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Istanbul - ein bisschen Orient-Luft schnappen (14. Stop)

Veröffentlicht: 10.07.2021

Tja, wer hätte das gedacht? So wurden doch aus 10 geplanten Ländern 11, und ein Kontinent kam sogar auch noch dazu!
Die Hinfahrt verlief erstaunlich schnell und unkompliziert. Wir mussten zwar um 3 Uhr nachts einmal komplett durch den Zoll mit all' unseren Sachen, und auch tatsächlich mal unsere Impfpässe vorweisen, aber nach ca. 1 Stunde war das geschafft. Etwa um 6 Uhr kommen wir am großen internationalen Busbahnhof von Istanbul an und werden von Taxiangeboten überrannt. Da wir noch keine istanbul-card haben bleibt uns auch nichts anderes übrig und wir nehmen ein Taxi für 80 Lira, das uns zum Hostel bringen soll. Wir müssen gemeinsam mit dem Taxifahrer ziemlich lange nach dem Hostel suchen, da es außen keine Aufschrift hat. Wir rufen den Besitzer deshalb an, und er nimmt noch völlig verschlafen unser Gepäck entgegen. Da leider noch alle Zimmer belegt sind, können wir auch nicht auf Toilette gehen und müssen uns im Regen auf die Suche nach Frühstück und Klo machen. Zum Glück ist unser Hostel in der Nähe eines großen Platzes, auf dem unter anderem auch der Deutsche Brunnen steht. Hier haben wir freies Wifi, und wir können uns nach einer free walking tour erkunden. Die Tour startet um 11 - noch ca. 4 Stunden Zeit. Wir überbrücken die Zeit mit türkischem Tee, Simmet und Blog-schreiben und beobachten dabei besorgt das Wetter. Pünktlich um 10:45 Uhr hört der Regen auf und wir können halbwegs trocken die Tour beginnen. Wir haben mal wieder Glück, dass jemand anderes gebucht hat, denn sonst hätte die Tour garnicht stattgefunden. Wir sind diesmal zu viert und beginnen am deutschen Brunnen, an dem uns der Guide von der "deutsch-türkischen Freundschaft" erzählt. Er bezieht sich dabei auf den ersten Weltkrieg, in dem die Türkei mit Deutschland verbündet war. Er fügt gleich an, dass sie im zweiten Weltkrieg nicht mehr so dumm waren, und neutral geblieben sind. Einen besonderen Stellenwert in der Geschichte der Türkei hat Mustafa Kemal Atatürk. Nachdem er ab 1919 politische und militärische Widerstände gegen die Pläne der Siegermächte nach dem 1. Weltkrieg erfolgreich organisiert und geleitet hatte, rief er am 29. Oktober 1923 die Republik aus. Im Laufe seiner Amtszeit führte er tiefgreifende Reformen im politischen und gesellschaftlichen System durch, durch welche die Türkei zu einem modernen, säkularen und europäisch orientierten Staat werden sollte (Leitlinien des Kemalismus). Unter anderem wurde das Sultanat und die Scharia abgeschafft und die Koedukation eingeführt, wobei die Gleichstellung bis heute ein Problem darstellt. Rechtssysteme wurden aus verschiedenen europäischen Ländern übernommen. Jedoch ist seit der Machtübernahme der islamistischen Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) im Jahre 2002 eine Reislamisierung und ein Zurückdrängen des Kemalismus feststellbar.
