Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
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59. Tag - 5. September: Broos/Orastie mühsam erreicht

Veröffentlicht: 07.09.2022

Leider habe ich in der Nacht schlecht geschlafen. Ständigt rumpelte laut ein Güterzug in der Nähe von meinem Zeltplatz an der Miersch. Deshalb packte ich meine Sachen und fuhr schon kurz nach 7 los. Immer ging es auf der Fernstraße E 68 entlang. Zeitweise war der LKW Verkehr sehr stark und das Radeln keine Freude. Nach knapp zwei Stunden machte ich eine Frühstückspause. Ich schaute auf meine Fahrradapp, wo ich diese Nacht in der Nähe der Großstadt Deva schlafen könne. Desweiteren brauche ich endlich eine richtige Landkarte, um die Fahrt durch Rumänien sinnvoll planen zu können. Denn die erste Ev. - Lutherische Gemeinde in Siebenbürgen in Broos ist noch zu weit weg. 

In der ersten Kleinstadt auf meiner Route gab es leider keinen Buchladen, so radelte ich weiter nach Deva. Unterwegs gab es nichts besonderes zu sehen und ich kam schon halb 2 in der Stadt Deva an und fand auch einen Buchladen und Autokarte. Spezielle Fahrradkarten gab es leider nicht. Ich verschaffte mir einen Überblick und stellte fest, dass es nur noch ca. 40km bis nach Broos (rumänisch Orastie) zur ersten Ev. Gemeinde sind. Ich überlegte einige Minuten und entschied mich, dannn doch weiter zu fahren, in der Hoffnung den Pfarrer anzutreffen. Jetzt fuhr ich auch durch die typische Siebenbürgische Landschaft mit ihren Bergen und entlang der Miersch und von Ferne sah ich das Fargarash Hochgebirge.

Kurz nach 16 Uhr kam ich ganz schön erschöpft in Broos an, denn an diesem Tag hatte ich immerhin 125 km in den Beinen.  Ich fand recht schnell das Pfarramt, aber die Eingangstür war leider verschlossen, eine Klingel fand ich nicht und auch telefonisch war der Pfarrer nicht erreichbar. Hinter der abgeschlossenen Tür sah ich aber zwei Autos. Deshalb kann es bestimmt nicht mehr lange dauern, bis jemand kommt, so sagte ich mir. Ich wartete eine Stunde, dann das Gleiche. Ich schaute mir deshalb etwas die Stadt an und fuhr nach einer Stunde zurück, aber immer noch war die Tür verschlossen und auch telefonisch keiner erreichbar. Ich wartete einfach weiter, aber suchte über Google Maps einen möglichen Schlafplatz in der Nähe der Stadt. Nochmals telefonierte ich, aber niemand ging ran. So beschloss ich mir etwas zum Abendessen zu kaufen und zu dem Schlafplatz am Ende einer Straße zu fahren. Ich kaufte bei Lidl ein und kam noch einmal bei dem Pfarramt vorbei. Ich versuchte es ein letztes Mal telefonisch. Und - welch ein Wunder, oder Gottes Fügung? - jetzt nahm jemand ab und ich konnte mit Pfarrer Nick Fernolendt direkt sprechen. Inzwischen war es schon nach 19 Uhr und die Sonne verschwand so langsam. Es wurde höchste Zeit. Ich konnte das Gästezimmer im Gemeindehaus beziehen und wir unterhielten uns noch eine Weile.

Die ganze Geschichte der deutschen Siebenbürger Sachsen und die von ihnen zahlreich errichteten Wehrkirchen hier zu entfalten, würde zu weit führen. Kurz: Früher war Siebenbürgen ein fast rein deutsches Siedlungsgebiet. Die Evangelischen bildeten die Mehrheit. In den meisten Dörfern gab es eine Lutherische Kirche und zuständige Pfarrämter. Berühmt sind ihre wehrhaften Kirchenburgen. Jedoch nach dem zweiten Weltkrieg setzte die erste Auswanderungswelle nach Deutschland ein. Die zweite große Auswanderung erfolgte in den 70 Jahren, weil die kommunistische Regierung für jeden ausgewanderten Deutschen Geld bekam und nach der Großen Wende von 1989 / 1990 setzte die Dritte große Auswanderungswelle ein. Von Jahr zu Jahr ging die Gemeindegliederanzahl deutlich zurück. 

Heute gibt es gerade mal von c. 15.000 evangelisch-lutherische Christen in ganz Siebenbürgen, die sehr vertreut in den Dörfern leben, wie mir Pfarrer  Nick Fernolendt in Broos erzählte.

Die Kirche in Broos ist auch eine ehemalige Wehrkirche. Ein Teil der Wehrmauer steht noch und wird derzeit saniert. Das Besondere und Einzigartige in Broos ist, das gleich zwei Kirchen innerhalb der ehemaligen Burg stehen - Die Evangelisch-Lutherische und die Evangelisch-Reformierte.

Für insgesamt ca. 280 Mitglieder in 3 Städten und einzelnen Dörfern ist Pfarrer  zuständig. In Broos selbst gibt es heute nur noch rund 90 Evangelische Christen.  Das reduziert natürlich die Gottesdienstanzahl, auch weil einige Mitglieder die in Broos registriert sind, aber woanders leben. So kommen zum sonntäglichen Gottesdienst 15-20 Menschen. An besonderen Sonntagen, einige mehr. Der Gottesdienst wird noch in Deutsch gehalten. In Deva, wo es eine kleine Gemeinde mit einem Bethaus gibt, in Rumänisch. Die größte Herausforderung, nach den Worten von Pfarrer Nick Fernolendt, ist die Umstellung der Gottesdienst- und Gemeindesprache auf Rumänisch, weil die Alltagssprache mittlerweile in den meisten evangelischen Familien auch rumänisch ist, um die Evangelische Identität zu erhalten. Als ich dann am Abend einschlief versuchte ich mir das frühere Gemeindeleben etwas vorzustellen.


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