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Stadt der Träumer

Veröffentlicht: 27.01.2022

"Sueño de una tarde dominical en la Alameda Central", "Sonntagsträumerei im Alameda Park", so der Titel des berühmten Wandgemäldes (mural) von Diego Rivera (1886-1957). Heute war der Künstler und Propagandamaler vor allem als Frida Kahlos (1907-54) Ehemann bekannt, die zu Lebzeiten stets in seinem Schatten stand. Das Fresco versammelte zahlreiche Persönlichkeiten der mexikanischen Geschichte in einem bunten Reigen. Eroberer, Militärs, Revolutionäre, Kaiser, Damen der Gesellschaft und nicht zuletzt das Künstlerpaar reichten sich die Hand und gruppierten sich um die Figur der Catrina, einer volkstümlichen Personifikation des Todes in Frauengestalt.

Die mexikanische Geschichte strotzte von Träumern und Getriebenen, die in der "neuen Welt" ihr Heil suchten, angefangen bei Hernan Cortes (1485-1547). Maximilian von Habsburg (1832-67) und seine Frau Charlotte von Belgien (1840-1927) gehörten ebenso in diese Runde. Der Österreicher folgte französischen Versprechungen und ließ sich 1864 zum Kaiser von Mexiko krönen. Dem folgte 1867 die Hinrichtung unter dem legitimen Präsidenten Benito Juarez, (1806-72) einem bedeutendem Sozialreformer und erstem Regierungschef mit indigener Herkunft.

Den gestrigen Nachmittag verbrachte ich im Stadtteil Coyoacan, einer Wohngegend im Süden. Rund um das Frida Kahlo-Museum spielte sich ein ziemlicher Zirkus ab. Große Touristenbusse schoben sich durch die Wohnanlage, Besucher und Besucherinnen mit Zeitkarten für stolze 220 Pesos (10 Euro) bildeten lange Schlangen und Straßenhändler boten allen möglichen Tand feil. Das strenge Selbstportrait der Malerin war im ganzen Land allgegenwärtig und taugte zur Ikone. Zusammen mit der heiligen Jungfrau von Guadeloupe und der Catrina symbolisierte die Kahlo mexikanische Weiblichkeit und Leidensfähigkeit.

Unweit der Kahlo'schen Casa Azul befand sich das Haus von Leo Trotzki (1879-1940) und erinnerte an die Zeit der Extreme (1930/40er Jahren), als Mexiko vor allem für Europäer, u.a. auch Anna Seghers und Egon Erwin Kisch, einen sicheren Hafen bot.

Die künstlerische Annäherung über die Biographien von Kahlo und Diaz führte mir noch einmal vor Augen, mit wieviel Optimismus das mexikanische Projekt, auch als Alternative zu Moskau, einst verfolgt wurde. Wunsch und Wirklichkeit ließen diesen Traum spätestens in den 60er Jahren platzen.

Müde und matt trat ich die Rückfahrt mit der U-Bahn an, dabei blickte ich in die Gesichter der Mexikaner und Mexikanerinnen von heute. Durch die Masken wurden besonders die Augen der Fahrgäste betont: alt, jung, erschöpft, fröhlich, neugierig, verschmitzt, müde, verträumt. Jeder Mensch ist ein Roman. Zur Stoßzeit war ich mit Flipflops und kurzen Hosen der einzige Tourist zwischen den Pendlern.

...

Den Abend im Hostel ließ ich ruhig angehen. Erst um 1.30 Uhr wurde ich rabiat aus meinen Träumen gerissen, als meine fünf dänischen Mitbewohner stockbesoffen ins Zimmer polterten. Augenrollen, aber wollte ich es den Mitzwanzigern wirklich verübeln. Problemlos schlief ich wieder ein und träumte von einem Wecker, der nicht aufhörte zu klingeln. Es war 3 Uhr und drei der Dänen mussten zum Flughafen. Ernsthaft!!! Was folgte, waren 30 Minuten lautes Geflüster, Geraschel, dänische Flüche unterbrochen von erneuten Weckerklingeln und Licht an, Licht aus, dazu Zigarettenrauch aus dem Bad.

Buenos noches!

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Interessante Biographien:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Frida_Kahlo

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gilberto_Bosques

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ram%C3%B3n_Mercader

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Esteban_Volkov


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