Nach dieser kurzen geschichtlichen Einführung machen wir uns auf den Weg zur Hagia Sofia. Schon von weitem sieht sie sehr beeindruckend aus. Zum ersten mal müssen wir uns auch den Kopf bedecken. Es ist ziemlich viel los. Im Eingangsbereich macht uns der Guide auf die Darstellung von Maria und Jesus mit Kaiser Justinian und Kaiser Konstantin an den Wänden aufmerksam. Bevor wir den Hauptraum betreten, müssen wir auch unsere Schuhe ausziehen. Barfuß und mit Kopftuch in dieser riesigen Halle fühlen wir uns ganz schön klein. Wir sind beeindruckt. Wir machen es uns auf dem Teppich bequem und unser Guide erzählt uns etwas mehr über die Geschichte und den Aufbau der Hagia Sophia. Zuerst weist er uns aber darauf hin, dass er aus Vorsicht den Namen des Staatspräsidenten nicht nennen wird, sondern wir stattdessen das Synonym "tall man" verwenden. Dann können wir nämlich auch ein bisschen kritisch sein. Passend dazu erklärt er uns, dass seit letztem Jahr die Hagia Sophia wieder eine Moschee ist. Dies hatte vor allem politische Gründe, da zuvor der Rückhalt in der städtischen Bevölkerung gegenüber Erdogans stark zurückgegangen ist. Sie wurde 532-537 n. Chr. als byzantinische Kirche im damaligen Konstantinopel erbaut. Zur Zeit des osmanischen Reichs, etwa 1000 Jahre später, wurde sie als Moschee genutzt. Danach regte Atatürk 1934 an, sie in ein Museum umzuwandeln. Die Wände sind mit bunten Ornamenten verziert, oben an den Seiten sieht man die Schriftzüge von Allah, Mohammed und zwei seiner Neffenauf runden Tafeln (deutlich recht eilig hinzugefügt) und die Kronleuchter hängen sehr dicht über dem Kopf. Es gibt einen erhöhten Balkon, der wie ein goldener Käfig aussieht, auf dem der Sultan, geschützt vor der Menge, die Moschee besuchen konnte. Ein weiteres Kennzeichen ist ein kleines Türmchen, von dem aus der Imam am Freitag seine Predigten hält. Eigentlich sollten wir die Merkmale einer Moschee noch in der blauen Moschee bewundern, allerdings ist sie grade eine große Baustelle, weshalb wir die Nuruosmaniye-Moschee besuchen werden. Auf dem Weg dorthin suchen wir allerdings noch das Hostel eines unserer Begleiter - das Problem scheinen hier wohl mehr zu haben. Uns wird der Testi-Kebab empfohlen, eine anatolische Spezialität, bei der Fleisch und Gemüse (oder nur Gemüse) in einem Tontopf über dem Feuer gegart werden. Das müssen wir unbedingt probieren. In Nuruosmaniye angekommen, ist es unserem Guide noch sehr wichtig, dass wir über den Islam sprechen. Wir bekommen noch einmal eine Grundeinführung zu den 5 Säulen des Islams und dem Aufbau einer Moschee. Eine für ihn besonders wichtige Aussage aus dem Koran ist, dass vor Gott alle Menschen gleich sind (auch Imame und Politiker). Er bedauert, dass jedoch wenige Menschen den Koran selbst kennen und interpretieren, wie es für einen idividuellen Glauben wichtig wäre. In der Realität haben Familien einen starken Einfluss, auch die Politik, u.a. durch für Propaganda eingesetzte Imame. Auch in seiner Familie (Eltern und Schwiegereltern) meiden sie das Thema Glaube und Religion, da die Meinungen und Auffassungen zu unterschiedlich sind.
Wir verlassen die Moschee und betreten den Grand Bazaar of Istanbul. Er besteht aus einer großen Halle mit vielen Gänge, in denen sich toll verzierte Lampen neben turkish delight und Schmuck aneinanderreihen. Besonders beim Schmuck zeigen sich alte Traditionen: z.B. schenkt man sich zur Hochzeit eine Goldmünze, anlässlich einer Verlobung bekommt die Frau besondere Armreife geschenkt. An sich ist dieser Bazaar allerdings sehr von Touristen überlaufen, und wird von Einheimischen selten bis gar nicht benutzt. Uns gefallen vor allem die Deckenbögen der Halle und die Stimmung. Zum Abschluss der Tour führt uns der Guide in den Hof einer ehemaligen Schule, wo heute vor allem Shisha geraucht und Tee oder Kaffee getrunken wird. Wir entscheiden uns aufgrund des erneuten Regens dazu, auch einen türkischen Kaffee mit Pistazie zu probieren und noch ein bisschen mit den anderen beiden aus der Tour zu quatschen. Der Kaffee ist ungefähr so groß wie ein Espresso, ist ziemlich süß, schmeckt auch leicht nussig und besteht aus den Schichten Kaffeeschaum, Kaffee, Kaffeesatz. War ein Versuch wert, haben wir aber nicht nochmal getrunken.

