Wir reisen, also sind wir
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Nicaragua: Granada

Veröffentlicht: 23.05.2018

In Granada bzw. bereits auf dem Weg dorthin nahm die Geschichte eine dramatische Wendung.

Von Leon buchten wir einen Shuttle-Bus, der uns an einem Freitag nach Managua bringen sollte. Kris, die Geschäftsführerin unseres Hostels in Leon hatte uns noch darauf hingewiesen, dass es erneut Proteste in der Region Masaya gäbe, und dass der Bus die Region deswegen umfahren würde. Leider falsch. Der Bus fuhr direkt durch die Stadt Masaya und plötzlich waren wir mittendrin im Geschehen. Ich selber habe es gar nicht recht mitbekommen, da ich normalerweise schnell in tiefen Schlaf verfalle, sobald ich in einem Bus sitze. Nicht so Jörg. Ich wurde wach, als Jörg ziemlich aufgebracht auf den Busfahrer einredete, warum wir hier durch fahren. Denn wir fuhren in einer stockenden Autokolonne genau durch eine Menge an Demonstranten, die sich gegenseitig mit Steinen bewarfen. Als der Bus passierte hörten die Strassenkämpfe zwar kurz auf, und die Demonstranten winkten uns durch bevor das Steinewerfen weiterging (Gentlemen-Demonstranten nennt man das wohl). Spassig war das allerdings trotzdem nicht. Wir sahen ausserdem, wie Pflastersteine aus den Strassen ausgegraben und in Form von Mauern als Strassenbarrikaden aufgeschichtet wurden.

Etwa um die Mittagszeit kamen wir mit etwa 2h Verspätung in Granada an. Wir hatten unser Hostel mitten in der Innenstadt, direkt neben dem Parque Central. Nachmittags war noch alles normal. Da wir die Nacht zuvor schlecht geschlafen hatten und daher ziemlich müde waren, entschieden wir uns, eine gemütliche Kutschfahrt zu unternehmen, um einen Überblick über die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu gewinnen.

