Veröffentlicht: 03.08.2023
Ich kann es nicht fassen. Mein FSJ ist um, die Zeit ist wirklich verflogen. Ich kann mich noch genau an die Nacht vor meinem Flug erinnern. Solche Panik habe ich damals zuletzt vor meiner Mathe Abi Klausur geschoben. Die Gedanken in meinem Kopf hielten einfach nicht still: „Was mache ich eigentlich? Ich kann doch gar kein Spanisch und erst recht kein Catalan. Kam der Impuls ins Ausland zu gehen wirklich von mir? Renne ich einfach einem falschen Traum/Image hinterher?“ Die Gedanken schienen immer lauter und lauter, je später es wurde. Aber schlussendlich bin ich doch in den Flieger gestiegen. Alles andere wäre auch ziemlich bescheuert gewesen.
Was ich damals auch für bescheuert hielt war das ganze Gerede von: im Ausland finde ich mich selber… Meine Meinung zu dem Statement ist, dass man immer man selbst ist. Auch wenn man sich verstellt, der Impuls geht immer von dem eigenen „Ich“ aus das man dann eben unterschiedlich auslebt. Deswegen will ich das Statement auf meine Art und Weise interpretieren. Vor dem FSJ war ich ich selbst , doch gerade in der Schule hatte ich das Gefühl, dass das irgendwie nicht gut genug war. Deswegen hatte ich teilweise sehr große Selbstzweifel die mich und mein Selbstbewusstsein sehr gehemmt haben. Doch durch meine ganzen Erfahrungen die ich gesammelt habe, habe ich gemerkt: Es gibt Leute (Freunde, Kinder, Arbeitskollegen etc) die genau meine Art ohne wenn und aber schätzen. Ich habe Grund genug selbstbewusst durch die Welt zu laufen und mal weniger nachzudenken. Denn ich werde nicht nur von meinen engsten Freunden und Familie zuhause wertgeschätzt sondern auch von all den Menschen die ich in Spanien kennengelernt habe. Also stimme ich dem Statement mit meiner eigenen Interpretation doch zu.
Ein super Beispiel ist, als ich das erste Mal alleine essen war, auf Ibiza. Im November ging es mir aus unterschiedlichen Gründen schlecht und das gerade auf Ibiza. Ich war an einem der Tiefpunkte meines FSJs. Der einzige Grund warum ich überhaupt essen gegangen bin war, das ich den dummen Gasherd in unserer Wohnung nicht anbekommen habe. Also bin ich ohne Plan und Ziel los und es war nicht einfach ein offenes Restaurant zu finden, da Nebensaison auf Ibiza war und erst recht außerhalb (wir waren im Dorf Cala Llonga) ziemlich alles zu hatte. Aber irgendwie hatte ich Glück. Ein Restaurant hatte offen, gerade lief Fußball WM in Qatar. Es war niemand in dem Restaurant außer ein älterer Mann und ich, sowie dem Besitzer, dem Kellner und dem Barkeeper. Ich habe einen Tisch mit Blick auf den Fernseher bekommen. Danach hat der Kellner mich bezüglich des Essen beraten, er war total nett und offen. Später sind dann noch Engländer in die Bar gekommen und ich habe mich mit ihnen unterhalten und wurde prompt auf eine Sangria eingeladen, die Engländer kannten den Besitzer und erklärten mir, das sie ein gemeinsames Lied haben, das sie immer singen. Alegría de vivir (Lebensfreude), das haben sie dann noch zusammen gesungen. Der Moment war magisch und immer wenn ich das Lied höre denke ich daran zurück. Am Tag darauf habe ich eine Engländerin am Strand wiedergetroffen. Sie hat mich umarmt und kannte sogar noch meinen Namen. Ich war danach noch mehrfach im Restaurant. Immer alleine. Als ich erzählt habe, das wir kein Brot mehr in der Wohnung haben, haben sie mir prompt ein ganzes Baguette geschenkt. An meinem letzen Abend auf Ibiza hat Spanien gegen Costa Rica gespielt und sehr hoch gewonnen. Ich hatte eigentlich nur eine Fanta bestellt, aber habe prompt noch iberischen Schinken und nach dem Sieg Spaniens (die Stimmung im Restaurant war sehr ausgelassen) ein Glas Weißwein aufs Haus bekommen. Dann habe ich sehr lange mit Kellner und Besitzer (Álvaro) gesprochen und als ich dann erwähnt habe, das es mein letzter Abend hier ist hab ich noch ein Glas Weißwein bekommen und der Barkeeper, Kellner und Álvaro haben mit mir angestoßen. Zum Schluss haben mich alle noch umarmt und Küsschen auf die Wange gegeben. Das hat mir soviel Kraft gegeben, denn ich hatte am Anfang echt Angst einfach alleine dahin zu gehen. Doch es hat sich sowas von gelohnt. Von dem Tag an ist es mir immer leichter gefallen, Sachen alleine zu machen. Denn es passieren einem eigentlich immer coole Sachen.
