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Sozial, Praktisch, Risikobereit

Veröffentlicht: 31.03.2019

Heute ist Samstag, der 30.03.2019. Wir hatten auf jeden Fall bisher einen perfekten Samstag: Frühstück, Marktbesuch, Lindy Hop Event und jetzt Nachmittagskaffee. Das ganze hätte in dieser Reihenfolge auch in Hannover stattfinden können. Aber dann hätten wir sicher nicht auf einem Parkplatz gefrühstückt, auf dem Maori-Pazifik-Markt in Oatara Obst gekauft und auch nicht mit Neuseeländern im Cornwell Park Lindy getanzt! 😉 Ich sitze mit einen Camper-Kaffee (=selbstgemachter Latte = Kaffeekunst, wie eine Neuseeländerin mir letztens versicherte) auf den Wiesen vor dem Auckland Museum und denke, jetzt könnte ich mal meine Eindrücke zur hiesigen "Gesellschaft" für Euch aufschreiben. Das wollte ich schon länger machen, weil mich die Neuseeländer beeindrucken. Aber vorweg gesagt: man möge beim Lesen bedenken, dass das alles nur ein 8-Wochen Touristenblasen-Einblick ist. 

Auch als häufiger Inselbesucher (Grüße nach Ameland) hatte ich mir vorher keine Gedanken darüber gemacht, welche Auswirkung so ein Insel-Dasein auf eine Bevölkerung hat: Man kann z. B. zumindest versuchen, zu kontrollieren und zu steuern, was ins Land rein und wieder raus kommt und bleibt auch in gewisser Weise doch für sich. Die Neuseeländer machen das exzessiv mit ihrer Pest-Control und versuchen damit sowohl ihre (wilde) Tierpopulation zu steuern als auch zu Reinheit von Gewässern zu sorgen. Uns hat das ganze z. B. mind. 30min am Flughafen gekostet, weil man unser Zelt eingehend nach Schädlingen untersucht hat. Auf jedem Wanderweg wird man zum Säubern der Schuhe aufgefordert, an der Fähre darüber aufgeklärt, wie man bei einem Wechsel der Wasserwege agiert.
Man muss also auf sein Land aufpassen, denn man kann ja nicht so schnell weg.😉 Es war mir auch bisher nicht bewusst, dass Europäer darum beneidet werden, dass wir vermeintlich schnell über Landesgrenzen hüpfen können: Von London zum Frühstück nach Paris und dann zum Abendessen in Rom... (Das Thema der persönlichen Ökobilanz habe ich mich im Zuge dieses Gespräches als diesjährige Viel- und Langstreckenflieger nicht anzusprechen getraut! 😉) 

Ebenso hatte ich vor Abflug nicht darüber nachgedacht, dass die Neuseeländer ein wirklich kleines Volk sind. 4,8 Mio... Das ist wie Berlin plus zwei Mal Hannover! Auf zwei Inseln verteilt. Da hat man A) mehr Platz und muss trotzdem B) gut miteinander auskommen. Und das machen sie ganz  hervorragend, wie ich finde. Daher meine Bewunderung für dieses Volk.
Woran mache ich das fest? 
Freiwilligenarbeit: Ich habe den Eindruck, dass es selbstverständlich ist, sich in irgendeinem Rahmen freiwillig zu engagieren: Essen für Senioren ausfahren, in der kleinen Stadtteil-Bibliothek mitarbeiten, auf die Pinguinbucht aufpassen, einen Campingplatz betreuen, Decken für das Waisenhaus stricken... Und das machen nicht nur die Blockflöten-Gesichter, wie man bei uns oft den Eindruck hat, wenn man z. B. so eine Mannschaft vom DRK anguckt (das war jetzt ein bisschen böse, ich finde es gut, wenn man sich da engagiert!), sondern das Engagement geht durch alle Bevölkerungsschichten. Arbeit hat keinen so hohen Stellenwert, man definiert sich nicht so sehr über das, womit man sein Geld verdient. Und hat man genug, ist es völlig ok, mit seinem Camper durch die Gegend zu reisen. Es gibt viele kleine Projekte, die auf dem Engagement einzelner oder kleiner Gruppen oder nachbarschaftlichen Organisationen beruhen wie urban gardening, food festivals, Büchertauschstationen,... Das macht Vieles persöner und bunter. 

Kinder: Auch wenn ich das Schulsystem noch nicht so ganz Blicke und die Schuluniformen für Mädels echt unmöglich finde, Kinder haben einen hohen Stellenwert. Es gibt überall tolle, gepflegte, kreative Spielplätze, ausufernde Sportanlagen, Pipes und Rampen für Roller und Skater, Obst für Kinder 'for free' im Supermarkt, Baggys, die man sich in den großen Malls nehmen kann, wenn die Kleinen nicht mehr so können und bestimmt noch Vieles mehr, was uns als ohne-Kinder-Reisende nicht aufgefallen ist.


