mizzi-gyver-in-chile
mizzi-gyver-in-chile
vakantio.de/mizzi-gyver-in-chile

Nein, mit dem Flugzeug will ich nicht!

Veröffentlicht: 08.02.2023

Ich habe alle Zeichen und Worte ignoriert, die mir von einer neuerlichen Busfahrt, diesmal nach Punta Arenas, der letzten Stadt im Süden, weltweit, abrieten. Zeitweise wechselte meine innere Stimme in Richtung magisches Denken und flüsterte „Es soll nicht sein! Es wird schon einen Sinn haben! Versteh doch die Zeichen des Schicksals! Nimm das Flugzeug!“ und fast hätte ich den Stimmen geglaubt. Aber nur fast. Denn ich war schon auf Schiene Stur gelandet und so leicht wollte ich nicht aufgeben.
Daher forschte ich trotz fehlender Information im Internet weiter und ignorierte im Anschluss die Ratschläge von 2 Reisebekanntschaften sowie Christian, der dort selbst schon war, besser das Flugzeug zu nehmen. Beschwerlich. Langweilig. Öde.
Als ich dann auch noch aus lauter Schlechtsichtigkeit und einem zerknüllten Busticket die letzte Busfahrt des Tages verpasste, hätte ich einfach in die andere Richtung steigen können. Tat ich aber nicht. Und gut wars!
Stattdessen fand ich eine unglaublich hilfsbereite Busgesellschaft, die die Anreise nach Puerto Montt ermöglichte. Ab dort sollte die Fahrt 23 Stunden dauern und hauptsächlich durch Argentinien führen.
Die Dame neben mir zeigte sich über meine Gesellschaft erfreut und als sie mein Interesse an der Landschaft bemerkte, bot sie mir Ihren Sitz am Fenster an. Ich dachte erst, wir wechseln uns im Laufe der Fahrt ab, denn auch Sie schien die Aussicht zu genießen. Aber vielleicht blieb sie gerade deshalb bei Ihrem Angebot und verneinte jedes Mal, wenn meine Hand versuchte einen neuerlichen Wechsel einzuleiten.
Der Bus hatte sich bereits bis zur Grenze hochgeschraubt und unbürokratisch betraten wir ein wunderschönes Niemandsland. Ein Fluss krümmte sich mehrmals, Kraniche saßen am Wasser und man hatte sogar mehrere Aussichtsplattformen eingerichtet. Bis zur argentinischen Grenze waren es mehrere Kilometer und es ging über Kehren und Serpentinen höher, bis der Wald abrupt Farbe und Gestalt wechselte. Wo einst dichtes Grün stand, ragen nun tausende Äste kahl in den Himmel. Ein Meer aus totem Holz glitzert silbern in der Sonne und erzählten eine Geschichte, die mir bis zum heutigen Tag verborgen bleibt und dies imposanten Riesen schuf. Nur einige wenige hat die Erde freigegeben und ließ sie stürzen. Der Rest steht, als wäre es Winter und das Laub gefallen. Doch mit dem Laub fehlt auch die Rinde und kein Frühling kann erwecken, was hier langsam zerfällt und wunderbar Morbide strahlt.

Bis zum Sonnenuntergang führt die Fahrt durch Berge und kleine Orte, wo touristische Vergnügungen locken. Die Berghänge leuchten Golden und dunkelblaue Seen füllen die Täler. Nicht ganz ohne Freude bemerke ich, dass auf meiner Seite die Landschaft abwechslungsreicher ist und teile den ein oder anderen Ausblick mit meiner Sitznachbarin. Abendbrot gibt es an einer Raststädte für LKWs, zwischen denen ich mir die Zähne putze, ehe es in die Nacht hinein geht. Decken werden verteilt, ein Luxus, der mir noch in keiner anderen Busfahrt zuteilwurde, und ich verschließe meine Sinnesorgane so gut ich kann, verkeile die Füße vor mir so gut es geht, und schlafe tatsächlich lange. Gut allerdings nicht.

Am Morgen ist die Straße flach und neben mir das Meer. Warum die Fahrer, sie sind zu zweit und wechseln sich ab, so weit nach Osten gefahren sind, ist mir nicht wirklich klar, aber so ist es eben. Wir fahren in den Süden und ich unterhalte mich damit, gespannt nach Walen oder Delphinen Ausschau zu halten. Doch nur die Gischt tanzt am Ufer und kräuselt die sich brechenden Wellen weiß. Meine Uhr meint, wir sollten bald da sein und langsam wird klar, dass die Fahrt wohl länger dauert als gedacht. Der Teil, wo es wieder westlich in Richtung Chile geht, ist an Langeweile nicht zu überbieten und erst nach der Grenze bietet die tiefe Wolkendecke meinen Augen die begehrte Abwechslung. Als ob wir in einen Busbahnhof einfahren würden, erscheint die Wolkendecke aus schlierigem Weiß, die zum Greifen nahe ist. Halbe Schäfchenwolken, flach der Erde zugewandt, kleben träge und tief am Himmel. Zwischen Ihnen blitzt es Himmelblau und langsam taucht die Sonne durch das Dach aus Wolken ein. Spät abends, mit 12 Stunden Verspätung, kommen wir in Punta Arenas an.

Der Schreiberling des Reiseführers hat wohl noch nie eine schöne Stadt gesehen, sonnst würde er nicht so einen Unsinn schreiben. Schön ist nämlich anders und darüber täuschen auch die wenigen Gründerzeit Häuser mit ihrem Hauch von Jugendstil nicht hinweg.

