Veröffentlicht: 10.01.2025
Für heute standen noch zwei interessante Touren auf meinem Plan. Zum Frühstück kaufte ich mir vom selben Bäcker wie gestern zwei Stücken Banitsa und stand 11:00 Uhr pünktlich vor dem Justizpalast. Dort startete der Guide von gestern - Slavyan - die jüdische Führung . Einiges zum Leben der Juden in Sofia wurde gestern schon angerissen. Da Slavyan selbst Jude war, versprach mir vieles interessantes von der Tour und wurde auch nicht enttäuscht.
Der sehr komplexen Entstehungsgeschichte der jüdischen Gesellschaft in Bulgarien konnte ich nicht ganz folgen. Andere Teilnehmer (viele jüdischer Abstammung) aber umso mehr: viele kritzelten in Notizblöcken eifrig mit und stellten komplexe Fragen. Für mich wurde es mit Beginn des zweiten Zweiten Weltkriegs interessant. Bulgarien versuchte, so lange wie möglich, neutral zu bleiben. Trat 1941 aber dennoch Nazi Deutschland und den Achsenmächten bei. Dadurch wurden sie verpflichtet, die bulgarischen Juden sowie die Juden der angrenzenden, belagerten Länder nach Deutschland zu deportieren. In Bulgarien, wo die jüdische Gemeinde über viele Jahre florierte, lebten zu der Zeit 50.000 Juden und in den belagerten Gebieten der umliegenden Länder etwa 12.000.
Angefangen wurde mit den 12.000 Juden des belagerten Umlands, die bis zum 29. März 1943 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort getötet wurden. Trotz Geheimhaltung wurde das bulgarische Volk aufmerksam und Volk und führende Politiker äußerten Schafe Kritik.
Als begonnen wurde die bulgarischen Juden für die Deportation in Züge zu bringen versammelten sich bulgarische Bürger um die Bahnhöfe und sprengten Gleise, sodass der Transport der 50.000 Juden nach Treblinka verhindert werden konnte. Die Regierung musste Hitler bitten, mehr Zeit zu bekommen.
Einige Wochen später wurden die Juden Bulgariens im Schutz der Nacht von Polizei auf den mit Stacheldrahtzaun geschützten Bahnhof gebracht und in Züge verladen. Anwohner, die das mitbekamen schlugen Alarm und eilig wurde der bulgarische Bischof Kyril informiert. Das Oberhaupt der Kirche hatte im Bulgarien des 20. Jahrhunderts ebenso viel Macht, wie das Regierungsoberhaupt. Er kam am Bahnhof an und versuchte den Polizisten zu befehlen, mit der Verladung zu stoppen. Da sich diese widersetzten versuchte er mitsamt seinen Anhängern das Leben abertausender Menschen gewaltvoll zu retten. Die Tat erreichte ihren Klimax, als die Bemühungen erfolglos zu bleiben schienen und dem Bischof eine letzte Sache übrig blieb. Er erklomm den Stacheldrahtzaun und rann auf die Gleise. Zu den Polizisten schrie er, wenn sie die Züge starten wollten, würden sie erst ihn umbringen müssen. Die Polizisten, deutlich eingeschüchtert von der Aktion des kirchlichen Staatsoberhauptes, waren nun gezwungen nachzugeben. Die Deportationen wurden vereitelt und schon bald kam es zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Somit war Bulgarien, das einzige Land unter Naziherrschaft, das keine Juden aus dem eigenen Land verloren hat.
Unser Guide Slavyan hatte während dieser Geschichte mit den Tränen zu kämpfen, da, wie er am Ende sagte, sein Großvater in dieser Nacht in einem der Züge war und auf seinen sicheren Tod wartete. Einzig dem Bischof Kyril und dem demonstrierenden Volk verdankte er sein Leben.
Auch die Lebensgeschichte von Slavyan war sehr interessant: Sein Opa, geprägt von der Gefahr, die damals für die Juden ausging, verheimlichte seine Religion seiner Tochter und später auch seinem Enkel Slavyan, in einem Versuch sie zu beschützen. Schließlich fasste er doch seinen Mut zusammen und erzählte den beiden seine Geschichte. Seit Slavyan in jungen Jahren davon erfuhr, besuchte er eine jüdische Schule und wollte alles über das Judentum lernen. Seitdem ist er stark in der jüdischen Gemeinschaft involviert: Er hat die jüdische Geschichte Bulgariens verfilmt, hat eine Organisation für bulgarische Juden gegründet und will die Geschichten dieser diese jüdische Gemeinschaft in die Welt hinaustragen, wie er es eindrucksvoll mit dieser Führung geschafft hat.
Nach dieser einprägsamen Führung bekam ich noch eine Möglichkeit, tiefer in die Kultur Bulgariens einzutauchen. Bei meiner folgenden Essenstour würden wir gemeinsam durch die Hauptstadt laufen und in kleinen Restaurants und Cafés Häppchen der bulgarischen Küche bekommen.
Im ersten Café waren liebevolle, kleine Desserts vorbereitet. Es gab ein Joghurt-Honig Dessert mit Kekskuchen und Holunderlimonade. Alles sehr einfache Kreationen, die aus der kommunistischen Ära stammten, wo nicht viele Zutaten vorhanden waren.
Der nächste Stopp war in einer sri-lankischen Gaststätte, die nur eine von vielen neuen exotischen Restaurants waren, die sich in Sofia ansiedelten. Sie stand symbolisch für ebendiese breite kulinarische Diversität. Dort gab es kleine Kichererbsenbrote mit einem Mangodip.
Bei einem Zwischenstopp im Rakija Museum gab es (für die meisten nicht nur ein Glas) Schnaps, der mir am Vortag schon nicht geschmeckt hatte. Glücklicherweise war der nächste Halt direkt um die Ecke. Dort konnte ich den Schnaps Geschmack durch einen frischen Hafermilchsmoothie Geschmack ersetzen.
Der vorletzte war an einer kleinen Imbissbude, die leckere Krapfen verkaufte. Die Tour endete in einem typisch bulgarischen Restaurant ähnlich dem, in dem wir am Vortag waren. Dort gab es kleine Weinproben und Brot mit verschiedenen Aufstrichen. Die Tour rundete meinen Aufenthalt in Bulgarien gut ab und ich konnte gut gestärkt meine Zugreise nach Istanbul antreten.