Mit Geschichte(n) um die Welt
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Adelaide, die Stadt der Sonnenuntergänge

Veröffentlicht: 17.04.2024

Die letzten Nachrichten aus Sydney zu mehreren Toten nach gleich mehreren unabhängigen Messerangriffen zeigen, dass Australien nicht nur Sonnenschein und Heiterkeit ist. Nein, (auch) dieses Land ist (leider) im negativen Sinne wesentlich mehr und hat tiefe Abgründe. Die Stimmung der letzten Tage in der Stadt ist angepannt.
Dieser Text wurde vorher geschrieben und zeigt die australische Sonnenseite, nicht den Schatten. Zum letzteren fehlt hier noch ein Text und vielleicht komme ich noch dazu, wenn nicht, dann sei er mitgedacht.

Aus Perspektive vieler Sydneysiders und Melbournians, gilt Adelaide, die Hauptstadt Südaustraliens, als nicht besonders spannend. Und wenn schon, dann ist es zumeist verbunden mit Festivals - die jedoch fast alle und fast zeitgleich jährlich im März stattfinden. Oder es gibt noch die Assoziation  "Wein", denn Adelaide ist umgeben von gleich mehreren weltbekannten Winzereien. Das war es dann aber zumeist. 

In den letzten Monaten war ich mehrfach in Südaustralien und eben besonders und vor allem in Adelaide. “Schon wieder?”, hörte ich nicht nur einmal. Und das auch mit einer gewissen Überheblichkeit. Dort, in Adelaide, sei eben nicht so viel los. Sydney ist es nicht. Und auch nicht eben Melbourne oder Brisbane. 

“It's like a big country town.” - Es ist eben eine größere Kleinstadt; oder viel mehr mit der hiesigen Betonung, eben nur eine größere Kleinstadt, eben nur etwa 1,3 Millionen, eben im ländlichen Raum, weit weg. In dieser Betonung klingt auch Adelaide erst recht langweilig.

In Internetforen und auf Facebook und Co. lese ich immer wieder Nachfragen von Reisenden, ob sich denn dieses Adelaide lohnen würde. So weit weg, so von allem. Sollte man da hin?

Manche der mir begegeneten Sydneysider - und das muss ich einräumen - waren aber auch etwas gütiger. Diese meinten, dass Adelaide viel mehr vom ursprünglichen Australien habe. Auf die Frage, was sie damit meinten, konnten es meine Gesprächspartner:innen jedoch oft nicht recht erklären.

Vielleicht die Angelegenheit? 

Eben (noch) etwas weiter weg? 

Eben so, dass man da eher nicht so direkt hinkommt; es ist aber eben auch zu groß um darüber hinwegzugehen und doch ist es aber zu klein für eine direkte Verbindung? 

Mh, ja, vielleicht ist es das. Es könnte auch eine allgemeine Beschreibung für Australien insgesamt sein.

Vielleicht ist es aber auch, dass man an der Küste immer mal wieder rote Erde, Felsen, Klippen sieht und somit quasi das Markenzeichen für das “richtige” Australien. 

Vielleicht sind es auch die Haie - und Haiattacken?

Mein Gefühl wie meine Erfahrung vor Ort sagen mir, dass Adelaide ziemlich cool und "underrated" - unterschätzt, unterbewertet - ist. Adelaide und Südaustralien sind oft warm, im Sommer heiß, dazu weit weg, rote Erde, Kängurus, Koalas, Haie, Schlange, Spinnen. 

Australien eben. 

Dazu aber auch viel Draußen sein und vor allem entspannte Menschen, die wissen zu genießen (Strand + Wein) und sich offensichtlich nicht stressen lassen (wollen); weder von giftigen Tieren, von anderen Menschen, noch vielleicht von der Welt insgesamt. So mein Eindruck.

Ich bin also voreingenommen, denn ich mag dieses Adelaide. Die Türen die per Mail nicht aufgingen, öffneten sich im Schneeballeffeket und in Windeseile als ich erst einmal vor Ort war - und immer wieder zurückkam. "Schon wieder!", wurde ich oft in Adelaide mit einem herzlichen Lächeln empfangen.

Vielleicht - und damit mögen stolze Sydneysiders und Melbournians recht haben - würde es mir nach einiger Zeit in Südaustralien langweilig werden. Mag sein. Für einige Wochen finde und fand ich es jedoch sehr gemütlich, irgendwie heimelig und vor allem "welcoming" - offen und herzlich. Menschen kennenzulernen fiel nicht schwer. Ob es an mir oder den Menschen in Adelaide lag, weiß ich nicht. Vielleicht an der Kombination aus beidem.