Nachts dann ging es los mit lauten Böllern direkt auf der Strasse vor unserem Hotel. Zuletzt war es ruhiger geworden um die Proteste und Demonstrationen um den Rücktritt des Präsidenten Ortega. Aber nun kochte die Stimmung in einigen Teilen Nicaraguas wieder auf, sogar stärker als zuvor. Und eine der stärker betroffenen Regionen war ausgerechnet Granada. Die ganze Nacht über gab es laute Explosionen und Geschrei auf den Strassen und von nun an würde es jede Nacht so weitergehen.
Am nächsten Morgen verfolgten wir in der Online-Ausgabe der Nicaraguensischen Zeitung «La Prensa» das Geschehen im Land. Die Ausschreitungen in der Nacht waren offenbar in Masaya am stärksten gewesen. Masaya war schon in Zeiten der Revolution eine Hochburg des Geschehens gewesen. Dumm, dass wir just für diesen Tag geplant hatten, zum Mercado de Artesanias in Masaya zu fahren. Auch den Vulkan Masaya wollten wir eigentlich noch besuchen, dort kann man bis zum Kraterrand hinauffahren und abends sogar Lava beobachten. Aufgrund der aktuellen Situation entschlossen wir uns allerdings schweren Herzens, erstmal darauf zu verzichten und abzuwarten, bis sich die Situation bessert.
Also verbrachten wir den Tag in Granada und machten ein wenig die Stadt unsicher. Wir besuchten unter anderem die «Antigua Estacion del Ferrocarril», wobei es sich um den alten Bahnhof von Granada handelt. Dies hat sich absolut nicht gelohnt. Vor dem Bahnhof gibt es zwar noch einen hübschen Park mit einem grossen Spielplatz, aber in der Anlage selber sind nur einige alte Bahnwaggons ausgestellt. Ausserdem wurde das ehemalige Bahnhofsgebäude offenbar in einen Outdoor-Coiffeur-Salon umfunktioniert, diverse Damen sassen da auf Klappstühlen und liessen sich von anderen Damen die Haare machen. Sogar eine Preisliste fürs Haareschneiden war ausgehängt.
Abends dann erfuhren wir aus der Zeitung, dass unsere Entscheidung eine gute gewesen war. Die Ausschreitungen in Masaya hatten den ganzen Samstag über keine Ruhe gefunden. Im Gebäude des Mercado de Artesanias habe es sogar ein Feuer gegeben, der Markt sei geschlossen. In der Zeitung stand, dass Anwohner rund um den Markt berichtet hatten, dass sich zum Zeitpunkt als der Brand ausgebrochen war, seltsamerweise nur Polizisten und Spezialeinheiten im und um den Markt befunden hatten.
Wir liessen uns von der Ruhe während des Tages und von der angenehmen, ja fast ein wenig ausgelassenen, Atmosphäre in der Touristenmeile von Granada dazu verleiten, in einer Bar noch einige Drinks zu nehmen. Gegen 9 Uhr abends machten wir uns auf den Rückweg zum Hostel, welches nur etwa 5 Gehminuten entfernt war. Dazu mussten wir den Parque Central durchqueren und dachten uns erstmal nicht viel dabei. Kaum auf dem Platz angekommen sahen wir dort aber bereits einige Gruppierungen von jungen Männern herumlungern, einige waren sogar gerade dabei, sich zu maskieren. Einer trug einen offensichtlich selbstgebastelten kleinen Mörser bei sich um irgendwelche Geschütze abzufeuern. 2 Männer sprachen uns unterwegs an, und meinten, hier herrsche Gefahr, wir sollen uns besser schleunigst aus dem Staub machen. Und wir taten wie geheissen, allerschleunigst.
Abends war der Besitzer unseres Hostels ebenfalls vor Ort, als zusätzlicher Schutz, wie er sagte. Wir sprachen mit ihm über die Situation, und erzählten auch von der Szene im Park. Er erklärte uns, dass man davon ausgehe, dass der Grossteil der Plünderungen und Zerstörungen von Paramilitärischen Gruppen im Auftrag der Regierung durchgeführt werden, und dass es sich bei den Leuten, die wir auf dem Platz gesehen hatten, wohl um solche Gruppierungen handelte, die sich für die Nacht vorbereiteten. Die Regierung wolle die Schuld anschliessend der Bevölkerung in die Schuhe schieben, damit man den nationalen Notstand ausrufen könne. Die Bevölkerung sei ausserdem wütend, dass die Polizei und die Spezialeinheiten mit Tränengas und Schusswaffen gegen die Demonstranten vorgehen, während diese nur Böller hätten und mit Steinen werfen. Auch in der Nacht auf Samstag war erneut ein 45-jähriger Mann durch eine Kugel umgekommen. Der Hostelchef sagte, man glaube, das Militär werde bald einschreiten und den Präsidenten selber absetzen. In der Zeitung war ebenfalls zu lesen, dass das Militär versprochen hatte, nicht die Waffen gegen die Demonstranten zu erheben. Er zeigte uns Videos aus einer Facebook-Gruppe, die von Demonstranten gegründet worden war und die dazu dient, sich gegenseitig über die Situation und die Geschehnisse an den verschiedenen Orten zu informieren. Und tatsächlich sah man in diesen Videos wie die Polizei gewaltsam gegen friedliche Protestmärsche vorgeht. Wir hatten in der Zeitung einen Artikel gelesen, wo ein alter Veteran aus dem Bürgerkrieg erzählt, und meint, dass die heutige Bewegung zu wenig organisiert sei. Es gäbe keine abgegrenzte Gruppierung, keinen Kopf der Bewegung, keinen Anführer. Die Frage, die wir uns stellen, ist: braucht es das denn wirklich noch in Zeiten von Facebook?
Pünktlich um 10 Uhr nachts ging der Lärm auf der Strasse erneut los. Ein paar Blocks hinter unserem Hostel lag die Markthalle und man konnte hören, wie Menschen die Strasse entlangrannten und sich zuriefen, man solle den Markt beschützen.

