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Unbreakable

Veröffentlicht: 01.04.2019

Jetzt ist es schon mehr als 2 Wochen her, dass in Christchurch 50 Menschen ermordet wurden. Ich habe in diesen letzten 18 Tagen immer mal wieder überlegt, ob ich einen Beitrag dazu im Blog schreiben möchte. Zu Beginn, als uns viele Nachfragen hier erreichten, hatte ich viel zu wenig Ahnung, auch um eine sinnvolle Einordnung der Ereignisse herzustellen und Wiederzugeben, was hier passiert. Wir sind ja hier doch in einer Touristenblase unterwegs.
Wir haben am 15.03. das Tongariro Crossing gemacht, die 20km lange Vulkanüberquerung, waren daher komplett offline und haben nix vom Anschlag mitbekommen. Erst als uns die erste Nachfrage aus Deutschland erreichte, habe ich angefangen im Internet zu lesen. Nun haben wir mit Neuseeländern gesprochen, Zeitung gelesen, im Netz neuseeländische Beiträge und auch deutsche. (Wer sich mehr interessiert, dem sei der Spiegel empfohlen).
Nun kann man als Europäer (nach Schweden, London oder Paris) oder mittlerweile sogar als Deutscher (der Breitscheidtplatz wurde ja auch gleich mit Christchurch in Verbindung gebracht) schon abgeklärt sagen, dass man "Terrorerfahren" ist, mit Anschlägen rechnet... Regierung, Polizei, Krankenhäuser bei uns vorbereitet sind. Und man kann es naiv finden (oder sympathisch?), dass man hier nicht so abgeklärt-vorbereitet war.
Aber für mich hatte dieser Massenmord (den Begriff übernehme ich von Sascha Lobo, weil ich finde, dass einzig diese Bezeichnung zutrifft) eine neue Dimension durch die live-Schaltung auf facebook. Und die Erfahrung zu machen, wie hier viele der Neuseeländer einzeln, als Gesellschaft und wie die Politik darauf reagiert, ist für uns als Reisende besonders. Wir können als Deutsche und Europäer davon lernen.
Die Einordnung und Interpretation der Tat, des Vorgehens und Absichten des Täters überlasse ich doch versierteren Personen. Da kann ich nochmal auf den Spiegel verweisen: z. B. www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sein-attentat-im-netz-bewarb-a-1258272-amp.html
Was ich aber als Reaktion auf diesen Massenmord und im gesellschaftlichen Umgang damit aus dem Artikel hervorzuheben möchte, ist folgender Aufruf:
- alles vermeiden, was die Erzählung "Wir (Weiße) gegen die (alle Muslime)" unterstützt;
- nicht die Videoaufnahme der Tat verbreiten;
- nicht den Schock als Einzeltat einsortieren und kommunizieren, sondern als Ergebnis einer gefährlich weit verbreiteten Ideologie
- nicht den Namen und das Foto des rassistischen Massenmörders leichtfertig verbreiten
Und ich finde genau das machen die Neuseeländer bravourös. Der Name des Täters kursierte nur am Tag, als alle noch gar nicht wussten, was passiert und auch noch von 4 Festnahmen die Rede war, im Netz. Jetzt nimmt ihn keiner mehr in den Mund. Klar bezeichnen Leute ihn hier auch als Irren oder Verrückten und der Wunsch dahinter, dass nur Menschen mit einer kranken Psyche als Einzeltäter zu einer solchen Tat fähig sein mögen, ist ja durch aus nachvollziehbar. Aber es bleibt auch ein Wunschdenken und so war hier auch immer wieder Widerspruch gegen die Theorie der Tat eines einzelnen Irren zu hören und die Einforderung einer durchdachten und ruhigen Justiz. Und eine derartige Betroffenheit und Verurteilung der Tat, wie ich sie in Deutschland noch nicht wahrgenommen habe. In New Plymouth an der Strandpromenade stoppte ein paar Tage nach der Tat ein junger Mann mit seinem Rad vor uns. Er wollte sich bei uns bedanken, dass wir sein Land besuchen und trotz des Anschläge geblieben sind. (Ein Inder übrigens, seit 10 Jahren in Neuseeland). Er sei Krankenpfleger und habe sofort seinen Rucksack gepackt, als er von Christchurch hörte und wollte hinfahren um zu helfen. Als klar war, dass die Krankenhäuser mit den Verletzten klar kommen, hat er sich überlegt, fährt er durch die Stadt und spricht Leute an. Um seine Betroffenheit auszudrücken, um deutlich zu machen, für ihn gibt es dieses Wir gegen Sie nicht, um im Gespräch miteinander zu bleiben.
Nachdem die Premierministerin es vorgemacht hat, trugen viele Frauen hier als Zeichen der Solidarität Kopftuch. Überall gibt es weitere Zeichen der Trauer und der Solidarität. Kondolenzbücher liegen in Stadtbibliotheken aus, Supermärkte bekunden ihr Mitgefühl in Aushängen und Leuchtreklame ("Christchurch-we are with you"), es gibt ganze Kondolenzwände, GedenkOrte für Blumen, Kuscheltiere und Plakate... Und immer wieder ein "Ihr hättet hier sicher sein müssen".
Es gab Kundgebungen, Gedenkfeiern, Schweigeminuten. Menschen haben freiwillig ihre Waffen abgegeben (300 Personen!).
Und die Politik hatte schnell reagiert, die Waffengesetze wurden verschärft, die Türkei mit ihren wüsten Forderungen in die Schranken verwiesen.
Sicher, es gibt Rassismus hier und rechte Bewegungen, wohl insbesondere in Christchurch. Aber jetzt nicht mit Rache-Ansinnen (wie Herr Erdogan), mit Verschärfung aller Sicherheitsvorkehrungen für alle Moscheen (wie in Deutschland) , mit der kritischen Suche nach Fehlern und Schild (auch sehr deutsch😉) zu reagieren, sondern mit einer Betonung von Gemeinschaft und von gemeinsamen Werten, das finde ich großartig! "We are brokenhearted, but we are not broken. We are alive. We are together." wird der Imam einer der beiden betroffenen Moscheen zitiert.  

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