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Sanfter Einstieg

Veröffentlicht: 24.12.2022

Starten – einmal anders

Eine Reihe unangenehmer Ereignisse, die alle auf das Fehlen meines Fluggepäcks hinauslaufen, haben es nicht geschafft, meine Reiselust zu trüben. Fuck you IBERIA!

Stattdessen lief ich seit 3 Tagen in derselben Garderobe herum, habe Waschbecken und Seife zu meinen Helfern gegen nasenrümpfende Gerüche und Klebeeffekte gemacht und weiß jetzt auch, dass Seife nicht zum Haarwaschen gedacht ist.

Mehr werde ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht darüber verlieren – ihr kennt ja alle die Lebenserwartung der Hoffnung und meine ist bekanntlich schwer zu eliminieren.

Außerdem, wer will schon über Ärgerlichkeiten lesen, wenn zur gleichen Zeit die Augen über fremde Städte, Kulturen und Eindrücke ziehen können?

Und das können meine in jedem Fall mit Begeisterung und Freude tun. Und wer will, zieht einfach mit.

Santiago. Eine perfekte Stadt, um in ein unbekanntes Land einzutauchen. Keine, für die ich um die halbe Welt reisen würde, wenngleich ich einige Plätze gefunden habe, die ich ob ihrer Einzigartigkeit nicht missen möchte. Beispielsweise das Museum für Präkolumbische Kunst, in das mich ein Irrtum meiner Entdeckerseele führte.

Im Untergeschoß werden Artefakte unterschiedlicher Epochen mystisch in einem Raum aus Beton, Glas und Dunkelheit drapiert und erzählten die beste Geschichte der Welt. Die Geschichte von Menschen. Kulturen. Deren Glauben und Handwerkskunst.

Staunend fand ich mich vor einen der einzigartigsten Kommunikationswerkzeuge der Menschheit, einem Quipu wieder. Inkas, deren Reich sich im 15. Jahrhundert nach Chile ausbreitete, verschlüsselten in einer Kombination aus Seilen und Knoten und mittels Variationen aus Fasern und Farbcodes ihr Wissen. Welch einzigartiger Zugang der Wissensablage. Das Material wird zum Inhalt, nicht nur zum Hüter der Botschaft. Blindenschrift trifft Codierung. Trifft Information. Trifft mein Staunen und beeindruckt mich sehr!

Das zweite Objekt, dass mich schmunzelnd in Bann zog, war ein bemaltes Trinkgefäß. Träge hockt es da, kleine Stecken artige Arme halten sich ein pralles Bäuchlein und der Inhalt des Kruges scheint dem Träger selbst aus dem Mund zu fließen. Ohren zeigen hinunter und auch seine Augen haben etwas Trauriges, fast Tränenreiches. Das Kerlchen sieht so aus, als ob es jeden Tropfen sein Eigen nennt und mahnt jeden „Räuber“, der seinen Inhalt leert! Wäre das Glas nicht zwischen uns, meine Fingerchen hätten das Fummeln und Begrapschen nicht unterlassen können.

Ein weiteres Fundstück gehört eventuell auch ins Museum und meine Lust auf Kaffee hat es mich finden lassen. Im Bankenviertel der Stadt, in dem ich meine Euro zu einem fairen Preis tauschen kann, stoße ich auf ein Stehkaffee. 
Die 70er Jahre haben sich hier nicht nur in zartrosa Marmor, Chrom und Spiegeln verewigt, sondern auch im Geburtsjahr und Styling des Personal. Ein schmaler Tresen windet sich durch das gesamte Lokal, an insgesamt 3 Kaffeemaschinen und ebenso vielen Baristas entlang. Bestellt und bezahlt wird am Eingang, dann steuert man eine der Stationen an, gibt den Zettel einer miniberockten, in Plateauschuh und teilweise toupierter Haarpracht gestylten weiblichen Servierkraft. Diese überbringt die Bestellung, indem sie sich um 45 Grad dreht, dem männlichen Barista hinter ihr, stellt Untertasse, ein kleines Glas Sodawasser vor mir ab und schäumt schon mal die Milch. Der Barista brüht dampfend den Kaffee und schließlich findet das Gemisch aus Braun und Schaum in feierlicher Handhaltung auf dem Tellerchen vor mir Platz.
Bevor mein Kaffee trinkbar abgekühlt ist, lasse ich meinen Blick durch den Raum wandern.
Stammgäste erwartet das Lieblingsgetränk teilweise schon bei Ankunft am Tresen und ein herzlicher, fast lasziver Flirt prägt den kurzen und unterhaltsamen Kontakt. Sessel gibt es hier keine, man bestellt, lacht, bekommt, trinkt, und geht. Chilenen mögen‘s scheinbar heiß.