Die Strände sind wunderschön, die Sonnenuntergänge aufgrund der Lage der Stadt phänomenal. 

Kein Fotofilter!

Dazu und das ist für mich Australien: Sonne, Wasser und Strand, genau das lässt viele draußen und unterwegs sein; und vielleicht deswegen erscheinen mir Australier:innen auch irgendwie und zumeist stressresilienter.

In Adelaide ist das offensichtlich nochmal multipliziert. Vieles braucht hier länger: der Smalltalk, die Zeit beim Friseur, selbst die Autofahrten. Ich habe dazu den Eindruck, die meisten wollen mit einem ins Gespräch kommen. Entweder es gibt hier weniger Stress als in anderen Städten oder die Leute lassen sich weniger stressen. Dazu ist das Leben in Adelaide erschwinglich(er). Für Lebensmitteleinkäufe in Adelaide habe ich oft die Hälfte (!) von dem bezahlt, was ich im östlichen Sydney ausgebe(n muss).

Südaustralien - der historische Sonderfall Down Under


Südaustralien ist historisch gesehen dabei ein ziemlicher Sonderfall in Australien. Hier ist man/frau oft stolz, dass die Region von "freien Siedlern" kolonisiert wurde, nicht von convicts, von Sträflingen wie in anderen Teilen Australiens. 

Absolut jeder hier erzählte mir, dass ich nach Hahndorf müsste. Unbedingt und keine Widerrede! Das “typische” Kleindeutschland, gegründet 1839. Es sei bekannt für das deutsche Bier, den Wein, das deutsche Essen und vor allem die typisch deutsche Architektur,  so sagte man mir. Als ich etwas irritiert erwiederte, dass es 1839 noch gar kein Deutschland gab und es vielleicht gar nicht so sehr "deutsch" sei, wie heute vermarktet, wollte kaum jemand hören. "Mh, interesting" - mh, interessant - wurde oft geantwortet. Ich sagte dann aber auch, dass mich Kleinpolen (heute Polish Hill River) weiter nördlich vom "deutschen Hahndorf" viel mehr interessiert und ich dorthin fahren wollte. 

Doch keine Widerrede. 

Jeder, selbst die australischen Pol:innen oder polnischen Australier:innen wollten mit mir nach Hahndorf. Das sei ein Muss, so hörte ich auch außerhalb von Südaustralien. Das kleine Dorf hat eine Bekanntheit, die weit über die Region hinausreicht. “Na gut”, erwiderte ich, “aber nur, wenn wir auch “nach” Polen fahren. Das ist für mich ein Muss."

Im Endeffekt ging es mit meiner Zugallsbekanntschaft aus der Mitfahrgelegenheit - wie gesagt jeder mag hier quatschen - nach Hahndort. Und es folgten damit gleich mehrere Tagesausflüge. Auch nach Kleinpolen, in Sevenhill im Clare Valley, eine Stunde nördlich von Adelaide. Es ist bekannt für seine Weine, vor allem Riesling, aber eben auch für eine kleine polnische Kirche, heute genannt Polish Hill River.
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Polish Hill River, Museum und Kirche

In einem kleinem Museum wird die Geschichte der (wohl) ersten polnischen Siedlung in Australien beschrieben. Ebenso wie die deutschsprachigen Lutheraner:innen in Hahndorf kamen auch die Katholiken und Polnischsprachigen aus Preußen und vor allem Schlesien nach Südaustralien. Die meisten nahmen ein Schiff in Hamburg oder Bremen.

Polish Hill River war lange vergessen, doch als nach dem Zweiten Weltkrieg viele polnische DPs und nun "New Australians" (Neuaustralier:innen) kamen, begann eine neue Phase der Geschichte der kleinen Kirche und Siedlung. Polish Hill River wurde in der polnischen Diaspora so bedeutend, dass sich vor allem polnische Einwander:innen und darunter viele frühere DPs sich in Polish Hill River beerdigen lassen wollen und wollten. Wenn schon sterben im Exil, dann in der "polnischsten" Erde Australiens, so oft der Gedanke. Dieser Andrang aus ganz Australien führte zuletzt dazu, dass der Friedhof geschlossen wurde. Beerdigungen sind derzeit nicht mehr dort möglich.

Eudoxia Rakowska lebte zum Beispiel zuletzt in Brisbane - etwa 1900km von Adelaide entfernt.

Die geschichtsträchtige Tour lässt sich "adelaide like", Adelaide mäßig, wunderbar mit Wein, gutem Essen und später wunderschönen Sonnenuntergang am Strand abschließen. Trust me, glaub mir: Adelaide ist es eine Reise wert und nach insgesamt etwa vier Wochen hier. I'll be back, ich komme wieder!




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