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Ohne Ende Achterbahn

Veröffentlicht: 30.11.2019

Samstag, 23.11.2019

Aufstehen, frühstücken, Schiff klarmachen. Gegen Mittag geht es los. Diesmal so richtig. Wir haben viel Wind und einiges an Wellen. Irgendwie aus unterschiedlichen Richtungen, und so klatscht und rumpelt es ziemlich. Am Anfang geht es allen eine Weile ganz gut. Dann knickt einer nach dem anderen ein. 

Wir sitzen alle über Deck und versuchen, den Horizont anzustarren. Aber spätestens mit Einbruch der Dunkelheit ist der Spaß vorbei. 5 von 6 Insassen müssen sich mehrfach übergeben, darunter auch die Skipperin Birgit und ihr Hund Luna. Nur Simon bleibt halbwegs verschont, ist aber auch kreidebleich. Wir haben einen ganzen Sack voll Kotztüten parat. Am nächsten Morgen ist der Vorrat aufgebraucht. Auch mich hat es erschreckend hart erwischt. Nur das Frühstück darf ich behalten, alles andere fliegt in hohem Bogen kurz nach Verzehr wieder raus. Als ich immer schwächer werde, versuche ich es mit einem Becher Elektrolyt-Lösung, doch auch die muss wieder gehn. Nachts bin ich dehydriert und entkräftet. 

Um nicht von Bord zu fliegen, müssen wir uns oben auf den Bänken stundenlang festhalten oder einspreizen, was auch irgendwann zu anstrengend wird. Es fühlt sich an, als wäre man im Fahrgeschäft "Breakdance" eingesperrt und wir fahren seit Stunden ohne Pause und ohne Ende in Sicht. Spät nachts versuche ich, unter Deck etwas zu schlafen, was zum Glück einigermaßen gelingt. Im Schlaf fällt die Anspannung kurzzeitig ab und ich sammle wieder meine Kräfte. Alle paar Stunden stehe ich auf, um den anderen bei der Nachtwache zu helfen und ein paar Schlücke zu trinken, beides mäßig erfolgreich. Irgendwann gebe ich auf und bleibe einfach liegen. Im Liegen ist es am besten, der Körper kann sich entspannen und beruhigen. Frage mich durchaus, ob es das wert war, und hoffe inständig auf baldige Besserung, denn lange halte ich das nicht durch.

Sonntag, 24.11.2019

Wir sind gestern unter Segeln ziemlich flott voran gekommen und haben gut Strecke gemacht. Zu irgendwas war der Wind also doch gut. Seit heute Nacht läuft der Motor. 

Der Schlaf hat gut getan und ich bin etwas entspannter, aber immer noch dehydriert. Ein paar Schluck Wasser, zwei Kekse und ein Bissen Banane, mehr geht nicht. Dann erstmal wieder hinlegen. Bin der Crew leider noch keinerlei Hilfe. Aber die Jungs halten ganz gut die Stellung und Nina ist auch schon wieder etwas fitter als ich. Sie hat als einzige das Anti-Seekrankheits-Pflaster dran. Verschont hat es sie gestern trotzdem nicht. 

Nachmittags bewundere ich Simon, weil er Gemüsecurry kocht. Ich bekomme schon leichte Panik beim Gedanken daran, zwischen Bett und Deck durch das Boot zu laufen. Ich esse zwar eine Schale, aber gut fühlt es sich noch nicht an. Mein Magen gluckert und klackt und fühlt sich an, als würde er in meinem Bauch schweben. Bright side: wir wurden von ein paar Delfinen und einer Schildkröte besucht. 

Es ist mir leider noch unmöglich, Fotos zu machen. Gegen Abend wird es immer besser und ich kann in der zweiten Nacht bereits "normal" bei der Nachtwache mitmachen. Zum Start haben wir einen 2-Stunden-Rhythmus. Also 2h schlafen, 2h Wache. Essen und Trinken wird langsam wieder interessant und der Sternenhimmel entschuldigt das Erlebte ein bisschen. Der Mond geht erst kurz vor der Sonne auf, die Nächte sind also sehr, sehr finster, aber klar und wie gesagt, mit vielen Sternen. Ich erkenne aber nur den Gürtel des Orion und den großen Wagen. Das ändert sich hoffentlich über die nächsten Wochen.

