Veröffentlicht: 22.03.2024
Ich bin geflasht, ohne Wenn und Aber. Und als Kuratorin aus dem Feld kann ich sagen, dass ich sowas noch nie gesehen habe.
Das Museum hat im November 2023 seine Türen geöffnet. Drei kompakte, permanente und sehr unterschiedliche Ausstellungen sind der Kern des neuen bzw. vollständig renovierten Museums.
Vor allem die Ausstellungen zu versteckten Kindern, die auf junge Besuchende zugeschnitten ist, haut(e) mich um.
Die Ausstellung kann nur mit einem 'facilitator', eine Art Moderator oder Anleiter, besucht werden und als Gruppe, somit ist das Besuchererlebnis sehr anders als in einer klassischen Dauerausstellung.
Etwas sehr anderes - und zumindest ich habe so etwas bisher in dieser Form noch nie gesehen - eine zwanzigminütige Virtual Reality Umsetzung eines Besuchs eines Holocaust-Überlebenden aus Melbourne zurück an seinen Wohnort in Polen und den Verfolgungsorten. Der Besuchende reist somit nicht nur mit dem Zeitzeugen nach Europa, sondern auch ins ehemalige Ghetto nach Łódź, nach Auschwitz und Buchenwald. Die Ausstellung heißt "Walk with me" also in der Art: Komm mit mir/Geh mit mir.
Es geht darum, wie diese Orte heute aussehen und was der John Shiya Chaskiel zu bestimmten Orten erinnert und erzählt. Er nimmt den Besuchenden dabei mit. Letzteres im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich gebe zu, ich war zunächst sehr skeptisch, vor allem nachdem ich so etwas in der Art das erste Mal 2019 im Zweiten Weltkriegsmuseum in Gdańsk/Danzig gesehen, quasi mitgemacht habe. In Gdańsk ging es damals um den Warschauer Aufstand 1944 und der Besuchende war kein/e Besucher/in mehr, sondern ein polnischer Widerstandskämpfer. Von der Umsetzung in Gdańsk war ich schwer schockiert, die Narration empfand ich als stark polnisch-nationalistisch und vor allem brutal. Die Szenen waren so manipulativ, dass ich am Ende dachte, ich verlasse das Museum und stehe im Kampf. Es dauerte lang bis ich darüber hinweg kam.
Doch zurück nach Melbourne oder besser mit VR-Brille dann doch nach Polen, mit dem Holocaust-Überlenden aus Melbourne. Die Aufnahmen wurden vor über 9 Jahren (!) gemacht, manchmal merkt man, dass einige Aufnahmen etwas alt wirken, dennoch ist dies eine krasse Erfahrung und Besuchendenperspektive.
Und ich bin schwer begeistert.
Da die vollen 20 Minuten bis auf wenige historische Fotos, die eingeblendet werden, im Heute bleiben und auch in St. Kilda in Melbourne enden, ist der Film sehr informativ und emotional und gegenwärtig, jedoch nicht überwältigend und manipulativ (wie in Gdańsk…). Daher: unbedingt anschauen - und darüber sollte in Europa mehr gesprochen werden.
Mehr dazu hier: https://mhm.org.au/walk-with-me-a-virtual-reality-film/
Die Dauerausstellung selbst ist kompakt und gefiel mir gut. Die Kuratorinnen haben explizit darauf geachtet, so viel Material aus dem eigenen Bestand zu nehmen wie möglich und so stark wie möglich auf Melbourne zuzuschneiden, wie es nur geht. Man kann Überlebenden folgen und an Videostationen „in die Fusstapfen” einer Person treten,
an einigen Stellen gibt es Fragen zur Aktivierung des Besuchenden, die sogenannten „Dilemma-Boxen”
und an vielen Stellen erinnern Spiegel den Besuchenden daran, dass er Teil dieser Geschichte ist. Dass das Thema mit dem Heute zu tun hat.
Ich bin schwer begeistert und beeindruckt, auch weil ich einige der hier umgesetzten Ideen für Projekte in Deutschland hatte, doch teils auf taube Ohren stieß. Ich hab mich (schon länger) gefragt warum - und dann entschieden zu denken, dass ich vielleicht hier richtig(er) bin.