Am Sonntag war es tagsüber wieder sehr ruhig. Nach einer lauten Nacht schliefen wir erstmal lange aus. Nachmittags entschieden wir uns, eine Kajaktour zu Las Isletas zu unternehmen. Dabei handelt es sich um ein Miniarchipel mit 365 winzigen Tropeninseln im Lago Cocibolca, dem See an welchem Granada liegt. Die Inseln entstanden vor 10'000 Jahren, als der benachbarte Volcan Mombacho ausbrach und sich seine heutige zerklüftete Silhouette schuf. Sie gehörten einst zu den ärmsten Teilen Granadas und auch heute noch leben auf einigen Inseln Familien, denen das Land nicht rechtmässig gehört. Nach und nach werden sie allerdings durch reiche Eigentümer, wie bespielsweise die Familie Penas, Eigentümer von Flor de Caña, und Expats verdrängt.
Als wir durch den Parque Central Richtung See wanderten, waren diverse Minibusse zu sehen, in die Unmengen von Reisegepäck und Touristen gestopft wurden. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, soviel war klar. Die Touristen hatten es mit der Angst zu tun bekommen. Wir entschieden uns allerdings, noch eine Weile abzuwarten, dies aus vielerlei Gründen. Erstens hatten wir keine Angst, dass uns etwas passieren würde, die Wut der Leute richtete sich auf die Regierung und nicht auf uns. Wir sind niemals angefeindet oder schlecht behandelt worden, im Gegenteil, wir wurden ja sogar noch gewarnt und weggeschickt, wenn wir irgendwo waren, wo wir nicht sein sollten. Zweitens war es tagsüber ruhig und sicher, und abends treiben wir uns ohnehin nicht gross draussen rum. Drittens hatten wir für die nächste Woche einen Spanischkurs gebucht, den wir ungern absagen wollten. Und viertens war dies das schlimmste, was diesen Leuten noch zusätzlich passieren konnte: die Touristen hauen ab, die beste Einnahmequelle versiegt. Auf zum See also!
Wir mieteten ein Kajak für 3 Stunden und unternahmen eine gemütliche Fahrt zu den Inseln. Auf einem der Inselchen gibt es sogar eine kleine spanische Festung, das Castillo San Pablo, wo wir einen Halt einlegten.
Anschliessend spazierten wir entlang der Seepromenade und durch das Centro Turistico, wo allerdings nicht viel los war, zurück in die Innenstadt.
Da wir keine Lust auf eine erneute Begegnung mit den dubiosen Gestalten im Park hatten, machten wir uns heute früh auf den Weg zurück zum Hostel. Im Parque Central trafen wir anstatt auf dubiose Typen auf eine ziemlich grosse Gruppe bewaffneter Polizisten. Sollte man sich dadurch sicherer fühlen, nachdem was man alles schon über die Polizei gehört hat? Wir werden sehen….

Obwohl sich auch in der Nacht auf Montag die Situation nicht beruhigt hatte, und wir erneut die ganze Nacht das Knallen von Böllern und Gott-weiss-was nebst lautem Geschrei hörten, machten wir uns am Montag früh auf in die Spanischschule zu unserem Kurs. Der Kurs fand one-to-one statt, das heisst wir beide erhielten je einen privaten Lehrer zugeteilt, was auch sehr gut war, denn so konnte jeder individuell gemäss seinem Niveau profitieren. Der Unterricht dauerte 4 Stunden. Ich erhielt eine volle Ladung Grammatik-Repetition verpasst, während Jörg sich im Leseverständnis übte und sich mit seinem Lehrer angeregt über die politische Situation unterhielt. Auch unsere Spanischlehrer beruhigten uns und meinten, wir sollen uns keine Sorgen machen, uns drohe keine Gefahr.

Nach dem Unterricht suchten wir ein Restaurant in der Tourimeile um etwas zu essen. Das Bild hatte sich in der Zwischenzeit allerdings stark verändert. Wir wurden unterwegst nicht mehr von Agenten von Tourbüros angesprochen, was vor allem darauf zurückzuführen war, dass kaum mehr Touren durchgeführt werden konnten. Die Strassen in Richtung Norden waren inzwischen allesamt blockiert, es war nicht mehr möglich Richtung Masaya, zum Vulkan oder anderen Sehenswürdigkeiten zu gelangen. Auch der öffentliche Verkehr war ausgesetzt worden, es fuhren keine Busse mehr Richtung Norden. Es war nicht mehr möglich nach Leon, Masaya, Managua oder gar zum Flughafen zu gelangen. Der kleine Lebensmittelladen in der Strasse wurde leer geräumt aus Angst vor Plünderungen. Die Restaurants wurden geschlossen. Und auch überall sonst in der Innenstadt bot sich dasselbe Bild. Während die einen noch krampfhaft versuchten, ein gewisses Mass an Normalität aufrecht zu erhalten, bereiteten sich die anderen auf das Schlimmste vor. Fenster und Türen wurden mit Holzbrettern oder Wellblech zugenagelt, überall war das Geräusch von Bohrmaschinen zu hören, überall waren Menschen am Werkeln um ihr Hab und Gut zu schützen. Einige Strassen waren bereits menschenleer obwohl es noch früher Nachmittag war, es war richtiggehend gespenstisch. Als wir dann auch noch hörten, dass inzwischen auch die grösseren internationalen Buslinien nach Honduras und Costa Rica nicht mehr fuhren, fällten wir kurzerhand die Entscheidung: Wir mussten hier so schnell wie möglich weg. Auch zum jetzigen Zeitpunkt fürchteten wir noch immer nicht um unsere Sicherheit. Das einzige, was wir fürchteten war, dass wir plötzlich hier fest sitzen, wenn auch noch die Strassen Richtung Süden blockiert würden. Noch war es im Süden ruhiger, die Strassen waren geöffnet. Bloss, wie lange noch? Wann war der richtige Moment um abzuhauen? Wir hatten einen gebuchten Flug in einer Woche von San Jose in Costa Rica nach Ecuador, welchen wir auf keinen Fall verpassen durften. Was würde geschehen, wenn es plötzlich kein Durchkommen mehr gab? Wie lange würde es dauern?
Wir fragten bei verschiedenen Tourbüros nach, und allesamt rieten sie uns: Geht, solange ihr noch könnt. Niemand weiss, was hier geschehen wird. Wie schwer muss es einem Touristenführer fallen, seiner Kundschaft zu raten sein Land zu verlassen? Für den heutigen Montag waren aufgrund eines Ultimatums der Kirche, die in diesem Konflikt als Mediator agieren wollte, Gespräche zwischen der Regierung und Repräsentanten der Bevölkerung angesetzt gewesen. Wir erfuhren, dass diese Gespräche inzwischen auf Mittwoch verschoben worden waren, das Ultimatum wurde nicht eingehalten. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Konflikts waren dadurch erloschen.
Schweren Herzens buchten wir in einem der Tourbüros einen Privattransport, der uns am nächsten Morgen um 07:00 Uhr im Hotel abholen und zur Grenze nach Costa Rica bringen würde. Nun wollten wir so schnell wie möglich weg hier, damit wir wenigstens noch etwas aus der verbleibenden Woche machen konnten, wenn schon nicht in Nicaragua, dann wenigstens in Costa Rica.