Montag, 25.11.2019

Mittlerweile bin ich "eingeschaukelt" und meine Erkältung hat sich angesichts der Seekrankheit fast verflüchtigt. Die Sonne wärmt die Luft und hebt die Stimmung. Wir liegen momentan sehr ruhig im Wasser (maximale Neigung vom Boot: 10°). Das ist eine nette Abwechslung. 

Es fällt mir noch schwer, meinem Körper wieder voll zu vertrauen, nach dem, was er mir am ersten Tag angetan hat. Oder habe ich es ihm angetan? Auf die Nudeln mit Pesto am Nachmittag hab ich mich auf jeden Fall gefreut. 

Jetzt, wo ich mich endlich an das Geschaukel gewöhnt habe, erzählt mir Birgit von der Landkrankheit... Dem Pendant zur Seekrankheit, wenn man sich an geraden, nicht schwankenden Boden gewöhnen muss. Bin begeistert. 

Das Bootfahren beschert mir gemischte Gefühle. Wir fahren ca. 3/4 der Zeit unter Motor, da wir sonst nicht vorankämen. Das verfehlt etwas den Sinn des Reisen per Segelboot. Außerdem sind relativ viele Schiffe, Fähren, Frachter, Kreuzfahrtschiffe und andere Segelboote unter Motor unterwegs und machen Lärm und Dreck im Ozean. Aber so ist das jetzt nunmal. 

Ich bin heilfroh um meine lange Merino-Unterwäsche. Nicht nur, weil sie die unterschiedlichen Temperaturen wirklich gut ausgleicht, sondern vor allem, weil ich sie nun seit ca. 3 Wochen am Stück trage, Tag und Nacht. Und ich stinke (angeblich) noch nicht total erbärmlich. Die Gelegenheit zum Waschen hat sich irgendwie bisher nicht dafür ergeben und die Zeit auf dem Boot hat sich ja immer wieder ungeplant verlängert. Freue mich auf Waschgelegenheiten auf Lanzarote. 

Auch um die mitgebrachten Hörbucher, die ich auf einer SD-Karte auf dem Handy habe, bin ich sehr froh. An Lesen ist nämlich noch nicht zu denken. Thematisch passt "Ich bin dann mal weg" von Hape Kerkeling gut und ist sehr unterhaltsam. 

Am Abend kann ich endgültig sagen, es geht mir wieder gut. Fühle mich wie ein ganz normaler Mensch, dessen Bauch nicht Kopf steht. Allerdings werden die nächtlichen Wachen im 2h Rhythmus anstrengender, da wir tagsüber weniger schlafen. Wenn man die Wache übergeben hat, noch Zähne geputzt und sich umgezogen hat und eingeschlafen ist, wird man direkt wieder aufgeweckt. Werden bald auf einen anderen Abstand umstellen.

Dienstag, 26.11.2019

Eine Weile lang konnten wir wieder Segeln und haben Besuch von weiteren Delfinen bekommen. Außerdem war mittags einmal richtig was los, als wir in eine quasi unsichtbare Fischerleine gefahren sind. Nachts sind die Fischerei-Sachen meist beleuchtet, aber tagsüber haben wir die Mini-Bojen tatsächlich alle übersehen. Die Leine mit Angelhaken hat sich um unser Ruder gewickelt und Simon musste baden gehen, um sie zu lösen. Zum Glück ist das gerade beim Segeln passiert, der Motor ist da nicht so unempfindlich. 

