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Dem Ziel zum Greifen nah

Veröffentlicht: 15.09.2020

Endlich nahm sich jemand meines Zahnes an. In Borgo San Dalmazzo schilderte ich einer Zahnärztin das Problem, und nach kurzem Warten schaute sie sich den Zahn gleich an. Es war nur ein kleines Stück abgebrochen, das hält wohl noch bis November. Ich war beruhigt. Nach kurzem Abschliff der Kanten konnte ich wieder gehen, und die Behandlung war sogar kostenlos. Warum hat das nicht schon in Barcelonnette so unkompliziert ablaufen können?

Wäre nicht die Schlechtwetterfront im Anmarsch könnte ich nun also in drei Tagen in Ventimiglia sein. Aber so musste ich mich in Geduld üben. Ich erkundete noch etwas die erstaunlich gut gebauten Trails rund um Borgo und quartierte mich dann für zwei Tage in einem günstigen Apartment in dem nahegelegenen Bergdorf Valdieri ein. Das war beinahe wieder eine klassische Wohnsituation, wie ich sie inzwischen schon seit Monaten nicht mehr erlebt hatte. Mit voll ausgestatteter Küche, Sofa und Schlafzimmer. So machte ich es mir schön gemütlich, während es draußen den ganzen Tag über schüttete.

Die letzten drei Tagesetappen versprachen nochmal richtig spannend zu werden. Die Route führte weiter durch den Alpi Marittime, und dann über eine ehemalige Militärstrasse und den ligurischen Grenzkamm bis ganz runter ans Meer. Insgesamt 130 Kilometer fernab der Zivilisation. Lediglich ein Refugio lag auf halber Strecke, ansonsten war ich komplett auf meine eigenen Lebensmittel und meine Ausrüstung angewiesen. Bikepacking vom Feinsten also.

Der erste Tag führte mich ein letztes Mal in hochalpines Gelände, zum Col du Sabion. Etwas unterhalb des Überganges gab es einen schön gelegenen See mit einem Notbiwak des italienischen Alpenvereins. Die kleine Einzimmerhütte war nicht verschlossen, und so freute ich mich erst, dass dies eine nette und mal etwas andere Übernachtungsmöglichkeit sein könnte. Aber es war Wochenende, und kurz vor Sonnenuntergang tauchte noch eine siebenköpfige Wandergruppe auf, die sich natürlich auch im Biwak einquartieren wollte. Bevor ich mich also auf engstem Raum mit dieser Gruppe in die Unterkunft zwängte, zog ich dann doch lieber wieder das altbewährte Zelt vor.

Am nächsten Tag ging es nach einem kurzen, schönen Trail auf die Militärstrasse, die sich für die nächsten 60 Kilometer im stetigen Auf und Ab durch das Küstengebirge ziehen sollte. Auch hier war mein Timing alles andere als optimal, denn da es Sonntag war, drängelten sich Massen an Offroad-Fahrzeugen und Enduro-Motorrädern zum Equipment-Test auf der steinern-holprigen Straße. Ad absurdum wurde die Materialschlacht allerdings von einigen vereinzelten, mutigen Italienern getrieben, die sich mit ihren klapprigen Fiat Pandas unter die hochgezüchteten Jeeps mischten, und erstaunlicherweise auch ganz gut auf der Straße zurechtkamen. Für mich auf dem Radel war es bei den Anstiegen meist auch etwas anstrengend, insgesamt kam ich aber zügig voran und holperte vor grandioser Alpenkulisse gemütlich so vor mich hin.

Kurz nach dem Rifugio San Barbeo kam dann der Scheitelpunkt, das Klima und die Landschaft wechselten an einer Passhöhe recht plötzlich von hochalpin frostig-frisch in trocken und mediterran warm. Das hatte nun nicht nur zur Folge, dass gefühlt der Sommer zurückkehrte sondern auch, dass auf einmal die Flussbette kein Wasser mehr führten. Als mir dies das erste Mal auffiel dachte ich noch, das wird sich schon wieder ändern, schließlich hatte ich ja noch 70 Kilometer vor mir.

So radelte ich immer weiter, durch endlose Wälder mit unzähligen Picknickmöglichkeiten. Nur leider alle ohne Wasser. Als es nachmittags dann Zeit wurde, nach einem Zeltplatz Ausschau zu halten, war immer noch keine Wasserquelle in Sicht. Meine ganze Hoffnung stützte sich auf eine Passage die laut Karte von einigen Flüssen durchzogen war. Kurz bevor ich diese erreichte, kam ich an einer kleinen Baracke vorbei mit Viehtränke. Lauwarmes Wasser sickerte aus einem Schlauch. Das war sicher nicht die frisch sprudelnde Quelle, die ich mir erhofft hatte. Trotzdem versorgte ich mich mit knapp 6 Litern an Wasservorrat, für den Fall der Fälle. Und genau dieser Fall sollte auch eintreten. Bis nach Ventimiglia sollte mir nicht eine einzige, weitere Wasserquelle mehr begegnen. Hätte ich hier nicht aufgefüllt, wäre mir das spätestens tags darauf zum Verhängnis geworden.

Aufgrund des Zusatzgewichtes radelte ich nicht mehr allzu weit. Flugs suchte ich mir ein stilles und abgelegenes Fleckchen im Wald, um mein Lager aufzuschlagen. Morgen sollte es geschafft sein, das Meer war zum Greifen nah.

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