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Sinalunga – wo die Zeit eingeschlafen ist

Veröffentlicht: 18.10.2025

Pienza gilt als Perle des Val d’Orcia. Zurecht. Während Montalcino und Montepulciano ihre weltberühmten Weine für sich werben lassen, hat Pienza „nur“ den Pecorino – eine Käsesorte, die ganz besonders gut schmeckt, weil die Milch von Schafen stammt, die im Val d’Orcia weiden. Das Gras dort muss außergewöhnlich gut sein.

Gut. Aber wenn ich mich für ein Aushängeschild entscheiden müsste und die Wahl zwischen einem weltberühmten Wein und einer guten Käsesorte hätte, müsste ich ausnahmsweise nicht lange überlegen. Ich denke, Pienza braucht sich dennoch nicht hinter seinen Nachbarstädten zu verstecken. Mit dieser Meinung bin ich in guter Gesellschaft: Die Macher der Kinoschlager Der englische Patient und Gladiator entschieden sich für Pienza als Drehort einiger Schlüsselszenen.

Das wiederum scheint auf viele Menschen wie ein Magnet zu wirken. In keiner anderen Stadt unserer Toskana-Tour waren so viele Touristen unterwegs wie in Pienza. In den schmalen Gassen war kaum ein Durchkommen. Bei so viel Trubel war es schwer, etwas von jener bezaubernden Atmosphäre einzufangen, von der viele Besucher – darunter auch mein Vater – uns vorgeschwärmt hatten.

Wir gingen einen anderen Weg. Heute Morgen waren wir nach Siena aufgebrochen, wollten aber unterwegs noch bei einem Lidl unsere Vorräte auffüllen. Der nächste war in Sinalunga zu finden – wo es zufällig auch einen kostenlosen Stellplatz mit allen Services gibt. So beschlossen wir kurzerhand, hier zu übernachten und uns die fast 13.000 Einwohner zählende Stadt etwas näher anzuschauen.

Was ich nicht wusste: Der Ort gliedert sich in zwei Teile. Pieve di Sinalunga liegt auf einer kleinen Anhöhe, doch Sinalunga Paese mit seiner historischen Altstadt thront fast 200 Meter höher. Bei praller Sonne und 24 Grad war das kein Spaziergang!

Wir machten langsam. Ganz langsam. Und entdeckten dabei Erstaunliches: kunstvoll verzierte Türen, versteckt hinter alten Mauern, filigrane Tonfiguren in kleinen Blumentöpfen – oder einfach nur diese himmlische, kilometerweite Aussicht auf die unendlich vielen Felder, Gärten und Dörfer der Toskana.

Die unbändige Kraft ihrer Natur, die seit Jahrhunderten ihre Bewohner mit reicher Ernte beschenkt, ist auch in dieser Stadt in jedem Winkel zu spüren. Ebenso – in krassem Gegensatz dazu – der stille Verfall der kleinen Orte abseits der großen Touristenströme: verlassene Häuser, die in sich zusammenfallen, überquellende Briefkästen, die keiner mehr leert, Autowracks, die in irgendeiner Ecke langsam vor sich hin rosten. In den Cafés oder auf dem großen Platz sieht man fast nur alte Menschen, die beieinander sitzen und wahrscheinlich über die gute, alte Zeit palavern – die in ihrer Stadt vor vielen Jahren friedlich eingeschlafen ist.

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