnisiert hatte.

Wir verlassen die Minen mit einem komischen Gefühl. Es war ein wahnsinnig interessanter Ausflug, das muss man wirklich sagen. Ich habe grossen Respekt vor diesen Leuten, die auf diese Art ihren Unterhalt verdienen und ihre Familie ernähren. Besonders wenn man bedenkt, dass sie das allerwenigste erhalten von dem, was man für ein Schmuckstück aus Bernstein bezahlt. Obwohl sie dabei definitiv die härteste Arbeit leisten.

Anschliessend besuchten wir in SImojovel noch das örtliche Bernstein-Museum, wo uns unser Guide noch einige weitere Erklärungen gab. Nichts war allerdings mehr so eindrücklich, wie das Gefühl, in diesem Berg zu stehen. Abschliessend besuchten wir noch den lokalen Markt auf dem zentralen Platz, wo einige Händler Schmuckstücke aus Bernstein anboten. Selbstverständlich habe ich es mir nicht nehmen lassen, mir noch ein paar Ohrringe dort zu kaufen, bevor wir den weiten Weg nach San Cristobal zurück fuhren.

Dies war unsere Zeit in San Cristobal. Ich schreibe diesen Teil unseres Blogs als wir nun bereits am Ende unserer Zeit in Mexiko sind, und ich muss sagen, dass uns San Cristobal und die Region Chiapas am Besten gefallen hat in Mexiko (bzw. dem kleinen Teil, den wir von Mexiko gesehen haben). Man wurde zwar auch mit den unschönen und problematischen Seiten des Landes konfrontiert, dafür war die Erfahrung sehr authentisch und wir haben hier viel gelernt und gesehen.

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