Und das ist mir eigentlich seit meiner Ankunft. Außer bei Nacht. Da kühlt es angenehm ab. 30 Grad zeigt das Thermometer tagsüber und ab mittags fließt mir der Rio Grande am Rückgrat entlang. Am Morgen ist es aber noch angenehm kühl und in den Bäumen schnäbeln und vögeln die Papageie.
Die Frühstück Cafés sind paradiesisch und bieten bunt dekorierte Köstlichkeiten, im Café Wunderland sind zusätzlich auch die Kellner zum Anbeißen. Zumindest wenn Mann Mann mag.
Miguel, mit seinem perfekt getrimmten Bärtchen und einem umwerfenden Hüftschwung, empfängt mich an der Türe, geleitet mich in den mit bunten Steinfließen belegten Innenhof, platziert mich am gußeisenen Tischchen und verspricht mich zu servisieren. Dumm nur, dass er dann doch nicht mehr auftaucht, stattdessen erscheint Jose Luis und eine kleine Union Jack an seinem Ärmel weist ihn als englischsprachig aus. An den Nachbartischchen türmen sich die Teller und nachdem alles artig abfotografiert wird, werden Telefone mit Besteck getauscht und eine wohlklingende Schnatterei begleitet das genussvolle Schlemmern.

Jose Luis zappelt dann ein wenig unruhig vor mir her und ich deute das als ein „Dein Kaffee ist ausgetrunken, wir brauchen den Tisch, du willst doch sicher schon gehen!“ und ich entscheide mich ihn zu ignorieren, wende mich meinem Wasser zu, widme mich meiner Tastatur und ergänze die Geschichte, die Du eben liest.

Apropos heiß. Das war mir dann auch vorgestern. Da galt es steile Hügel zu erklimmen. Rauf und runter und wieder rauf geht es durch ein bunt und großzügig bemaltes Straßengewirr der ältesten Hafenstadt Chiles. Wir sind in Valparaiso.
Der Pazifik lümmelt hier gemütlich in einer geschwungenen Bucht. Nur ein schmaler Streifen der Stadt führt den Hafen entlang. Die meisten Häuser kleben an den Hügeln, mehrere Seilbahnen punktieren dieses Häusermeer und in ihnen erklimmen TouristInnen wie Einheimische die Stadt.
Die Stadt als Galerie. Graffitis zieren die Wände und Stiegen, Shops bieten Kunst und Kultur. Cafés. Restaurants. Bezahlt wird für den Ausblick. Dächer, Fassaden. Hafen-Banane. Der Pazifik glitzert Blau. Kräne, Frachtschiffe. Ein Schar Vögel kreist über dem Meer.
Zurück geht’s wieder mit der Seilbahn. U-Bahn. Bus. Vorbei an Weingärten und Palmen. 2 Stunden stäter bin ich wieder im Hotel. Ein gelungener Tages Ausflug legt mich früh und zufrieden ins Bett.

Zurück nach Santiago de Chile. Es ist einfach sich hier zurecht zu finden. Nicht, dass ich mit meinem Englisch allzu weit komme, nein, aber die Menschen sind offen, hilfsbereit.
Das Straßennetz gut ausgebaut. Der Verkehr zivilisiert. Man hält sich an Ampeln. Bleibt in der Spur. Auch gilt der Zebrastreifen hier. Die Beschilderung mancher Straßen sind überschmiert, zurechtfinden kann ich mich aber trotzdem gut. Es sind wenig Motorräder unterwegs. Mopeds habe ich fast gar keine gesehen und das wirkt sich positiv, ebenso wie das Lüftchen, dass hier ständig weht, auf die eher trockene, aber sehr gute Luftqualität aus.

Die Preise sind eher hoch, wäre ich allerdings weniger anspruchsvoll, ginge es sicherlich um einiges günstiger. Um gut zu essen, muss mensch tief in die Tasche greifen, aber das ist letztlich überall so.

Was ich besonders an dieser Stadt mag, sind die Menschen und die Stimmung, die sie verbreiten.
Einer der Träger dieser Gemütlichkeit scheint Musik zu sein. Gesungen oder gespielt, nicht immer um Geld, sondern weil‘s aus dem Herzen kommt.
Ein Busfahrer hält stehend im Türrahmen seines Busses Pause, während laute Klänge aus dem Inneren seines Fahrzeugs klingen.
Ein Mann baut seinen Marktstand auf, und singt dazu ein Lied, einer Frau neben mir entfährt lautstark ein Refrain, so wie einem der beiden Männer, die ein Packet in der überfüllten U-Bahn transportieren.
Mit der Musik kommt eine Unbeschwertheit, Leichtigkeit. Der Puls herzlicher Menschen, die offen, jedoch nicht aufdringlich sind.
Man nimmt Rücksicht aufeinander und in den überfüllten Plätzen und Straßenzeilen, wo Waren aller Art den Gehsteig schmälern, gleitet man ohne Rempelei aneinander vorbei. Es ist Obacht wegen Taschendieben geboten, unsicher fühle ich mich jedoch nicht.

Ach ja, gestern habe ich meinen Rucksack doch noch bekommen und ich freue mich schon auf meine Weiterreise in den Norden, in die Atacama Wüste. Das Hostel ist bereits gebucht, die Anreise ebenfalls und ich bin gespannt, welche Eindrücke ich noch sammeln darf.

Feliz Navidad und Frohe Weihnachten!

Petra

Antworten (2)

Martin
Wie spannend geschrieben!!! Da hat man das Gefühl, als ob man dabeisein kann. Freue mich schon auf den nächsten Eintrag. Bussis von der anderen Seite der Welt. Martin

Petra
Jetzt hab ich endlich herausgefunden, wie ich deinen Kommentar finden und lesen kann 🥰😘🙏

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