Veröffentlicht: 01.12.2018
Peru haben wir jetzt endgültig hinter uns gelassen. Nach einer Mammutreise aus dem Norden Perus (zunächst ging es knapp 32 Stunden lang mit dem Bus von Huaraz über Lima nach Cusco) ging unser Flieger von Cusco nach El Alto. Nach nur einer Stunde in der Luft konnten wir dann endlich nach Bolivien einreisen. Wir haben es ins zweite Land unserer To-visit-Liste auf der Weltreise geschafft! Der Flughafen bei La Paz liegt in El Alto, der heutigen Nachbarstadt und einstigem Stadtteil von La Paz, und ist mit knapp 4.000m über Null einer der höchsten Flughäfen der Welt. Anschließend geht es mit dem Taxi hinunter ins Tal. Die ersten Ausblicke auf La Paz sind schon sehr beeindruckend! Die Stadt mit ihren etwas mehr als 750.000 Einwohnern klebt förmlich an den Hängen der Anden. Zwischen den einzelnen Stadtteilen auf dem Plateau und denen im Talkessel liegen 1.000 Höhenmeter. Das macht sich natürlich auch im Klima bemerkbar, welches unten deutlich angenehmer ist als auf der Höhe, wo der kalte Andenwind pfeift.
In Downtown haben sich einige Firmen angesiedelt
Zwischen dem Wohnort und dem sozialen Stand der Bewohner gibt es einen eindeutigen Zusammenhang: Je höher das Haus oder die Wohnung gelegen ist, desto ärmer. Die sozialistische Regierung wollte dem entgegenwirken und hat medienwirksam ein Mammutprojekt ins Leben gerufen: Bis 2020 sollen in La Paz 11 Seilbahnlinien die einzelnen Stadtteile miteinander verbinden - nicht nur in geographischer Hinsicht versteht sich. Bisher sind schon 8 Linien im Betrieb. Ob sich die mehreren Milliarden Dollar in diesem edelen Sinn auszahlen, bleibt abzuwarten, uns jedenfalls gefallen die Bahnen sehr gut, erhält man so doch sehr günstig (38cent pro Fahrt) einen herrlichen Ausblick auf die Stadt.Insgesamt verbringen wir knapp eine Woche in La Paz. Entgegen unserer Erwartungen - wir sind im Vorfeld gewarnt worden, La Paz wäre keine zwei Tage wert - gefällt es uns sehr gut hier. Das quirlige, unüberblickbare Treiben auf den unzähligen Märkten (oder ist es nur ein großer? Der in El Alto soll 400 Häuserblocks umfassen!) ist sehr unterhaltsam!
Blick auf einen der Märkte in La Paz
Wir haben uns mittlerweile angewöhnt in jeder neuen Stadt zunächst eine Free Walking Tour zu machen. Auch in La Paz wird so etwas angeboten – nicht komplett kostenlos, da die Veranstalter gezwungen sind, Steuern zu zahlen, aber für umgerechnet 2,50€ können wir auch nicht meckern. Wir starten neben dem legendären Gefängnis „San Pedro“. Legendär, da es einer Stadt innerhalb einer Stadt gleichen soll. In seinen Mauern herrschen andere Gesetze, Wachen stehen nur am Eingang. Ursprünglich für knapp 400 Gefangene ausgelegt, beherbergt es im Moment knapp 1.500 Menschen: die Gefangenen leben mit ihren Familien, Frauen wie Kinder. Seit einem Jahr ist das Gefängnis für Touristen geschlossen. Vorher konnte man am Eingang ein Schutzgeld entrichten und durfte sich das Treiben anschauen. Die Tour war vor allem bei Touristen sehr beliebt, da man am Ende der Tour ein weißes Pulver erwerben konnte. In San Pedro gibt es Geschäfte, Restaurants, Frisöre - eigentlich alles, was man zum täglichen Leben so braucht. Je mehr Geld ein Insasse hat, umso besser kann er dort auch Leben. Die ganz großen Fische haben angeblich die Zimmer mit der besten Aussicht, haben Telefon, Internet, Fernseher und müssen wohl auch nicht für ihr Geld arbeiten (Schutzgeld, Drogen, etc.). Die armen Tröpfe schlafen in den Fluren auf dem Boden und müssen zusehen, wie sie ihr eigenes Geld auftreiben.
