Wir reisen, also sind wir
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Nicaragua: Esteli & Somoto

Veröffentlicht: 23.05.2018

Von Managua fuhren wir zurück nach Leon und von dort nach Esteli. Aufgrund einer Falschinformation am Busterminal in Leon verpassten wir leider den direkten Minibus, und mussten schlussendlich eine lange und mühselige Reise mit dem Chicken Bus antreten. Und als ob das noch nicht gereicht hätte, zockte uns auch noch prompt der Gehilfe im Bus ab, und wir zahlten ein Vermögen für die verdammte Busfahrt (Anmerkung der Redaktion: bei diesem «Vermögen» handelte es sich zwar nur um etwa 4 Dollar, aber es war das Doppelte von dem, was die Fahrt eigentlich kosten würde.) Leider realisierten wir das vor lauter zum Bus rennen, Gepäck aufs Dach laden und Sitzplatz suchen erst zu spät, und als wir beim Gehilfen reklamierten, gab er uns tatsächlich grosszügigerweise noch umgerechnet etwa 30 Cent zurück. Sehr nett, vielen Dank. Nun, auch als erfahrener Reisender ist man nicht immer davor gefeit, ab und zu mal übers Ohr gehauen zu werden, man darf das einfach nicht zu persönlich nehmen. Ich sehe das so: wenn der gute Mann es nötig hat, uns um 1.70 Dollar zu betrügen und wir zu blöde sind, um es zu merken, dann soll es ihm bei Gott vergönnt sein.
Nach einer langwierigen und anstrengenden Reise kamen wir dann endlich in Esteli an, und schnappten uns ein Taxi zum Hostel. Taxifahren in Nicaragua läuft anders als in allen anderen Ländern, wo wir bisher waren. Hier gilt ein Taxi nämlich immer als «Collectivo», es sei denn man besteht explizit auf ein Taxi «Privado». Das bedeutet, dass der ausgehandelte Fahrpreis immer pro Person gilt, und dass der Taxifahrer nach Belieben anhalten und weitere Fahrgäste ins Taxi laden kann. Diese lädt er dann nacheinander an den gewünschten Orten aus. Wenn man ein privates Taxi nur für sich haben möchte, muss man das explizit sagen, und man bezahlt dann normalerweise den Preis für alle 4 Plätze. Dies kann zu einigen Missverständnissen führen, wenn man das nicht weiss. Auf einschlägigen Seiten mit Reisehinweisen (zb. EDA) steht nämlich stets, man soll aus Sicherheitsgründen nie zulassen, dass andere Leute im Taxi mitfahren. Das erste Mal waren wir also ziemlich überrascht, als der Taxifahrer plötzlich auf der Strasse anhielt, um weitere Leute einsteigen zu lassen. Wir handhabten das dann so, dass wir tagsüber die «Collectivo»-Fahrten zuliessen, zumal es jedes Mal ausschliesslich Frauen und Kinder waren, mit denen wir das Fahrzeug teilten. Nach Einbruch der Dunkelheit bestanden wir aber auf private Taxis und bezahlten den entsprechenden Aufpreis. An der persönlichen Sicherheit ist schliesslich am falschen Ort gespart.

Esteli ist bekannt für seine Zigarrenfabriken, und tatsächlich ist die ganze Stadt voll davon. Es gibt unzählige Zigarrenfabriken, grosse und kleine, und der grösste Teil der Bevölkerung scheint in dieser Industrie tätig zu sein. Wir entschieden uns allerdings dagegen, hier nochmals eine solche Fabrik zu besuchen. Schliesslich hatten wir ja schon in Danli das Privileg genossen, 2 Fabriken mit privater Führung besichtigen zu können, und das würde wohl kaum durch das Touri-Programm, welches hier abgeleiert wird, zu übertreffen sein.