Als wir am späten Nachmittag durch den Parque Central zurück zum Hostel gingen, fiel uns auf, dass dort sehr viele Bettler, augenscheinlich sehr arme Menschen und dubiose Gestalten herumhingen. Überall sassen sie in kleinen Gruppen, und alle hatten sie grosse und leere Rucksäcke dabei. Was geht hier bloss vor?
Im Hostel sprachen wir erneut mit der Familie des Besitzers, und sie erzählten uns, dass es in der letzten Nacht zu massiven Plünderungen in einigen Strassen der Innenstadt gekommen war. Das sei auch der Grund, dass alle Leute ihre Türen und Fenster verbarrikadieren. Unter anderem sei die grosse Hauptstrasse betroffen gewesen, die direkt zum Parque Central führt. Also genau dorthin, wo wir abends zuvor die Gruppe Polizisten gesehen hatten! Es sei ganz klar, meinte die Familie, es werde überall erzählt und bestätigt, die Polizei war da und hat einfach weggesehen, als die Läden und Geschäfte in der Strasse geplündert wurden.
Wir zeigten ihnen ein paar Fotos, die wir Minuten zuvor von den dubiosen Gestalten im Park gemacht hatten. Sie erschraken sofort und meinten, das würden wohl die Ladrones (Räuber) sein, die sich dort sammeln, das sei nicht normal. Man hoffe auf Regen heute Nacht, sagten sie. Wenn es regnen würde, würden die Räuber vielleicht nicht zuschlagen. Und tatsächlich, kurze Zeit später begann es wie aus Kübeln zu schütten. Es regnete die ganze Nacht, und es blieb ruhig in dieser Nacht.

