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Sucre

Veröffentlicht: 11.09.2024

Nach den Strapazen der vorangegangenen Tage (Schlaflosigkeit, Höhe, Kälte etc.) wurde der ursprüngliche Plan, sich die Minen in Potosi anzusehen, gecancelt und die amerikanisch-deutsch-australische Reisegruppe setzte sich in Richtung der Hauptstadt Boliviens in Bewegung, um etwas Energie zu tanken und einfach mal nichts Aufregendes zu unternehmen. Alle zuvor auf der Reise getroffenen Personen berichteten von einer äußerst entspannten, aufgeräumten und unaufgeregten Stadt und das war nach den letzten Tagen eine verlockende Alternative zu neuen aufregenden Aktivitäten. Per Nachtbus wurden die knapp 360 km auf schlechten Straßen zurück gelegt und in den frühen Morgenstunden erreichten wir Sucre und unser komfortables Apartment in der Innenstadt, welches wir uns für ein paar Tage als kleines Boni gegönnt hatten. Am ersten Tag wurde die Innenstadt ganz kurz inspiziert und für entspannt empfunden bevor ich direkt in eine Bar am Hauptplatz spazierte, um das Ausscheiden der Nationalmannschaft gegen Spanien anzuschauen – jo das war dann wohl nix. Glücklicherweise sollte dies aber das einzige Ärgernis des Tages bleiben, denn bei strahlendem Sonnenschein und durchaus sommerlichen Temperaturen genossen wir den Rest des Tages bei Bierchen und freuten uns auf ein paar entspannte Tage. Als konstitutionelle Hauptstadt Boliviens bietet Sucre eine faszinierende Mischung aus Geschichte, Kultur und kolonialer Architektur, die es zu einem äußerst charmanten Örtchen macht. Bei all dem wirkt die Stadt allerdings sehr entspannt und eher wie eine Oase der Ruhe und die Berichte, die wir vorab von Reisenden bekamen, deckten sich 1:1 mit unseren Eindrücken vor Ort. Auch ist der Abstieg auf angenehme 2.800 m ein äußerst angenehmer Nebeneffekt und man fühlt sich direkt vitaler und voller neuer Energie.

Plaza de la Libertad

In den insgesamt 5 Tagen, die wir hier verbrachten verschafften wir uns einen bleibenden Eindruck dieser schönen kolonialen Oase und auf einer Free Walking Tour gab es allerhand sehr interessante Infos über die Stadt und das Land Bolivien. 1809 startete hier die erste Bewegung, angeführt von Studenten, die sich gegen die spanischen Kolonialherren richtete und anfangs äußerst blutig niedergeschlagen wurde. Insgesamt 16 Jahre dauerte der Unabhängigkeitskrieg, der Längste im Übrigen in ganz Südamerika und an dessen Ende wurde der Name der Stadt „Ciudad de la Plata“ - die Stadt des Silbers, den die Spanier ihr gegeben hatten, in Sucre umbenannt. Der Name geht auf Antonio Jose de Sucre zurück, einen der führenden Militärs und politischen Persönlichkeiten in den südamerikanischen Unabhängigkeitskriegen. Sucre war ein enger Vertrauter von Simon Bolivar und trug entscheidend zur Unabhängigkeit mehrerer südamerikanischer Länder bei, darunter eben auch Bolivien. Nach dem Ende der Revolution 1825 und der erfolgreichen Unabhängigkeit von Spanien war Sucre die erste Hauptstadt Boliviens und bleibt das auch bis zum heutigen Tage. Auf Grund der bewegten Geschichte wird Sucre auch als Wiege der Unabhängigkeit bezeichnet.

Im Übrigen geht auch ein Teil der Farbgebung der bolivianischen Nationalflagge auf die Revolution zurück. Rot – Gelb – Grün: Rot steht für das vergossene Blut während der Revolution (und diese war, wie bereits kurz beschrieben, äußerst blutig), Gelb steht für die Mineralien und Bodenschätze des Landes und Grün für den tropischen Regenwald. Ungefähr 50% des Landes sind von tropischem Regenwald bedeckt.

Landes- und Stadtwappen mit Schutzheiligen

Zurück zum Stadtbild Sucres: Beim Umherstiefeln im Stadtzentrum schweifen die Blicke über zahlreiche sehr gut erhaltene Gebäude im kolonialen Stil, wirklich wunderschöne Gebäude, die Meisten dieser Schönheiten sind in strahlendem Weiß gehalten, weswegen Sucre auch oft die weiße Stadt genannt wird. Zu den Highlights gehören sicherlich die Universidad San Francisco, 1624 gegründet und eine der ältesten Universitäten Südamerikas und das Wahrzeichen der Stadt, die Kathedrale von Sucre, ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert. Diese wurde nicht nur von unten sondern auch von innen und oben besichtigt. Der Ausblick von dort oben ist atemberaubend – man kann die gesamte Stadt überblicken, und umrahmt von den umliegenden Hügeln kann man Geschichte und Gegenwart der Stadt förmlich spüren.

Während unseres Aufenthaltes hatten wir das Glück, dass an einem Sonntag die gesamte Innenstadt – und diese ist riesig – für den Autoverkehr gesperrt war. Das geschieht wohl nur 2 mal im Jahr und das Zentrum verwandelt sich in einen riesigen Freiluftmarkt mit allerlei Entertainment, Shows, Kulinarik und einem herrlichen südamerikanischen Chaos. Beste Rahmenbedingungen um die Schönheit von Sucre ganz ohne Verkehrslärm und Blechkarawanen auf sich wirken zu lassen.