Stattdessen entschieden wir uns, eine Canyoning-Tour in der Somoto Schlucht zu buchen. Hier entsteht der Rio Coco, der längte Fluss Zentralamerikas, durch den Zusammenfluss aus zwei anderen Flüssen. Der Fluss hat in der Region Somoto eine 3km lange Schlucht ins harte Granitgestein geschlagen, die etwa 200m tief und teils nur etwa 10m breit ist. Der Canyon wurde erst 2004 durch zwei Tschechen «entdeckt». Natürlich wussten die Einheimischen schon zuvor von der Existenz der Schlucht, allerdings wurde sie erst ab diesem Zeitpunkt touristisch erschlossen. Seither hat sich viel getan, vor allem in Punkto Sicherheit. Zur Anfangszeit boten die Guides beispielsweise keine Schwimmwesten an, heutzutage ist das Standard. Auch ist heutzutage jeder Guide mit einem Drybag ausgestattet, worin er die Habseligkeiten und Kameras der Tourteilnehmer transportiert. Früher hätten sie die Wertsachen einfach in einem Plastiksack auf dem Kopf durch das Wasser transportiert, wird uns erzählt. Wir buchten unsere Tour via E-Mail bei der gleichnamigen Unternehmung «Somoto Canyon Tours». Das Ziel ist ganz klar, dass die Erträge aus der Schlucht den Einheimischen zu Gute kommen, es werden Menschen aus der Region als Guides und Bootsmänner beschäftigt, lokale Frauen kochen die Mahlzeiten für die Gäste. Auch einige Zimmer zum Übernachten sind im Angebot.
Die Anfahrt nach Somoto mussten wir selbst organisieren, dh. Wir mussten morgens um 07:30 Uhr den Bus in Esteli erwischen. Die Fahrt dauerte etwa 2h. Am Busterminal in Somoto wartete bereits unser Guide Rigoberto auf uns. Mit dem Pick-up wurden wir zum Eingang der Schlucht gefahren. Dort konnten wir alte Sportschuhe ausleihen, damit wir unsere Schuhe nicht im Canyon ruinieren mussten. Unerwarteterweise hatten sie sogar Schuhe in Jörgs Grösse! Und dann ging es los, auf die ungefähr 5-stündige Tour. Dabei durchquerte man wandernd und schwimmend den Canyon. Unterwegs sah man immer wieder Höhlen, verschiedene Vögel und Fledermäuse. Rigoberto hatte ausserdem viele Informationen zu einheimischen Pflanzen und deren Wirkung als Medizinalpflanzen parat, konnte uns auch vor einer sehr gefährlichen Pflanze warnen, die man nicht anfassen darf, da man ansonsten riesige Geschwüre und Schmerzen am ganzen Körper bekommt. Das war wirklich alles sehr interessant.
Momentan war gerade Trockenzeit, daher gab es etwas mehr zu wandern als zu schwimmen. Es wurde schnell klar, dass die Tour bestimmt total anders ist, je nach Jahreszeit zu welcher man dort ist. In der Regenzeit ist es auch einiges gefährlicher, es gibt höhere Wasserstände, stärkere Strömungen, Strudel, usw.
Sehr populär an der Tour ist die Möglichkeit zum Klippenspringen. Etwa 22m ist der höchstmögliche Sprung, den man machen kann. Jörg und ich hatten allerdings keine Lust darauf, wir sind maximal aus etwa 2m ins Wasser gesprungen, das war für mich auch wirklich schon genügend Adrenalin. Rigoberto sprang zweimal aus etwa 20m, konnte uns damit aber auch nicht wirklich animieren es ihm gleich zu tun , es machte uns mehr Spass, ihm einfach von unten zuzuschauen.
Wir waren auch nicht wegen des Klippenspringens gekommen, sondern wegen der Landschaft, und das war es wirklich absolut wert. Die Schlucht ist wirklich atemberaubend schön und der Besuch ein umwerfendes Erlebnis. Es hat grossen Spass gemacht, durchs kühle Wasser zu treiben und die steilen Felswände entlang zu wandern. Tatsächlich war es auch recht anstrengend, es erforderte einiges an Konzentration so lange auf dem felsigen und rutschigen Untergrund zu laufen.