Das wohl mit beste was dieses Jahr passiert ist, ist die tiefe Freundschaft mit meiner Freundin Lotti. Sie zählt jetzt zu meinen besten Freunden und ihre liebevolle, ehrliche und kreative Art ist sehr bereichernd. Damals hab ich sie angeschrieben und da hat sich auch gezeigt, lieber Fragen und Initiative zeigen sonst lautet die Antwort im Vorhinein schon immer nein.
Tendenziell versuche ich in meinen Beiträgen nicht zu persönlich zu werden, schließlich lesen den Blog nicht nur Freunde, Familie und Bekannte. Gerade fühlt sich das aber irgendwie richtig an, sonst hätte ich das Gefühl das ich verschleiern würde, wie toll, anstrengend, schön, bittersüß, traurig, euphorisch, aufregend, lehrreich und lebensverändernd dieses Jahr war. Deswegen ist das hier nur so ein halber Erlebnisbericht und ziemlich viel Reflexion.
Es war längst nicht alles perfekt und Friede Freude Eierkuchen. Egal ob Konflikte in der WG, auf der Arbeit, regelmäßige Wellen des Heimwehs, allgemeine Unzufriedenheit, Gefühle der Einsamkeit und Antriebslosigkeit, ein paar Dating fails, Verwirrung über mein Studium oder gerade die Erschöpfung nach der Arbeit am Anfang. Ich würde aber keinen dieser Umstände ändern. Deswegen finden sie hier auch grob Erwähnung, denn sie haben genauso dazu gehört, wie all die positiven Sachen.
Ich muss ehrlich sagen, das ich trotz der Panik vor dem Abflug, sehr naiv in dieses Jahr gestartet bin. Da ich allgemein zum Perfektionismus neige, hat es mich am Anfang extrem frustriert, das ich eben auch nicht mit jedem klarkommen kann. Aber auch das hat mich weitergebracht, ich lerne und hab gelernt zu akzeptieren das man nun mal nicht mit jedem Menschen gut kann, egal wie sehr man es will. Dann sollte man sich und der anderen Person einfach Raum geben. Es ist okay mal unmotiviert auf der Arbeit zu sein und nicht 110% zu geben, man muss Kinder nicht immer lieb haben. Es ist auch okay manchmal ohne richtigen Grund traurig zu sein, auch wenn gerade alles gut zu laufen scheint. Das lerne ich auch immer noch aber das FSJ hat sehr geholfen. Ich hoffe ihr langweilt euch nicht durch zu viel philosophieren über charakterliche Weiterentwicklung. Also lieber noch ein paar lustige Anekdoten.
In Spanien hatte ich ganz viele erste Male: allgemein das erste Mal auf spanischem Festland, das erste Mal richtig richtig feiern, Bad Bunny entdecken, checken das ich einfach am Strand lebe mit Palmen und PiPaPo, das erste Mal alleine essen, das erste Mal von einem Kind te quiero (ich liebe dich) hören, oder leider auch tu vas a matar manaña (du wirst morgen sterben), das erste von vielen Malen gesagt bekommen dass meine Augen so blau sind wie das Meer und ob ich nicht aus Frankreich komme, das erste Mal auf einem Festival und dabei das erste Mal auf den Schultern von einem fremden Typen sitzen, das erste Mal Hola guapa (Hallo hübsche) im Supermarkt oder auf der Straße genannt werden, das erste Mal bis 6 unterwegs sein, das erste Mal einen Rapper im Zug sehen, das erste Mal brunchen inklusive iced coffe, das erste Mal Quedate hören, das erste Mal selber Lasagne machen oder das erste Mal auf ein klassisches Konzert alleine gehen. Es gibt noch sooooo viele andere erste Mal. Mein liebstes erstes Mal war, als ich mit Lotti halbnackt ins nicht ganz so kalte Meer gerannt bin nach dem Feiern. Einfach so, weil wir Lust hatten und es konnten. Auch sehr unvergesslich und legendär. Ich hab gemerkt, das obwohl ich eher introvertiert bin gerne sozial bin. Ich hab’s geliebt einfach so mit Menschen ins Gespräch zu kommen egal ob auf Parties oder Seminaren, meine Angst davor hat sich eigentlich gegen null gekehrt. Ich bin viel lockerer und weniger verkrampft.
