DoHaRad‘nRoll
DoHaRad‘nRoll
vakantio.de/doharadnroll

Subotica - Szeged - Jimbolia

Veröffentlicht: 01.06.2023

ICT-Tag 4: Bezdan (SRB) - Subotica (SRB) 100 km

Auch wenn Start- und Zielort der heutigen Etappe in Serbien liegen, verbringen wir fast den ganzen Tag in Ungarn. Lediglich die 10 km am Morgen bis zur serbisch-ungarischen Grenze wie auch die 12 km von der Grenze nach Subotica gehen über serbisches Gebiet. Nun ja, die Grenzen - wir Glücklichen kennen das nicht mehr, nicht einmal annähernd im Nicht-EU-Land Schweiz. Am serbischen Kontrollposten fahren wir mit unseren Rädern an der wartenden Autokolonne vorbei zur Grenzstation, wo unsere Ausweise kontrolliert werden. Dann die wenigen hundert Meter zur ungarischen Seite, wo einen schon die mächtigen Grenzzäune rechts und links einschüchtern. Wir warten hinter einem Wiener Fahrzeug, das vollständig durchsucht wird. Der Zöllner fragt immer wieder nach Alkohol oder Zigaretten. Auch uns stellt man diese Frage und lässt jeden von uns eine Gepäcktasche ganz ausräumen. Dominique muss angesichts der Prozedur lachen, zum Glück fühlt sich der Zöllner dadurch nicht getroffen. Wir dürfen also alles wieder einpacken und nach Ungarn einreisen. Es geht auf einsamer Straße gen Norden, und als wir uns östlich Richtung Gara wenden, begegnet uns niemand mehr. Fast „finnische“ Verhältnisse: die Straße schnurgerade und an der nächsten Abbiegung das gleiche Bild. Der nächste Ort kommt hier schon nach 15 bis 20 km, nicht erst nach 50, und erstreckt sich über mehrere Kilometer. Wir kommen durch Gara, wo ein Gedenkstein an die Verschleppung der Ungarndeutschen durch die Russen erinnert. 1944 wurden rund 300 Ungarndeutsche zur Grubenarbeit nach Russland verschleppt, nur ein Teil kehrte 1947 nach Gara zurück, um dann gleich nach Deutschland zu fliehen. Denn die, die nicht verschleppt worden waren, hatten sich im Oktober 1944 entschieden, ihre Heimat zu verlassen und unter großen Entbehrungen nach Deutschland zu fliehen. Einige Kilometer weiter, die durch Getreide- und Rapsfelder führen, machen wir Halt in Bácsálmas, einem größeren Ort, in dem sich nach der Vertreibung der Türken die katholische Volksgruppe der Bunjewatzen niedergelassen hat. Später wurden von den Habsburgern die Donauschwaben angesiedelt, die bis zum Ende des II. Weltkriegs mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in Almanchi stellten. Ein Backnang-Gedenkbrunnen erinnert an die Vertreibung der Ungarndeutschen 1945. Schon 1959 hatte der Gemeinderat der Stadt Backnang beschlossen, die Patenschaft für die etwa 6.000 Ungarndeutschen zu übernehmen, die bis zu den Ereignissen des Jahres 1945 in der ungarischen Gemeinde Bácsalmás gelebt haben.Unverändert geht es weiter durch menschenleeres Gebiet, in dem es nun hin und wieder auch Weinfelder gibt. Für kurze Zeit ziehen wir Regenkleidung an, um uns vor dem täglichen Gewitter zu schützen. An der nächsten Abbiegung geht es Richtung Süden, zunächst über die Grenze nach Serbien, die in unserer Richtung problemlos verläuft - in der Gegenrichtung hat sich eine mehrere Kilometer lange Schlange gebildet. Subotica als fünftgrößte Stadt Serbiens mit mehr als 100.000 Einwohnern pulsiert. Die meisten Gebäude sind im Jugendstil gebaut, besonders beeindruckend das große Rathaus. Hier wurde 1955 der Film „Ich denke oft an Piroschka“ mit Lieselotte Pulver und Gunnar Möller. Von Subotica floh der damalige Trainer der Junioren-Nationalmannschaft der DDR, Jörg Berger, zunächst bis Belgrad, wo er in der deutschen Botschaft einen auf den Namen Gerd Prenzel gefälschten Pass bekam. Mit dem „Orient-Express“ ging es weiter nach Frankfurt. Der jugoslawische Zöllner an der Grenze kontrollierte den Pass, schaute dem jungen Mann fest in die Augen und sagte: „Nun viel Glück im Westen, Herr Berger.“

