mizzi-gyver-in-chile
mizzi-gyver-in-chile
vakantio.de/mizzi-gyver-in-chile

Ein Übersprung

Veröffentlicht: 16.01.2023

Es ist 18 Uhr und die Sonne schmeichelt nun der Landschaft, anstatt sie von oben herab inquisitorisch zu bestrahlen. Schattierungen aus ziegelrot und violett treten zu Tage. Mattschwarz und grünlicher Anthrazit glitzern nebeneinander im Sonnenlicht. Die Straße frisst sich hangwärts in die Gegend, deren Form und Farbe einer Sandkiste gleicht, bei näherer Betrachtung felsig ist. Träge geht es hinauf, gut gebremst hinunter. Von Arica nach La Serena. Von den Seerobben zu den Pinguinen. Anstelle entlang der Küste durchqueren wir die Wüste und mit jedem Augenblick verändert sich die Landschaft in Farbe, Form und Tiefe. Ich denke ich bin schon auf Meereshöhe, doch da furcht sich rechts und links von mir die Erde auf. Tiefe Täler, steil und glatt, greifen in ein Tal aus Grün. Ort wird aus Nichts, weil irgendwo eine Quelle ein Rinnsal speist und die Geometrie des Grüns zeugt von landwirtschaftlichem Tun.

In Oker und Eierschalenbraun wölbt sich ein glatt geschliffener Mugel neben dem anderen und die drei Spuren, eine rauf, zwei hinunter, bilden das solides schwarz-gelbe Band, auf dem wir uns hinunter winden. Dann geht es wieder hoch und eine Breite aus flachem Nichts dehnt sich zwischen sanften Bergketten aus. Ab und an durchqueren wir Orte, die einfach da sind und deren Zweck, außer kurze Haltestellen zu sein, mir verborgen bleibt. Telefonmasten sind die höchsten Bauten und es gibt mehr LKWs als Häuser. Ein Reifenflicker ist das letzte Haus, dann wird es wieder weit und der nächste Anhaltspunkt, ein Ort, ist grün beschildert.

Aus Arica kommend, weil, dort gibt es, so entnahm ich meinem Reiseführer, einen Fischmarkt, und den sollte mensch sich nicht entgehen lassen. Habe ich nicht. Und recht hat er, der Reiseführer. Viele Stunden mehr hätte ich noch verbringen können, so einzigartig und unterhaltsam ist es dort.
Der Zugang ist leicht versteckt, der Hafen klein und bunt. Fischerbote tanzen in Sichtweite auf und ab, Ruderboote dienen als Fähren zwischen ihnen und dem Markt. Fisch, nachdem ihm Kopf und Schwanz genommen wurde, ist immer noch größer als mein Oberkörper und wird im Wettlauf gegen Fliegen filetiert und geteilt. Pelikane und andere Vögel starren und warten geduldig, bis für sie etwas abfällt. Ihre Konkurrenz ist groß und mächtig und recht streitlustig wie mir scheint. Seerobben. Fette, riesige Kerle belauern die Zerteiler, die Jüngeren nehmen das Risiko mit Holzbrettern und Kübeln beworfen zu werden ignorant in Kauf, erhoppeln mitunter drei hohe Stufen und bedienen sich dreist am Abfall, von dem sie wissen, dass er ihrer ist. Denn das, was nicht am Teller landet, wird zurück ins Meer gekippt oder kann für ein geringes Entgelt erworben und touristisch geworfen werden. In jedem Fall sorgt er für die stete Hoffnung aller Tiere, die hier lungern und warten. Und es löst mitunter eine Schnelligkeit und Kampfeslust unter den Tieren mit dem höchsten Appetit aus. Ein kleiner Bub kann nicht so weit werfen, wie es die gefräßige Meute bräuchte und seine kindskopfgroßen Fischköpfe landen nur knapp unterhalb vor ihm zwischen den Felsen. Mit Leichtigkeit heben und hieven sich die noch jüngeren Robben auf die Felsen und schon verschwindet ein Fischkopf halb im Maul und kurz darauf, an angriffslustigen Fangzähnen und hässlichen roten Augen vorbei, mitsamt dem Sieger im Wasser. Dort wird der Kopf wohl gleich verspeist, denn die Robbe taucht ohne ihn wieder auf und giert schon nach dem nächsten Stück. Eine Stimmung wie am Frühstücksbuffet eines 4* Hotels. Futterneid. Ich bin vielleicht 3 Stunden hier und es scheint mir, dass mit jeder Fütterung der Konkurrenzkampf bissiger wird und die Tiere dreister. Sie kommen den Menschen so nahe, starren, belagern, stellen ihnen nach, bis einer oder eine die Nerven verliert und versucht die dreiste Gesellschaft zu verscheuchen. Und ihr ahnt es. Der territoriale Kampf ist Teil dieses Schauspieles, bei dem klar wird, dass sich Mensch und Tier die Ressourcen teilen und die Tiere deshalb bleiben dürfen, weil sie mit „sanften“ Mitteln nicht mehr verscheuchbar sind. 

