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Kennen Sie den? Steht ein Österreicher in Bolivien,…

Veröffentlicht: 31.01.2023

Vorerst stehe ich am Eck, in Uyuni, wo die Busse kommen und gehen und so einiges lautstark ausgerufen wird. Frisch gepresste Säfte, Süßes und Pikantes, die letzten Plätze im Bus. La Paz ist heiß begehrt und bereits voll und so mache Mutter mit umgeschnalltem Kind wird abgewiesen. Ich bin so froh, dass ich hier heute noch wegkomme, steige ein und auch wenn bereits dunkel ist, und ich nichts sehen werde, Uyuni ist so unattraktiv wie es laut ist und lockt nicht zum Bleiben.
Frühmorgens dann, Busbahnhof La Paz. Der Tag ist noch kaum erwacht locken Rufe auch hier die schlaftrunkenen Fahrgäste. Ich versteh kein Wort. Die üblichen Gestalten lungern vor dem Bahnhof und nennen ihn wohl ihr zuhause. Die Obdachlose Frau mag es gar nicht, dass ich in Ihrem Wohnzimmer Platz genommen habe und ihr Geruch tut das Übrige, dass ich doch wieder in der Halle auf meinen Taxifahrer warte. Kurz später geht es ab ins Hotel und mein Zimmer ist gottseidank schon frei. Dieses Mal werde ich auch sofort für meine Wahl belohnt. Ich habe das bestriechensten Hotel der Welt gefunden. Meine Nase folgt begeistert der Quelle und lokalisiert den Straßenmarkt und seine Cholitas, breithüftige, rüschenberockte Damen mit Melonen - Hüte, nicht Obst - unter meinem Fenster. Über den Gehsteigen schwebt der Düfte von Kräutern, Blumen, Obst und Gemüse und verbreitet Frische und Freude. Es duftet so wunderbar und noch ehe ich meine Sachen ausgepackt habe, fotografiere ich die Damen von meinem Zimmer aus.
La Paz ist im Vergleich zur Atacama kalt und ich tausche Hut gegen die Mütze, die ich einst von Nici geschenkt bekommen habe. Sie zieht viele Blicke auf mich und so manche Handbewegung, begleitet von einem breiten Lächeln, drückt Gefallen aus.
Ein Steinwurf vom Hostel entfernt ist die touristische Regenbogenstraße, ein enges Gässchen, das mit bunten Regenschirmen überdacht ist und nicht nur das Lieblingsobjekt Selfiebegeisteter ist, sondern auch als Kulisse diversen Tanzgruppen oder Bands dient, die hier Ihre Videos drehen. Hier reiht sich auf, was TouristInnen brauchen und natürlich gibt es duzende Anbieter diverser Touren. Dort habe ich Ihn dann entdeckt. Den Pico Austria. Da bin ich rein. Was ist das? Ein Berg! SoSo, aha! Und dann wars auch schon gebucht. Fit sollte mensch schon sein, schließlich geht’s auf 5300 Meter rauf. William, der zahnluckerte Besitzer meinte aber, ich schaff das schon. Ich bestieg in Nepal 2013 einen 5000er und damals hatte ich mir gedacht, das brauche ich kein zweites Mal. Dünne Luft und so. Aber ich gehöre ja zu der Sorte Mensch die gerne glauben, was sie hören wollten, und ja, ich schaff das schon. Ist ja keine Eile geboten. Und die Österreicherin gehört auf den Österreicher. Damals dachte ich, es ist eine gute Idee und machbar. Ich war recht gut an die Höhe gewöhnt. In San Pedro bewegte ich mich auf 3000 Höhenmetern, der Grenzübergang nach Bolivien lag 4.480 hoch, Salar de Uyuni glitzert in 3.656 Meter über dem Meeresspiegel und La Paz auf 3.500. Wenn ich mich langsam, aber stetig bewege, ausreichend trinke, sind 5.299 Meter machbar. Wir starten bei 4.100. Auf geht’s.

Dumm nur, dass wir bei der Anfahrt einen Reifenplatzer hatten. Der Fahrer hatte auf der Schotterstraße einen Augenblick zu lange gezögert und ist dem Stein nicht mehr schnell genug ausgewichen. BUM. Unser Aufstieg verzögert sich um mehr als eine Stunde.