ICT-Tag 5: Subotica - Szeged 55 km

Unsere heutige Etappe ist kurz und wieder flach. Wir wollen bald in Szeged sein, um genügend Zeit für die Besichtigung der Stadt zu haben, immerhin der drittgrößten Stadt Ungarns. Am Morgen, nach 25 km, steht wieder der Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn an. Wir fahren mit unseren Rädern an der Autoschlange vorbei zur Grenzstation und sind nach einem Plausch mit dem Zöllner, einem Blick auf die Angst machenden, massiven Grenzzäune und der obligatorischen Kontrolle der Ausweise bald zurück auf den einsamen Straßen im Südosten Ungarns. Wie schon die letzten Tage durchfahren wir menschenleere Gegenden, vorbei an Getreide- und Weinfeldern. Im Grenzdorf Röszek erinnert ein Relief an Imre Nagy, den ungarischen Nationalhelden, der sich als Ministerpräsident für die Idee eines nationalen und menschlichen Sozialismus einsetzte und deshalb auf Druck der Sowjets abgesetzt und aus der Partei ausgeschlossen wurde. Während des ungarischen Volksaufstandes 1956 wurde er wieder eingesetzt und erkannte die Revolution in Ungarn offiziell an. Nagy bildete eine Mehrparteienregierung, forderte die parlamentarische Demokratie und die Neutralität Ungarns. Nachdem er die Neutralität proklamiert und die Mitgliedschaft seines Landes im Warschauer Pakt aufgekündigt hatte, rückten russische Panzerverbände in Ungarn ein und schlugen die Revolution blutig nieder. Nagy wurde in einem Geheimprozess zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. 

Den Namen unseres heutigen Zielortes, Szeged, verbinden die meisten mit Szegediner Gulasch, doch hier finden wir trotz intensiver Recherchen nur Lokale mit ungarischer Gulaschsuppe. Fast überall in den traditionellen Restaurants gibt es dafür Fischsuppe Szegediner Art - nicht schlecht. Aber wir machen hier am Ufer der Theiß nicht nur Halt wegen des Essens sondern wegen der Überfülle an Sehenswürdigkeiten. 1895 wurde die Stadt durch ein schlimmes Hochwasser zu 95% zerstört. Es gelang, dieses Unglück in einen Vorteil umzuwandeln und die Stadt mit internationaler Hilfe neu zu planen und zu gestalten. Entstanden ist ein einheitliches Stadtbild mit einer Mischung aus Historismus und Jugendstil. Wirklich beeindruckend! Besonders dominant der Dom, die Votivkirche, mit enormer Baumasse und hohen Türmen. Nicht minder sehenswert die Neue Synagoge aus dem Jahr 1903, die alle Wirren überstanden hat und innen wie außen einen glänzenden Eindruck macht. Sie ist das viertgrößte jüdische Gotteshaus Europas. Auch mehr als einen Hingucker wert ist das Rathaus im Neobarockstil auf dem Szechenyi-Platz. 