Es war natürlich auch cool, dass wir die einzigen Teilnehmer auf der Tour waren und unseren Guide Rigoberto ganz für uns allein hatten. So konnten wir viele interessante Gespräche führen und unser Spanisch trainieren (was angesichts des Tempos, mit dem Rigoberto sprach, wirklich eine Herausforderung war. Die Latinos haben generell die Angewohnheit, sobald sie merken, dass du einigermassen spanisch sprichst, keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen und wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und in der Art eines Maschinengewehrs drauflos zu plaudern). Ausserdem hatte es den Vorteil, dass Rigoberto als unser privater Fotograf fungieren konnte. An jeder schönen Stelle hatte er ruckzuck den Rucksack geöffnet, die Kamera gezückt und gefragt, ob er hier ein Foto von uns machen soll. Lustigerweise hatte er aber auch die Angewohnheit, ständig in unsere Fotos zu latschen oder zu schwimmen, die wir eigentlich von der Schlucht machen wollten.
Tatsächlich waren wir nicht nur die einzigen Touristen auf der Tour, sondern auch überhaupt die einzigen Touristen im Canyon. Wir haben niemand anderen angetroffen, keine anderen Gruppen. Rigoberto meinte, es habe heute nur eine andere Gruppe gegeben, und die sei schon früher los als wir. Er erklärte, dass dies mit den Demonstrationen und Protesten in Nicaragua zusammenhänge, es habe schon über 20 Stornierungen für diesen Monat gegeben. Es sei so schade meinte er, er könne nicht verstehen, warum die Leute auf die Strasse gehen und alles zu Nichte machen, was man in den Jahren seit dem Bürgerkrieg aufgebaut habe. Er wolle Frieden in Nicaragua, ohne Frieden kämen keine Touristen mehr.
Tatsächlich waren fast alle Leute, mit denen wir gesprochen hatten, gegen die Demonstrationen, aber diese Leute waren auch fast alle solche, die mit Touristen zu tun haben. Und erfahrungsgemäss sind dies auch eher die Bessergestellten, die, die ihr Geld direkt von den Touristen erhalten. Aber was ist mit den anderen? Natürlich ist es schlimm für ein Land, wenn durch einen solchen Konflikt der Tourismus und damit eine der wichtigsten Einnahmequellen (hoffentlich nur vorübergehend) wegfällt. Aber lohnt es sich, dafür grosse Missstände im Land, die einen grossen Teil der (armen) Bevölkerung betreffen, einfach in Kauf zu nehmen, ohne sich dagegen zu wehren? Macht es Sinn, dass viele Leute leiden zum Wohle von einigen? Klar, indirekt kann man argumentieren, dass ja Alle von zusätzlichen Einnahmen im Staatshaushalt durch den Tourismus profitieren, von mehr Geld, welches ins Land fliesst. Und auch die beleuchteten Metallbäume können dazu beitragen, den Tourismus und dadurch den «allgemeinen Wohlstand» zu fördern. Aber erklär das mal einem armen Bauern, der von Tag zu Tag dafür kämpft, seine Familie durchzubringen. Oder einem Rentner, der sein Leben lang hart gearbeitet hat, womöglich noch ein Veteran aus dem Bürgerkrieg ist, und dem nun die ohnehin schon knappe Rente um 5% gekürzt wird.
Gewisse Konflikte müssen wohl einfach ausgetragen werden, damit es eine Chance auf eine Verbesserung gibt, und Aussenstehende sollten sich da meiner Meinung nach auch nicht einmischen. Die betroffenen Leute sollen das unter sich ausmachen können.

So, vorerst genug der politischen Diskurse, zurück zu unserem Adventure: Gegen Ende der Tour wurden wir ein kurzes Stück mit einem Ruderboot zum Ausgang der Schlucht gefahren. Von dort marschierten wir zurück zum Büro der «Somoto Canyon Tours». Dort gab es noch ein kleines, spätes Mittagessen, bevor wir uns mit dem Bus auf den Rückweg nach Esteli machten.

Das war ein sehr gelungener Ausflug, wenn sich auch der Nervenkitzel etwas in Grenzen hielt. Während der Regenzeit ist dies sicher ein ganz anderes Erlebnis. Dafür kann man dann die Höhlen und die Tiere nicht sehen. Ach ja, ich vergass die riesigen Spinnen zu erwähnen, die überall an den Felswänden hockten und die auch über Wasser krabbeln können. Auf diese Viecher hätte ich zwar wirklich getrost verzichten können!
Die Landschaft ist in jedem Fall der Hauptgrund um hierher zu kommen, die ist wirklich ganz bezaubernd und «vale la pena», wie die Latinos sagen (lohnt den Schmerz). Aber seht selbst auf den Fotos…..

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