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Burgenland und Transdanubien

Veröffentlicht: 08.07.2022

Tag 31 - 6. Juli: Bratislava - Kittsee - Nickelsdorf - Andau- Pamhagen - Fertöd 110 km Diese Etappe ist flach und wird weitgehend durch Rückenwind begünstigt, bietet aber äußerst interessante Eindrücke entlang der österreichisch-ungarischen Grenze, eindrückliche Begegnungen und eine unglaubliche persönlich-familiäre Erkenntnis. Doch der Reihe nach. Als wir morgens los fahren, scheint wie so oft die Sonne, die uns während des Tages zwei Mal kurz verlässt und dem Regen Platz macht. Aber wirklich nur kurz! In Bratislava verabschieden wir uns von unseren wunderbaren Gastgebern Zita und George. Der EV 13 ist vorbildlich ausgeschildert, so dass wir schnell nach Kittsee in Österreich finden. Dort wundere ich mich, dass öffentliche Gebäude zweisprachig bezeichnet sind, und die  zweite Sprache ist nicht etwa wie erwartet slowakisch sondern kroatisch. Seit dem 16. Jahrhundert ließen sich viele Kroaten hier nieder, die vor den türkischen Invasoren geflohen waren. Bis heute pflegen sie ihre Sprache und Kultur. Da wird mir klar, dass meine Vorfahren zu dieser Gruppe gehörten, ist Kittsee doch nur rund 10 km von Bratislava entfernt. Immer wieder stellte sich die Frage, wieso wir als deutschstämmige Flüchtlinge Valachovic heißen. Mein Großvater gehörte offensichtlich zu den Kroaten, heiratete dann Josefine Zeger und lebte als Deutschstämmiger in Pressburg. Das Kroatische hatte keine Bedeutung mehr, zumal er früh starb. Von Kittsee radeln wir nach Pama und über Deutsch Jahrndorf zum Dreiländer Skulpturenpark. Direkt an der früheren Grenze von Österreich, Slowakei und Ungarn haben verschiedene Künstler eindrückliche Skulpturen passend zu diesem Ort gestaltet. Mich beeindruckt besonders das Dreieck aus Stein, das für die drei Länder steht, die durch ein festes Pendel im Gleichgewicht und zusammengehalten werden. Dort treffen wir James, einen amerikanischen Diplomaten, der 30 Jahre an der amerikanischen Botschaft in Kiew tätig war und nun nach Oregon zurückkehrt. Er besucht noch Freunde und Bekannte, die aus der Ukraine fliehen mussten. Er verzweifelt an der Situation in der Ukraine und meint, dass die USA mit ihren militärischen Möglichkeiten härter gegen Putin vorgehen müsste. Er hofft aber auch, dass die Ukraine nun einen klareren Weg in Richtung Demokratie und Europa geht.Wir fahren auf einem Wald- und Wiesenweg, auf dem uns Rehe, Hasen  und verschiedene Vögel begegnen. Ein Naturparadies! Hinter Nickelsdorf treffen wir auf einen Gedenkstein, der an die publikumswirksame Durchtrennung des Grenzzauns durch die beiden Außenminister, Alois Mock und Gyula Horn, im August 1989 erinnert. Dadurch war es möglich, dass  Tausende von DDR-Bürgern über Ungarn gefahrlos in den Westen fliehen konnten. Dies trug auch entscheidend zur Grenzöffnung im November 1989 bei..Interessant ist  in diesem Zusammenhang, dass die ungarische Regierung schon 1988 beschlossen hatte, die Grenzzäune abzubauen statt sie teuer zu sanieren und bereits im April 1989 das erste Stück Grenzzaun entfernte. Dies wurde aber von der Öffentlichkeit erstaunlicherweise kaum zur Kenntnis genommen. Unserer weiterer Weg führt vorbei an Weizen-, Mais-, Gemüsefeldern und Weingärten sowie unter zahlreichen Windrädern.  Die Gegend ist offensichtlich fruchtbar und windig. Immer wieder treffen wir junge Grenzsoldaten, die dafür zuständig sind, Flüchtende zu kontrollieren und zu registrieren, da offensichtlich die ungarische Seite diese Aufgabe, zu der sie verpflichtet ist, nicht wahr nimmt. Auch ein europäisches Problem: Wenn sich ein Land nicht an die Regeln hält, ist ihm schwer beizukommen. Von Andau führt ein langer, schnurgerader Boulevard zur Brücke von Andau. Entlang dieser Strecke haben verschiedene Künstler ihre Ideen zum Eisernen Vorhang in Holz- und Steinskulpturen gehauen und damit eine eindrucksvolle Freiluftgalerie gestaltet.  Die Brücke von Andau war lange Zeit ein Übergang für die Bauern beiderseits der Grenze. Berühmt wurde sie als nach dem Ungarnaufstand 1956 noch 70.000 Flüchtlinge den Weg in die Freiheit nach Österreich fanden, bevor die Brücke von sowjetischen Soldaten gesprengt wurde. 40 Jahre später haben österreichische und ungarische Soldaten die Brücke gemeinsam wieder aufgebaut. Über Wallern und Pamhagen kommen wir wieder zurück auf die ungarische Seite und erreichen am Abend Fertöd mit dem berühmten Schloss Esterhazy, das wir morgen besuchen werden. 