Autofreier Sonntag

Spaziert man ein Stück weg von der Innenstadt, erreicht man nach einem angenehmen Fußmarsch den Berg hinauf am Rande der Stadt oben auf dem Hügel das Kloster La Recoleta inklusive einem herrlichen Panoramablick. Es wurde im 17. Jahrhundert von Franziskanermönchen gegründet und ist von einem wunderschönen Garten umgeben, der mit seinen schattigen Bäumen eine angenehme Ruhe ausstrahlt.

Von hier oben sieht man auch die 2 Cerros (Hügel), die die zwei Schutzheiligen Sucres symbolisieren und auch im Stadtwappen von Sucre abgebildet sind: Der Cerro de Recoleta welcher im Wappen mit einem Schwert und einem Buch als San Francisco de Asis dargestellt ist und der Cerro de la Candelaria, dargestellt als Jungfrau mit Kerze (Senora de la Candelaria). Beide Hügel symbolisieren Schutzkraft und Fürsorge über die Stadt und sind wichtige Symbole für die Identität Sucres.

In der Umgebung von Recoleta befindet sich auch der Gründungskern und älteste Teil der Stadt. Beim Erkunden fallen die Torbögen über den Gassen auf, die mit Katzen verziert sind. Ebenfalls haben die Gassen die Namen der Katzen in verschiedenen Farben. So richtig erklären konnte mir den Ursprung keiner der Einwohner. Nach tieferer Recherche repräsentieren die Katzen wohl verschiedene gesellschaftliche Klassen und Merkmale, die in der Vergangenheit eine Rolle spielten. Die Tradition geht auf die koloniale Zeit zurück in der das Leben stark durch soziale Hierarchien geprägt war. Die schwarzen Katzen symbolisieren das einfache Leben und die soziale Unterschicht, die weißen Katzen stehen für das gebildete Bürgertum oder die Mittelschicht. Die gelben Katzen repräsentieren das oberste soziale Milieu bzw. die wohlhabenden Klassen. Die nach den Katzen benannten Gassen reflektieren die soziale Struktur der Stadt zur Kolonialzeit und zeigen wie Kunst und Kultur in Sucre tief mit der Stadtgeschichte verwoben sind.

Zum Abschluss des Aufenthaltes wollten wir nochmal etwas Subkultur in Bolivien schnuppern und wir entschieden uns für den Besuch eines Nachtclubs. Im Buho-Club (dem spanischen Wort für Eule) wurde zu Cumbia und Reggaeton getanzt. Also zumindest die Einheimischen. Gringos scheinen sich nicht allzu oft in diese Lokalität zu verirren. Wir fielen auf wie bunte Hunde und das einheimische Publikum war äußerst interessiert an uns. Umringt von einer von allen Seiten auf einen einredende Menschentraube kam ich mir eher wie ein Celebrity vor und nicht wie ein normaler Clubbesucher. Echt witzige und nach einiger Zeit auch etwas anstrengende Angelegenheit. Die Leute waren aber ausnahmslos äußerst nett und entspannt und einfach nur a den fremden Besuchern interessiert. Keine Ahnung wie oft ich meine Telefonnummer oder meinen Instagram-Account an diesem Abend weitergeben durfte – als Gegenleistung gab es allerhand Getränke in die Hand gedrückt und schließlich ging es etwas beschwippst ins Bett. Lustig und interessant. Und auch wenn ein Clubbesuch in Bolivien sicher nicht mit dem in Deutschland vergleichbar ist, so eint die Menschen doch der Drang, am Wochenende auch einfach mal die Sau rauszulassen.

In Sucre wurde ich allerdings auch das erste Mal mit der extremen Armut im Land konfrontiert, jede Menge Kinder und ältere Menschen, die in der Stadt Süßigkeiten verkaufen und betteln. Das ist schon teilweise echt herzzerreißend und ich weiß nicht, was mehr unter die Haut geht: 10-jährige Kids, die mitten in der Nacht Kaugummis verkaufen, anstatt sich im Bett für den Schultag zu erholen oder 75-jährige Frauen, die nach Essen betteln und wahrscheinlich ihr ganzes Leben hart gearbeitet und bestimmt allerhand interessanter Geschichten zu erzählen haben. Puh – harter Tobak. Wenn man bedenkt, dass nur ca. 15 % der arbeitenden Bevölkerung offizielle Arbeitsverträge haben, kann man sich in ungefähr vorstellen, wie die Situation dann im Alter aussieht. Auf jeden Fall auffällig, die Anzahl der älteren Menschen, die sich hier tagtäglich irgendwie über Wasser halten müssen. Anstrengend und traurig zugleich aber wenn man sich solche Länder als Reiseziel heraus sucht, gehört das leider mit dazu. Und man kann unmöglich jedem dieser Menschen helfen auch wenn man dies vielleicht gern würde.

So genug von Sucre – und trotz der erwähnten auch traurigen Begleitumstände: die Vorschusslorbeeren waren absolut verdient, die Zeit hier äußerst entspannt und ich behaupte, dass die Stadt wohl eine der schönsten Städte ist, die ich bislang in Südamerika besucht habe. Sollte man in der Nähe sein – ein absoluter Pflichtbesuch! 

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