Deshalb erscheint es uns wie ein nebeneinander, wenn unter Belagerung geübte, blanke Hände nach Fisch und Muscheln greifen. Packen, heben, zerteilen, filetieren und dabei entscheiden, was für wen gedacht. Wenn das Gute von den Fliegen, Vögeln, Robben in Sicherheit gebracht, ausgerufen, einpacken, und am Ende abkassiert wird, dann heißt das hier Alltag und steht im Reiseführer unter „Was sie nicht verpassen sollten!“ 

https://youtu.be/bFWnZ9bKmXo

Wie auch die Humboldt Inseln, auf denen sich eine von den weltweit drei Pinguin-Kolonien befindet. Der Grund, warum ich in La Sarena aussteige und 2 Nächte bleibe. Verraten hats mir Julia, die, ich glaube sie hat irgendwas von 90ern gesagt, hier war und mir damals augendstrahlend davon erzählt hat. Und wenn Augen strahlen und dabei von Orten oder Essen erzählt wird, merke ich mir das gut. Und wenn dann die Gezeiten nicht mitspielen und das Busticket für die Weiterfahrt bereits gebucht ist, kann ich Euch nur von einem Café erzählen. Ohne Pinguine. Und ja, der Kaffee war wirklich gut, trotzdem eher kein Augen-Glitzer-Potenzial. Was, oder vielmehr wer meinen Kaffee zum glitzern gebracht hat, war Sergio. Zuerst war er nur ein alter Mann der in Schieflage, auf eine Krücke gestützt, verschmilzt lächelnd und laut „Guten Morgen“ rufend das Café betrat. Da sitze ich also seit drei Cappuccinos und einer Wasserflasche und hätte auch eine Konversation in Deutsch haben können? Nein, hätte ich nicht, wie sich bei dem beschwingten Gespräch mit Sergio herausstellte. Er macht das gerne, meinte er, weil ihn hier niemand versteht, die haben alle keine Ahnung, mach schnell, du Dummkopf, lacht er in den Raum, Köpfe drehen sich, man ist das hier wohl schon gewöhnt. Seine erste Frau war Deutsche, Dummkopf hat er sich also gemerkt, aber auch noch einige andere Wörter. die er bereitwillig rezitiert. Mit ihm gesellt sich ein junger Australier mit chilenischen Wurzeln, der COVID bedingt hier gestrandet ist und dessen Maske am Kinn mich vermuten lässt, dass für ihn Ansteckungsgefahr immer noch ein Ding ist.
Zu dritt plaudern wir unbeschwert und als es ans Zahlen geht erfahre ich, dass meine Rechnung bereits beglichen wurde. Sergio, einfach davon gehumpelt, als ich am WC war, so richtet man mir aus, wollte mir zeigen, wie gastfreundlich Chilenen sind. Ich bezweifle sehr, dass alle Chilenen so sind, Dieser Senior ist ganz sicher eine humorige Ausnahme und Persönlichkeit. Ich habe mich sehr über diese liebe Geste gefreut und erfreut habe ich mich an seiner humorvollen Gesellschaft. Ein würdiges Pinguin Ersatzprogramm.

Ich hoffe, dass diese Zeilen für euch ein kleiner Reiseersatz sind und ja, ich habe Bolivien und die Fahrt dorthin verschwiegen – kommt aber noch.

Alles Liebe vorerst

Petra, im Bus in Richtung Süden

Antworten (4)

Martin
Wunderbar !!!! Ich reise mit dir . Kuss

Vera
Sergio ❤️ und aaah Seelöwen so toll. Ich hab bereits fernweh .. 😅😅 soo schöne Fotos und man reist so schön mit dir mit, bei deinen tollen Berichten ☺️ wünsch dir weiterhin noch eine schöne Zeit ☀️

Markus
Erst jetzt habe ich die Zeit gefunden, das zu lesen. Schön, wie intensiv du deine Erfahrungen erlebst und beschreiben kannst. Es freut mich, dass du eine so gute Zeit hast. Danke fürs Teilen!

Julia
Haben auch erst jetzt deine wunderbaren Beshcreibungen und Geschichten gelesen. Es klingt herrlich und wir sind mit Dir! La Serena war ich das? Ich weiß das mir weiter im Süden Valdivia sehr gut gefallen hat. Wünschen Dir noch eine super feine Zeit und viele Küsschen.

Chile
Reiseberichte Chile
#arica# seelöwen#pelikane# fischer#hafen