Der rege Drogenhandel zwischen dem Gefängnis und dem Rest der Stadt hat dem Gefängnis als Touristenattraktion den endgültigen Riegel vorgeschoben. Teilweise, wahrscheinlich unwissentlich, wurden die Touristen dafür benutzt, das im Gefängnis gekochte Kokain nach draußen zu schaffen. Wie in einem Gefängnis Drogen produziert werden können? Wie gesagt, Wachen gibt es nur am Eingang und sie verdienen verhältnismäßig schlecht, so dass sie wohl kaum einen kleinen Nebenverdienst ausschlagen. Zudem kann man innerhalb der Mauern alles kaufen und die Kinder und Frauen der Insassen sorgen für regelmäßigen Nachschub an Rohstoffen, schließlich dürfen sie ein- und ausgehen wie sie wollen. Verrückt! Teilweise werden wohl immernoch Touren in das Gefängnis angeboten, diese sind jedoch nicht offiziell und sollten in keinem Fall gemacht werden. Unsere Guides erzählen uns, dass zwei Touristen diese "Tour" gemacht haben und am Ende von den Wachen nicht aus dem Gefängnis gelassen wurden, da es ja keine Touren mehr gibt. Sie mussten umgerechnet knapp 1.000 US$ bezahlen, um sich wieder frei zu kaufen!
Abgesehen vom Gefängnis lernen wir bei unserer Tour noch eine ganze Menge über die Stadt und auch über Bolivien. Der Hauptplatz, über dem heute der riesige Präsidentenpalast in den Himmel ragt, steht wie kein anderer für die turbulente Vergangenheit der Republick Bolivien. Schlechte Bezahlung der Polizisten, kaum funktionierende öffentliche Infrastruktur, Armut der Landbevölkerung und Korruption in den höchsten Kreisen hat immer wieder zu blutigen Aufständen geführt. So zeugen heute noch über 40 Einschusslöcher rings um den Plaza Murillo von einem Aufstand im Februar 2003, als sich das Militär, die Wachen des Präsidenten und die Polizei quer über den Platz ein Gefecht lieferten. Als Denkmal zu Ehren der Toten auf beiden Seiten sollen sie nicht verschlossen werden.
Einschusslöcher am Polizeipräsidium
Am Palast wurden sie selbstverständlich entfernt...man wäscht seine Hände in Unschuld.
Der mehrere Millionen Dollar teure Turm des Präsidentensitzes ragt hoch in den Himmel - nur die Tauben kommen höher
Wir lernen außerdem, wie abergläubisch die Bolivianer noch sind. Das überrascht uns ziemlich. Erst recht in dieser großen, so weltoffen scheinenden Stadt. Wir laufen über den Hexenmarkt, auf dem man alle möglichen Opfergaben an alle erdenklichen alten Götter und Geister kaufen kann. Von Kräutern über Alkohl und Süßigkeiten bis hin zu getrockneten Lamaföten ist alles zu bekommen. Die Föten werden ins Fundament eines neuen Hauses gelegt, als Opfergabe an Pacha Mama, der Mutter Erde, damit sie das Haus auf ihr duldet und es nicht einstürzen lässt. Wir erfahren, dass für große Bauvorhaben so ein Lama nicht reicht...dort muss ein Mensch geopfert werden. Lebend versteht sich, schließlich soll Pacha Mama das Leben des Opfers nehmen. Ob das nur ein Schauermärchen unserer Free Tour Guides war oder tatsächlich etwas dran ist - wer weiß?
Opferschalen am Hexenmarkt
Das Pacha Mama Opfer funktioniert angeblich nur mit totgeborenen Lamas - da Pacha Mama sich dieses Leben bereits genommen hat
Am nächsten Tag buchen wir mit den gleichen Veranstaltern der Stadttour eine weitere Tour zum Friedhof, nach El Alto und zum Cholita-Wrestling. Cholitas, das sind die indigenen Damen in ihren typischen Trachten: einem ausladenden Rock, bunten Oberteilen, ihren langen geflochtenen Zöpfen und dem klassischen Bowler. Auch wenn es eine reine Touristenveranstaltung zu sein scheint, Spass macht es trotzdem. Die jungen Damen geben sich alle Mühe. Der Schiri ergreift immer wieder Partei, wir feuern die benachteiligte Kämpferin lauthals an und fordern immer wieder, dass der Schiedsrichter ausgetauscht wird ("Cambio" ist der einzige Ruf, den wir verstehen können ;-) ) Unser persönliches Highlight ist die indigene Dame hinter uns. Sie sitzt entspannt in den Reihen, strickt an einem Pullover und genießt die Szenerie. Irgendwann jedoch platzt ihr gehörig der Kragen und sie bewirft den Schiri und zwei Kämpferinnen mit Essen und Wasser und pöbelt lauthals herum. Es ist herrlich!
Den Hut haben sie vorher abgelegt - der kann ja auch bis zu 1.000US$ kosten!
Tatsächlich ist die Cholita-Wrestling-Liga offiziell anerkannt und erfreut sich steigender Beliebtheit. Zudem ist auch der soziale und kulturelle Aspekt nicht zu unterschätzen: So amateurhaft die ganze Veranstaltung noch scheinen mag, so setzt sich die Cholita-Liga für Frauenrechte ein, unterstützt die lokalen Frauenhäuser und sorgt allein mit der Idee einer starken, kämpfenden und selbstständig Geld verdienenden Frau für ein neues Selbstverständnis der noch sehr unterdrückten und häuslicher Gewalt ausgesetzten Frauen in Bolivien.