Es ist als Aussenstehender wirklich wahnsinnig schwierig, bei diesem Konflikt drauszukommen. Erst nahmen wir an es handele sich um einen Konflikt zwischen Rechts und Links gerichteten Parteien. Aber so ist es nicht. Es ist ein Konflikt für oder gegen den Präsidenten, die verfeindeten Parteien sind alle Sandinisten, also Anhänger der linken Bewegung, die die Revolution 1978 ausgelöst hatte. Heute ist die Frage nicht mehr rechts oder links, sondern offenbar nur noch für oder gegen Daniel Ortega. Wie wir ja bereits erläutert hatten, ist Daniel Ortega selber zu dem geworden, was er früher als Revolutionär bekämpft hatte: ein autoritärer Diktator, der um jeden Preis seine Macht im Land halten will.
Wenn man das mal begriffen hat, wird die Sache damit allerdings keineswegs einfacher. Nun gilt es nämlich, die verschiedenen involvierten Parteien zu identifizieren. Es gibt die Sandinisten, die gegen den Präsidenten sind, also die eigentlichen Demonstranten. Dann gibt es die Sandinisten, die noch immer hinter dem Präsidenten stehen, unser Hostelchef nennt sie Danielistas. Möglicherweise gibt es noch irgendwelche Rechte und übriggebliebene Revolutionsgegner der alten Stunde, keine Ahnung, was die für eine Rolle spielen. Ein grosser Teil der Leute bezieht wohl gar keine Stellung, sondern hält sich raus und versucht sein Hab und Gut zu schützen. Dann gibt es irgendwelche Paramilitärischen Gruppierungen, die mehr oder weniger geheim von der Regierung beauftragt sind, Terror in den Strassen zu sähen. Weiter gibt es wohl doch auch noch ein paar arme Schlucker, die einfach die Gunst der Stunde nutzen und durch Plünderungen versuchen, für sich etwas abzustauben. Dann gibt es die Polizei, von der niemand genau zu wissen scheint, auf welcher Seite sie steht. Weiter gibt es noch Spezialeinheiten, deren Aufgabe es ist, Aufstände, Proteste und dergleichen zu «schlichten». Ausserdem gibt es noch die Kirche, die als Mediator fungieren und zwischen den Parteien vermitteln will. Und zuletzt noch das Militär, welches sich bisher nicht eingemischt hat. Und wie bitteschön soll man nun alle diese verschiedenen Typen voneinander unterscheiden können? Das kann einem auch niemand genau erklären. Kein Schwein blickt hier durch.
Obwohl diese Situation unangenehm ist, muss man aber auch ehrlich sagen, dass es wahnsinnig interessant ist, diese Geschehnisse hautnah miterleben zu können. Natürlich aus einer sicheren Position betrachtet.
Ich persönlich habe in dieser ganzen Sache eine wichtige Lektion gelernt: und zwar wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es ist, sich als Aussenstehender eine Meinung zu bilden und sich ein Urteil anmassen zu können. Gerade für die westlichen Weltmächte ist es ja üblich, sich überall einzumischen, und in weit entfernten Konflikten, die sie weder betreffen, noch irgendetwas angehen, die eine oder andere Partei zu unterstützen. Mit welchem Recht, frage ich, und auf welcher Grundlage?
Ich war in diesem Land, war Zeuge eines seiner dunklen Kapitel und sah in diesem Konflikt verschiedenste involvierte Parteien und ich habe nicht die geringste Chance, diese überhaupt nur genau zu unterscheiden und abzugrenzen, geschweige denn deren Beweggründe und die zugehörigen Vorgeschichten und Entwicklungen zu analysieren und zu beurteilen. Welche Partei ist hier im Recht? Sind es die Anhänger des prominenten Revolutionären, die festhalten an den Errungenschaften aus der Revolution und die möchten, dass der wirtschaftliche Aufschwung wie bisher weitergeht, egal zu welchem Preis? Oder sind es die Pensionäre, die um ihre Rente gebracht werden? Oder die Studenten, die sich Veränderung und Innovation im Land wünschen, das Ende der Korruption, der Repression und der Zensur verlangen? Oder ist es der Revolutionär selbst, der mit aller Macht versucht, seine Präsidentschaft aufrecht zu erhalten, nötigenfalls mit Gewalt? Wer bin ich, das zu beurteilen.

Es ist uns sehr schwer gefallen, Nicaragua zu verlassen und wir waren sehr traurig, als wir am nächsten Tag abgeholt wurden. Zumindest für mich stand dieses Land ganz oben auf der Wunschliste in Zentralamerika und ich bedauere sehr, dass wir nicht genügend Zeit hatten, um alles zu sehen, was wir sehen wollten.
Noch mehr bedauere ich die Leute, die nun dort vor dem nichts stehen. Ich erinnere mich an die Worte meiner Spanischlehrerin, die Besitzerin der Sprachschule. Sie meinte, man habe nach dem Bürgerkrieg so lange gebraucht, um das alles aufzubauen. Um die Welt davon zu überzeugen, dass Nicaragua ein friedliches Land ist. Um die Touristen ins Land zu holen, eine touristische Infrastruktur zu gestalten, um Wohlstand für das Land zu schaffen. Es habe floriert in Nicaragua, es seien bessere Zeiten gewesen, man habe die Hoffnung gehabt, bald zu Guatemala oder Mexiko aufholen zu können. Und nun müsse man eben wieder von vorne beginnen.

Ich wünsche Nicaragua und seiner Bevölkerung viel Glück und Durchhaltewillen für die kommende Zeit. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sie untereinander eine Lösung finden werden, dass dieser Konflikt zu etwas Gutem führt und das bald wieder bessere Zeiten anbrechen. Wir erlebten eine kurze aber sehr intensive Zeit in diesem Land und wir werden auf jeden Fall gerne hierher zurückkommen!

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