Tag 32 - 7. Juli: Fertöd - Mörbisch - Schattendorf - Sopron - Lutzmannsburg 95 km Am Morgen besuchen wir den mittleren Teil.des Schlosses Esterhazy, das zu den größten Rokokoschlössern Ungarns und zum UNESCO- Weltkulturerbe gehört. Schon der Eingang mit dem hohen schmiedeeisernen Tor und dem schönen Garten sind beeindruckend. Mit großem Aufwand wurde der mittlere Teil mit Kapelle wieder hergerichtet, nachdem durch die sowjetischen Besatzer vieles zerstört worden war. Besonders schön der große Spiegelsaal und der Haydnsaal. Joseph Haydn verbrachte den größten Teil seiner Laufbahn hier als Hofmusiker der Esterhazys. Der Radweg um den Neusiedler See bis Mörbisch führt über Rebberge, ist asphaltiert und gut ausgeschildert, so dass wir zügig vorankommen. In der Umgebung des Neusiedler Sees flohen im Sommer 1989 viele DDR- Bürger in den Westen, da hier die offizielle Grenzöffnung früher erfolgte (siehe Blogeintrag vom Vortag). Druck übte auch das ‚Paneuropäische Picknickˋ am Grenzübergang nördlich von Sopron aus, wo für mehrere Stunden ein Grenztor geöffnet wurde. Dies war auch ein Versuch, die Reaktion der Sowjets herauszufinden. Heute stehen dort verschiedene Kunstwerke wie das Denkmal der geöffneten Türen, Umbruch oder die Friedensglocke. Auf uns warten noch einige Höhenmeter und Gegenwind bis wir den Grenzort Klingenbach erreichen. Von dort geht es vorbei an zahlreichen Windrädern wieder über die Grenze nach Sopron in Ungarn. Wir wechseln nach 10 km wieder nach Österreich. Auch an dieser Grenze sind im Sommer 1989 viele DDR-Bürger in den Westen geflohen, ein Kreuz mit Stacheldraht erinnert daran. Am Abend erreichen wir unseren Zielort Lutzmannsburg. 
Tag 33 - 8. Juli: Lutzmannsburg - Köszeg - Bideln  - Moschendorf - Szentgotthard 100 km Gesamt: 3055 km Wir fahren nun den dritten Tag entlang der Grenze zwischen dem österreichischen Burgenland und dem ungarischen Transdanubien, die über mehr als 50 Jahre die beiden Länder und vor allem die Menschen voneinander trennte. Und für uns ist dieser Tag wie ein Geschenk, denn wir wechseln von Ungarn nach Österreich wie wir wollen bzw. wie es die Route will. Und wir müssen heulend vor Freude und Glück anhalten und uns in den Arm nehmen, nachdem wir die 3000-km-Marke durchbrochen haben. Dies feiern wir angemessen bei einer Esterhazy-Torte. Und wir haben eine riesige Freude daran, dass uns der kräftige Wind in den Rücken bläst und mit jeder Stunde weniger Wolken am Himmel sind. Es läuft 75 km wie geschmiert, doch dann müssen wir noch drei Hügel erklimmen, so dass es am Abend wieder fast 1000 hm sind. Am Morgen wechseln wir gleich vom Hotel zur ungarischen Seite und fahren auf einer Nebenstraße nach Keszög, wo wir am Marktplatz Halt machen. Die Gebäude wirken sehr niedrig, da nach mehreren Bränden der Platz aufgeschüttet wurde. Auf ausgeschilderten und asphaltierten Wegen kommen wir bis Boszok gut voran. Von dort sehen wir auf burgenländischer Seite das Dorf Rechnitz, in dem in den letzten Kriegstagen im März 1945 bei einem Massaker 180 ungarische Juden erschossen wurden. 20 Zwangsarbeiter mussten die Gräber ausheben und wurden dann am nächsten Tag erschossen. Zehn Tage bevor die Rote Armee Rechnitz erreichte! Alle im Dorf wussten davon, und alle haben geschwiegen. Die Verantwortlichen übernahmen nach dem Krieg einflussreiche Stellungen, ohne dass jemand daran Anstoß nahm. Dies ist Grundlage für Eva Menasses kürzlich erschienen Roman ˋDunkelblumˋ (Leseempfehlung!). Ähnliches passierte nur zwei Tage später im knapp 15 km entfernten Deutsch Schützen. Aus Ungarn stammende jüdische Zwangsarbeiter, die den Südostwall ausheben sollten, wurden wegen des Heranrückens der sowjetischen Armee zum Marsch zum KZ Mauthausen gezwungen. 60 besonders schwache Männer wurden nach Deutsch Schützen gebracht und wurden dort erschossen. Der Verantwortliche SS-Unterscharführer Adolf Storms lebte nach dem Krieg unbehelligt in Deutschland bis er nach 2000 ausfindig gemacht wurde. Einer gerechten Bestrafung entzog er sich durch sein Ableben mit 90. Solche abscheulichen  Geschichten lassen uns den Atem stocken. 