Wir starten langsam und man erzählt mir von einer Gruppe Australier, die es nicht bis ganz hoch geschafft hatten. Ich hatte eine neue Marke. Wenn schon nicht ganz hoch, aber die Australier kann ich schlagen. Gemächlich geht es los. Das Wetter scheint zu halten. Die Aussicht ist fantastisch. Meine zwei Begleiter, einer der Fahrer, der andere mein Guide, bewegen sich wie auf einem Nachmittagsspaziergang auf der Prater Hauptallee. Tratschend. Hände im Hosensack. Stecken braucht es keine. Der Fahrer ist sogar ohne Wasser unterwegs. Ich war schon dreimal pinkeln, soviel Durst habe ich. Aber ich gehe meine eigene Geschwindigkeit. Alles gut. Einfach nur ein Schritt nach dem anderen. Wunderbar.
Als wir rasten zaubert mein Guide ein Lunchpaket mit Hühnchen, Reis und gegrillter Kochbanane hervor. Wir sitzen auf einem Felsen, blicken hinunter auf einen der Seen, unsere Füße baumeln frei, der Wind weht mir den Reis aus der Schüssel. Zum Nachtisch gibt’s Mamas selbstgemachtes Müsli und Dattelbällchen. Das gibt Kraft. Und weiter geht’s.
Das Ziel scheint nahe und möglich und die harmonischen Bewegungen von steigen und atmen geben mir Kraft und Ausdauer. Ein Hauch von Euphorie pulsiert durch meinen Geist und lässt das Steigen leicht erscheinen. Wir sind bei ca 4.800 Metern. Mein Blick schweift in die Ferne und ein Vogel kreist über uns. „Kondor! Und noch einer!“ Ruft mein Guide. Sie freuen sich sehr, denn die Vögel sind selten zu sichten und wir verfolgen einige Zeit ihre thermischen Kreise, ehe sie hinter den Pico Austria verschwinden. In der Richtung, wo unser Auto steht, wird es grau und es sieht nach Regen aus. Sollten wir umkehren? Nein, das kommt nicht. Das geht sich aus.
Bei 4.900 Metern werden meine Schritte schwerer. Von irgendwo hat sich ein Gewicht über mich gelegt und ab jetzt muss ich es mit mir bewegen. Der vorläufig letzte Anstieg beginnt. Jetzt sind es 5.000 Höhenmeter. Ein steinerner Weg führt geradewegs zum Sattel. Dem Umkehrpunkt der Australier. Der Pico links neben mir. Was eben noch möglich erschien, wandelt sich in eine Prüfung. Mein Atem saugt vergebens ein, wonach mein Körper verlangt. Sauerstoff. Mein Herz rast und versucht mein Gehirn damit zu versorgen, was die Nase nur ungenügend findet, aber die Kapazität meiner Roten Blutkörperchen reicht nicht aus. Mir ist leicht schwindlig und Kopfschmerz setzt ein. Zeitlupe, Pausen, Trinken und innere Dialoge sind der Versuch der Natur zu trotzen. 5.100 Meter. Ich sehe den Sattel. Ein Fetzen blauer Himmel macht wohl eine Aussicht möglich. 50 Meter. Fünfzigmeterhinauf. Verteilt auf ca. 500, 600 Meter Wegstrecke. Und 1000 Höhenmeter hinunter! Ich muss das ja auch alles wieder hinunterschaffen! Die Australier und der Ausblick verlieren bei diesem Gedanken an Bedeutung. Mir doch egal. Dann breche ich eben ab. Wem juckts. Meine Oberschenkel und Knie sind mir näher und ich will es nur in einem Stück wieder runter schaffen.
Der Abstieg beginnt. Wir wählen eine andere Route, ein neuer Ausblick und wir bewegen uns direkt in eine mittlerweile Dunkelgrauen Regenfront. Es beginnt zu schneien. Wetterleuchten am Horizont. Donner höre ich keinen. Ohne Pause geht es runter. Manchmal ist es so steil, dass ich in kleinen Serpentinen gehen muss und meine Oberschenkel zittern langsam vor sich hin. Dann queren wir einen nackten Hang und hier ist es geschehen, wo der Berg getauft wurde. Der Österreicher, der diesen Berg sowie zwei seiner Nachbarn als erstes bestieg, wurde hier von einer Lawine in den Tod gerissen. Schnee gibt es aber keinen und auch wenn der Pfad sehr schmal ist, wirkt er sehr stabil und kein Steinchen wird von unseren Schritten bewegt. Der Ausblick nach unten ist sensationell, aber ich entscheide mich der Versuchung des Staunens zu widerstehen und eile meinem Guide hinterher. Die letzte Stunde wird noch einmal eine Prüfung für Geist und Beinmuskulatur. Das Licht hat bereits abgenommen und meine Augen haben Mühe die Kontraste am Boden richtig zu lesen. Jetzt bloß nicht umknöcheln. Da steht schon das Auto. Der Regen hat sich auch verzogen. Alles ist gut. Ein Schritt nach dem anderen. Ein Schritt nach dem anderen.
Am Heimweg fröstle ich in zweiter Reihe vor mich hin und der Fahrer beweist, dass nicht nur er eine Bergziege ist, sondern sein Auto ebenfalls.
Und ich war in den Anden. 100 Meter über meinem persönlichen Rekord und ja, ich brauch das nicht wieder. Aber mal sehen, welches Märchen ich mir dann wieder selbst erzähle.

Zwei Tage später, und erstaunlicherweise ohne Muskelkater, ging es dann in den Nationalpark Sajama, mein Tor zurück nach Chile. Wieder hatte ich den Luxus eines Fahrers und eines Guides, da sonst niemand diese Tour gebucht hatte. Der Nationalpark ist klein, aber fein und neben Lamas gab es die scheuen Vicunas und Nandus, Emu ähnliche Laufvögel zu sehen. Nachdem ich lieb gefragt hatte, durfte ich dann sogar selbst hinters Steuer. Das Highlight dieses Abschnitts. Meine beiden Herren hatten es sich hinten auf der Sitzbank gemütlich gemacht und wir tauschten kurz die Rollen. Sehr lustig.

Die Einreise nach Chile hatte sich zuerst sehr mühsam angelassen. Warten auf den Bus und dann noch einmal stundenlanges Warten bei der Aus- und Einreise. Wir mussten uns mit unserem Gepäck anstellen, wurden befragt und durchleuchtet, und dann war es schon beinahe finster, als die Abfahrt von 4700 Metern bis auf Meeresniveau nach Arica begann. Hinter der Grenze reichte das Licht gerade noch, um den Vulkan Partinacota am Ufer des Chungara Sees zu bestaunen und die serpentinenreiche Abfahrt beginnt und reicht weit in die finstere Nacht. Und hiermit schließt sich der Kreis, denn ich betrete die Stadt mit dem unterhaltsamen Hafen, wo sich Mensch und Tier um Fisch streiten.

Danke fürs Mitreisen, bald mehr

Petra

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