ICT-Tag 6: Szeged (HU) - Jimbolia (RO) 115 km - topfeben

Wieder müssen wir heute zwei Mal über die Grenze. Zuerst verlassen wir nun endgültig Ungarn und sagen leise ‚Viszlát‘, in dieser Sprache, die uns so fern ist. Vor knapp einem Jahr waren wir erstmals nach Fertöd in Ungarn eingereist und hatten dabei erfahren wie wichtig der ungarische Beitrag für den Fall der Mauern und Zäune entlang des Eisernen Vorhangs war. Nun mussten wir immer wieder sehen wie die Ungarn neue Zäune hochgezogen haben, die gerade entlang der serbisch-ungarischen Grenze die Festung Europa sichern sollen. Es tut fast körperlich weh das anzusehen. Die Menschen in Ungarn waren stets freundlich, offen und hilfsbereit, doch haben wir keine dunkle Hautfarbe und sind gut erkennbar als Touristen mit dem Rad unterwegs. Für uns Radler haben die Ungarn sich in den letzten Jahren mächtig ins Zeug gelegt, den IronCurtainTrail sehr gut ausgebaut und mit passender Beschilderung versehen. In Serbien werden wir von einer riesigen Übersichtstafel zum ICT begrüßt und rollen auf einem schönen Radweg neben der kaum befahrenen Straße ins serbische Banat in der Provinz Vojvodina, der topfebenen Region im Nordwesten Serbiens. „Stell dich auf einen Kürbis, und du siehst Wien“, witzelt man hier gerne. Später fahren wir weiter auf den einsamen Provinzstraßen, auf denen lange Zeit die Betonplatten dominieren. Immer wieder ähnelt sich das Bild: einsame Häuser am Straßenrand, hölzerne Strom- und Telegrafenmasten und außerhalb der Ortschaften schier endlose Felder. Um die Eintönigkeit etwas deutlicher zu machen, hier die vollständige Auflistung der Siedlungen auf serbischer Seite: Djala, Srpski Krstur, Novi Knezevac, Banatsko Arandelovo, Vrbica, Crna Bara, Mokrin und Kikinda - das alles auf 100 km. Und auf dieser Strecke findest du erst nach 70 km einen Ort, wo du sinnvoll Pause machen kannst. In Mokrin gibt es endlich ein schönes Café. Wenige hundert Meter entfernt liegt auf rumänischer Seite der Ort Teremia Mare, in dem 1942 der Handballer Hansi Schmidt geboren wurde, der 1963 in Deutschland blieb und dort zum herausragenden Handballer wurde. Alle Handballer, die dies lesen, nehmen nun bitte nochmals Anlauf zum verzögerten Sprungwurf - in memorian Hansi Schmidt. In Kikinda biegen wir nach Osten ab und überqueren die Grenze nach Rumänien- wir sind jetzt so weit im Osten, dass wir die Uhr um eine Stunde vorstellen müssen. Wir sind nun im Gebiet der Banater Schwaben und treffen gleich in Jimbolia, dem ehemaligen Hatzfeld, auf ehemalige Einwohner, die immer wieder hierher zurückkehren. Das Banat wurde im 18. Jahrhundert nach der Vertreibung der Osmanen auf Geheiß von Maria Theresia besiedelt. Dazu wurden Menschen aus Süddeutschland, Lothringen und dem Elsass angeworben, vor allem Zweit- und Drittgeborene, die nichts erbten, die dann häufig katholisch verheiratet, in Ulm registriert und in sogenannten Ulmer Schachteln die Donau abwärts geschickt wurden. Daher rührt vermutlich der Begriff der Banater oder Donauschwaben. Das Banater Schwäbisch ähnelt daher eher dem Pfälzer oder Luxemburger Dialekt wie wir es von einem Mann zu hören bekommen, der 1982 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland ausreisen durfte. Ceaucescu ließ sich das von der Bundesregierung gut bezahlen, 14.000 DM für jeden Ausreisenden. Haus und Hof mussten sie dann zu einem von der rumänischen Regierung festgelegten Preis billigst verkaufen. Ein Ehepaar aus Oggersheim, die auch auf diesem Weg ausreisen konnten, erklärten uns, wieso es nach dem Krieg noch Deutschstämmige im Banat hatte. 1945 wurden 33.000 Banater Schwaben als Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter nach Russland verschleppt. Nach schlimmsten Jahren in Bergwerken und Schwerindustriebetrieben kehrten sie ins Banat zurück oder wurden in die SBZ (DDR) gebracht. Das Ehepaar aus Ogersheim ist hier wegen der Banater Tage, die in Timisoara ab Freitag stattfinden. Sie haben hierfür den Nachbau einer Ulmer Schachtel auf einem Anhänger hergefahren. Wir wollen sie am Freitag auf dem Domplatz in Timisoara treffen. 
Antworten (3)

Lothar
Herrlich Harald , Hansi hat Heldenstatus ! Auf dem Rückweg gibts in Brasov auch einen INTERnationalen wie auch eine in Onesti . SPORT HAT KEINE GRENZEN !!

Harald
Des isch e so - wie man in der Schweiz zu sagen pflegt.

everydayangel
Spannende Infos in den Reiseberichten verpackt! Und lustig, dass in Szeged kein Szegediner Gulasch zu finden war 🤔