Ich habe heute zum Waschtag erklärt (mich, nicht meine Klamotten), da es doch langsam unangenehm wurde. Hat sich als schwieriger entpuppt als gedacht. Wir haben kurz die Fahrt rausgenommen und bei geringer Geschwindigkeit konnte ich mich hinten aus dem Boot hängen und einmal nassmachen. Dann gab es eine mehr oder weniger ausgiebige Katzenwäsche auf der schwankenden Badeplattform. Auch das Abtrocknen und Umziehen draußen mit einer Hand ist eine neue Herausforderung. Denn auf dem Boot gibt es eine goldene Regel: Eine Hand für das Schiff, eine Hand für dich. Immer. Nicht festhalten geht nicht. Meine Haare waren verfilzt und ließen sich nur mit 4 Portionen Shampoo endlich durchwaschen. Fühlt sich am Ende trotzdem verdammt gut an. 

Zum Sonnenuntergang gab es dann noch eine kleine erste Fotosession und danach einen weiteren, wunderbaren Sternenhimmel mit ein paar Sternschnuppen.

Mittwoch, 27.11.2019

Seit letzter Nacht haben wir Schichten im 4-Stunden-Rhythmus. Viel besser. Man hat eine ganze Tiefschlaf-Phase. Zumindest wenn man rechtzeitig einschläft. Und man muss weniger häufig raus in die dunkle, noch eher ungemütliche Nacht. Die anderen wecken einen kurz vor Wachbeginn, dann werden unter Deck wieder alle möglichen Lagen angezogen und die Rettungswesten angelegt, das Logbuch noch kurz gefüllt und erst dann geht man über Deck. Oben klippen wir uns nachts auch immer ein, sodass wir sicher nicht rausfallen können. 

Nachts trage ich aktuell noch lange Unterwäsche, Wanderhose, Merinosocken, dünnen Fliespulli, dicken Fliespulli, Regenjacke, Schal, Stirnband und Handschuhe. Manchmal noch die Regenhose gegen Wind. Angeblich wird es bald warm, sagt zumindest Birgit immer. Ist schon so was wie ein Running Gag. 

Hab mich heute viel in die Sonne gelegt und mir direkt einen leichten Sonnenbrand eingeholt. Das war's wert. Dazu gab es ganz viel Hape Kerkeling Hörbuch. Unsere Reiseberichte sind glaube ich gar nicht so unterschiedlich (von der Art her). Er hat allerdings interessantere Gedankengänge und sehr schöne Erkenntnisse des Tages, die mir eindeutig noch fehlen. Und er kann natürlich besser schreiben. Aber ich versuch's wenigstens. Bin auch noch lange noch nicht so weit, als dass ich zu mir oder irgendwem anderen finden könnte. Simon und ich haben durchaus tiefe Gespräche über Ziele, Gesellschaft und Zukunft während der Nachtwache. Daraus könnte man schon was machen, aber mein Siebgehirn mag sich nicht gut genug erinnern und ich kann über solche Themen auch einfach besser sprechen als schreiben. Fakt ist aber, dass wir uns an unserem aktuellen Platz in der Gesellschaft nicht ganz wohl fühlen. Eigentlich haben wir schon eine grobe Vorstellung davon, wie wir es stattdessen gerne hätten. Die große Frage ist aber, wie man dorthin kommt und was man auf dem Weg alles auf der Strecke lassen muss. Geschwafel over

Birgit hat heute sehr leckeres Brot gebacken und angeblich wurde ein Wal gesichtet. Morgen kommen wir in Lanzarote an und ich freu mich sowohl auf die Insel als auch auf die Weiterfahrt. 

Interessanterweise hat sich mein Appetit auf dem Boot ziemlich verändert. Zu Beginn der Reise (und auch schon zuhause) war mein Lieblingsfrühstück Porridge und ich hab ca. 1 Liter Tee am Tag getrunken. Seit der (richtigen) Abfahrt wird mir allein beim Gedanken an beides leicht übel.

Donnerstag, 28.11.2019

Land in Sicht! Seit den Morgenstunden fahren wir an der Insel entlang Richtung Süden, zur Marina Rubicon. In drei Tagen soll es voraussichtlich wieder weitergehen. 