Langsam haben wir genug in La Paz unternommen und planen noch drei Ausflüge in die Umgebung. Zunächst machen wir uns auf zum Tiwanaku Tempel eine gute Autostunde von El Alto entfernt. Die einst bedeutende Anlage einer Prä-Inka-Kultur liegt heute 15 km vom Titicacasee entfernt, verfügte zu ihrer Blütezeit allerdings über einen eigenen Hafen am Ufer des geschrumpften Sees.
Die Tempelanlage war von fruchtbaren Feldern umgeben. Ein Drainagensystem mit Regenwasser versorgte die Felder ganzjährig mit Wasser und erzeugte ein eigenes, Ackerbau-freunfliches Mikroklima auf dem 4.000m hohen Altiplano der Anden, welches unter anderem Frost entgegenwirkte.
Die Tiwanaku Kultur bestand wohl zwischen 1500v.Chr. bis 1200n.Chr., wobei sie ihren Höhepunkt um 900n.Chr. hatte. Die Einwohner der Tempelstadt waren schon sehr weit entwickelt. So nutzten sie ähnlich wie die Römer Metallschnallen um die einzelnen Steinblöcke ihrer Bauten miteinander zu verbinden. Bis heute stehen die Wissenschaftler noch vor dem Rätsel, wie die Tiwanaku es schafften, die Steine so perfekt und akkurat zu schleifen, dass perfekte 90 Grad Winkel und absolut glatte Flächen entstanden. Damit stellten sie sogar die Inka in den Schatten. Ihr Haupttempel war pyramidenartig angelegt mit einem großen, mit Regenwasser gefüllten Becken auf dem obersten Plateau. In diesem Becken spiegelte sich am 3. Mai jeden Jahres das Sternenbild des Andenkreuzes im Wasser. Die Anlage drumherum diente als großer Kalender. Das berühmte Sonnentor zum Beispiel, welches aus einem einzigen, 12 Tonnen schweren Andestitblock errichtet wurde, zeigt noch heute den Tag der Wintersonnenwende (also den Tag, an dem in Bolivien der Sommer beginnt). Das Sonnentor soll damals komplett vergoldet gewesen sein! Auf dem Stein fanden Archäologen Rückstände von Gold.
Das Sonnentor mit eingravierter Gottheit und Pumas, die dem Kreislauf des Lebens symbolisieren
Berühmt ist die Tiwanaku Kultur auch durch ihren Schamanen-Kult. Mit Behinderungen geborene Kinder waren für sie heilig und wurden von Geburt an auf das Leben als Vermittler zwischen Menschen und Göttern vorbereitet. Ihnen wurde der Kopf gebunden und mit Holzplatten so deformiert, dass der Schädel lang und spitz wurde. Da diese Art der Schädeldeformation Schmerzen und Druck im Kopf mit sich bringt, lernten die Tiwanaku den Schädelknochen zu öffnen und regelmäßig Druck abzulassen. Damit einhergehend entwickelten sie natürlich auch andere medizinische Eingriffe weiter und waren geübte Heiler und Mediziner. Vieles ist von dieser Kulter verloren gegangen, da es damals keine Schrift gab und wenig überliefert ist. Die Tiwanaku fielen Ende des ersten Jahrtausends einer Dürreperiode zum Opfer, dann kamen die Inka und anschließend die Spanier. Die Tempel wurden geschliffen und die Sprache der Tiwanaku wurde vergessen. Das erschwert den Archäologen die Arbeit ungemein. Einzig der Wassertempel ist noch original erhalten, da er mit Erde zugeschüttet war und unter dem normalen Erdniveau lag. Hier wurde auch der größte Monolith entdeckt, der heute im angrenzenden Museum steht aber leider nicht fotografiert werden darf (wir verweisen auf Wikipedia, Bennett-Monolith: https://de.wikipedia.org/wiki/Bennett-Monolith).
