Veröffentlicht: 21.10.2025











Wir sind seit drei Tagen in Siena – auf einem Busparkplatz, umgeben von dreispurigen Hauptverkehrsstraßen, auf denen Tag und Nacht das 24-Stunden-Rennen von Le Mans ausgetragen wird. Zumindest hört es sich so an.
Und trotzdem: Irgendetwas hält uns in Siena. Nein, es ist nicht nur der Wochenmarkt, auf den sich Icke schon seit Tagen freut. Gut, er spielt eine Rolle – aber Siena ist mehr. Diese Stadt hat unheimlich viele interessante, zum Teil widersprüchliche Gesichter.
Da sind die historischen Bauwerke, erstaunlich gut erhalten, und überall junge Menschen. Siena ist eine Universitätsstadt – fast ein Drittel der etwas über 50 000 Einwohner studiert hier. Das spürt man: in den Restaurants, in den Geschäften, in jeder der unzähligen engen Gassen. Überall pulst das Leben, hallt Lachen wider, scherzen Freunde miteinander. Das steckt an.
Siena hat Attraktionen, um die sie ihr ewiger Rivale Florenz seit Jahrhunderten beneidet. Allen voran die Piazza del Campo, das muschelförmige Herz der Stadt – einer der schönsten Plätze der Welt.
Hier findet auch der Palio statt, jenes Pferderennen, das kein gewöhnliches Rennen ist, sondern eine Mischung aus Volksfest, Glaubensbekenntnis und purem Wahnsinn auf vier Hufen. Zweimal im Sommer kämpfen die 17 Stadtviertel nach strengen Regeln um den Sieg. Drei Runden, rund hundert Sekunden – und am Ende gewinnt nicht der Reiter, sondern das Pferd.
Eine der schönsten Geschichten stammt aus dem August 1957. Damals trat für die Contrada Aquila ein brauner Hengst namens Vittorio an. Gleich in der ersten Kurve, der berüchtigten San-Martino-Biegung, verlor er seinen Reiter – ein Moment, in dem die meisten Pferde ausbrechen oder aufgeben würden. Nicht Vittorio. Er galoppierte einfach weiter. Drei Runden lang, ohne Sattel, ohne Reiter – und gewann! Ganz allein, mit flatternder Mähne und donnernden Hufen, während um ihn herum das Stadion ausrastete.
Siena ist Geschichte und Geschichten. Um jeden seiner einzigartigen Schätze ranken sich Sagen und Legenden. Der Dom, die Cattedrale di Santa Maria Assunta, entstand im 12. Jahrhundert. Er fällt sofort auf durch seine schwarz-weiß gestreiften Außenmauern. Und in seinem Inneren, so heißt es, soll es tief unter dem Boden einen geheimen Raum geben, gefüllt mit Schätzen und antiken Artefakten. Manche glauben, der Schlüssel zu diesem Raum sei in den kunstvollen Schnitzereien der Kathedrale verborgen …
Anstatt im Dom nach diesem Schatz zu suchen, werde ich morgen auf dem Markt nach Mitbringseln und anderen Kostbarkeiten Ausschau halten. Was soll’s – meinen Schatz hab’ ich ja schon gefunden.