Nachdem wir dann offiziell im Hotel eingecheckt haben, machen wir uns auf die Suche nach einem Automaten, an dem wir die Istanbul-Card bekommen. Eigentlich hatten wir es schon richtig gedacht, aber uns nicht getraut. Gott sei Dank ist in Istanbul so viel los, dass man immer jemanden findet, der einem gerne hilft. Dann haben wir uns für etwas ganz besonderes entschieden: nach dem Regen und dem wenigen Schlaf gönnen wir uns ein Hamam-Treatment im Cagaloglu, dem ältesten und wahrscheinlich auch teuersten Bad Istanbuls (wir hatten aufgrund der späten Stunde aber auch keine Auswahl mehr). Beim Hamam handelt es sich um ein Dampfbad, bei dem man nach einer Aufwärmphase vom Personal abgerieben, eingeseift und massiert wird. Danach fühlt sich unsere Haut ganz weich an, und wir wissen schon, dass wir bestimmt gut schlafen werden. Wir bekommen danach noch Tee, ein Glas Sherbet und zwei Stück Turkish Delight, was unseren Hunger aber nicht ganz zufriedenstellt. Also noch lecker Essen gehen!
Wir wollen ja auch noch unbedingt den Testi-Kebab probieren! Vorher teilen wir uns noch eine Meze-Platte mit unglaublich leckeren Aufstrichen und Oliven. Der Testi-Kebab wird im brenndenden Tonkrug gebracht und aufgeschlagen. Das Gemüse schmeckt fantastisch, es gibt Reis und Pommes dazu. Wir beide stellen fest, dass wir die vegane türkische Küche durchaus unterschätzt haben - fantastisch!!! Der Restaurantbesitzer freut sich sehr über unseren Besuch, weshalb er uns nicht nur durchgehend unterhält, sondern auch noch Wodka-O und Honigmelone ausgibt. Wir sind unglaublich voll und fragen uns, wie wir den Weg nach Hause schaffen sollen. Wir kommen wieder an der Hagia Sophia und der Blauen Moschee vorbei, die jetzt bunt angeleuchtet werden. Die Stadt ist immer noch sehr lebhaft, wir aber lassen uns ins Bett fallen und schlafen ziemlich gut bis zum nächsten Morgen.


Bevor unser Bus um Mitternacht wieder zurück nach Sofia geht, wollen wir einiges schaffen: einen Sultanspalast besichtigen, die Sülemaniye-Moschee anschauen, eine Bosporus-Bootstour machen, den Gewürzmarkt besuchen, türkisches Eis essen, shoppen gehen, zum asiatischen Teil der Stadt rüberfahren... auf jeden Fall viel zu viel für nur einen Tag. Wir entscheiden uns, mit dem Topkapi-Palast zu beginnen, obwohl er am Eingang noch teurer ist als gedacht. Wir finden, dass 20€ als Eintritt zu viel sind - naja, jetzt sind wir schon da. Man bekommt einen Audioguide, der einen durch die Parks und Räume sowie Ausstellungen begleitet. Die Anlage ist beeindruckend und weitläufig, wurde mehrere Jahrhunderte von den Sultanen und deren Familien bewohnt und war das Verwaltungszentrum des osmanischen Reichs. Auf über 69 Hektar wohnten bis zu 5000 Bewohner. Leider muss man für den Harem noch einmal extra Eintritt bezahlen, deshalb hören wir davon nur die Audioguidespuren an. Das hört sich auch nochmal unglaunlich interessant an - naja, vielleicht das nächste Mal. Besonders gefallen uns die Pavillions im letzten Hof, da sie sowohl innen als auch außen mit tollen bunten Mosaiken versehen sind. Interessant sind auch die Ausstellungen des Geschirrs und Küchenwerkzeugs (v.a. auch deren Größe). Wir verbringen tatsächlich über 3 Stunden auf dem Palastgelände - und brauchen darauf erstmal wieder einen Kek. Wir wollen eigentlich weiter zur Sülemaniye-Moschee, stoßen aber auf den Gewürzmarkt - und bleiben da auch erst mal eine Weile hängen. Besonders angetan haben es uns die bunt verzierten, handgefertigten Teller und Schüssel. Jede einzelne muss selbst entdeckt werden. Vielleicht haben wir dort auch ein bisschen Geld gelassen. Es ist schon vier Uhr, und wir laufen zur Galata-Brücke, von wo aus man die Boote zur Bosporus-Tour nehmen kann. Tickets vor Ort kosten nur 25 Lira (also nicht vorher schon was andrehen lassen!). Es ist noch ca. 45 Minuten Zeit bis zum nächsten Boot, also schnell noch hoch zur