Als Fan der Gastronomie muss ich natürlich auch die Vorzüge der neuseeländischen erwähnen! Auch in der "Esskultur" zeigt sich Gesellschaft, oder!? Ok, das Essen an sich ist meist nicht so besonders erwähnenswert. Wenn man es süß oder fettig mag, kommt man ganz gut auf seine Kosten.😉 Für 'gesund' hält man sich hier eher an die Asiaten oder hofft auf ein hippes Café. Aber die Orga gefällt mir! Es gibt z. B. überall, ganz selbstverständlich, kostenloses Wasser!!! Zum selbernehmen, auf den Tisch gestellt, außerhalb der Gastronomie in der Stadt an Trinkbrunnen... Und es gibt kein Trinkgeld! Die Bedienungen sind einfach so nett, sie verdienen ok, man muss am Ende nicht hin und her überlegen, man geht einfach zum Tresen und zahlt! Entspannt! Sie sind selbst total dagegen, dass Trinkgelder eingeführt werden. 
Schnell oder besser früh Sein, muss man beim Kaffee trinken. Diese schließen meist schon um 16h. Warum sie besonders gern an Gartenmärkte angeschlossen sind, hat sich mir noch nicht erschlossen! Und wenn man so früh Kaffee getrunken hat, kann man auch früh Abend essen! Sehr sympathisch! Nix mit knurrendem Magen bis 21h wie im mediterranen oder südamerikanischen Raum! "Tea" gibt es als Abendessen auch gern schon um 18h.
Beim Thema Essen kann ich noch die Lebensmittelpreise besprechen! Lebensmittel kosten hier richtig was. Aber bis auf die Preise von Bier und Wein (das habe ich noch nicht verstanden, warum man da die einheimischen Produkte so teuer macht), finde ich das eigentlich ok. Bei uns in Deutschland sind Lebensmittel viel zu billig. Und das hat viele böse Folgen, wie wir alle wissen. Besonders gute Neuseeland typische Lebensmittel: es gibt überall gutes Müsli, die Neuseeländer scheinen auch ein Volk der Müsli-esser zu sein! Es gibt wirklich leckere Schokolade in tollen Sorten! Noch wirklich gutes Fleisch! Fisch und Muscheln! Viele Supermärkte haben eine tolle Nusstheke! Yummy! 😋
In den Innenstädten, am Hafen, an großen Plätzen gibt es übrigens überall alcohol-ban-aereas. Es darf dort 24h/7 Tage die Woche außerhalb von Restaurants kein Alkohol getrunken werden, was diese Zonen zu sehr angenehmen Orten macht. 

Sehr sympathisch finde ich auch den Sinn der Neuseeländer fürs Praktische! Ich glaube, die Weltmeister in Sachen Müllvermeidung und Recycling sind sie noch nicht, das wirkt alles noch etwas umständlich, aber ich habe noch nie so viele second-hand-Läden, OP-Shops (GebrauchtwarenLäden für ausrangierten Haushaltsbedarf, wie bei uns die Fair-Kaufhäuser) oder Bücherverkäufe/Verschenk- oder Tauschregale gesehen. 

Meine These und damit zurück zu meiner kleinen Gesellschaftsanalyse: Eigentlich glaube ich, dass die Neuseeländer ein Volk von Sozialpädagogen sind: Sie kommen gerne gut miteinander aus. Sie stellen viele Regeln und Vorschriften auf, sorgen auch dafür, dass man sich daran hält. Sie tun dies aber auch oft mit einer Prise Humor. Sie engagieren sich für die Gemeinschaft. Sie verstehen sich auch als eine solche und übernehmen Verantwortung! Welcher deutsche Urlauber würde auf einem Campingplatz an der Ostsee tagsüber einfach so Müll sammeln gehen, damit der Platz schön sauber bleibt!?
In der Zeitung stand am letzten Wochenende ein Artikel über einen jungen Mann, der seinen Kumpel betrunken am Hafen zurück gelassen hatte. Die Polizei rief dazu auf, dass wir doch mehr auf unsere Freunde achten sollten!
Die Neuseeländer haben dabei eine spannende Mischung aus Übervorsicht und hoher Risikobereitschaft. Sie erklären einfache Wanderwege zu super gefährlichen Zonen mit 'multiple hazards' und richten aber lustige Sprungtürme und - Bretter direkt am Hafenbecken ein oder vergessen auch da und dort mal ein Geländer oder eine Balustrade vor einem Abgrund.
Diese Mischung findet sich auch bei der Gewohnheit überall Barfuss zu gehen! Ich habe noch nirgendwo so viele Kinder und Erwachsene gesehen, die überall Barfuss unterwegs sind: auf der Straße, im Supermarkt, in der Kneipe... Ob das so gesund ist, weiß ich nicht. Aber sie gleichen es bestimmt mit ihrem Jogging-Wahn wieder aus. Morgens vor der Arbeit, in der Mittagspause, zum Feierabend... noch nie habe ich zu allen Zeiten so viele joggende Menschen gesehen! Auch das scheint ein Teil der neuseeländischen Kultur zu sein. Man macht das auch nicht unbedingt allein. In Auckland haben wir gelernt, würde der erste Joggingclub der Welt gegründet! 
Zum Thema "Praktisch und gut organisiert" wiederhole ich mich, wenn ich von der Versorgung mit sauberen, kostenlosen Toiletten im ganzen Land schwärme. Und frage mich, was eine Neuseeländer als Reisender in Europa wohl denkt, wenn er bei uns in einer Stadt auf ein öffentliches Klo muss oder an einer Tankstelle 70cent im Wertebon dafür anlegen.
Aprospros Klo: der Kaffee! 😉 ch mache mal Schluß für heute und besuche das Klo nebenan! 

Halt, aber was ich unbedingt noch schnell erwähnen muss, weil es mich auch beeindruckt hat und es vielleicht die Haltung von vielen Neuseeländern nochmal ganz gut zusammen fasst: Neuseeland hat syrische Flüchtlinge aufgenommen! Auf Druck der Bevölkerung, die sich verantwortlich gefühlt haben und sich engagieren wollten. Man konnte sich dann bewerben, sie haben Fluchtgründe und persönliche Hintergründe genau beleuchtet und dann 600 Menschen aufgenommen. Mit einem guten Integrationsprogramm! 
Mindestens 2 von ihnen sind vor 15 Tagen in Christchurch ermordet worden. "Ihr hättet hier sicher sein müssen" - lautete als Reaktion ein vielzitierter Satz aus der Bevölkerung. Aber dazu mehr im nächsten Beitrag! 

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