Aber ich komme hier auf meine Kosten und bestaune Buckelwale, deren Gebläse uns auf sie aufmerksam macht. Der Ruf bei der Sichtung ist wohl der Gleiche wie bei der Waljagd, doch anstelle von Harpunen werden hier Kameras gezückt und wir staunen, diese vier fünf Atemzügen lang, die dieses beeindruckende Tier leicht gekrümmt, hebend und senkend, ruhig und majestätisch, 15 - 20 Meter vom Schiff entfernt schwimmt.
Die Neugierde ist ganz auf unserer Seite, den Walen scheints egal zu sein. Sie tauchen ab und erlauben uns den Blick auf ihre Schwanzflosse. Ein Ah! und Oh! Und Klick Klick Klick setzen ein, ehe diese sanften Riesen erneut Minutenlang in der Tiefe verweilen, um später anderorts wieder mit ihrem steil aufschießenden Gebläse auf sich aufmerksam machen.

Wenn kein Wal mehr in der Nähe ist, werden die fotografischen Trophäe unter Deck verglichen, und niemand hat mehr einen Blick für die unglaubliche Landschaft ringsum übrig. Ich versuche der Kälte und Nässe so lange wie möglich zu trotzen und habe die sich schaukelnden Plattform für mich allein. Die schroff-bewaldete Inselwelt Patagoniens zieht vorbei. Wolkenfetzen, Gischt, Schnee und Regenbogen, eine Landschaft, die an Dramaturgie nicht zu überbieten ist. Eine Walfontäne in der Ferne. Walrosse tummeln sich im Wasser und nur weil sie kleiner sind, interessiert sich niemand für dasselbe Schwimmbild, dass ihre kleinen Körper ziehen.
Staunend und fröhlich sauge ich all diese wunderbaren Eindrücke ein und in meinem Kopf wiederholt sich „Patagonien! Ich bin in fucking Patagonien!“
Als die Pinguine ausgerufen werden, trifft sich dann wieder alles an der Reling, ebenso als der Gletscher vor uns sichtbar wird, dessen Schroffheit blau strahlend in der Sonne schmilzt. Ein Stück Brucheis wird aus dem Wasser gefischt, dann folgt die Fotorunde mit dem Brocken in den schnell erkaltenden Händen. Im Anschluss werden Drinks mit Gletschereis serviert.
Ein kleiner Flirt mit einem der Crew Mitglieder beschert mir drei Runden Pisco Sour, dessen Eis im Plastikbecher sich nicht verflüssigen will und länger als gewohnt in seinem Zustand verweilt, den es seit der letzten Eiszeit hat. Bis ich schließlich das Stück Vergangenheit im Mund schmelze.

Und auch die Pinguine, die mir in La Sarena vorenthalten wurden, durfte ich letztlich ganz nah erleben. Diese kleinen Gesellen, die auf Magdalena nisten, schaukeln geschäftig über die Insel. Wir, damit meine ich das staunende Menschenvolk, werden durch einen Pfad über die Insel geleitet und haben Nachrang, wenn die Watschler mit ihren flapsigen Armen uns queeren. Sie tuen dies mit einer Geschäftigkeit, als ob es zu spät zu einem Termin müssten und wirken wie ein Club alter Männer, die an einem Symposium für Weltbewegendes teilnehmen. Ihre Körper befinden sich im Vergleich zu ihren eiligen Füßchen, die sich über die bröselige Erde tummeln, in einem Paralleluniversum der Geschwindigkeit. Arme aus Rudern balancieren konstant die Geschäftigkeit und vielleicht ist es diese Prise an vermeintlicher Schwerfälligkeit, die diese schwarz-weiß befrackten Vögel für mich so possierlich macht.

Einen Tag lang setzte ich auch nach Feuerland über. Dort wie in Patagonien lockt man mit den Ureinwohnern, die, nachdem sie ca. 11.000 Jahre dort gelebt hatten, vor ca. 100 Jahren beraubt und erfolgreich ausgerottet wurden. Die Selk`nam sind mit keiner lebenden Seele auf Feuerland verbunden, trotzdem finanzieren sie das Dasein eines großen Anteiles der hiesigen Bevölkerung. Manches ändert sich eben nie und die Geschichte wiederholt sich selbst, genießt das Privileg der Gewinner und benennt sich um und was einst Entdeckertum, Goldrausch und Besiedlung hieß, nennt sich jetzt Sehenswert, Tourismus Attraktion und Souvenirs. So kommts also, dass die wenigen Aufnahmen diverser Ureinwohner, hier die Selk`nam, vervielfältigt und abgewandelt werden und letztlich T-Shirts und Eiskastenmagnete zieren.

Dann ging es weiter in den mir so wärmstens empfohlenen Nationalpark Torres de Paine, wo ich derzeit bin. Die Berge werden höher und die Wolkendecke weicht dem Boden, zieht über pittoreske milchigblaugrüne Bergseen, vorbei an schroffen Granitgestein. Der Wind kann hier in manchen Bereichen über 125 km/h erreichen und in der Nacht rüttelt er am Haus, als wäre es Gevatter Wolf persönlich. Zuerst begnügte ich mich mit Tagesausflügen, gestern bin ich vom W-Treck zurückgekommen, der 4 Tage dauert und eine eigene Geschichte wert ist, die allerdings erst geschrieben werden muss.

Und dann ist es fast vorbei. 5 Tage verbleiben mir noch, ehe ich zurück nach Santiago fliege.

Euch einen wunderschönen Winter. Wie ich hörte, ist endlich Schnee gefallen und macht Laune auf Kuscheln oder Ausflüge. Freu mich davon zu hören und verabschiede mich vorerst mit ganz lieben Grüßen aus dem regendurchzogenen Patagonien, wo an einem Tag alle 4 Jahreszeiten zu erleben sind und die Bäume Bärte tragen.
Bald mehr davon,

Petra

Antworten

Chile
Reiseberichte Chile
#buckelwale# pinguines#patagonien