Veröffentlicht: 19.04.2024
Heute werde ich den mit Schnee bedeckten Poggio della Cesta (mit seinen 1113 Metern Höhe) umfahren und warte um 6.30 Uhr auf den Bus, der mich nach Frassineta bringen wird. Wieso nur habe ich die Handschuhe vor meiner Abreise zuhause aus dem Rucksack genommen? Tapfer reibe ich in der Eiseskälte meine Hände, während sich der Bus gnadenlos verspätet.
Meine erste Pilger-Aufgabe an diesem Morgen ist, in Rimbocchi einen Fluss zu durchqueren. Die heftigen Regen-, dann Graupel- und zuletzt Schneeschauer der letzten Nacht haben ihn anschwellen lassen. Von den Steinen, auf denen man ihn angeblich trockenen Fußes überqueren können sollte, ist nichts zu sehen. Also bleibt nichts anderes übrig, als: Schuhe ausziehen, Hose hochkrempeln und bei etwa fünf Grad durch den schnell fließenden Gebirgsfluss balancieren. Klappt. Extrem kalt, aber gar nicht mal unangenehm.
Ruhe, Einsamkeit und winterliche Temperaturen
Der nächste Abschnitt führt mich auf den Monte Penna. Es heißt, hier gewinne man „schnell“ an Höhe. Ich würde es so formulieren: "wer's schafft hochzukommen, hat viel an Höhe erreicht“, denn der Steig ist sehr steil. Aber es gibt natürlich einen Lohn für die Mühen: Ein wunderschöner Weg führt über einen langgezogenen Kamm mit schönen Ausblicken nach links und rechts auf die umliegenden bewaldeten Berge. Auch auf diesem Weg ist über viele Stunden kein Haus zu sehen und es sind keine Menschengeräusche zu hören. Die Ruhe trägt mich und die Anstrengungen der letzten Stunde sind wie weggeblasen. Leider weht, wie schon seit zwei Tagen, ein eiskalter Wind. An manchen Stellen liegt noch etwas Schnee der vergangenen Nacht.
Zauberhaft und mystisch
Dann, etwas überraschend, eine asphaltierte Straße. Die ist zu überqueren, lese ich. Und schon nach wenigen Metern trete ich in einen mystischen Wald ein. Es ist die schönste Passage, die ich auf dieser Reise erlebe.
Ich kann mich noch sosehr abmühen, keines meiner Handy-Fotos kann diesen Wald so wunderbar abbilden, wie er tatsächlich ist. Zwischen Buchen verteilt liegen erst kleine, dann immer größere Felsbrocken. Sie sind komplett mit Moos überwachsen. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie hier Franziskus von Assisi seinen Bezug zur Schöpfung gefunden hat. Wer Gelegenheit hat, sollte einmal den Weg durch diesen Wald zum Kloster nehmen. Ich garantiere: Man ist beeindruckt.
Der Pfad zwischen den mit Moos bewachsenen Felsen macht einen Bogen durch den Wald, da stehe ich unvermittelt vor einem gigantischen Felsen. Hoch droben thront das Kloster La Verna. Ich habe mein Ziel in der vorhergesagten Zeit erreicht, trotz vieler Verschnaufpausen. (Heute ist also der Wanderführer milde, auch mit den weniger gut trainierten Pilgerinnen, wie ich eine bin.) Oben angekommen, erst mal ein kurzer Blick übers Land, dann das Zimmer beziehen ... und welche Überraschung: Es gibt hier einen warmen Heizkörper. Endlich wieder ein warmes Zimmer.
Spiritueller Ort auf dem Felsen
Franziskaner versehen das Phänomen „La Verna“ mit dem Zusatz „ein Geschenk des Himmels“. Einmal durch die Anlage gelaufen, bin auch ich sehr angetan: Der weite Blick über die Ebene, die tief unter dem Felsen liegt. La Verna bietet aber noch mehr als die wunderbare Schöpfung Gottes. Auch die Werke aus menschlicher Hand sind beeindruckend: Die Basilika mit den glasierten Terrakotta-Tafeln. Der 78 Meter lange verglaste „Gang der Stigmata“, mit mehreren Kapellen. Am Ende die Kapelle der Wundmale und der Fels, auf dem sich die Stigmatisierung mit den Wundmalen zugetragen haben soll. Und nicht zuletzt der gespaltene Fels und die Grotte, in der Franziskus häufig betete.
Meine Euphorie ist nur kurz getrübt, als man vor mir den menschgewordenen Inhalt eines großen Ausflugsbusses entlangtreibt. Senioren aus Südtirol, so hört man. Die Gruppe Südtiroler löst sich aber schnell wieder auf und mit zunehmender Uhrzeit (die übrigens auch auf der Sonnenuhr an der Kirchenmauer zu sehen ist) sind auch plötzlich die Tagesbesucher wieder weg. Diejenigen, die ihre Nacht hier verbringen, sind Pilgerinnen und Pilger. Die anderen Gäste, so gewinnt man den Eindruck, suchen im Kloster Ruhe und Kontemplation.
Wer mehr über La Verna und Franziskus erfahren will, wird hier vielleicht fündig:
https://franziskaner.net/la-verna/