Es gab im Juli aber leider auch viele letzte Male. Aber zu jedem Neuanfang gehört der Abschied, damit man wieder eine neue Erfahrung machen kann. Auch der Juli war noch überraschend lehrreich. Am letzten Schultag wurde ich leider von jemanden aus der Schule förmlich mit Negativität überschüttet, doch ich habe es geschafft für meine Werte und Standpunkte einzustehen. Früher hätte ich nicht so einfach und ehrlich meine Meinung gesagt. Außerdem treffen mich Kommentare, die eher abfällig sind über meinen Klamottenstil oder die Art wie ich mich gebe oder benehme kaum noch.
Ein paar letzte Male taten weh, aber Barcelona ist nicht aus der Welt. Ich komme sicherlich wieder in mein Lieblingscafé und schlendere durch die Straßen von Barcelona. Denn nicht alle Abschiede sind für immer in dem Satz : hasta luego (bis später)/ hasta pronto (bis bald) stecken auch Versprechen. Das Versprechen, dass es nicht das letzte Mal ist das man sich sieht. Ich werde wiederkommen, das weiß ich.
Doch im Juli habe ich gemerkt, ich bin bereit für neues. Ich blicke mit nervöser Erwartung auf mein Studium und freue mich darauf.
Abschließend bleibt mir nicht mehr viel zu sagen, außer das ich ein freiwilliges soziales Jahr jedem empfehlen kann. Egal ob im Ausland oder nicht. Es wird einen challengen, den einen mehr den andern weniger. Die besten drei Sachen die mit während des Jahres passiert sind, sind mein gewonnenes Selbstbewusstsein/endlich mehr inneres Gleichgewicht, Spanien und insbesondere Barcelona in vielen Facetten kennenzulernen (sprachlich, kulturell, historisch, klimatisch, kulinarisch etc) und natürlich die hoffentlich lebenslangen Freundschaften (insbesondere die zu Lotti Kuss auf die Nuss).
Was auch toll war, war zu sehen das man ein Unterschied im Leben der Kinder macht. Kinder merken, wenn die Liebe die man gibt echt ist und geben dir deswegen ebenfalls Liebe zurück und zwar bedingungslos. Umarmungen, Geschenke zum Geburtstag, alle wollen von dir gefangen werden oder einfach nur ein paar witzige Gespräche sind nur einige der schönen Dinge. Die Wärme die ich dann immer gespürt habe, war wirklich goldwert und hat selbst einen schlechten Tag gut gemacht. Genug vom Kitsch: wenn ihr überlegt ein FSJ zu machen, macht es! Es stimmt was alle sagen, es verändert euch wirklich und ihr lernt Dinge, die ihr niemals in der Schule oder Uni lernt, denn man muss wirklich aus seiner Komfortzone. Dieses Jahr werde ich wirklich nicht vergessen, egal wie klischeehaft so ein Satz klingen mag. Es ist einfach so.
Ich will mich auch noch einmal bedanken. Danke für die positive Kritik und ehrlichen Verbesserungsvorschläge für meinen Blog, danke fürs mitlesen und danke für jedes offene Ohr/Auge. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Blog soviel Spaß macht und ich plane ihn für zukünftige Reisen weiterzuführen, also bleibt dran cariños. Schreibt mir auch jetzt gerne noch Feedback. Das ist immer erwünscht. Hab euch lieb und hasta pronto
Noch ein kleines Gedicht, das sich eher schlecht als recht reimt….
Liebeserklärung an Barcelona (20.06.23, 21:50 Uhr)
Gefangen zwischen Heimweh
Angst die Gegenwart zu schnell hinter mir zu lassen
und in Zukunft zu leiden unter Fernweh
Durch zu viele Gedanken womöglich etwas zu verpassen
Verliebt war ich wahrscheinlich nie richtig
außer in diese Stadt
das Gefühl das sie mir gibt
Ich bin nie satt
Von all der Schönheit der Gebäude
der Offenheit der Menschen
zu wissen das ich meine Zeit hier nie vergeude
Trotz all den Kämpfen
Ups und downs gibt es immer
gerade fliege ich wieder hoch hinaus
raus aus meinem Zimmer
durch bunte Tage und Nächte bloß raus
Gracias Barcelona
por todo cada dia
es un regalo
yo no voy olvídalo