Sülemaniye-Moschee! Am meisten halten uns nicht vorhandene Fußgängerampeln auf, aber wir schaffen es in einger guten Zeit nach oben. Man hat von dort auch einen schönen Ausblick über die Stadt, den Bosporus und das goldene Horn. Auch diese Moschee ist riesig und hat einen schönen großen Innenhof. Der Innenraum ist heller als in der Hagia Sophia, wobei wir hier nur bis zum Gebetsraum eintreten dürfen. Wir erkennen sonst viele Elemente wieder, die uns in den anderen Moscheen erklärt wurden. Wir hetzen wieder zurück zu den Booten an der Galata-Bridge - daraus wird aber dann doch nichts, weil wir schon wieder nicht mehr genug türkische Lira haben. Upsi. Wir entscheiden uns deshalb, zu Fuß über die Brücke zu gehen, vorbei an vielen Fischrestaurants und kommen so nach Karaköy. Wir wollen nach Taksim, weil man dort in der Nähe wohl die Einheimischen beim Shoppen sieht. Zum Glück bekommen wir wieder Hilfe: wir sollen die Metro nehmen und eine Station fahren. Die Metro fährt komischerweise sowieso nur eine Station und ist eher eine Art Zahnradbahn, die steil nach oben führt. Verwirrt steigen wir wieder aus, sind aber tatsächlich in einer sehr belebten Fußgängerzone, in der ein Geschäft an das nächste gereiht ist. Wir kommen zu einem sehr beliebten Einkaufscenter, mit niedrigen Decken und schmalen Gängen, das auch eher an einen Markt oder Bazaar erinnert. Beim Eintritt müssen wir uns mit unserem Hess-Code registrieren (den man auch für die Istanbul-Card braucht und für jegliche Shoppingcenter oder ähnliches...In der Türkei weiß die Regierung, wo du dich aufhalten...). An unserer Hand wird auch unsere Temperatur gemessen. Gar nicht so leicht, sich in diesem Einkaufszentrum nicht zu verlaufen. Es gibt einfach zu viele verschiedene verwinkelte Gänge, dazu auch nur immer wieder Treppen. Wir merken, dass wir wohl alt werden, da die meisten Klamotten uns "zu jung" sind. Haha naja, wir finden trotzdem ein schönes langes Kleid und einen Jumpsuit, die wir mitnehmen und in Euro bezahlen können. Praktisch, so haben wir gleich noch ein bisschen Geld gewechselt.
Da wir noch nach Kadiköy wollen, machen wir uns auf den Weg zurück und nehmen eine Fähre, die man auch mit der Istanbul-card benutzt. Kadiköy wurde uns von unserem Guide der Free Walking Tour empfohlen, da dort Restaurants, Bars, Eis und die Stimmung am besten sein soll. Wir gehen durch die lauten, vollen Gassen, in denen man diesen Spirit auch wirklich spürt. In dem kleinen Imbiss, für den wir uns entscheiden, gibt es für uns etwas unglaublich leckeres aus Zucchini und Pilzen (wir wissen nicht genau, was es war, aber es war gut!) und einen Falafel Wrap. Die Küche hier ist bunt und vielfältig, wir lieben es! Leider läuft uns die Zeit davon, und wir müssen die U-Bahn wieder zurück nehmen, um noch rechtzeitig unser Gepäck zu holen, Simmit zu kaufen, und zum Busbahnhof zu kommen. Das gestaltet sich nochmal etwas schwieriger, da die Trams schon geschlossen haben. Wir müssen deshalb 35 Minuten durch die Stadt zu einer Bahnstation laufen, weshalb wir aber nochmal an tollen bemalten Häuserfassaden und einer türkischen Party vorbeikommen, auf der viel gute Laune herrscht und Musik gespielt wird. Der Zug zum Busbahnhof kostet dann umgerechnet ca. 50ct, dort endlich angekommen, ist wieder unglaublich viel los. Die meisten wollen raus aus der Stadt, in Richtung Strand. Viele steigen auch mit uns in den Bus zurück Richtung Bulgarien. Diesmal ist der Grenzübergang nachts von 3 bis 5 Uhr komplizierter, oder einfach nur zeitaufwendiger.
Wir sind unglaublich froh darüber, dass der Bus nach Skopje erst am Donnerstag gefahren ist, und wir dadurch DIESE Chance bekommen haben.
Istanbul war ein unglaublich schönes, gemischtes und buntes Erlebnis, dem wir mit diesem Blogeintrsg nicht ansatzweise gerecht werden können. Das muss man wohl erlebt haben.

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