In Lanzarote ist erstaunlicherweise Kurze-Hosen-Wetter, das macht die Arbeit am Boot wesentlich angenehmer. Wir räumen alles einmal komplett aus, putzen durch (innen und außen) und dann muss alles wieder eingeräumt werden. Allerdings war das Boot bereits mit Proviant für eine Woche in meinen Augen voll. Nun müssen wir für 3, vorsichtshalber 4 Wochen packen. Aber das wird schon... 

Unser Bettzeug wird gewaschen und auch unsere Körper unterziehen sich im Hafen einer ausführlichen Reinigung mit allem PiPaPo. Ein Hoch auf warme Duschen

Abends gehen wir noch mit Skipperkollege Ola, dem absoluten Seebären, und seiner Freundin essen und fallen dann sehr müde ins wenig schaukelnde Bett.

Freitag, 29.11.2019

Ausschlafen. Räumen. Einkaufsliste schreiben. Inventur machen. Es gibt viel zu tun. Nina, ich und die Boys waren stundenlang beim Einkaufen im nahegelegenen Ort. Nach dem dritten Supermarkt haben wir fast alles von der Liste bekommen. Vielleicht poste ich die Einkaufsliste später noch, wenn wir wissen, wie sehr wir daneben lagen. Wir haben allerdings so viel gekauft, dass wir 3 mal mit dem Taxi vom Ort zum Hafen gefahren sind... 

Heute konnten wir noch nicht alles verstauen, es herrscht überall Chaos. Unten im Boot, oben auf dem Boot, sogar den Steg vor dem Boot haben wir besetzt. 

Kann mir mal jemand den Unterschied zwischen Boot und Schiff erklären? 

Abends habe ich meine Klamotten noch in Handwäsche gewaschen und aufgehangen und bin dann wieder recht früh ins Bett.

Samstag, 30.11.2019

Zum Essen gibt es Reste. Wir haben so viel eingekauft, dass nicht alles in den Kühlschrank passt. Unsere Lagerkisten (Plastikkisten vom Obsthändler) konnten wir von 4 auf 10 erweitern, da wir 6 Stück vom Supermarkt geschenkt bekommen haben. Die wurden heute alle geleert und gewaschen, um dann in einer Runde Tetris ihren Platz im Boot zu finden. Eine Kiste wurde gestutzt und gestapelte Kisten mit Kabelbinder verbunden. Wenn wir wieder zwischen Wind und Welle hin und her schaukeln, sollen diese möglichst nicht durch das ganze Boot fliegen. Nach Haltbarkeit, Empfindlichkeit und Erreichbarkeit räumen wir dann den Proviant in die Staufächer, Kisten und Netze ein. 

Am Nachmittag hat die Crew frei, Nina und ich gehen über den Handcraft Markt in der Marina und kaufen einen schönen Traumfänger für unsere Koje. Danach geh ich an den nahegelegenen Strand und lege mich zwischen die anderen Deutschen und Engländer. Der Strand ist eine absolut künstlich für Touristen angelegte Bucht. Mache also kein Foto. Dafür warte ich auf die Karibik. Wen es interessiert, der schlägt den nächstbesten Reisekatalog auf Seite 42 auf. Das Wasser ist kälter als gedacht, aber es tut trotzdem gut, sich kurz treiben zu lassen. Schreibe nun Tagebuch im Sand und sehe, dass das Notizbuch schon über die Hälfte gefüllt ist. Da muss also noch vor der Überfahrt ein neues her. 

Nach dem Einräumen sieht das gekaufte Essen wieder weniger aus und wir machen noch ein paar impulsive Panikeinkäufe. Bin gespannt, wie es sich tatsächlich verhalten wird. Manche Sachen haben wir akribisch abgezählt (63 Äpfel, jeder am Tag einen halben), das meiste wurde aber nach Gefühl überschlagen. Obst und Gemüse wird vermutlich nach einer Woche anfangen, schlecht zu werden. Brot wird dann trocken sein oder schimmeln. Dann wird es spannend. Morgen geht's los, wünscht uns Glück! 

Antworten (1)

Alfred
Liebe Lena, hört sich alles extrem spannend an! Euch allen bon voyage!

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