In dem von den Spaniern unentdeckten Wassertempel sind über 40 verschiedene Steingesichter zu entdecken, wahrscheinlich Abbilder bedeutender Schamanen
Unser zweiter Ausflug von La Paz führte uns zur Todesstraße - Camino de la Muerte - auf welcher wir uns 67km mit Mountainbikes hinunterstürzten. Bis Dezember 2007 war der Camino de la Muerte als zweispurige Straße geöffnet und galt als gefährlichste Straße der Welt, da sie oftmals nur Platz für ein Fahrzeug bietet und unzählige Autofahrer hier verunglückten. Zudem ist der Straßenrand mit steilen, bis zu 500m tiefen Klippen und Abhängen gesäumt, sodass ein Absturz kaum überlebt werden kann. Bis 2007 verunglückten jährlich 200 bis 300 Reisende auf der Straße (Wikipedia). Außerden kann es auf Grund von Regen jederzeit zu Erdrutschen und Steinschlägen kommen, welche das Risiko für Auto- und Fahrradfahrer deutlich erhöhen. Die Straße wurde in den 1930er Jahren von paraguayischen Kriegsgefangenen innerhalb kürzester Zeit gebaut. Nach Fertigstellung der Straße wurden diese Kriegsgefangenen die Klippen hinunter getürzt. Nicht sehr nett von der bolivianischen Regierung und ebenfalls ein Grund für den gruseligen Namen! Auf der Straße passiert man unter anderem ein Denkmal für fünf Revolutionäre, die in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ebenfalls an den Klippen hingerichtet wurden und das Haus eines deutschen NS-Kriegsverbrechers, welcher sich in den bolivianischen Yungas vor der französischen Justiz versteckte. All dies trägt natürlich zum tödlichen Image der Death Road bei.
Heutzutage wird die Todesstraße vorwiegend von Mountainbikern als Attraktion genutzt und von ca. 30.000 Touristen jährlich befahren. Seit 2007 exisitert eine moderne, zweispurige Umgehungsstraße, welche den Autoverkehr tagsüber umleitet. Daher sind auch die Todeszahlen stark gesunken. Pro Jahr verunglückt im Durchtschnitt ein Fahrradfahrer oder Guide. Letztes Jahr starb wohl ein Guide beim Versuch ein Foto von seiner Gruppe zu machen. Dabei ist er einen Schritt zu weit nach hinten getreten... Abends und nachts ist die Straße für den Autoverkehr wieder geöffnet. Laut unserem Guide verunglückten letztes Jahr zwei LKWs nachts auf der Todesstraße, welche mit ihren Familien unterwegs waren tödlich. Beide Fahrer standen wohl unter starkem Alkoholeinfluss. Autofahren in Bolivien ist tatsächlich hauptsächlich wegen des Alkoholismus ein großes Wagnis.
Für uns Fahrradfahrer geht die Strecke ca. 67km bergab. Zunächst erfolgt auf der modernen Straße die Feuertaufe und anschließend geht es dann auf die "echte" Todesstraße, welche ein ca.1,5m breiter Schotterweg inmitten der Yungas ist. Man fährt von 4.670m Höhe runter auf 1.200m, immer wieder durch kleine Bäche oder unter Wasserfällen hindurch. Lauras Tipp: viel Schwung nehmen, bevor man durch den Fluss fährt, sonst bekommt man nasse Füße. Während der Abfahrt passiert man fast alle Klimazonen Südamerikas.Oben ist es erst noch recht kühl und unten erwartet einen dann tropisches Klima im Regenwald der Yungas. Wir können die Tour jedem empfehlen! Man kann sein eigenes Tempo fahren und es macht einfach nur tierisch Spaß.
An unserem letzen Tag, ehe wir abends den Bus zu unserem nächsten Ziel nehmen, wandern wir noch im Valle de las Animas, dem Tal der Seelen. Angeblich etwas spektakulärer als das Valle de la Luna, dem Mondtal, schlängelt sich das Tal im Südosten der Stadt entlang eines längst ausgetrockneten Flussbettes. Die Erosion durch Wind, Wetter und des verschundenen Flusses hat eine bizarre Landschaft geschaffen, in der sich Felsen wie Nadeln in den Himmel recken.
Dicht besetzt durch Spitzen und Pfähle deuteten die ersten Menschen, die dieses Tal betraten, die Felsen als Seelen längst vergessener Menschen und gaben dem Tal so seinen Namen. Wir sind auch ganz begeistert von der Schönheit dieses Ortes. Das Wetter ist herrlich und so brennt uns schon um 10 Uhr die Sonne unbarmherzig auf den Kopf. Tatsächlich sind wir die einzigen Wanderer an diesem Tag. Außer uns verirrt sich nur ein weiteres Touristenpaar zum Valle, die beiden bleiben aber am Eingang, während wir uns dran machen, das Ende des Tals zu finden. Dies sei verraten: Nach knapp drei Stunden über Fels und Stein geht uns die Puste aus. Warm ist uns ebenfalls und wir müssen ja noch einen Bus erreichen ;-) Gelohnt hat sich der Ausflug auf jeden Fall. Nach dem Trubel der Stadt tut die Totenstille im engen Tal richtig gut.
Damit endet unsere Zeit in La Paz auch schon. Uns zieht es weiter nach Sucre, der offiziellen Hauptstadt Boliviens, wo wir einen Sprachkurs planen.