Unterwegs besuchen wir das Eiserne Vorhang Museum des Sandor Petofi. Mit unglaublichem Engagement hat der ehemalige ungarische Grenzsoldat ein privates Museum in seinem Garten eingerichtet, das die drei Phasen der Grenzbefestigung mit Schwerpunkt Verminung veranschaulicht. Ganz oben ist der aktuelle Grenzzaun zwischen Ungarn-Serbien und Ungarn-Kroatien nachgebildet, der seit 2015 Europa schützen soll. Wir erinnern uns an Herleshausen und Klaus Gogler, der im WerraGrenzpark darauf hinweist, dass es heute deutlich mehr Grenzen gibt als vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Wir fragen uns ratlos, warum die Menschheit nicht aus ihren fatalen Fehlern lernt und sich im Positiven weiterentwickelt. 

Vesperpause machen wir an einer Kreuzung, die gut zu einem Kaurismäki-Film passen würde. Statt amerikanischer Straßenkreuzer stellen wir unsere voll bepackten Räder dort ab. Der um die Kurve kommende gelbe 2CV passt in die Szenerie. 

Am späten Nachmittag geht es wie schon erwähnt über drei Hügel, die wir dank unserer inzwischen erreichten Fitness gut bewältigen. Auch wenn Dominiques linkes Knie zwischendurch mal zwickt. 

Wir haben es fast geschafft! Morgen noch 20 km bis zur slowenischen Grenze, dann verlassen wir den EuroVelo 13 / IronCurtainTrail und machen noch ein paar Tage Radurlaub in Slowenien (keine Erholungswoche: hahaha!). Und um hoffentlich nächstes Jahr den letzten Abschnitt bis ans Schwarze Meer zu bewältigen…

Antworten (6)

Horst
Sehr sehr beeindruckend. Lese gerne Eure ganzen Erlebnisse. Auch die Geschichte der Kroaten.

Harald
Das mit den Kroaten erklärt doch endlich, warum.wir Valachovic heißen. Schon dafür hat sich die Reise gelohnt.

Lothar
Dann muss der Point Alpha damals zu Kroatien gehört haben . Ob ihres Fahrradtalentes werdet ihr Dominiques Wurzeln bestimmt in Slowenien entdecken ......

Harald
Ganz bestimmt, denn Dominique klettert unvermindert mindestens 200 m vor mir die Berge hoch. Ich finde noch raus wie Point Alpha auf kroatisch heißt. Irgend etwas mit -vic.

paolo
Paolo Get up. Stand up. Dont give up the fight. Beindruckt und leicht geschämt bei einem Glas Rosé. Herzlichst v

Harald
Wir halten durch bis über die Julischen Alpen. Danke, dass ihr mitgeht , wenn auch „ nur“ lesender Art. Liebe Grüsse Dominique